Kurz vor Ende des 2.Weltkrieges meldet sich der deutsche Kriegsgefangene Karl Maurer (Oskar Werner) um aus Gewissensgründen freiwillig für die Amerikaner zu spionieren. Als ein deutscher General über seine Kapitulation verhandeln will, erhält Karl vom US-Geheimdienst seine erste Mission und wird zurück nach Deutschland geschickt...
Bonusmaterial
- Trailer - Fox Movietone News Clips - WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2011Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei
"Entscheidung vor Morgengrauen" / Von Dominik Graf
Spätherbst 1944: Endphase des Weltkriegs in Süddeutschland. Ein Soldat sucht seine Armee. Wie Jean Pierre Léaud in der "Amerikanischen Nacht" auf der Suche nach der Magie der Frauen, so fragt sich hier das Engelsgesicht Oskar Werner durch das Inferno der Luftangriffe, durch Ruinen, über Schuttberge, vorbei an verheerenden Leidensgeschichten (auch vorbei am Hindernis-Parcours der allgegenwärtigen deutschen Militärkontrollen) bis hin zu seiner Truppe: der 11. Deutschen Armee, von der keiner genau weiß, wo sie gerade steht. Das soll auch niemand wissen. Und der Soldat ist kein gewöhnlicher Soldat, er ist ein Spion in Wehrmachtsuniform. Gefangen von den Amerikanern, hat er sich im Lager freiwillig zum Kampf gegen das Regime im eigenen Land gemeldet. Sein Deckname ist "Happy", weil er so ernst ist. Man ahnt vielleicht, sein Vater, ein Berliner Chirurg, könnte möglicherweise ein strammer Nazi sein. In Würzburg angekommen, erfährt "Happy", dass er dort im Schloss über der Stadt operiert. Er ruft den Vater an, hört seine Stimme, aus nur zweihundert Metern Luftlinie Entfernung: "Hallo? Hallo? Wer ist da?" Er blickt hinauf zum Lazarett-Schloss, das wie eine Trutzburg über ihm liegt - und legt auf.
Ein Roadmovie durch Süddeutschland: München in Trümmern, Nürnberg in Trümmern, Würzburg in Trümmern ... "Herrrrrlich!" hört man förmlich die Stimme des Führers schnarren. Das Dritte Reich wehrt sich wie ein tödlich verwundeter rasender Lindwurm, die Gestapo wütet in der eigenen Armee, sucht nach Verrätern, Spionen, Deserteuren, es wird pausenlos füsiliert und gehenkt.
Hans Christian Blech mimt als Spion "Tiger" zuerst den harten Hund, singt unnachahmlich knorrig seine Version von Lale Andersens "Es geht alles vorüber" und dreht im entscheidenden Moment durch. Der blutjunge Klaus Kinski bewirbt sich in einem 15-Sekunden-Auftritt bei den Amis als Spion - und wird nicht genommen. Bei O. E. Hasse als herzkrankem Oberst in Crailsheim erfährt Oskar Werner dann endlich, was er wissen will: dass die 11. Armee hinter Mannheim die US-Kräfte in eine böse Falle laufen lassen will. Diese Information muss er dringend an seine Kontaktmänner durchbringen, und es kommt zum grandiosen Finale im verschneiten, brennenden Mannheim, im eisigen Rhein.
Der Film sollte ursprünglich "Legion der Verdammten" heißen und die Geschichte ebenjener deutschen Soldaten erzählen, die sich in US-Kriegsgefangenschaft als Kundschafter gegen ihre in Flammen stehende Heimat bewarben. Manche taten es für Geld, andere für Vergünstigungen, einige wurden dafür von ihren Mitgefangenen im Lager umgebracht, andere wie "Happy" mussten für die vorrückenden Sieger Himmelfahrts- Kommandos erledigen.
Die meisten Trümmer in diesem Film waren Filmarchitekten-Kunst, denn es herrschten 1951 in der BRD Restauration und Wirtschaftswunder. Die Deutschen erregten sich auch gleich über die Dreharbeiten und befürchteten, sie kämen bei der Millionenproduktion schlecht weg. Der Würzburger Bürgermeister bangte um den Ruf seiner Stadt und erwog, die Dreharbeiten zu verbieten. Am Ende gab aber die Zahlkraft der US-Produzenten den Ausschlag, um Anatole Litvak sein erstaunliches Werk so drehen zu lassen, wie er wollte. "Entscheidung vor Morgengrauen" wurde dann in Deutschland auch stets nur stark gekürzt gezeigt. Wenn man heute im Film die getroffene Kuppel des Armeemuseums als Hintergrund zu einer Szene am Münchner Hauptbahnhof brennen sieht, dann denkt man daran, dass die Bayern dieses grandiose Ruinen-Monument in den Neunzigern für ihre Protz-Staatskanzlei verschwinden ließen. Da herrschte dann schon die schlimme Gnade der späten Geburt.
"Entscheidung vor Morgengrauen" ist nun, 2010, endlich ungekürzt auf einer erstklassigen DVD bei uns angekommen, Die geschnittenen Szenen wurden wieder eingesetzt, was ein nettes Sprach-Gewirr zur Folge hat: amerikanischer O-Ton mit Untertiteln, starker US-Akzent in der deutschen Sprache, starker deutscher Akzent im Amerikanischen, deutscher Synchronton mit fränkischem und pfälzischem Dialekt, alle denkbaren Töne wechseln sich ab, ergeben eine unfreiwillige Authentizität. Litvak choreographiert meisterlich das Chaos der zerstörten Städte, erzählt ruhig, episch und - wie er selbst betonte - "realistisch". Hildegard "Neff" hat einen ihrer allerbesten Auftritte. Neben ihr in der improvisierten Kleinstadt-Revuegruppe tanzt eine hübsche einbeinige Frau: "Kinder, genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich."
Dem Publikum damals verkauft als seriöses Antikriegsmemento, zeigt der Film aber heute sein wahres Gesicht: ein ambivalent funkelnder, dunkler Diamant. Man entdeckt vor allem die Momente der verblüffenden Offenheit, der grausamen Schönheit der Ruinenwelt. Man ist bezaubert von Werners sanfter Traurigkeit, man rätselt um die Gründe seiner geheimnisvollen moralischen Beharrlichkeit - und man schmilzt dahin bei Knefs fordernder Sehnsucht nach Berührung und Wärme.
Wir erleben ein Deutschland in Schutt und Asche, desillusioniert, qualmend, sozusagen nackt - und man könnte sagen: Nie war Deutschland so schön. Eine kurzzeitige, nie wieder dagewesene Katharsis deutete sich an, die Giftsuppe des völkischen Wahnsinns war an den Rändern schon abgekühlt, die bigotten Lügen danach - bis heute - ahnte man zwar bereits alle, aber dazwischen lag eine sozusagen heilige Weltsekunde lang Ehrlichkeit und Wahrheit in diesem Land. Die Brachen, die Freiflächen, die der Krieg gerissen hatte, gaben ein paar Jahre lang den Blick auf die deutsche Geschichte frei. Bevor uns all die augenöffnenenden Perspektiven wieder verstellt wurden.
In den kleinen Extras der erstklassigen DVD kann man die - nachdem man den Film gesehen hat - bizarre Situation miterleben, wie Hildegard Knef blendender Laune im Dezember 1951 ein Gipsmodell von Hand und Fuß Oskar Werners in den "Hollywood Walk of Fame" eindrückt. Werner hatte lediglich keine Zeit zu kommen, aber die Zeremonie wirkt heute wie eine seltsam frivole letzte Ehre für "Happy", den nie lächelnden Spion aus tiefsten, deutschen Gewissensnöten.
Anatole Litvak:
"Entscheidung vor
Morgengrauen"
Winkler Film. 115 Minuten. Englisch, Deutsch, Untertitel. Extras: Trailer, Movietone News Bildergalerie.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Entscheidung vor Morgengrauen" / Von Dominik Graf
Spätherbst 1944: Endphase des Weltkriegs in Süddeutschland. Ein Soldat sucht seine Armee. Wie Jean Pierre Léaud in der "Amerikanischen Nacht" auf der Suche nach der Magie der Frauen, so fragt sich hier das Engelsgesicht Oskar Werner durch das Inferno der Luftangriffe, durch Ruinen, über Schuttberge, vorbei an verheerenden Leidensgeschichten (auch vorbei am Hindernis-Parcours der allgegenwärtigen deutschen Militärkontrollen) bis hin zu seiner Truppe: der 11. Deutschen Armee, von der keiner genau weiß, wo sie gerade steht. Das soll auch niemand wissen. Und der Soldat ist kein gewöhnlicher Soldat, er ist ein Spion in Wehrmachtsuniform. Gefangen von den Amerikanern, hat er sich im Lager freiwillig zum Kampf gegen das Regime im eigenen Land gemeldet. Sein Deckname ist "Happy", weil er so ernst ist. Man ahnt vielleicht, sein Vater, ein Berliner Chirurg, könnte möglicherweise ein strammer Nazi sein. In Würzburg angekommen, erfährt "Happy", dass er dort im Schloss über der Stadt operiert. Er ruft den Vater an, hört seine Stimme, aus nur zweihundert Metern Luftlinie Entfernung: "Hallo? Hallo? Wer ist da?" Er blickt hinauf zum Lazarett-Schloss, das wie eine Trutzburg über ihm liegt - und legt auf.
Ein Roadmovie durch Süddeutschland: München in Trümmern, Nürnberg in Trümmern, Würzburg in Trümmern ... "Herrrrrlich!" hört man förmlich die Stimme des Führers schnarren. Das Dritte Reich wehrt sich wie ein tödlich verwundeter rasender Lindwurm, die Gestapo wütet in der eigenen Armee, sucht nach Verrätern, Spionen, Deserteuren, es wird pausenlos füsiliert und gehenkt.
Hans Christian Blech mimt als Spion "Tiger" zuerst den harten Hund, singt unnachahmlich knorrig seine Version von Lale Andersens "Es geht alles vorüber" und dreht im entscheidenden Moment durch. Der blutjunge Klaus Kinski bewirbt sich in einem 15-Sekunden-Auftritt bei den Amis als Spion - und wird nicht genommen. Bei O. E. Hasse als herzkrankem Oberst in Crailsheim erfährt Oskar Werner dann endlich, was er wissen will: dass die 11. Armee hinter Mannheim die US-Kräfte in eine böse Falle laufen lassen will. Diese Information muss er dringend an seine Kontaktmänner durchbringen, und es kommt zum grandiosen Finale im verschneiten, brennenden Mannheim, im eisigen Rhein.
Der Film sollte ursprünglich "Legion der Verdammten" heißen und die Geschichte ebenjener deutschen Soldaten erzählen, die sich in US-Kriegsgefangenschaft als Kundschafter gegen ihre in Flammen stehende Heimat bewarben. Manche taten es für Geld, andere für Vergünstigungen, einige wurden dafür von ihren Mitgefangenen im Lager umgebracht, andere wie "Happy" mussten für die vorrückenden Sieger Himmelfahrts- Kommandos erledigen.
Die meisten Trümmer in diesem Film waren Filmarchitekten-Kunst, denn es herrschten 1951 in der BRD Restauration und Wirtschaftswunder. Die Deutschen erregten sich auch gleich über die Dreharbeiten und befürchteten, sie kämen bei der Millionenproduktion schlecht weg. Der Würzburger Bürgermeister bangte um den Ruf seiner Stadt und erwog, die Dreharbeiten zu verbieten. Am Ende gab aber die Zahlkraft der US-Produzenten den Ausschlag, um Anatole Litvak sein erstaunliches Werk so drehen zu lassen, wie er wollte. "Entscheidung vor Morgengrauen" wurde dann in Deutschland auch stets nur stark gekürzt gezeigt. Wenn man heute im Film die getroffene Kuppel des Armeemuseums als Hintergrund zu einer Szene am Münchner Hauptbahnhof brennen sieht, dann denkt man daran, dass die Bayern dieses grandiose Ruinen-Monument in den Neunzigern für ihre Protz-Staatskanzlei verschwinden ließen. Da herrschte dann schon die schlimme Gnade der späten Geburt.
"Entscheidung vor Morgengrauen" ist nun, 2010, endlich ungekürzt auf einer erstklassigen DVD bei uns angekommen, Die geschnittenen Szenen wurden wieder eingesetzt, was ein nettes Sprach-Gewirr zur Folge hat: amerikanischer O-Ton mit Untertiteln, starker US-Akzent in der deutschen Sprache, starker deutscher Akzent im Amerikanischen, deutscher Synchronton mit fränkischem und pfälzischem Dialekt, alle denkbaren Töne wechseln sich ab, ergeben eine unfreiwillige Authentizität. Litvak choreographiert meisterlich das Chaos der zerstörten Städte, erzählt ruhig, episch und - wie er selbst betonte - "realistisch". Hildegard "Neff" hat einen ihrer allerbesten Auftritte. Neben ihr in der improvisierten Kleinstadt-Revuegruppe tanzt eine hübsche einbeinige Frau: "Kinder, genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich."
Dem Publikum damals verkauft als seriöses Antikriegsmemento, zeigt der Film aber heute sein wahres Gesicht: ein ambivalent funkelnder, dunkler Diamant. Man entdeckt vor allem die Momente der verblüffenden Offenheit, der grausamen Schönheit der Ruinenwelt. Man ist bezaubert von Werners sanfter Traurigkeit, man rätselt um die Gründe seiner geheimnisvollen moralischen Beharrlichkeit - und man schmilzt dahin bei Knefs fordernder Sehnsucht nach Berührung und Wärme.
Wir erleben ein Deutschland in Schutt und Asche, desillusioniert, qualmend, sozusagen nackt - und man könnte sagen: Nie war Deutschland so schön. Eine kurzzeitige, nie wieder dagewesene Katharsis deutete sich an, die Giftsuppe des völkischen Wahnsinns war an den Rändern schon abgekühlt, die bigotten Lügen danach - bis heute - ahnte man zwar bereits alle, aber dazwischen lag eine sozusagen heilige Weltsekunde lang Ehrlichkeit und Wahrheit in diesem Land. Die Brachen, die Freiflächen, die der Krieg gerissen hatte, gaben ein paar Jahre lang den Blick auf die deutsche Geschichte frei. Bevor uns all die augenöffnenenden Perspektiven wieder verstellt wurden.
In den kleinen Extras der erstklassigen DVD kann man die - nachdem man den Film gesehen hat - bizarre Situation miterleben, wie Hildegard Knef blendender Laune im Dezember 1951 ein Gipsmodell von Hand und Fuß Oskar Werners in den "Hollywood Walk of Fame" eindrückt. Werner hatte lediglich keine Zeit zu kommen, aber die Zeremonie wirkt heute wie eine seltsam frivole letzte Ehre für "Happy", den nie lächelnden Spion aus tiefsten, deutschen Gewissensnöten.
Anatole Litvak:
"Entscheidung vor
Morgengrauen"
Winkler Film. 115 Minuten. Englisch, Deutsch, Untertitel. Extras: Trailer, Movietone News Bildergalerie.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main