Budapest 1944. Die jüdische Bevölkerung hofft auf ein baldiges Ende von Verfolgung und Krieg. Der 14-jährige György Köves erlebt den Abschied seines Vaters ins "Arbeitslager", die Brandmarkung seiner Person und seiner Freunde durch den Judenstern und die quälende Frage nach dem Warum. Er erlebt die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Zeitz. György beobachtet und erlebt Leid, Demütigung, Solidarität, Angst und Gleichgültigkeit und "... dort bei den Schornsteinen gab es in den Pausen zwischen den Qualen etwas, das dem Glück ähnlich war."
Der Junge überlebt. Die Lager werden befreit, der Krieg geht zu Ende. György kehrt zurück nach Budapest. Versteht man ihn? Vertraute Türen werden von Fremden geöffnet und schnell geschlossen. Kann er erzählen? Hört man ihm zu? Er kommt als Überlebender und als Fremder in seine Heimatstadt Budapest zurück.
Der Junge überlebt. Die Lager werden befreit, der Krieg geht zu Ende. György kehrt zurück nach Budapest. Versteht man ihn? Vertraute Türen werden von Fremden geöffnet und schnell geschlossen. Kann er erzählen? Hört man ihm zu? Er kommt als Überlebender und als Fremder in seine Heimatstadt Budapest zurück.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit SoundeffektenFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.2005Das unerträgliche Glück der Lager
Wie man es nicht machen darf: Lajos Koltais Verfilmung entstellt den "Roman eines Schicksallosen" von Imre Kertész
So hat Imre Kertész die Ankunft in Buchenwald beschrieben: "Die Luft ist rein, das Auge wird von einer abwechslungsreichen Landschaft erfreut, dem Wald ringsum und den roten Ziegeldächern der Bauernhäuser im Tal . . . Die Häftlinge sind größtenteils freundlich, dies aber irgendwie anders als in Auschwitz. Nach der Ankunft erwarten einen auch hier Bad, Friseur, Desinfektionsmittel und Kleiderwechsel." In diesem Ton geht es seitenlang weiter: Von "Garderobevorschriften" ist da die Rede, von der Hoffnung auf eine Wurst- oder Marmeladeration, den "schattigen Bäumen" der Waschanlage und auch von jenem Dichter, der den "Erlkönig" schrieb.
In diesem Plauderton, der nie zum Geplauder wird, steckt der Skandal von Kertész' Buch und seine Genialität. Kertész hat den "Roman eines Schicksallosen" ein Vierteljahrhundert nach seiner Internierung im Konzentrationslager geschrieben, und man kann dem Buch kein größeres Unrecht antun, als es als jenen Erlebnisbericht zu lesen, der zu sein es vorgibt. "Sorstalanság" (eigentlich: "Schicksallosigkeit"), die Geschichte des vierzehnjährigen György Köves, der, aus Budapest verschleppt, über Auschwitz und Buchenwald ins Arbeitslager Zeitz kommt, ist ein kalt kalkulierter literarischer Text, der gegen den Gesamtbestand des Holocaust-Schrifttums eine einsame Gegenstimme erhebt. Diese Stimme sagt nichts als "ich", knapp dreihundert Seiten lang. Sie weigert sich, ein Exemplar zu sein, ein Name in der Liste der Opfer. Gegen die dokumentierte Evidenz der Vernichtung will sie die Unmittelbarkeit ihrer Erfahrungen retten, die Farben und Geräusche an der Rampe von Auschwitz, den Geruch der Abendsuppe in Buchenwald, die Textur des Lakens, in das der Häftling György, der sich aufgegeben hat und zum "Muselmann", zum lebenden Leichnam geworden ist, von seinem Pfleger gewickelt wird.
"Ja, davon, vom Glück der Konzentrationslager, müßte ich ihnen erzählen, das nächste Mal, wenn sie mich fragen." Das ist die größte Provokation dieses fiktiven Selbstentwurfs: daß er die Reinheit des Leidens bestreitet, die Unaufhörlichkeit der Qual. Dabei wird niemand bestreiten, daß es in den Lagern, unter den Opfern des Massenmords, Momente des Aufatmens, der Erleichterung, der kurzlebigen Hoffnung gegeben hat. Aber es ist etwas anderes, im Ton einer zweiten Naivität von ihnen zu berichten. Wenn die Toten reden könnten, ohne das nachträgliche Wissen der Überlebenden, würden sie vielleicht erzählen wie das Kind bei Kertész. Was er für seine Geburtsstadt empfinde, wird György bei seiner Heimkehr gefragt. Die Antwort: "Haß." Wen er denn hasse? "Alle."
Ein Film, der den "Roman eines Schicksallosen" in Bilder packen will, steht vor einem entscheidenden Problem: Er muß eine Erzählweise finden, die den Blick des Jungen bewahrt, ohne ihn zu verabsolutieren. Wenn etwa bei Kertész von den "schmucken, gepflegten deutschen Soldaten" in Auschwitz die Rede ist, dann müßte die Verfilmung diese Aussage ästhetisch plausibel machen und ihr zugleich widersprechen. Sie müßte den Kinderblick in einer anderen, objektiveren Wahrnehmung spiegeln und brechen. Am besten ist dieses Kunststück bisher Louis Malle in "Auf Wiedersehen, Kinder" gelungen, einem Film, der ebenfalls 1944 spielt. Aber die Schulkinder bei Malle ahnen auch noch nichts von Auschwitz und Buchenwald.
Der ungarische Kameramann Lajos Koltai, der mit "Fateless" sein Regiedebüt gibt, hat das Problem der Erzählperspektive nicht gelöst. Wenn man seinen Film sieht, bekommt man Zweifel, ob er es überhaupt begriffen hat. Dabei hat Koltai zunächst zwei wichtige Dinge richtig gemacht: Er hat "Fateless" fast ausschließlich mit unbekannten einheimischen Schauspielern gedreht, und er hat die Hauptrolle einem Dreizehnjährigen anvertraut. In dieser Geschichte geht es nicht um Ausdruckskunst, sondern um eine Art des Staunens, wie sie womöglich nur ein Laie zu zeigen vermag, eine Erfahrung, die alle Erfahrungswerte aufhebt. Und so sehen wir, wie Marcell Nagy als György Köves in kurzer Zeit vom Teenager zum Greis wird, wie alles Weiche aus seinem Gesicht verschwindet, ohne daß die Neugierde in seinen Augen erlischt. In solchen Szenen, wenn er ganz bei seiner Hauptfigur ist, hat der Film seine stärksten Momente, weil subjektive und objektive Wahrheit darin zur Deckung kommen.
Aber das ist nur der eine, kleinere Teil des Films. Der größere Teil besteht aus der Wiedergabe der Erlebnisse des Jungen auf seinem Leidensweg durch die Konzentrationslager, der Außenansicht jener Wirklichkeit, die der "Roman eines Schicksallosen" einzig aus der Innenansicht schildert. Und hier ist Koltai so eklatant gescheitert, wie vielleicht nur ein Kamera-Profi scheitern kann, der sich der Herstellung ästhetisch gelungener Bilder verschrieben hat. In seinen Arbeiten für Klaus Maria Brandauer und István Szábo hat Koltai sein Können bewiesen, und auch in "Fateless" versteckt er es nicht. Das führt dazu, daß die Realität der Lager nicht bloß - wie im Buch - schöngeredet, sondern tatsächlich geschönt wird. Der Sepiaton, in den Koltai seine Einstellungen taucht, gibt den Ansichten von Baracken, Stacheldrahtzäunen und Sträflingskolonnen etwas Albumblatthaftes, das durch die langsamen Auf- und Abblenden zwischen den Szenen noch betont wird. "In gewissem Sinn", heißt es bei Kertész, sei das Leben im Lager "reiner und einfacher" gewesen. Koltai hat die Einschränkung offenbar überlesen. Er übersetzt die Lagerwirklichkeit in reine und einfache Bilder und verfehlt sie dadurch ganz.
In einer Szene etwa sieht man die Häftlinge auf dem Appellplatz im Lager Zeitz stehen, über Stunden hin, in Kälte und Regen. Ihre vor Erschöpfung schwankenden Körper, von hoch oben fotografiert, erinnern an Getreideähren im Wind. Diese Einstellung ist "schön" in dem Sinn, wie eine Einstellung von Leni Riefenstahl schön ist. Sie zeigt die Masse als Ornament, wie sie das Kino der zwanziger und dreißiger Jahre inszenierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man gelernt, dem totalitären Funkeln solcher Bilder zu mißtrauen. Aber wie man an "Fateless" (und an den Klonarmeen des George Lucas) sieht, läßt sich im Kino jede Erkenntnis rückgängig machen.
Als Koltais Film im Februar auf der Berlinale lief, wurde ihm besonders der verkitschte Soundtrack von Ennio Morricone vorgeworfen. Aber nicht an Morricones Musik ist Koltai gescheitert, sondern daran, daß er ihren Gestus in seinen Bildern verdoppelt. "Das Leben ist schön" hieß vor sieben Jahren ein Film von Roberto Benigni, der vergeblich versuchte, aus dem Konzentrationslager eine Komödie zu machen. "Fateless" behauptet dasselbe, ohne daß es seither wahrer geworden wäre. Um Schlimmeres zu verhüten, hat Imre Kertész erklärt, habe er aus seinem "Roman eines Schicksallosen" lieber selbst ein Drehbuch gemacht. Jetzt teilt sein Buch das Schicksal dieses Films.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie man es nicht machen darf: Lajos Koltais Verfilmung entstellt den "Roman eines Schicksallosen" von Imre Kertész
So hat Imre Kertész die Ankunft in Buchenwald beschrieben: "Die Luft ist rein, das Auge wird von einer abwechslungsreichen Landschaft erfreut, dem Wald ringsum und den roten Ziegeldächern der Bauernhäuser im Tal . . . Die Häftlinge sind größtenteils freundlich, dies aber irgendwie anders als in Auschwitz. Nach der Ankunft erwarten einen auch hier Bad, Friseur, Desinfektionsmittel und Kleiderwechsel." In diesem Ton geht es seitenlang weiter: Von "Garderobevorschriften" ist da die Rede, von der Hoffnung auf eine Wurst- oder Marmeladeration, den "schattigen Bäumen" der Waschanlage und auch von jenem Dichter, der den "Erlkönig" schrieb.
In diesem Plauderton, der nie zum Geplauder wird, steckt der Skandal von Kertész' Buch und seine Genialität. Kertész hat den "Roman eines Schicksallosen" ein Vierteljahrhundert nach seiner Internierung im Konzentrationslager geschrieben, und man kann dem Buch kein größeres Unrecht antun, als es als jenen Erlebnisbericht zu lesen, der zu sein es vorgibt. "Sorstalanság" (eigentlich: "Schicksallosigkeit"), die Geschichte des vierzehnjährigen György Köves, der, aus Budapest verschleppt, über Auschwitz und Buchenwald ins Arbeitslager Zeitz kommt, ist ein kalt kalkulierter literarischer Text, der gegen den Gesamtbestand des Holocaust-Schrifttums eine einsame Gegenstimme erhebt. Diese Stimme sagt nichts als "ich", knapp dreihundert Seiten lang. Sie weigert sich, ein Exemplar zu sein, ein Name in der Liste der Opfer. Gegen die dokumentierte Evidenz der Vernichtung will sie die Unmittelbarkeit ihrer Erfahrungen retten, die Farben und Geräusche an der Rampe von Auschwitz, den Geruch der Abendsuppe in Buchenwald, die Textur des Lakens, in das der Häftling György, der sich aufgegeben hat und zum "Muselmann", zum lebenden Leichnam geworden ist, von seinem Pfleger gewickelt wird.
"Ja, davon, vom Glück der Konzentrationslager, müßte ich ihnen erzählen, das nächste Mal, wenn sie mich fragen." Das ist die größte Provokation dieses fiktiven Selbstentwurfs: daß er die Reinheit des Leidens bestreitet, die Unaufhörlichkeit der Qual. Dabei wird niemand bestreiten, daß es in den Lagern, unter den Opfern des Massenmords, Momente des Aufatmens, der Erleichterung, der kurzlebigen Hoffnung gegeben hat. Aber es ist etwas anderes, im Ton einer zweiten Naivität von ihnen zu berichten. Wenn die Toten reden könnten, ohne das nachträgliche Wissen der Überlebenden, würden sie vielleicht erzählen wie das Kind bei Kertész. Was er für seine Geburtsstadt empfinde, wird György bei seiner Heimkehr gefragt. Die Antwort: "Haß." Wen er denn hasse? "Alle."
Ein Film, der den "Roman eines Schicksallosen" in Bilder packen will, steht vor einem entscheidenden Problem: Er muß eine Erzählweise finden, die den Blick des Jungen bewahrt, ohne ihn zu verabsolutieren. Wenn etwa bei Kertész von den "schmucken, gepflegten deutschen Soldaten" in Auschwitz die Rede ist, dann müßte die Verfilmung diese Aussage ästhetisch plausibel machen und ihr zugleich widersprechen. Sie müßte den Kinderblick in einer anderen, objektiveren Wahrnehmung spiegeln und brechen. Am besten ist dieses Kunststück bisher Louis Malle in "Auf Wiedersehen, Kinder" gelungen, einem Film, der ebenfalls 1944 spielt. Aber die Schulkinder bei Malle ahnen auch noch nichts von Auschwitz und Buchenwald.
Der ungarische Kameramann Lajos Koltai, der mit "Fateless" sein Regiedebüt gibt, hat das Problem der Erzählperspektive nicht gelöst. Wenn man seinen Film sieht, bekommt man Zweifel, ob er es überhaupt begriffen hat. Dabei hat Koltai zunächst zwei wichtige Dinge richtig gemacht: Er hat "Fateless" fast ausschließlich mit unbekannten einheimischen Schauspielern gedreht, und er hat die Hauptrolle einem Dreizehnjährigen anvertraut. In dieser Geschichte geht es nicht um Ausdruckskunst, sondern um eine Art des Staunens, wie sie womöglich nur ein Laie zu zeigen vermag, eine Erfahrung, die alle Erfahrungswerte aufhebt. Und so sehen wir, wie Marcell Nagy als György Köves in kurzer Zeit vom Teenager zum Greis wird, wie alles Weiche aus seinem Gesicht verschwindet, ohne daß die Neugierde in seinen Augen erlischt. In solchen Szenen, wenn er ganz bei seiner Hauptfigur ist, hat der Film seine stärksten Momente, weil subjektive und objektive Wahrheit darin zur Deckung kommen.
Aber das ist nur der eine, kleinere Teil des Films. Der größere Teil besteht aus der Wiedergabe der Erlebnisse des Jungen auf seinem Leidensweg durch die Konzentrationslager, der Außenansicht jener Wirklichkeit, die der "Roman eines Schicksallosen" einzig aus der Innenansicht schildert. Und hier ist Koltai so eklatant gescheitert, wie vielleicht nur ein Kamera-Profi scheitern kann, der sich der Herstellung ästhetisch gelungener Bilder verschrieben hat. In seinen Arbeiten für Klaus Maria Brandauer und István Szábo hat Koltai sein Können bewiesen, und auch in "Fateless" versteckt er es nicht. Das führt dazu, daß die Realität der Lager nicht bloß - wie im Buch - schöngeredet, sondern tatsächlich geschönt wird. Der Sepiaton, in den Koltai seine Einstellungen taucht, gibt den Ansichten von Baracken, Stacheldrahtzäunen und Sträflingskolonnen etwas Albumblatthaftes, das durch die langsamen Auf- und Abblenden zwischen den Szenen noch betont wird. "In gewissem Sinn", heißt es bei Kertész, sei das Leben im Lager "reiner und einfacher" gewesen. Koltai hat die Einschränkung offenbar überlesen. Er übersetzt die Lagerwirklichkeit in reine und einfache Bilder und verfehlt sie dadurch ganz.
In einer Szene etwa sieht man die Häftlinge auf dem Appellplatz im Lager Zeitz stehen, über Stunden hin, in Kälte und Regen. Ihre vor Erschöpfung schwankenden Körper, von hoch oben fotografiert, erinnern an Getreideähren im Wind. Diese Einstellung ist "schön" in dem Sinn, wie eine Einstellung von Leni Riefenstahl schön ist. Sie zeigt die Masse als Ornament, wie sie das Kino der zwanziger und dreißiger Jahre inszenierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man gelernt, dem totalitären Funkeln solcher Bilder zu mißtrauen. Aber wie man an "Fateless" (und an den Klonarmeen des George Lucas) sieht, läßt sich im Kino jede Erkenntnis rückgängig machen.
Als Koltais Film im Februar auf der Berlinale lief, wurde ihm besonders der verkitschte Soundtrack von Ennio Morricone vorgeworfen. Aber nicht an Morricones Musik ist Koltai gescheitert, sondern daran, daß er ihren Gestus in seinen Bildern verdoppelt. "Das Leben ist schön" hieß vor sieben Jahren ein Film von Roberto Benigni, der vergeblich versuchte, aus dem Konzentrationslager eine Komödie zu machen. "Fateless" behauptet dasselbe, ohne daß es seither wahrer geworden wäre. Um Schlimmeres zu verhüten, hat Imre Kertész erklärt, habe er aus seinem "Roman eines Schicksallosen" lieber selbst ein Drehbuch gemacht. Jetzt teilt sein Buch das Schicksal dieses Films.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main