Homo Faber, Kurvendiskussion, Asbest in den Toiletten. An der Goethe-Gesamtschule herrscht Stress: Zeki Müller (Elyas MBarek) will Chantal (Jella Haase), Danger (Max von der Groeben), Zeynep (Gizem Emre) und die anderen Schüler zum Abitur peitschen, doch die Chaosklasse ist wenig kooperativ, denn die nette Dame vom Berufsinformationszentrum (BiZ) hat ihnen die Zukunftsaussichten ordentlich vermiest. Nun erreicht das Frustrationslevel ganz neue Höhen, was sich in maximaler Leistungsverweigerung und Schülereskalation äußert. Kann Herr Müller auch Motivation? Direktorin Gudrun Gerster (Katja Riemann) jedenfalls ist keine große Hilfe, seit sie mit dem Bildungsministerium im Clinch liegt und als letzte Gesamtschule des Bundeslandes mit Imageproblemen zu kämpfen hat, an denen die Problemschüler nicht ganz unschuldig sind. Wenigstens bekommt Zeki Müller Unterstützung von Neuzugang Biggi Enzberger (Sandra Hüller), die ihm bei einem Antimobbing-Seminar aushilft.
Bonusmaterial
Making-of Fack Ju Special! Extended Scenes Deleted Scenes Audiokommentare Teaser und TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2024Prinzessin aus Kreuzberg
Mit "Fack Ju Göhte" hat Bora Dagtekin eine Blockbuster-Komödie in drei Teilen ins Kino gebracht. Nun kommt eine Hauptfigur zurück: "Chantal im Märchenland". Was ist ihre Story? Fragen an die Schauspielerin Jella Haase und Bora Dagtekin.
Frau Haase, musste Bora Daktekin Sie lange überreden, als er mit der Idee um die Ecke kam, Sie sollten noch einmal Chantal aus "Fack Ju Göhte" spielen? In einem Film mit dem Titel "Chantal im Märchenland"? Der erste "Fack Ju Göhte"-Film ist mehr als zehn Jahre her.
Jella Haase: Ehrlicherweise: Nein, musste er nicht. Wir haben darüber schon 2021 gesprochen. Da saß er vor mir und fing an, dieses Märchen zu erzählen. Da sah ich über seinem Kopf mich selbst, wie ich auf einem Drachen reite und gegen Hexen kämpfe. Ich fühlte mich geehrt, Teil einer solchen phantastischen Geschichte zu sein. Dass Chantal jetzt zur Heldin avanciert, das war ein großes Geschenk für mich.
Bora Dagtekin: Ich habe lange über die Idee nachgedacht. Ich habe die Figur neu betrachtet und gehofft, dass sie einen Impact für ein neues Publikum hat. Ich wollte sie auf eine Reise schicken, in der sie selbst im Zentrum steht, die einen großen Bogen und eine relevante Aussage hat. Ich wollte, dass sie zu einer Heldin wird. Und das fandest du auch cool, dass Chantal als Bad Princess ein bisschen mit diesem reaktionären Märchenzeugs aufräumt.
Sie hatten die Idee und Jella Haase vor Augen?
Dagtekin: Ich wollte, dass Chantal die Hauptrolle spielt. Bei einer Komödie glaubt man das wahrscheinlich nicht, aber es hat sehr lange gedauert. Es hieß: Das wird zu teuer und zu aufwendig. Ich musste viele Fassungen schreiben, bis es für die Produktion machbar wurde. Aber wir waren immer im Gespräch, und Jella hat mir Feedback gegeben, was ihr wichtig ist, was sie gelesen hat und was sie gut fand.
Haase: Wir kennen uns einfach sehr gut. Es macht unfassbaren Spaß, diese Figur zu spielen. Und schon bei der ersten Drehbuchfassung habe ich ein kleines Tränchen verdrückt. Ich finde das ganze Ensemble extrem stark. Du holst das Beste aus den Leuten raus, du hast eine gute Vision. Es ist nicht selbstverständlich, dass man gut geführt wird. Mit Schauspielerinnen und Schauspielern zu arbeiten, das ist ein besonderes Handwerk. Du gehörst zu denen, die das beherrschen. Und wenn ich mich wohlfühle, dann drehe ich auf.
Dagtekin: Es muss so sein, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler Bock darauf haben, auf die Pointe zu gehen und so lange zu probieren, bis es stimmt. War das jetzt echt, war es lustig? Du bist am Set immer mit Power dabei und ziehst die anderen mit. Deine Figur Chantal war von Anfang an nicht die Prinzessin, sondern die Königin und hat alle mit dem Zepter durch die 700 Drehtage geführt.
Sie haben in Ihrer Karriere, Frau Haase, unterschiedlichste Rollen gehabt. Sie haben angefangen als "Lollipop Monster", dann waren Sie die "Kriegerin". Sie waren an der Berliner Volksbühne. Bei Netflix haben Sie eine Ex-Stasi-Agentin und Killerin gespielt. Jetzt sind Sie wieder bei Chantal. Wenn eine Schauspielerin eine derart populäre Rolle übernimmt, denkt man, Sie müssten sich davor ein wenig fürchten. Weil Sie nur darauf auf der Straße angesprochen oder "reduziert" werden.
Haase: Vor allem Journalistinnen sind auf mich zugekommen und haben gesagt: Werden Sie denn jetzt nicht festgelegt? Das ist mir bislang nicht passiert. Die Angst, festgelegt zu werden, habe ich nicht. Und gerade in Deutschland ist es so schwer, gute Komödien zu machen, kaum jemand verfügt über das Timing, das man dafür mitbringen muss. Ich freue mich, mit Chantal wiederzukommen. Der Film ist ihr Befreiungsschlag.
Dagtekin: Und du wandelst auch einfach supercool zwischen den Genres. Du bist eine Schauspielerin, die ihre Arbeit liebt und in jeder Rolle aufgeht.
Haase: Ich habe das Gefühl, die Rollen rufen mich, und ich weiß sofort, ob ich etwas machen will oder nicht. Ich versuche, überall das Tragische wie das Komische zu sehen. Das machst du auch. Ich habe Chantal immer ernst genommen und war nie verleitet, sie auszulachen. Vor "Fack Ju Göhte" habe ich aber auch gedacht: Passe ich in ein kommerzielles Komödienformat? Können meine Freunde das gucken und lustig finden?
Dagtekin: Ich erinnere mich, du warst beim Casting 2013 schon super ernst. Du spielst nie witzig und bist ganz ernst bei der Figur, das ist der Schlüssel. Die Leute sind bei deinem Casting abgebrochen vor Lachen. Und ich glaube, du wusstest nicht so genau: Ist das jetzt lustig oder nicht?
Haase: Ich war total irritiert, dass Elyas M'Barek die ganze Zeit gelacht hat. Ich dachte, ich mache irgendwas falsch. Das fing schon bei der Fahrt zum Casting an. Meine Mutter hatte mir noch die Fingernägel lackiert. Die Taxifahrerin, die mich zum Vorsprechen fuhr, musste warten und war ganz sauer. Na endlich, sagte sie, ich dachte, hier käme jetzt J.LO (Jennifer Lopez) aus dem Aufzug. Die war es nicht, es war Chantal.
Sie bestehen mit dem Film, Herr Dagtekin, jedenfalls den "Bechdel-Test". Also die Prüfung, ob Frauenrollen in einem kreativen Werk stereotypisiert und auf Männer bezogen sind. Ich würde sagen, Sie bekämen 100 von 100 Punkten.
Dagtekin: Das ist schließlich die Idee: mit Chantal auch den anderen Frauenfiguren eine Bühne zu geben. Man könnte sagen: Warum hat sich der Langweiler nicht eine neue Figur für seinen Film ausgedacht? Aber Chantal ist halt cool, sie kommt aus schwierigen Verhältnissen und hat erst mal kein deutliches feministisches Anliegen. Sie wüsste vielleicht gar nicht, wie sie das definieren soll. Aber sie kämpft intuitiv für die anderen, und so werden diese ganzen Frauenfiguren in den Märchen plötzlich neu beleuchtet. Wir hatten eine Diskussion mit Teenagern und jungen Frauen, wo es darum ging, wer diese Chantal eigentlich ist und ob sie nicht zu "dumm" ist, um Feministin zu sein. Da hat eine junge Frau eingewendet, was das für eine komische Ansicht sei. Da habe ich wieder gemerkt, was man mit einer Figur auslösen kann, die so beliebt ist und in viele Herzen trifft. Jella hat das schon immer gespürt, noch bevor ich es richtig erahnt habe.
Gefallen Sie sich als Chantal im Film besser in Dornröschenkostüm oder in der Ritterrüstung?
Haase: Schwierige Frage. Die Ritterrüstung war nämlich sehr unbequem. Aber ich muss mich vor Esther Waltz, unserer Kostümbildnerin, und ihrem Team verneigen: alle Kleider handgefertigt, eigens entworfen und geschneidert. Ich durfte diese Kostüme zum Leben erwecken. Chantal steckt in den Prinzessinnenkleidern, bewegt sich aber natürlich nicht sisihaft. Die Kleider arbeiten gewissermaßen gegen sie. Das war auch eine Herausforderung.
Dagtekin: Der Prinzessinnentraum wird, wenn Sie so wollen, einmal durchs Ghetto geschleift. Und auf der Heldinnenreise braucht Chantal die Rüstung.
Um den Rahmen abzustecken, muss man die Grimmschen Märchen kennen. Meinen Sie, dass das bei den Jungen noch der Fall ist? Man muss schon aufmerksam sein, um mitzubekommen, wer aus welchem Märchen bei Ihnen auftaucht.
Dagtekin: Das kann sein. Aber es wird ja immer so ein bisschen angedeutet, wer wer ist. Für diejenigen, die die Märchen kennen, ist vielleicht ganz schön, die Figuren zu erkennen. Für andere ist es eine Neuentdeckung. Wer "Dornröschen" in der ursprünglichen Form nicht kennt, kommt trotzdem mit.
Können Sie etwas mit Märchen anfangen, Frau Haase? Haben Sie Märchen als Kind wahrgenommen?
Haase: Ich bin nicht mit Märchen groß geworden. Ich weiß nicht, woran das liegt. Den klassischen Prinzessinnentraum hatte ich nicht. Ich bin mit Pippi Langstrumpf groß geworden und oder mit Cornelia Funke und den "Wilden Hühnern". Ich frage mich, ob meine Eltern mir das vielleicht unterschlagen haben oder ob ich noch zu klein war, dass ich mich bewusst daran erinnere. Ich bin mit anderen Rollenbildern groß geworden und muss sagen, dass Chantal für mich in einer gewissen Art und Weise eine Pippi Langstrumpf ist.
Eigentlich ist Chantal Peter Pan.
Dagtekin: Absolut.
Haase: Petra Pan, so wird sie in einer Szene auch genannt.
Dagtekin: Als sie im Jugendzentrum abhängt, wo man Mittagessen kriegt, auch wenn man keine Hausaufgaben mehr machen muss. Sie weiß nicht genau, was sie da soll. Aber sie will nicht erwachsen werden, weil sie fürchtet, gar keinen Platz in der Welt zu haben.
Haase: Am Anfang hat Chantal überhaupt kein richtiges Gefühl für sich selbst. Sie posiert - als Influencerin ohne Follower. Sie verhält sich egoistisch gegenüber ihrer besten Freundin. Aber sie fängt an, sich selbst zu trauen und wächst über sich hinaus. Das ist eine schöne Botschaft des Films, die einen gerade am Ende berührt. Man freut sich für Chantal, dass sie ihren Weg geht. Ich denke mir, wenn ich von außen auf meine Rolle schaue: Wie schön, dass Chantal diese Reise machen darf.
Dagtekin: Ich habe auch nicht gedacht, dass die Szene, in der es um die Freundschaft von Chantal und ihrer besten Freundin Zeynep geht, die Gizem Emre als zweite Hauptrolle spielt, meine Lieblingsszene wird. In dem Moment ging mir durch den Kopf, wie selten es ist, dass man so einen Bogen hinbekommt. Da stehen nicht Prinzessin und Prinz, sondern die beiden Freundinnen. Das finde ich schon sehr cool, wie wir das gemacht haben.
Chantal im Märchenland ist ab heute im Kino.
Das Gespräch führte Michael Hanfeld.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit "Fack Ju Göhte" hat Bora Dagtekin eine Blockbuster-Komödie in drei Teilen ins Kino gebracht. Nun kommt eine Hauptfigur zurück: "Chantal im Märchenland". Was ist ihre Story? Fragen an die Schauspielerin Jella Haase und Bora Dagtekin.
Frau Haase, musste Bora Daktekin Sie lange überreden, als er mit der Idee um die Ecke kam, Sie sollten noch einmal Chantal aus "Fack Ju Göhte" spielen? In einem Film mit dem Titel "Chantal im Märchenland"? Der erste "Fack Ju Göhte"-Film ist mehr als zehn Jahre her.
Jella Haase: Ehrlicherweise: Nein, musste er nicht. Wir haben darüber schon 2021 gesprochen. Da saß er vor mir und fing an, dieses Märchen zu erzählen. Da sah ich über seinem Kopf mich selbst, wie ich auf einem Drachen reite und gegen Hexen kämpfe. Ich fühlte mich geehrt, Teil einer solchen phantastischen Geschichte zu sein. Dass Chantal jetzt zur Heldin avanciert, das war ein großes Geschenk für mich.
Bora Dagtekin: Ich habe lange über die Idee nachgedacht. Ich habe die Figur neu betrachtet und gehofft, dass sie einen Impact für ein neues Publikum hat. Ich wollte sie auf eine Reise schicken, in der sie selbst im Zentrum steht, die einen großen Bogen und eine relevante Aussage hat. Ich wollte, dass sie zu einer Heldin wird. Und das fandest du auch cool, dass Chantal als Bad Princess ein bisschen mit diesem reaktionären Märchenzeugs aufräumt.
Sie hatten die Idee und Jella Haase vor Augen?
Dagtekin: Ich wollte, dass Chantal die Hauptrolle spielt. Bei einer Komödie glaubt man das wahrscheinlich nicht, aber es hat sehr lange gedauert. Es hieß: Das wird zu teuer und zu aufwendig. Ich musste viele Fassungen schreiben, bis es für die Produktion machbar wurde. Aber wir waren immer im Gespräch, und Jella hat mir Feedback gegeben, was ihr wichtig ist, was sie gelesen hat und was sie gut fand.
Haase: Wir kennen uns einfach sehr gut. Es macht unfassbaren Spaß, diese Figur zu spielen. Und schon bei der ersten Drehbuchfassung habe ich ein kleines Tränchen verdrückt. Ich finde das ganze Ensemble extrem stark. Du holst das Beste aus den Leuten raus, du hast eine gute Vision. Es ist nicht selbstverständlich, dass man gut geführt wird. Mit Schauspielerinnen und Schauspielern zu arbeiten, das ist ein besonderes Handwerk. Du gehörst zu denen, die das beherrschen. Und wenn ich mich wohlfühle, dann drehe ich auf.
Dagtekin: Es muss so sein, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler Bock darauf haben, auf die Pointe zu gehen und so lange zu probieren, bis es stimmt. War das jetzt echt, war es lustig? Du bist am Set immer mit Power dabei und ziehst die anderen mit. Deine Figur Chantal war von Anfang an nicht die Prinzessin, sondern die Königin und hat alle mit dem Zepter durch die 700 Drehtage geführt.
Sie haben in Ihrer Karriere, Frau Haase, unterschiedlichste Rollen gehabt. Sie haben angefangen als "Lollipop Monster", dann waren Sie die "Kriegerin". Sie waren an der Berliner Volksbühne. Bei Netflix haben Sie eine Ex-Stasi-Agentin und Killerin gespielt. Jetzt sind Sie wieder bei Chantal. Wenn eine Schauspielerin eine derart populäre Rolle übernimmt, denkt man, Sie müssten sich davor ein wenig fürchten. Weil Sie nur darauf auf der Straße angesprochen oder "reduziert" werden.
Haase: Vor allem Journalistinnen sind auf mich zugekommen und haben gesagt: Werden Sie denn jetzt nicht festgelegt? Das ist mir bislang nicht passiert. Die Angst, festgelegt zu werden, habe ich nicht. Und gerade in Deutschland ist es so schwer, gute Komödien zu machen, kaum jemand verfügt über das Timing, das man dafür mitbringen muss. Ich freue mich, mit Chantal wiederzukommen. Der Film ist ihr Befreiungsschlag.
Dagtekin: Und du wandelst auch einfach supercool zwischen den Genres. Du bist eine Schauspielerin, die ihre Arbeit liebt und in jeder Rolle aufgeht.
Haase: Ich habe das Gefühl, die Rollen rufen mich, und ich weiß sofort, ob ich etwas machen will oder nicht. Ich versuche, überall das Tragische wie das Komische zu sehen. Das machst du auch. Ich habe Chantal immer ernst genommen und war nie verleitet, sie auszulachen. Vor "Fack Ju Göhte" habe ich aber auch gedacht: Passe ich in ein kommerzielles Komödienformat? Können meine Freunde das gucken und lustig finden?
Dagtekin: Ich erinnere mich, du warst beim Casting 2013 schon super ernst. Du spielst nie witzig und bist ganz ernst bei der Figur, das ist der Schlüssel. Die Leute sind bei deinem Casting abgebrochen vor Lachen. Und ich glaube, du wusstest nicht so genau: Ist das jetzt lustig oder nicht?
Haase: Ich war total irritiert, dass Elyas M'Barek die ganze Zeit gelacht hat. Ich dachte, ich mache irgendwas falsch. Das fing schon bei der Fahrt zum Casting an. Meine Mutter hatte mir noch die Fingernägel lackiert. Die Taxifahrerin, die mich zum Vorsprechen fuhr, musste warten und war ganz sauer. Na endlich, sagte sie, ich dachte, hier käme jetzt J.LO (Jennifer Lopez) aus dem Aufzug. Die war es nicht, es war Chantal.
Sie bestehen mit dem Film, Herr Dagtekin, jedenfalls den "Bechdel-Test". Also die Prüfung, ob Frauenrollen in einem kreativen Werk stereotypisiert und auf Männer bezogen sind. Ich würde sagen, Sie bekämen 100 von 100 Punkten.
Dagtekin: Das ist schließlich die Idee: mit Chantal auch den anderen Frauenfiguren eine Bühne zu geben. Man könnte sagen: Warum hat sich der Langweiler nicht eine neue Figur für seinen Film ausgedacht? Aber Chantal ist halt cool, sie kommt aus schwierigen Verhältnissen und hat erst mal kein deutliches feministisches Anliegen. Sie wüsste vielleicht gar nicht, wie sie das definieren soll. Aber sie kämpft intuitiv für die anderen, und so werden diese ganzen Frauenfiguren in den Märchen plötzlich neu beleuchtet. Wir hatten eine Diskussion mit Teenagern und jungen Frauen, wo es darum ging, wer diese Chantal eigentlich ist und ob sie nicht zu "dumm" ist, um Feministin zu sein. Da hat eine junge Frau eingewendet, was das für eine komische Ansicht sei. Da habe ich wieder gemerkt, was man mit einer Figur auslösen kann, die so beliebt ist und in viele Herzen trifft. Jella hat das schon immer gespürt, noch bevor ich es richtig erahnt habe.
Gefallen Sie sich als Chantal im Film besser in Dornröschenkostüm oder in der Ritterrüstung?
Haase: Schwierige Frage. Die Ritterrüstung war nämlich sehr unbequem. Aber ich muss mich vor Esther Waltz, unserer Kostümbildnerin, und ihrem Team verneigen: alle Kleider handgefertigt, eigens entworfen und geschneidert. Ich durfte diese Kostüme zum Leben erwecken. Chantal steckt in den Prinzessinnenkleidern, bewegt sich aber natürlich nicht sisihaft. Die Kleider arbeiten gewissermaßen gegen sie. Das war auch eine Herausforderung.
Dagtekin: Der Prinzessinnentraum wird, wenn Sie so wollen, einmal durchs Ghetto geschleift. Und auf der Heldinnenreise braucht Chantal die Rüstung.
Um den Rahmen abzustecken, muss man die Grimmschen Märchen kennen. Meinen Sie, dass das bei den Jungen noch der Fall ist? Man muss schon aufmerksam sein, um mitzubekommen, wer aus welchem Märchen bei Ihnen auftaucht.
Dagtekin: Das kann sein. Aber es wird ja immer so ein bisschen angedeutet, wer wer ist. Für diejenigen, die die Märchen kennen, ist vielleicht ganz schön, die Figuren zu erkennen. Für andere ist es eine Neuentdeckung. Wer "Dornröschen" in der ursprünglichen Form nicht kennt, kommt trotzdem mit.
Können Sie etwas mit Märchen anfangen, Frau Haase? Haben Sie Märchen als Kind wahrgenommen?
Haase: Ich bin nicht mit Märchen groß geworden. Ich weiß nicht, woran das liegt. Den klassischen Prinzessinnentraum hatte ich nicht. Ich bin mit Pippi Langstrumpf groß geworden und oder mit Cornelia Funke und den "Wilden Hühnern". Ich frage mich, ob meine Eltern mir das vielleicht unterschlagen haben oder ob ich noch zu klein war, dass ich mich bewusst daran erinnere. Ich bin mit anderen Rollenbildern groß geworden und muss sagen, dass Chantal für mich in einer gewissen Art und Weise eine Pippi Langstrumpf ist.
Eigentlich ist Chantal Peter Pan.
Dagtekin: Absolut.
Haase: Petra Pan, so wird sie in einer Szene auch genannt.
Dagtekin: Als sie im Jugendzentrum abhängt, wo man Mittagessen kriegt, auch wenn man keine Hausaufgaben mehr machen muss. Sie weiß nicht genau, was sie da soll. Aber sie will nicht erwachsen werden, weil sie fürchtet, gar keinen Platz in der Welt zu haben.
Haase: Am Anfang hat Chantal überhaupt kein richtiges Gefühl für sich selbst. Sie posiert - als Influencerin ohne Follower. Sie verhält sich egoistisch gegenüber ihrer besten Freundin. Aber sie fängt an, sich selbst zu trauen und wächst über sich hinaus. Das ist eine schöne Botschaft des Films, die einen gerade am Ende berührt. Man freut sich für Chantal, dass sie ihren Weg geht. Ich denke mir, wenn ich von außen auf meine Rolle schaue: Wie schön, dass Chantal diese Reise machen darf.
Dagtekin: Ich habe auch nicht gedacht, dass die Szene, in der es um die Freundschaft von Chantal und ihrer besten Freundin Zeynep geht, die Gizem Emre als zweite Hauptrolle spielt, meine Lieblingsszene wird. In dem Moment ging mir durch den Kopf, wie selten es ist, dass man so einen Bogen hinbekommt. Da stehen nicht Prinzessin und Prinz, sondern die beiden Freundinnen. Das finde ich schon sehr cool, wie wir das gemacht haben.
Chantal im Märchenland ist ab heute im Kino.
Das Gespräch führte Michael Hanfeld.
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