Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2015Schaut mal, ohne echten Kopf
Michael Fassbender spielt in "Frank" einen psychisch gestörten, maskierten Musiker
Alles, was Sie über diesen Film gehört haben, ist falsch. Eine Komödie? Nein, es ist eine Tragödie. Michael Fassbender in der Titelrolle trägt die ganze Zeit einen riesigen Pappmachékopf? Das stimmt nur bis knapp zehn Minuten vor dem Ende. Die schauspielerische Leistung Fassbenders ist atemraubend? Das stimmt nur für jene knapp zehn Minuten vor dem Ende, denn zuvor überzeugt allein seine assoziative Fähigkeit, Nonsensverse zu generieren - alle Liedtexte sind von Fassbender selbst geschrieben, oder wohl besser: improvisiert. "Frank" ist ein guter Film? Nein, er ist grandios. Und zugleich schlimm.
Schlimm, weil es in "Frank" lauter sympathische Figuren gibt, die sich unmöglich benehmen. Und grandios, weil das in einer Konsequenz dargestellt wird, die schmerzt. Jon, Büroangestellter und musikalischer Dilettant, steht eines Tages am Meeresstrand, als ein Mann, der sich ertränken wollte und aus dem Wasser gerettet wird. Es ist der Keyboarder einer Band namens Soronprfbs, die nun Ersatz sucht, und da Jon die Tonarten kennt, wird er kurzerhand engagiert - um sich noch am selben Abend auf einer Bühne wiederzufinden, auf der ein Sänger mit Pappmachékopf steht und die zweite Keyboarderin nach wenigen Minuten mit dem französischen Gitarristen derart heftig in Streit gerät, dass der Auftritt abgebrochen wird.
Dann geht es nach Irland, um eine Platte aufzunehmen, was elf Monate in Anspruch nehmen und Jons finanzielle Rücklagen aufzehren wird. Bei der Anreise erfährt er, dass Frank und mindestens ein anderes Bandmitglied sich als Psychiatriepatienten kennengelernt haben. Die Störung des Sängers ist offenbar so massiv, dass er über ein ärztliches Attest verfügt, das ihm selbst bei Grenzkontrollen die Abnahme des zweiten Kopfs erspart. Als junger Mann von heute teilt Jon all seine Erlebnisse über Twitter mit und stellt fleißig heimlich aufgenommene Videos in Youtube ein. Plötzlich kommt die Anfrage eines Musikfestivals nach einem Auftritt.
Bis zu diesem Augenblick sind zwei Drittel der neunzig Filmminuten absolviert, und der Regisseur Lenny Abrahamson hat im einsamen irischen Ferienhaus eine Stimmung inszeniert, die so beklemmend zuletzt in Koji Wakamatsus psychologischem Meisterstück "United Red Army" von 2007 zu sehen war. Die kreative Ungebärdigkeit der sechsköpfigen Gruppe erzeugt untereinander puren Terror, zumal Frank als Mittelpunkt des Ganzen keine einzige Emotion anzusehen ist. Die anderen Bandmitglieder sind nicht weniger weltfremd, vor allem Clara. Maggie Gyllenhaal spielt sie mit kühler Grausamkeit, die ihre Figur zum eigentlichen Gravitationszentrum der Gruppe macht.
Doch Jon, den Domhnall Gleeson geradezu perfide als unschuldiges Bürschchen anlegt, das in seiner Naivität und Empathielosigkeit das Gefüge der Band zerlegt, macht ihr durch den Gang an die Öffentlichkeit diesen Platz streitig. Plötzlich will jemand die Musik von den Soronprfbs hören, und Frank entdeckt seine Liebe zum Publikum. Wie fast alle Liebe in "Frank" erweist sich auch diese als Trugschluss.
Der Drehbuchautor Jon Ronson hat sich an Chris Sievey orientiert, einem englischen Komiker, der in den achtziger Jahren die Kunstfigur Frank Sidebottom entwickelte, dessen Markenzeichen ein großer Pappmachékopf war. Nur wusste Sievey, was er tat. Der Frank des Films weiß es nicht, und Lenny Abrahamson gelingt die eindringliche Studie einer psychischen Störung, die auf ihre Umgebung abstrahlt, ihre Steigerung aber noch in der scheinbaren Normalität des Bürgersöhnchens Jon findet. Kein Zufall, dass manche Szene aus "Frank" auch an "Frankenstein" erinnert, in dem das Monster wahre Menschlichkeit bewies. So ist der Schluss, der doch noch eine einzige wahre Liebe beschwört, Konsequenz aus der Konfrontation eines Außenseiters mit der Welt, der lediglich will, dass man ihm zuhört. Deshalb ist dies ein Musikfilm, wie es noch keinen gab. Und das können Sie glauben.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Fassbender spielt in "Frank" einen psychisch gestörten, maskierten Musiker
Alles, was Sie über diesen Film gehört haben, ist falsch. Eine Komödie? Nein, es ist eine Tragödie. Michael Fassbender in der Titelrolle trägt die ganze Zeit einen riesigen Pappmachékopf? Das stimmt nur bis knapp zehn Minuten vor dem Ende. Die schauspielerische Leistung Fassbenders ist atemraubend? Das stimmt nur für jene knapp zehn Minuten vor dem Ende, denn zuvor überzeugt allein seine assoziative Fähigkeit, Nonsensverse zu generieren - alle Liedtexte sind von Fassbender selbst geschrieben, oder wohl besser: improvisiert. "Frank" ist ein guter Film? Nein, er ist grandios. Und zugleich schlimm.
Schlimm, weil es in "Frank" lauter sympathische Figuren gibt, die sich unmöglich benehmen. Und grandios, weil das in einer Konsequenz dargestellt wird, die schmerzt. Jon, Büroangestellter und musikalischer Dilettant, steht eines Tages am Meeresstrand, als ein Mann, der sich ertränken wollte und aus dem Wasser gerettet wird. Es ist der Keyboarder einer Band namens Soronprfbs, die nun Ersatz sucht, und da Jon die Tonarten kennt, wird er kurzerhand engagiert - um sich noch am selben Abend auf einer Bühne wiederzufinden, auf der ein Sänger mit Pappmachékopf steht und die zweite Keyboarderin nach wenigen Minuten mit dem französischen Gitarristen derart heftig in Streit gerät, dass der Auftritt abgebrochen wird.
Dann geht es nach Irland, um eine Platte aufzunehmen, was elf Monate in Anspruch nehmen und Jons finanzielle Rücklagen aufzehren wird. Bei der Anreise erfährt er, dass Frank und mindestens ein anderes Bandmitglied sich als Psychiatriepatienten kennengelernt haben. Die Störung des Sängers ist offenbar so massiv, dass er über ein ärztliches Attest verfügt, das ihm selbst bei Grenzkontrollen die Abnahme des zweiten Kopfs erspart. Als junger Mann von heute teilt Jon all seine Erlebnisse über Twitter mit und stellt fleißig heimlich aufgenommene Videos in Youtube ein. Plötzlich kommt die Anfrage eines Musikfestivals nach einem Auftritt.
Bis zu diesem Augenblick sind zwei Drittel der neunzig Filmminuten absolviert, und der Regisseur Lenny Abrahamson hat im einsamen irischen Ferienhaus eine Stimmung inszeniert, die so beklemmend zuletzt in Koji Wakamatsus psychologischem Meisterstück "United Red Army" von 2007 zu sehen war. Die kreative Ungebärdigkeit der sechsköpfigen Gruppe erzeugt untereinander puren Terror, zumal Frank als Mittelpunkt des Ganzen keine einzige Emotion anzusehen ist. Die anderen Bandmitglieder sind nicht weniger weltfremd, vor allem Clara. Maggie Gyllenhaal spielt sie mit kühler Grausamkeit, die ihre Figur zum eigentlichen Gravitationszentrum der Gruppe macht.
Doch Jon, den Domhnall Gleeson geradezu perfide als unschuldiges Bürschchen anlegt, das in seiner Naivität und Empathielosigkeit das Gefüge der Band zerlegt, macht ihr durch den Gang an die Öffentlichkeit diesen Platz streitig. Plötzlich will jemand die Musik von den Soronprfbs hören, und Frank entdeckt seine Liebe zum Publikum. Wie fast alle Liebe in "Frank" erweist sich auch diese als Trugschluss.
Der Drehbuchautor Jon Ronson hat sich an Chris Sievey orientiert, einem englischen Komiker, der in den achtziger Jahren die Kunstfigur Frank Sidebottom entwickelte, dessen Markenzeichen ein großer Pappmachékopf war. Nur wusste Sievey, was er tat. Der Frank des Films weiß es nicht, und Lenny Abrahamson gelingt die eindringliche Studie einer psychischen Störung, die auf ihre Umgebung abstrahlt, ihre Steigerung aber noch in der scheinbaren Normalität des Bürgersöhnchens Jon findet. Kein Zufall, dass manche Szene aus "Frank" auch an "Frankenstein" erinnert, in dem das Monster wahre Menschlichkeit bewies. So ist der Schluss, der doch noch eine einzige wahre Liebe beschwört, Konsequenz aus der Konfrontation eines Außenseiters mit der Welt, der lediglich will, dass man ihm zuhört. Deshalb ist dies ein Musikfilm, wie es noch keinen gab. Und das können Sie glauben.
ANDREAS PLATTHAUS
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