Godard sagte über seinen Videoessay Histoire(s) du cinéma, mit dem Medium DVD seien noch ganz andere Dinge möglich. Was man mit den Silberscheiben anstellen kann, demonstrierte Alexander Kluge, nach eigener Auskunft Godards "jüngerer Cousin", mit seinen Nachrichten aus der ideologischen Antike. Andreas Platthaus schrieb damals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die DVD sei genau das richtige Medium für sein Werk, Kluge selbst sieht darin die Möglichkeit einer "extensiven Landwirtschaft des Films". Mit diesen Mitteln setzt er sich nun in seinem neuen Projekt mit den Kollateralschäden der Wirtschaftskrise auseinander. Es geht um den Gegenpol der Krise - das Vertrauen: Was läßt sich für Geld nicht kaufen? Warum ist Vertrauen, das durch Werbung und Geld allein nicht erkauft werden kann, ein Rohstoff notwendiger als Beton oder Öl? Unterstützt wird er dabei vom Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, von Peter Berling in der Rolle des Tiermehlfabrikanten Fred Eicke, von Dirk Baecker, Helge Schneider, Josph Vogl und vielen anderen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.200922. Geld filmt nicht, stinkt aber
Alexander Kluge ist vermutlich der modernste deutsche Regisseur, er tut, was man DJs und bildenden Künstlern nicht lange erklären muss - es gibt ja schon so viele Bilder, und manchmal, bevor man seine Kamera aufbaut, kann man schon mal das vorhandene Material sichten und remixen und mal sehen, ob sich da eine Wahrheit offenbart, die ursprünglich gar nicht intendiert war. Kluge stellt in seinem zehnstündigen Werk "Die Früchte des Vertrauens" die riesengroße Frage, was Geld eigentlich sei und worauf seine Macht und Wirkung gründen - und er weiß: Die große Antwort darauf gibt es vielleicht; sie wird aber immer langweilig bleiben, abstrakt, unanschaulich. Viel interessanter, viel fruchtbarer ist es, wenn er viele kleine, einander manchmal auch widersprechende Antworten gibt; und seine Abschweifungen sind manchmal der direkteste Weg zu einer neuen Erkenntnis.
Kluge baut ganze Filmpassagen ein, die er gar nicht selber inszeniert hat, Romuald Karmakar ist dabei (er interviewt einen Wasserforscher, und wer danach noch Berliner Leitungswasser trinkt, muss schon ein Selbstmörder sein), auch Christian Petzold. Und Kluge tut, was er auch im Fernsehen gerne tut, er bringt Menschen zum Reden, Dirk Baecker, Luhmanns Stellvertreter auf Erden, analysiert, Enzensberger schwadroniert, und Joseph Vogl denkt und spricht schneller, als neue Hollywoodfilme inszeniert und geschnitten sind, und manchmal erzählt Kluge die allerirrsten und monumentalsten Geschichten schriftlich, indem er Zwischentitel zeigt, ohne die Bilder dazu: Das ist sein bester Spezialeffekt. Und, so paradox es klingt: Gerade mit solchen Verfahren, die ja zunächst mal abstrakt wirken, konstruiert, manchmal didaktisch, gerade so aber gelingt es Kluge, das Nachdenken über das Geld aus dem Gefängnis wirtschaftswissenschaftlicher Formeln und Fachbücher zu befreien und dem Nachdenken darüber, was das Geld sei und was es uns sei, eine ungeahnte Anschaulichkeit zu geben.
Das Geld, so erfahren wir ("lernen" wäre bei dem Antididaktiker Kluge der falsche Begriff), ist ein Medium, eine Flüssigkeit, die manchmal so sehr stinkt wie das Urin, welches Vespasian besteuerte, vor allem aber ist das kalte und immer schon abstrakte Geld zugleich ein Ding, das nichts ist, wenn wir ihm nicht vertrauen - die Banknoten müssen durch irgendetwas gedeckt sein -, und besonders bizarr, so erzählt Kluge einmal, war der Versuch, im Russland der nachrevolutionären Umbruchszeit Noten auszugeben, welche durch die Opiumvorräte im Tresor der Staatsbank gedeckt waren. Heute ist Geld das wert, was wir glauben, dass es wert sei. Insofern ist dieser Film das perfekte Geschenk, sowohl für glühende Verteidiger wie auch für Gegner der Marktwirtschaft: Er wird beider feste Überzeugungen verflüssigen, so wie Geld alles flüssig macht, und vielleicht ist das beste Argument für den Markt als solchen: der Preis für diesen Film.
Claudius Seidl
Alexander Kluge: "Früchte des Vertrauens", Filmedition Suhrkamp, 29,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alexander Kluge ist vermutlich der modernste deutsche Regisseur, er tut, was man DJs und bildenden Künstlern nicht lange erklären muss - es gibt ja schon so viele Bilder, und manchmal, bevor man seine Kamera aufbaut, kann man schon mal das vorhandene Material sichten und remixen und mal sehen, ob sich da eine Wahrheit offenbart, die ursprünglich gar nicht intendiert war. Kluge stellt in seinem zehnstündigen Werk "Die Früchte des Vertrauens" die riesengroße Frage, was Geld eigentlich sei und worauf seine Macht und Wirkung gründen - und er weiß: Die große Antwort darauf gibt es vielleicht; sie wird aber immer langweilig bleiben, abstrakt, unanschaulich. Viel interessanter, viel fruchtbarer ist es, wenn er viele kleine, einander manchmal auch widersprechende Antworten gibt; und seine Abschweifungen sind manchmal der direkteste Weg zu einer neuen Erkenntnis.
Kluge baut ganze Filmpassagen ein, die er gar nicht selber inszeniert hat, Romuald Karmakar ist dabei (er interviewt einen Wasserforscher, und wer danach noch Berliner Leitungswasser trinkt, muss schon ein Selbstmörder sein), auch Christian Petzold. Und Kluge tut, was er auch im Fernsehen gerne tut, er bringt Menschen zum Reden, Dirk Baecker, Luhmanns Stellvertreter auf Erden, analysiert, Enzensberger schwadroniert, und Joseph Vogl denkt und spricht schneller, als neue Hollywoodfilme inszeniert und geschnitten sind, und manchmal erzählt Kluge die allerirrsten und monumentalsten Geschichten schriftlich, indem er Zwischentitel zeigt, ohne die Bilder dazu: Das ist sein bester Spezialeffekt. Und, so paradox es klingt: Gerade mit solchen Verfahren, die ja zunächst mal abstrakt wirken, konstruiert, manchmal didaktisch, gerade so aber gelingt es Kluge, das Nachdenken über das Geld aus dem Gefängnis wirtschaftswissenschaftlicher Formeln und Fachbücher zu befreien und dem Nachdenken darüber, was das Geld sei und was es uns sei, eine ungeahnte Anschaulichkeit zu geben.
Das Geld, so erfahren wir ("lernen" wäre bei dem Antididaktiker Kluge der falsche Begriff), ist ein Medium, eine Flüssigkeit, die manchmal so sehr stinkt wie das Urin, welches Vespasian besteuerte, vor allem aber ist das kalte und immer schon abstrakte Geld zugleich ein Ding, das nichts ist, wenn wir ihm nicht vertrauen - die Banknoten müssen durch irgendetwas gedeckt sein -, und besonders bizarr, so erzählt Kluge einmal, war der Versuch, im Russland der nachrevolutionären Umbruchszeit Noten auszugeben, welche durch die Opiumvorräte im Tresor der Staatsbank gedeckt waren. Heute ist Geld das wert, was wir glauben, dass es wert sei. Insofern ist dieser Film das perfekte Geschenk, sowohl für glühende Verteidiger wie auch für Gegner der Marktwirtschaft: Er wird beider feste Überzeugungen verflüssigen, so wie Geld alles flüssig macht, und vielleicht ist das beste Argument für den Markt als solchen: der Preis für diesen Film.
Claudius Seidl
Alexander Kluge: "Früchte des Vertrauens", Filmedition Suhrkamp, 29,95 Euro
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»Der Begriff des Vertrauens ... dient dabei als Schlüssel zu den zahlreichen Verstehensmöglichkeiten der dramatischen Ereignisse seit dem Zusammenbruch der Bank Lehman Bros.« Bert Rebhandl Frankfurter Allgemeine Zeitung 20091125