Mehr als zehn Jahre nach dem Tod seines Sohnes ist Einar Gilkyson (Robert Redford) immer noch nicht über den Verlust hinweg. Auf seiner Ranch in Wyoming führt er das Leben eines mürrischen Eremiten, dem nur sein alter Freund Mitch (Morgan Freeman) Gesellschaft leistet. Zu seiner Schwiegertochter Jean (Jennifer Lopez) hat er jeden Kontakt abgebrochen, denn er macht sie für den Unfalltod seines Sohnes verantwortlich. Eines Tages jedoch steht Jean samt Töchterchen Griff (Becca Gardner) unangemeldet vor Einars Tür und bittet um Hilfe. Widerwillig nimmt er die beiden auf. Doch dann gelingt es Griff langsam aber sicher das Herz ihres grantigen Großvaters zurück zu erobern. Als jedoch Jeans jähzorniger Exfreund in der Stadt auftaucht, werden die zaghaft geknüpften Familienbande erneut auf eine harte Probe gestellt...
Bonusmaterial
- Making of - Featurette - Audiokommentar mit Regisseur, Produzentin und Cutter - Internationale Kinotrailer & TV-Spots - Interviews - Cast & Crew - B-RollFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2005Das menschliche Orakel
Seit Jahren ist das Hollywoodkino voller Gollums und anderer Fabelwesen. Doch einige neuere Filme suchen wieder nach echten Menschen
Die Telekom hat schon damit geworben, die Kassenärztliche Vereinigung hat sich mit aller Dringlichkeit dafür ausgesprochen, und nun sieht es so aus, als wären auch einige Produzenten und Regisseure in Hollywood in sich gegangen, um anschließend zu proklamieren: "Der Mensch muß wieder im Mittelpunkt stehen." Es ist ja weniger dieser Appell interessant, der im Grunde idiotisch ist, weil es nun mal immer Menschen sind, die telefonieren, operieren und Filme drehen; es ist das verschwiemelte Eingeständnis, etwas versäumt zu haben.
Curtis Hanson etwa, der Regisseur von "In den Schuhen meiner Schwester", sagt nämlich ohne alle Ironie: "Mein Film handelt von Menschen. Solche Filme wurden früher in Hollywood am laufenden Band produziert, heute sind sie eher eine Seltenheit." Er sagt nicht, wovon die Filme der anderen handeln, er meint aber wohl, daß da insgesamt zu viele Monster und Mutanten sind, zu viele Digitalkreaturen, zu viele Superhelden oder notdürftig animierte Comicfiguren, die mit zwei, drei Eigenschaften und einem guten Anzug ausgestattet werden, auch zu viele Heldenbiographien, in denen die Handelnden von vornherein "bigger than life" sind.
Das geheime Gesicht
Und wenn man sich die großen Produktionen der letzten Jahre ansieht, dann hat Hanson ja nicht ganz unrecht. Wer zum Kulturpessimismus neigt, der könnte sogar behaupten, nirgendwo habe man Michel Foucault so ernst genommen wie in Hollywood: Der Mensch verschwinde "wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand", hatte der Franzose schon Mitte der sechziger Jahre geschrieben. Sicher, Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" war der große Sieger bei den Oscars 2005, aber der Film war auch deshalb so fabelhaft, weil einem seine Charaktere fast schon wie Fabelwesen vorkommen konnten inmitten all der Gollums und Jedis, der Retortengeburten und Plotvollzugsgehilfen.
Man merkt dann allerdings bald, daß es gar nicht so einfach ist, wie es sich anhört, auf der Leinwand diese sogenannten Menschen zu porträtieren. Curtis Hanson, dessen letzte drei Filme (darunter der großartige "L. A. Confidential") viel Testosteron enthielten und gute Geschichten erzählten, widmet sich diesmal zwei Schwestern. In der Tonlage der gehobenen Seifenoper hat er einen Bestseller adaptiert. Doch die Welt, aus der die beiden kommen, interessiert ihn viel zuwenig. Daß Cameron Diaz als legasthenische Blondine und Partygirl auf High Heels durchs Leben stolpert, um durch die Arbeit mit rüstigen Senioren geläutert zu werden, daß die brave, graue Anwältin (Toni Collette), die zu Hause einen Schrein voller ungetragener Schuhe hat, einfach ihren Job hinschmeißt, um gegen Entgelt die Hunde wohlhabender Leute auszuführen und dabei glücklich zu werden - das ist ja ganz amüsant anzusehen, aber sonderlich stimmig ist es nicht, wenn man sich das Milieu der jüdischen oberen Mittelklasse ansieht, aus dem die Schwestern stammen und das der Film auch halbwegs deutlich skizziert.
Auch der dauernde Ortswechsel zwischen Philadelphia und Florida wirkt in seiner Funktionalität ermüdend: Erst müssen die beiden Schwestern möglichst deutlich getrennt werden, um sie samt dem Rest der Familie desto furioser wieder zusammenzuführen. Da hilft es auch nicht allzu viel, daß Shirley McLaine als nach dem Tod der Mutter verleugnete Großmutter ein paar schöne Auftritte hat und daß Cameron Diaz für die Freunde der Lyrik einem erblindeten Collegeprofessor ein Gedicht von Elizabeth Bishop über "die Kunst des Verlierens" vorliest. Man hört doch immer wieder nur die Plotmaschinerie ächzen - wer denn nun diese Menschen sind, die einem Curtis Hanson versprochen hat, weiß man nicht.
Auch Lasse Hallström, der Schwede in Hollywood, hat sich ja in "Gilbert Grape", "Chocolat" oder "Gottes Werk und Teufels Beitrag" ausgiebig humanen Dramen gewidmet - und einen dabei meist ein bißchen gelangweilt, weil ihm der Kitsch näher als die Katharsis und die Wellness des Gefühls lieber war als die Schocktherapie. Jetzt hat Hallström auch noch das Pech, daß "Ein ungezähmtes Leben" so aussieht, als versuchten sich Robert Redford und Morgan Freeman an einer Imitation von Clint Eastwood und Freeman als mürrische alte Männer, obwohl der Film vor "Million Dollar Baby" entstand und dann im Regal liegenblieb, weil offenbar selbst die Marketingmeister der Firma Miramax Zweifel an ihm hatten.
Das Rätsel Normalität
Mit der Lagerräumung bei Miramax kommt er nun doch ins Kino. Und so sieht man Jennifer Lopez in der Weite Wyomings, immer so schmeichelhaft ausgeleuchtet, daß Gram und Trauer gar nicht erst ihr Gesicht verschatten. Von ihrem Freund geschlagen, sucht sie mit ihrer Tochter widerwillig ihren Schwiegervater (Redford) auf, der auf seiner verkommenen Ranch noch immer um seinen Sohn trauert, seiner Schwiegertochter die Schuld an dessen Tod gibt und sich um seinen alten Cowboy (Freeman) kümmert, den ein Bär zum Invaliden gemacht hat. Wie immer bei Hallström gleicht der Umgang mit den menschlichen Verwicklungen einem Geduldsspiel: eine Art psychologischer Rubikwürfel, den der Regisseur in zwei Stunden immer so zu drehen versteht, daß am Ende die richtige Kombination herauskommt. Die Musik ist süßlich, die Männer sind einsilbig und Musterexemplare der Harte-Schale-weicher-Kern-Spezies. Muß man da noch erwähnen, daß der originellste Charakter der Bär ist? Ein Bär namens Bart II, ein Grizzly mit eigenem Eintrag in der "Internet Movie Database", der als multifunktionales Symbol durch den Film streunen muß, dabei aber so stoisch spielt wie Robert Mitchum?
Es ist also gar nicht so leicht, es mal wieder mit den sogenannten normalen Menschen zu versuchen, die weder ein tolles Auto noch ein großes Waffenarsenal, weder den Weltuntergang vor Augen noch einen straffen Thrillerplot zu exekutieren haben. Man sieht das im übrigen auch an anderen, vergleichsweise ambitionierten Filmen. In Cameron Crowes "Elizabethtown" (seit Donnerstag im Kino) wird Orlando Bloom in die Krise und nach Kentucky geschickt, nachdem sein Vater gestorben ist. Halb Screwball-Comedy-Verschnitt, halb Kleinepos, inszeniert der Film auch die Romanze zwischen Bloom und Kirsten Dunst wie ein Kapitel aus einem fidelen Partnerschaftsratgeber. Oder in "Imaginary Heroes" (der am kommenden Donnerstag anläuft) von Dan Harris, in dem eine dysfunktionale Familie nach dem Selbstmord des ältesten Sohnes ordentlich durchgerüttelt wird. Von ferne erinnert das Szenario an Ang Lees "Eissturm", vor allem dank der bewunderungswürdigen Sigourney Weaver, doch auch Harris läßt den Charakteren keinen Raum zur Entfaltung. Vom Autounfall unter Alkoholeinfluß über Krebsangst bis zum dunklen Familiengeheimnis bleibt ihnen kein Drehbuchtrick erspart: Wie Crashtest-Dummies setzt der Film sie allen erdenklichen Härtefällen des Lebens aus, bis sie am Ende dann serientauglich sind.
Das Problem ist bei diesen Filmen weniger das unvermeidliche Happy ending, die Läuterung, die Einkehr, die Versöhnung, die Reue, die abgetragene Schuld. Das gehört zum Hollywoodkino, und wer sich darüber immer noch erregt, kann sich ebensogut auch mit Windmühlen anlegen. Aber auch ein glückliches Ende verlangt ja Logik und Plausibilität, einen Prozeß, aus dem es hervorgeht. Als Selbstzweck ist es bloß ein schlechter dramaturgischer Trick, wenn einem sonst nichts einfällt. Das Dilemma liegt darin, daß diese Filme den alten Unterschied zwischen "character driven" und "plot driven" bis zur Unkenntlichkeit verwischen. Daß eine Geschichte sich aus den Charakteren ergibt, anstatt sie hinter sich herzuschleifen, daß Schauspieler Zeit haben, eine Figur so zu spielen, daß sie individuelle Züge gewinnt, anstatt vom Plot dauernd in ein Reiz-Reaktions-Schema gezwungen zu werden, davon sind nur Spurenelemente wahrzunehmen. Wenn Hanson oder Hallström angefangen hätten, eher den Bewegungen und der inneren Logik der Figuren zu folgen, die sie anfänglich skizzieren, dann wären vermutlich ganz andere Filme herausgekommen.
Wahn der Wirklichkeit
Fassbinder hat gerne den Satz von Fontane zitiert: "Denn alle Schuld rächt sich auf Erden, auch die, Schemen oder doch mindestens Halbschemen für Menschen ausgegeben zu haben." Der Satz läßt sich in zwei Richtungen adressieren: An die Wirklichkeitsüberbieter an den Computern und an die eifrigen Menschenfreunde, die sich so ostentativ vom Kino der Spezialeffekte abkehren. Erstere muß das gar nicht interessieren, weil sie nie bestreiten würden, daß ihnen Pyrotechnik wichtiger ist als Psychologie. Die anderen dagegen glauben sich über diese Kritik erhaben - weshalb man sich dann um so mehr ärgert, weil die Konstruktion so deutlich hervortritt. Es reicht halt nicht, Schauspielern jenseits der Sechzig tragende Rollen zu geben oder sich aufs Familienleben zu konzentrieren, um von Menschen zu erzählen, die sich in dem, was sie sagen, wie sie sich bewegen und handeln, auch wie solche aufführen - ob sie nun im Rentenalter sind oder erst um die Dreißig wie bei Curtis Hanson.
Und es soll jetzt keiner kommen und behaupten, daß auch Helden innerhalb von spezifischen Umständen und unter gesellschaftlichen Bedingungen agieren - Drehbucheinfälle sind weder höhere Mächte noch soziale Strukturen. Sie sind geeignete oder eben untaugliche Mittel, Charaktere im Rahmen einer Handlung zu entwickeln. Man wäre ja schon zufrieden, wenn ein Film eine spannende und gut konstruierte Geschichte mit halbwegs glaubwürdigen Akteuren erzählte, anstatt sich als Retter einer im Hollywoodkino bedrohten Spezies zu gebärden. So gesehen, ist es kein Wunder, daß einem das Verhalten von King Kong, der sich jetzt zu Weihnachten wieder in die weiße Frau verlieben wird, irgendwie artgerechter vorkommt.
PETER KÖRTE
"In den Schuhen meiner Schwester" ist ab Donnerstag im Kino zu sehen; "Ein ungezähmtes Leben" folgt am 24. November.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seit Jahren ist das Hollywoodkino voller Gollums und anderer Fabelwesen. Doch einige neuere Filme suchen wieder nach echten Menschen
Die Telekom hat schon damit geworben, die Kassenärztliche Vereinigung hat sich mit aller Dringlichkeit dafür ausgesprochen, und nun sieht es so aus, als wären auch einige Produzenten und Regisseure in Hollywood in sich gegangen, um anschließend zu proklamieren: "Der Mensch muß wieder im Mittelpunkt stehen." Es ist ja weniger dieser Appell interessant, der im Grunde idiotisch ist, weil es nun mal immer Menschen sind, die telefonieren, operieren und Filme drehen; es ist das verschwiemelte Eingeständnis, etwas versäumt zu haben.
Curtis Hanson etwa, der Regisseur von "In den Schuhen meiner Schwester", sagt nämlich ohne alle Ironie: "Mein Film handelt von Menschen. Solche Filme wurden früher in Hollywood am laufenden Band produziert, heute sind sie eher eine Seltenheit." Er sagt nicht, wovon die Filme der anderen handeln, er meint aber wohl, daß da insgesamt zu viele Monster und Mutanten sind, zu viele Digitalkreaturen, zu viele Superhelden oder notdürftig animierte Comicfiguren, die mit zwei, drei Eigenschaften und einem guten Anzug ausgestattet werden, auch zu viele Heldenbiographien, in denen die Handelnden von vornherein "bigger than life" sind.
Das geheime Gesicht
Und wenn man sich die großen Produktionen der letzten Jahre ansieht, dann hat Hanson ja nicht ganz unrecht. Wer zum Kulturpessimismus neigt, der könnte sogar behaupten, nirgendwo habe man Michel Foucault so ernst genommen wie in Hollywood: Der Mensch verschwinde "wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand", hatte der Franzose schon Mitte der sechziger Jahre geschrieben. Sicher, Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" war der große Sieger bei den Oscars 2005, aber der Film war auch deshalb so fabelhaft, weil einem seine Charaktere fast schon wie Fabelwesen vorkommen konnten inmitten all der Gollums und Jedis, der Retortengeburten und Plotvollzugsgehilfen.
Man merkt dann allerdings bald, daß es gar nicht so einfach ist, wie es sich anhört, auf der Leinwand diese sogenannten Menschen zu porträtieren. Curtis Hanson, dessen letzte drei Filme (darunter der großartige "L. A. Confidential") viel Testosteron enthielten und gute Geschichten erzählten, widmet sich diesmal zwei Schwestern. In der Tonlage der gehobenen Seifenoper hat er einen Bestseller adaptiert. Doch die Welt, aus der die beiden kommen, interessiert ihn viel zuwenig. Daß Cameron Diaz als legasthenische Blondine und Partygirl auf High Heels durchs Leben stolpert, um durch die Arbeit mit rüstigen Senioren geläutert zu werden, daß die brave, graue Anwältin (Toni Collette), die zu Hause einen Schrein voller ungetragener Schuhe hat, einfach ihren Job hinschmeißt, um gegen Entgelt die Hunde wohlhabender Leute auszuführen und dabei glücklich zu werden - das ist ja ganz amüsant anzusehen, aber sonderlich stimmig ist es nicht, wenn man sich das Milieu der jüdischen oberen Mittelklasse ansieht, aus dem die Schwestern stammen und das der Film auch halbwegs deutlich skizziert.
Auch der dauernde Ortswechsel zwischen Philadelphia und Florida wirkt in seiner Funktionalität ermüdend: Erst müssen die beiden Schwestern möglichst deutlich getrennt werden, um sie samt dem Rest der Familie desto furioser wieder zusammenzuführen. Da hilft es auch nicht allzu viel, daß Shirley McLaine als nach dem Tod der Mutter verleugnete Großmutter ein paar schöne Auftritte hat und daß Cameron Diaz für die Freunde der Lyrik einem erblindeten Collegeprofessor ein Gedicht von Elizabeth Bishop über "die Kunst des Verlierens" vorliest. Man hört doch immer wieder nur die Plotmaschinerie ächzen - wer denn nun diese Menschen sind, die einem Curtis Hanson versprochen hat, weiß man nicht.
Auch Lasse Hallström, der Schwede in Hollywood, hat sich ja in "Gilbert Grape", "Chocolat" oder "Gottes Werk und Teufels Beitrag" ausgiebig humanen Dramen gewidmet - und einen dabei meist ein bißchen gelangweilt, weil ihm der Kitsch näher als die Katharsis und die Wellness des Gefühls lieber war als die Schocktherapie. Jetzt hat Hallström auch noch das Pech, daß "Ein ungezähmtes Leben" so aussieht, als versuchten sich Robert Redford und Morgan Freeman an einer Imitation von Clint Eastwood und Freeman als mürrische alte Männer, obwohl der Film vor "Million Dollar Baby" entstand und dann im Regal liegenblieb, weil offenbar selbst die Marketingmeister der Firma Miramax Zweifel an ihm hatten.
Das Rätsel Normalität
Mit der Lagerräumung bei Miramax kommt er nun doch ins Kino. Und so sieht man Jennifer Lopez in der Weite Wyomings, immer so schmeichelhaft ausgeleuchtet, daß Gram und Trauer gar nicht erst ihr Gesicht verschatten. Von ihrem Freund geschlagen, sucht sie mit ihrer Tochter widerwillig ihren Schwiegervater (Redford) auf, der auf seiner verkommenen Ranch noch immer um seinen Sohn trauert, seiner Schwiegertochter die Schuld an dessen Tod gibt und sich um seinen alten Cowboy (Freeman) kümmert, den ein Bär zum Invaliden gemacht hat. Wie immer bei Hallström gleicht der Umgang mit den menschlichen Verwicklungen einem Geduldsspiel: eine Art psychologischer Rubikwürfel, den der Regisseur in zwei Stunden immer so zu drehen versteht, daß am Ende die richtige Kombination herauskommt. Die Musik ist süßlich, die Männer sind einsilbig und Musterexemplare der Harte-Schale-weicher-Kern-Spezies. Muß man da noch erwähnen, daß der originellste Charakter der Bär ist? Ein Bär namens Bart II, ein Grizzly mit eigenem Eintrag in der "Internet Movie Database", der als multifunktionales Symbol durch den Film streunen muß, dabei aber so stoisch spielt wie Robert Mitchum?
Es ist also gar nicht so leicht, es mal wieder mit den sogenannten normalen Menschen zu versuchen, die weder ein tolles Auto noch ein großes Waffenarsenal, weder den Weltuntergang vor Augen noch einen straffen Thrillerplot zu exekutieren haben. Man sieht das im übrigen auch an anderen, vergleichsweise ambitionierten Filmen. In Cameron Crowes "Elizabethtown" (seit Donnerstag im Kino) wird Orlando Bloom in die Krise und nach Kentucky geschickt, nachdem sein Vater gestorben ist. Halb Screwball-Comedy-Verschnitt, halb Kleinepos, inszeniert der Film auch die Romanze zwischen Bloom und Kirsten Dunst wie ein Kapitel aus einem fidelen Partnerschaftsratgeber. Oder in "Imaginary Heroes" (der am kommenden Donnerstag anläuft) von Dan Harris, in dem eine dysfunktionale Familie nach dem Selbstmord des ältesten Sohnes ordentlich durchgerüttelt wird. Von ferne erinnert das Szenario an Ang Lees "Eissturm", vor allem dank der bewunderungswürdigen Sigourney Weaver, doch auch Harris läßt den Charakteren keinen Raum zur Entfaltung. Vom Autounfall unter Alkoholeinfluß über Krebsangst bis zum dunklen Familiengeheimnis bleibt ihnen kein Drehbuchtrick erspart: Wie Crashtest-Dummies setzt der Film sie allen erdenklichen Härtefällen des Lebens aus, bis sie am Ende dann serientauglich sind.
Das Problem ist bei diesen Filmen weniger das unvermeidliche Happy ending, die Läuterung, die Einkehr, die Versöhnung, die Reue, die abgetragene Schuld. Das gehört zum Hollywoodkino, und wer sich darüber immer noch erregt, kann sich ebensogut auch mit Windmühlen anlegen. Aber auch ein glückliches Ende verlangt ja Logik und Plausibilität, einen Prozeß, aus dem es hervorgeht. Als Selbstzweck ist es bloß ein schlechter dramaturgischer Trick, wenn einem sonst nichts einfällt. Das Dilemma liegt darin, daß diese Filme den alten Unterschied zwischen "character driven" und "plot driven" bis zur Unkenntlichkeit verwischen. Daß eine Geschichte sich aus den Charakteren ergibt, anstatt sie hinter sich herzuschleifen, daß Schauspieler Zeit haben, eine Figur so zu spielen, daß sie individuelle Züge gewinnt, anstatt vom Plot dauernd in ein Reiz-Reaktions-Schema gezwungen zu werden, davon sind nur Spurenelemente wahrzunehmen. Wenn Hanson oder Hallström angefangen hätten, eher den Bewegungen und der inneren Logik der Figuren zu folgen, die sie anfänglich skizzieren, dann wären vermutlich ganz andere Filme herausgekommen.
Wahn der Wirklichkeit
Fassbinder hat gerne den Satz von Fontane zitiert: "Denn alle Schuld rächt sich auf Erden, auch die, Schemen oder doch mindestens Halbschemen für Menschen ausgegeben zu haben." Der Satz läßt sich in zwei Richtungen adressieren: An die Wirklichkeitsüberbieter an den Computern und an die eifrigen Menschenfreunde, die sich so ostentativ vom Kino der Spezialeffekte abkehren. Erstere muß das gar nicht interessieren, weil sie nie bestreiten würden, daß ihnen Pyrotechnik wichtiger ist als Psychologie. Die anderen dagegen glauben sich über diese Kritik erhaben - weshalb man sich dann um so mehr ärgert, weil die Konstruktion so deutlich hervortritt. Es reicht halt nicht, Schauspielern jenseits der Sechzig tragende Rollen zu geben oder sich aufs Familienleben zu konzentrieren, um von Menschen zu erzählen, die sich in dem, was sie sagen, wie sie sich bewegen und handeln, auch wie solche aufführen - ob sie nun im Rentenalter sind oder erst um die Dreißig wie bei Curtis Hanson.
Und es soll jetzt keiner kommen und behaupten, daß auch Helden innerhalb von spezifischen Umständen und unter gesellschaftlichen Bedingungen agieren - Drehbucheinfälle sind weder höhere Mächte noch soziale Strukturen. Sie sind geeignete oder eben untaugliche Mittel, Charaktere im Rahmen einer Handlung zu entwickeln. Man wäre ja schon zufrieden, wenn ein Film eine spannende und gut konstruierte Geschichte mit halbwegs glaubwürdigen Akteuren erzählte, anstatt sich als Retter einer im Hollywoodkino bedrohten Spezies zu gebärden. So gesehen, ist es kein Wunder, daß einem das Verhalten von King Kong, der sich jetzt zu Weihnachten wieder in die weiße Frau verlieben wird, irgendwie artgerechter vorkommt.
PETER KÖRTE
"In den Schuhen meiner Schwester" ist ab Donnerstag im Kino zu sehen; "Ein ungezähmtes Leben" folgt am 24. November.
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