Die beiden Schüler Taku und Yutaka sind beste Freunde und gemeinsam drücken sie auch die Schulbank in der kleinen Stadt Kochi. Eines Tages kommt ein attraktives Mädchen namens Rikako aus der Großstadt nach Kochi, um dort die Highschool weiter zu besuchen. Bereits nach kurzer Zeit ist sie die Klassenbeste, allerdings wird sie wegen ihrer arroganten Art von den übrigen Mädchen ausgeschlossen. Yutaka findet dennoch Gefallen an ihr und verliebt sich in sie. Als jedoch das Gerücht umgeht, dass Taku und Rikako ein Paar sind, wird die Freundschaft der Beiden auf eine harte Probe gestellt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2019Kinderblicke auf Nazis
Was vor einigen Jahren im Kino noch umstritten war, wird nun zum ersehnten Höhepunkt beim Filmfest in Toronto: Taika Waititis "Jojo Rabbit" macht Hitler zum Mitwirkenden einer Komödie über die Schoa.
TORONTO, im September
Bei Betzlers in Nazideutschland sitzt der Führer immer mit bei Tisch. Adolf Hitler ist nämlich der beste Freund des kleinen Johannes. Zumindest bildet Johannes sich das ein. Und so ergibt sich das Bild einer perfekten Diktatur: Der Mann ganz oben und der kleine Mann ganz unten sind immer beisammen. Diese Welt der Vorstellung bekommt Risse, als Johannes, allgemein Jojo genannt, in einer versteckten Kammer im Obergeschoss bei den Betzlers ein Mädchen entdeckt. Elsa ist Jüdin, und im Gegensatz zu der imaginären Präsenz des Führers ist sie real - wenn auch in einem Film, der ganz offensichtlich eine Phantasie darstellt.
"Jojo Rabbit" von Taika Waititi war vergangene Woche beim Filmfestival in Toronto die mit der größten Spannung erwartete amerikanische Premiere. Das hatte nicht nur mit dem hohen Anspruch zu tun, der schon aus den Inhaltsangaben zu entnehmen war: eine Komödie über Deutschland und die Juden in der Zeit der Vernichtung, bei der man eigentlich nur an Chaplin denken konnte ("Der große Diktator"), vielleicht noch an Roberto Benigni ("Das Leben ist schön"). Und dann noch dieser Regisseur, Taika Waititi, Neuseeländer mit maorischen und jüdischen Wurzeln, in Hollywood bekannt geworden mit dem Blockbuster "Thor: Tag der Entscheidung"! Waititi höchstpersönlich spielt in "Jojo Rabbit" den Adolf Hitler, der als "imaginärer Freund" des kleinen Johannes seinen antisemitischen Schwachsinn als Normalität auszugeben versucht. Ausgedacht hat sich diese Geschichte die belgisch-amerikanisch-neuseeländische Autorin Christine Leunens.
Toronto ist keineswegs der schlechteste Ort für eine derartige Premiere. Die kanadische Millionenstadt verströmt ein Gefühl von großer Jugendlichkeit, man spürt, dass hier ein dezidiertes Einwanderungsland sich mit Geschichten zu versorgen sucht, die über die im Vergleich doch deutliche historische Randlage hinausschauen lassen. Wenn das so publikumswirksam geschieht wie in "Jojo Rabbit", können alle glücklich sein: die Vertreter der "industry", die Kritiker und natürlich auch Hollywood.
Der deutsche Regisseur Dani Levy, der mit "Mein Führer" 2007 noch auf zahlreiche Bedenken traf, wie über Adolf Hitler am besten zu lachen wäre (gar nicht, war damals die wohlfeilste Meinung), wird vermutlich ein bisschen wehmütig von "Jojo Rabbit" lesen. Allerdings hat Taika Waititi einen enormen Vorteil: Die englische Sprache und eine in diesem Fall brillante Schauspielerin wie Scarlett Johansson sorgen für einen Verfremdungseffekt, der durch exzellentes Komödienhandwerk zugleich verstärkt und entschärft wird. Perfekt besetzte Nebenrollen (Rebel Wilson als Fräulein Rahm verkörpert ganze Filmgeschichten in einer üppigen Miniatur) und eine klug zugespitzte Dramaturgie zeugen davon, dass die Nazivergangenheit zumindest in der größten Unterhaltungsindustrie der Welt nicht mehr bewältigt werden muss, sondern zum Orientierungspunkt in einem sehr grundsätzlichen humanistischen Schema geworden ist: Schlecht ist, was einem kleinen Jungen die Sicht verstellt. Deswegen fliegt der Führer schließlich aus dem Fenster.
Es gehört zum Marketing des TIFF (Toronto International Film Festival), dass hier das Schaulaufen für die Oscar-Saison beginnt. Das behauptet zwar auch Venedig von sich, das in diesem Jahr mit dem "Joker" ein wichtiges Pfund hatte und eine Woche vor dem TIFF zu Ende ging. In der Konkurrenz zwischen dem europäischen Traditionsfestival und dem weiter aufstrebenden nordamerikanischen Kinorummelplatz liegt aber ein spannendes Motiv verborgen, das auch bei "Jojo Rabbit" eine Rolle spielt: (West-)Europa war seit 1945 nicht nur ein natürlicher Verbündeter Amerikas, sondern auch der primäre Exportmarkt. Inzwischen haben sich die Gewichte deutlich verschoben; von Toronto aus blickt die Branche nicht nur nach Paris oder Berlin, sondern auch nach Malaysia und Kuala Lumpur. Vom Elefanten im medialen Weltinnenraum, der Volksrepublik China, einmal ganz zu schweigen.
Toronto streckt die Fühler aber auch nach Nigeria aus, jedes Jahr findet sich ein dort produzierter spannender Film im Programm, diesmal war das "The Lost Okoroshi" von Abba Makama, eine Geistergeschichte, in der sich ein Mann namens Raymond in eine Ahnenmaske mit Fransenkostüm verwandelt, und dann streiten sich diverse Ethnien aus dem Vielvölkerstaat sehr lustig um die Markenrechte an dem indigenen Symptomwesen. Auch aus dem kontinentalen Brückenland Türkei findet man traditionell in Toronto etwas: Der Horrorfilm "The Antenna" von Orcun Behram ertränkt nationale Einheitsphantasien in einer teerigen schwarzen Flüssigkeit und lässt am Ende den Hausmeister eines Wabenbaus für die neue Mittelklasse vor einer bedrohlichen Front gesichtsloser Wesen stehen.
Das sind Filme, die in Toronto am Nachmittag laufen und in den kleineren Sälen des ehrwürdigen Multiplexes, in dem sich die Festivalgesellschaft auf kurzen Wegen fast auf die Füße tritt. Morgens für die Presse und abends für das allgemeine Publikum beginnen die spannenden Ausscheidungen: Wer wird die nächste Emma Stone oder Natalie Portman oder Frances MacDormand, allesamt Oscar-Preisträgerinnen der vergangenen Jahre? Und wo ist das nächste "Moonlight"? Eine seriöse Chance, es Natalie Portman gleichzutun, hat wohl Natalie Portman selbst mit "Lucy in the Sky" von Noah Hawley. Sie spielt darin eine Astronautin, die nach einer Mission auch bei der nächsten unbedingt wieder dabei sein will und sich dafür so verkrampft, dass sie in psychische Grenzbereiche vorstößt. Hawley räumt Portman in jeder Hinsicht die Bühne frei, und die Schauspielerin nützt die Gelegenheit für eine fast überdeutliche Virtuositätsanstrengung.
"Moonlight" wiederum hat beim TIFF ein Feld hinterlassen, in das dieses Jahr mit Macht "Waves" drängte, ein Familiendrama von Trey Edward Shults, das denselben Handlungsort vorzuweisen hat: Florida. Und auch beim Grundthema gibt es Ähnlichkeiten: afroamerikanische Männlichkeit am Rande der Destruktivität. Im Mittelpunkt steht Tyler, ein junger Sportler, der von seinem Vater sehr bestimmt auf antrainierte Stärke konditioniert wird, der dann aber wegen einer Verletzung derart in Schwierigkeiten gerät, dass er eine schreckliche Schuld auf sich lädt. Shults spiegelt diese Angelegenheit in der zweiten Hälfte des Films, indem er sich der Schwester von Tyler zuwendet, die einen weißen Jungen lieben lernt. Das bestimmende Motiv ist die Frage, wie in afroamerikanischen Familien die Kompensation für vergangene oder zum Teil eben sogar nicht einmal vergangene Diskriminierungen als Überkompensation tendenziell tragisch wird.
Man könnte beinahe meinen, dass Trey Edward Shults dabei auch als Filmemacher beide Optionen ausprobiert: In der ersten Hälfte ist "Waves" ein aufwühlender Ritt, in der zweiten ist das Pathos ein wenig gedämpfter. Man sieht an der Spannung zwischen einem artifiziellen Produkt wie "Jojo Rabbit" und dem Unmittelbarkeitsethos von "Waves" mehr als deutlich, dass Amerika sich leichter damit tut, die rassistischen Vergangenheiten anderer zu bewältigen. Die eigenen sind nämlich nicht einmal vergangen.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was vor einigen Jahren im Kino noch umstritten war, wird nun zum ersehnten Höhepunkt beim Filmfest in Toronto: Taika Waititis "Jojo Rabbit" macht Hitler zum Mitwirkenden einer Komödie über die Schoa.
TORONTO, im September
Bei Betzlers in Nazideutschland sitzt der Führer immer mit bei Tisch. Adolf Hitler ist nämlich der beste Freund des kleinen Johannes. Zumindest bildet Johannes sich das ein. Und so ergibt sich das Bild einer perfekten Diktatur: Der Mann ganz oben und der kleine Mann ganz unten sind immer beisammen. Diese Welt der Vorstellung bekommt Risse, als Johannes, allgemein Jojo genannt, in einer versteckten Kammer im Obergeschoss bei den Betzlers ein Mädchen entdeckt. Elsa ist Jüdin, und im Gegensatz zu der imaginären Präsenz des Führers ist sie real - wenn auch in einem Film, der ganz offensichtlich eine Phantasie darstellt.
"Jojo Rabbit" von Taika Waititi war vergangene Woche beim Filmfestival in Toronto die mit der größten Spannung erwartete amerikanische Premiere. Das hatte nicht nur mit dem hohen Anspruch zu tun, der schon aus den Inhaltsangaben zu entnehmen war: eine Komödie über Deutschland und die Juden in der Zeit der Vernichtung, bei der man eigentlich nur an Chaplin denken konnte ("Der große Diktator"), vielleicht noch an Roberto Benigni ("Das Leben ist schön"). Und dann noch dieser Regisseur, Taika Waititi, Neuseeländer mit maorischen und jüdischen Wurzeln, in Hollywood bekannt geworden mit dem Blockbuster "Thor: Tag der Entscheidung"! Waititi höchstpersönlich spielt in "Jojo Rabbit" den Adolf Hitler, der als "imaginärer Freund" des kleinen Johannes seinen antisemitischen Schwachsinn als Normalität auszugeben versucht. Ausgedacht hat sich diese Geschichte die belgisch-amerikanisch-neuseeländische Autorin Christine Leunens.
Toronto ist keineswegs der schlechteste Ort für eine derartige Premiere. Die kanadische Millionenstadt verströmt ein Gefühl von großer Jugendlichkeit, man spürt, dass hier ein dezidiertes Einwanderungsland sich mit Geschichten zu versorgen sucht, die über die im Vergleich doch deutliche historische Randlage hinausschauen lassen. Wenn das so publikumswirksam geschieht wie in "Jojo Rabbit", können alle glücklich sein: die Vertreter der "industry", die Kritiker und natürlich auch Hollywood.
Der deutsche Regisseur Dani Levy, der mit "Mein Führer" 2007 noch auf zahlreiche Bedenken traf, wie über Adolf Hitler am besten zu lachen wäre (gar nicht, war damals die wohlfeilste Meinung), wird vermutlich ein bisschen wehmütig von "Jojo Rabbit" lesen. Allerdings hat Taika Waititi einen enormen Vorteil: Die englische Sprache und eine in diesem Fall brillante Schauspielerin wie Scarlett Johansson sorgen für einen Verfremdungseffekt, der durch exzellentes Komödienhandwerk zugleich verstärkt und entschärft wird. Perfekt besetzte Nebenrollen (Rebel Wilson als Fräulein Rahm verkörpert ganze Filmgeschichten in einer üppigen Miniatur) und eine klug zugespitzte Dramaturgie zeugen davon, dass die Nazivergangenheit zumindest in der größten Unterhaltungsindustrie der Welt nicht mehr bewältigt werden muss, sondern zum Orientierungspunkt in einem sehr grundsätzlichen humanistischen Schema geworden ist: Schlecht ist, was einem kleinen Jungen die Sicht verstellt. Deswegen fliegt der Führer schließlich aus dem Fenster.
Es gehört zum Marketing des TIFF (Toronto International Film Festival), dass hier das Schaulaufen für die Oscar-Saison beginnt. Das behauptet zwar auch Venedig von sich, das in diesem Jahr mit dem "Joker" ein wichtiges Pfund hatte und eine Woche vor dem TIFF zu Ende ging. In der Konkurrenz zwischen dem europäischen Traditionsfestival und dem weiter aufstrebenden nordamerikanischen Kinorummelplatz liegt aber ein spannendes Motiv verborgen, das auch bei "Jojo Rabbit" eine Rolle spielt: (West-)Europa war seit 1945 nicht nur ein natürlicher Verbündeter Amerikas, sondern auch der primäre Exportmarkt. Inzwischen haben sich die Gewichte deutlich verschoben; von Toronto aus blickt die Branche nicht nur nach Paris oder Berlin, sondern auch nach Malaysia und Kuala Lumpur. Vom Elefanten im medialen Weltinnenraum, der Volksrepublik China, einmal ganz zu schweigen.
Toronto streckt die Fühler aber auch nach Nigeria aus, jedes Jahr findet sich ein dort produzierter spannender Film im Programm, diesmal war das "The Lost Okoroshi" von Abba Makama, eine Geistergeschichte, in der sich ein Mann namens Raymond in eine Ahnenmaske mit Fransenkostüm verwandelt, und dann streiten sich diverse Ethnien aus dem Vielvölkerstaat sehr lustig um die Markenrechte an dem indigenen Symptomwesen. Auch aus dem kontinentalen Brückenland Türkei findet man traditionell in Toronto etwas: Der Horrorfilm "The Antenna" von Orcun Behram ertränkt nationale Einheitsphantasien in einer teerigen schwarzen Flüssigkeit und lässt am Ende den Hausmeister eines Wabenbaus für die neue Mittelklasse vor einer bedrohlichen Front gesichtsloser Wesen stehen.
Das sind Filme, die in Toronto am Nachmittag laufen und in den kleineren Sälen des ehrwürdigen Multiplexes, in dem sich die Festivalgesellschaft auf kurzen Wegen fast auf die Füße tritt. Morgens für die Presse und abends für das allgemeine Publikum beginnen die spannenden Ausscheidungen: Wer wird die nächste Emma Stone oder Natalie Portman oder Frances MacDormand, allesamt Oscar-Preisträgerinnen der vergangenen Jahre? Und wo ist das nächste "Moonlight"? Eine seriöse Chance, es Natalie Portman gleichzutun, hat wohl Natalie Portman selbst mit "Lucy in the Sky" von Noah Hawley. Sie spielt darin eine Astronautin, die nach einer Mission auch bei der nächsten unbedingt wieder dabei sein will und sich dafür so verkrampft, dass sie in psychische Grenzbereiche vorstößt. Hawley räumt Portman in jeder Hinsicht die Bühne frei, und die Schauspielerin nützt die Gelegenheit für eine fast überdeutliche Virtuositätsanstrengung.
"Moonlight" wiederum hat beim TIFF ein Feld hinterlassen, in das dieses Jahr mit Macht "Waves" drängte, ein Familiendrama von Trey Edward Shults, das denselben Handlungsort vorzuweisen hat: Florida. Und auch beim Grundthema gibt es Ähnlichkeiten: afroamerikanische Männlichkeit am Rande der Destruktivität. Im Mittelpunkt steht Tyler, ein junger Sportler, der von seinem Vater sehr bestimmt auf antrainierte Stärke konditioniert wird, der dann aber wegen einer Verletzung derart in Schwierigkeiten gerät, dass er eine schreckliche Schuld auf sich lädt. Shults spiegelt diese Angelegenheit in der zweiten Hälfte des Films, indem er sich der Schwester von Tyler zuwendet, die einen weißen Jungen lieben lernt. Das bestimmende Motiv ist die Frage, wie in afroamerikanischen Familien die Kompensation für vergangene oder zum Teil eben sogar nicht einmal vergangene Diskriminierungen als Überkompensation tendenziell tragisch wird.
Man könnte beinahe meinen, dass Trey Edward Shults dabei auch als Filmemacher beide Optionen ausprobiert: In der ersten Hälfte ist "Waves" ein aufwühlender Ritt, in der zweiten ist das Pathos ein wenig gedämpfter. Man sieht an der Spannung zwischen einem artifiziellen Produkt wie "Jojo Rabbit" und dem Unmittelbarkeitsethos von "Waves" mehr als deutlich, dass Amerika sich leichter damit tut, die rassistischen Vergangenheiten anderer zu bewältigen. Die eigenen sind nämlich nicht einmal vergangen.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main