Der an Originalschauplätzen in Stuttgart gedrehte Stummfilm Friedrich Schiller - Eine Dichterjugend beschreibt die Jahre des Dichters an der Hohen Karlsschule, wo er mit seiner Aufsässigkeit auffällt. Sein Zorn über die Ungerechtigkeiten des absolutistischen Herzogs Karl Eugen von Württemberg schlägt sich nieder in dem Theaterstück "Die Räuber", das im Januar 1782 mit großem Erfolg im Nationaltheater in Mannheim aufgeführt wird und Schiller in Stuttgart eine Gefängnisstrafe einbringt.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / SzenenanwahlFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2005Fritzle Schillers Schturm und Drang
Unverhofftes Wiedersehen: Der verschollene Stummfilm "Friedrich Schiller, eine Dichterjugend" von Kurt Goetz
Der junge war schon ein eher alter Fritz. Theodor Loos, in Stuttgart gestrandete Berliner Theaterlegende, war vierzig, als er den Schüler Schiller bei seiner Feuerzangenbowle gab. Aber wenn "Fritzle" nachts im Schlafsaal der Hohen Karlsschule dem knollennasigen Zerberus einen Pennälerstreich spielt ("Ihr elende Galgestrick! Bettscheißer!"), schon als Regimentsfeldscher seine Zimmerwirtin, die entzückende Hauptmannswitwe Luise Vischerin, schüchtern als Laura besingt und sich vor seiner Flucht aus Stuttgart noch artig von der Mutter verabschiedet, dann ist er ganz das idealische Kind, das wir lieben und so noch nicht kannten: ein schwäbelnder Lausbub, dessen "Gedichtle" die Freunde zur Raserei treiben und selbst den zipfelmützigen Wirt über Zechschulden hinweglächeln lassen. Nur der Herzog versteht kein Späßle. "Kann Er das verfluchte Dichten nicht lassen!" brüllt Karl-Eugen stumm und schickt das angehende Genie in den Karzer.
Für den Landesvater sind die dreihundert Zöglinge seiner Napola legitimere Kinder als seine 250 unehelichen Bastarde, und so weint Fritz bitterlich, als er in die militärische Pflanzstätte eingewiesen wird. Sein Idol, der sauf- und lebenslustige Schubart, schmachtet bereits als Prometheus vom Hohenasperg in Ketten. So ein Dichter will der junge Schiller werden: "in tyrannos", mit Trollinger und drallen Mädle. Daß er für seine Flucht zwei defekte Räuber-"Pischtole" einsteckt, zeigt sein frühes Gespür für theatralische Effekte. Am Ende, schon jenseits des Esslinger Tors, erscheint ihm das festlich erleuchtete Schloß des Ogers als brennendes Sodom.
Kurt Götz, wie er sich damals noch nannte, hatte bereits einen Ruf als Theater- und Filmschauspieler und frivoler Autor von "Ingeborg" und "Menagerie", als er mit "Friedrich Schiller, eine Dichterjugend" sein Gesellenstück als Regisseur ablieferte. Der aufwendige Stummfilm wurde ein Fiasko. Für die Produktionskosten, fünfundzwanzig Millionen Reichsmark, konnte man sich bei der Premiere an Ostern 1923 nicht mal mehr eine Brezel kaufen. Die "Götzfilm" war pleite.
Sein Schiller-Werk ist kein Meilenstein der Filmgeschichte. Die Jugend des Geisteshelden zerfällt, frei nach Hermann Kurz' Roman "Schillers Heimatjahre", in einen Reigen hübscher Genrebildchen und reizend bezopfter Anekdoten: Die Zwischentitel sind schwäbisch, die Bilder stimmungsmäßig eingefärbt ("viragiert"), die Kamera ist starr. Um so heftiger rollen Schillerlocken und Augen, allen voran die von Egmont Richters herkulischem Schubart. Goethe, anläßlich seines Besuchs in der Karlsschule mit einer exaltierten "Clavigo"-Laienaufführung des späteren Freundes konfrontiert, trägt einen Stutzerrock, der selbst schwarzweiß noch papageienbunt leuchtet. Aber der leichtfüßige Erzählton, die skurrilen Details, die dramatisch geschickte Parallelführung von Schillers Karzer und Schubarts Kerker, höfischer Dekadenz und genialischem Schwung verraten schon den Lubitsch der Wirtschaftswunderspießer.
Selbst zeitgenössische Theaterkritiker, die den Film als mindere Kunstform verachteten, rühmten Goetz' Regiedebüt als "tüchtige kunstgewerbliche Leistung". Als Gattung, schrieb Herbert Ihering hellsichtig, könne der "Schillerfilm" nur fürchterlich werden; dieser "humoristisch-anekdotische Volksfilm" aber bringe das Kunststück fertig, Schiller ohne Sentimentalität, pathetische Apotheosen und "allzu tief gegriffene Possenwirkungen" auch dem "primitivsten Zuschauer" nahezubringen.
Jetzt, exakt zweiundachtzig Jahre nach der Premiere im Schauspielhaus, ist "Friedrich Schiller, eine Dichterjugend" am selben Ort zum zweiten Mal uraufgeführt worden. Horst Jaedicke, Goetz-Biograph und langjähriger SDR-Fernsehdirektor, entdeckte die - in Moskau gezogene - Kopie in den Archiven des Münchner Filmmuseums; für den Soundtrack, den einst das Orchester der Königsbaulichtspiele beisteuerte, sorgt diesmal ein Percussion-Trio der Musikhochschule mit Pauken und Gongs, Vogelgezwitscher und Schiller-Zitaten. Für Stuttgart bedeutet der Film ein unverhofftes Wiedersehen mit der guten alten Zeit, als Schillers Zucht-Häuser und Stammkneipen noch unzerstört waren und frei laufende Hühner durch enge Spitzweg-Gäßchen liefen. Aber Goetz' Film ist von mehr als nur lokalhistorischem Interesse. Am Karfreitag des laufenden Schillerjahres ist uns ein Fritzle auferstanden, dessen heiterer Sturm und Drang nicht nur Machwerke wie Herbert Maischs "Schiller - Triumph eines Genies" (1941) beschämt, sondern einzigartig leicht und frisch im ranzigen Genre des Schillerfilms dasteht.
MARTIN HALTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unverhofftes Wiedersehen: Der verschollene Stummfilm "Friedrich Schiller, eine Dichterjugend" von Kurt Goetz
Der junge war schon ein eher alter Fritz. Theodor Loos, in Stuttgart gestrandete Berliner Theaterlegende, war vierzig, als er den Schüler Schiller bei seiner Feuerzangenbowle gab. Aber wenn "Fritzle" nachts im Schlafsaal der Hohen Karlsschule dem knollennasigen Zerberus einen Pennälerstreich spielt ("Ihr elende Galgestrick! Bettscheißer!"), schon als Regimentsfeldscher seine Zimmerwirtin, die entzückende Hauptmannswitwe Luise Vischerin, schüchtern als Laura besingt und sich vor seiner Flucht aus Stuttgart noch artig von der Mutter verabschiedet, dann ist er ganz das idealische Kind, das wir lieben und so noch nicht kannten: ein schwäbelnder Lausbub, dessen "Gedichtle" die Freunde zur Raserei treiben und selbst den zipfelmützigen Wirt über Zechschulden hinweglächeln lassen. Nur der Herzog versteht kein Späßle. "Kann Er das verfluchte Dichten nicht lassen!" brüllt Karl-Eugen stumm und schickt das angehende Genie in den Karzer.
Für den Landesvater sind die dreihundert Zöglinge seiner Napola legitimere Kinder als seine 250 unehelichen Bastarde, und so weint Fritz bitterlich, als er in die militärische Pflanzstätte eingewiesen wird. Sein Idol, der sauf- und lebenslustige Schubart, schmachtet bereits als Prometheus vom Hohenasperg in Ketten. So ein Dichter will der junge Schiller werden: "in tyrannos", mit Trollinger und drallen Mädle. Daß er für seine Flucht zwei defekte Räuber-"Pischtole" einsteckt, zeigt sein frühes Gespür für theatralische Effekte. Am Ende, schon jenseits des Esslinger Tors, erscheint ihm das festlich erleuchtete Schloß des Ogers als brennendes Sodom.
Kurt Götz, wie er sich damals noch nannte, hatte bereits einen Ruf als Theater- und Filmschauspieler und frivoler Autor von "Ingeborg" und "Menagerie", als er mit "Friedrich Schiller, eine Dichterjugend" sein Gesellenstück als Regisseur ablieferte. Der aufwendige Stummfilm wurde ein Fiasko. Für die Produktionskosten, fünfundzwanzig Millionen Reichsmark, konnte man sich bei der Premiere an Ostern 1923 nicht mal mehr eine Brezel kaufen. Die "Götzfilm" war pleite.
Sein Schiller-Werk ist kein Meilenstein der Filmgeschichte. Die Jugend des Geisteshelden zerfällt, frei nach Hermann Kurz' Roman "Schillers Heimatjahre", in einen Reigen hübscher Genrebildchen und reizend bezopfter Anekdoten: Die Zwischentitel sind schwäbisch, die Bilder stimmungsmäßig eingefärbt ("viragiert"), die Kamera ist starr. Um so heftiger rollen Schillerlocken und Augen, allen voran die von Egmont Richters herkulischem Schubart. Goethe, anläßlich seines Besuchs in der Karlsschule mit einer exaltierten "Clavigo"-Laienaufführung des späteren Freundes konfrontiert, trägt einen Stutzerrock, der selbst schwarzweiß noch papageienbunt leuchtet. Aber der leichtfüßige Erzählton, die skurrilen Details, die dramatisch geschickte Parallelführung von Schillers Karzer und Schubarts Kerker, höfischer Dekadenz und genialischem Schwung verraten schon den Lubitsch der Wirtschaftswunderspießer.
Selbst zeitgenössische Theaterkritiker, die den Film als mindere Kunstform verachteten, rühmten Goetz' Regiedebüt als "tüchtige kunstgewerbliche Leistung". Als Gattung, schrieb Herbert Ihering hellsichtig, könne der "Schillerfilm" nur fürchterlich werden; dieser "humoristisch-anekdotische Volksfilm" aber bringe das Kunststück fertig, Schiller ohne Sentimentalität, pathetische Apotheosen und "allzu tief gegriffene Possenwirkungen" auch dem "primitivsten Zuschauer" nahezubringen.
Jetzt, exakt zweiundachtzig Jahre nach der Premiere im Schauspielhaus, ist "Friedrich Schiller, eine Dichterjugend" am selben Ort zum zweiten Mal uraufgeführt worden. Horst Jaedicke, Goetz-Biograph und langjähriger SDR-Fernsehdirektor, entdeckte die - in Moskau gezogene - Kopie in den Archiven des Münchner Filmmuseums; für den Soundtrack, den einst das Orchester der Königsbaulichtspiele beisteuerte, sorgt diesmal ein Percussion-Trio der Musikhochschule mit Pauken und Gongs, Vogelgezwitscher und Schiller-Zitaten. Für Stuttgart bedeutet der Film ein unverhofftes Wiedersehen mit der guten alten Zeit, als Schillers Zucht-Häuser und Stammkneipen noch unzerstört waren und frei laufende Hühner durch enge Spitzweg-Gäßchen liefen. Aber Goetz' Film ist von mehr als nur lokalhistorischem Interesse. Am Karfreitag des laufenden Schillerjahres ist uns ein Fritzle auferstanden, dessen heiterer Sturm und Drang nicht nur Machwerke wie Herbert Maischs "Schiller - Triumph eines Genies" (1941) beschämt, sondern einzigartig leicht und frisch im ranzigen Genre des Schillerfilms dasteht.
MARTIN HALTER
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