Monsieur Henri ist ein mürrischer alter Herr und stolz darauf. Er lebt allein mit einer Schildkröte in einer viel zu großen Pariser Altbauwohnung und ärgert sich - über die Ehefrau seines Sohnes, die jungen Leute von heute oder was sonst so anfällt. Doch weil Henris Gesundheit letzthin etwas nachgelassen hat, beschließt sein Sohn Paul, dass es Zeit wird für eine Mitbewohnerin. Mit der chronisch abgebrannten Studentin Constance kommt ihm eine junge Dame ins Haus, die all das hat, was Henri auf den Tod nicht leiden kann, die seine Pantoffeln klaut und unerlaubt das Klavier benutzt. Weil sich Constance die Miete eigentlich nicht leisten kann, bietet Henri ihr ein skurriles Geschäft an: wenn sie es schafft, seinem Sohn Paul so lange schöne Augen zu machen, bis der seine Ehefrau verlässt, ist die Miete umsonst. Mehr übel als wohl willigt Constance ein. So stolpert der ahnungslose Paul in seinen zweiten Frühling und Constance in eine schrecklich nette Familie, die dank Monsieur Henri heillos im Chaos versinkt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2016Nachtmonster sind sanfter als Dämonen
Steven Spielberg verfilmt eine Geschichte von Roald Dahl, Claude Brasseur lässt sich vom Klavierspiel verzaubern, und Alice Dwyer rückt ein Stalker auf den Leib
Mit der Entzauberung der Träume sind die Wissenschaften zuletzt ein ganzes Stück vorangekommen. Die Vorstellung, dass es sich bei unseren Nachtgespinsten nur um sinnlose Stromgewitter in unseren Gehirnwindungen handelt, kann man tröstlich finden oder enttäuschend - je nachdem, ob man gerade mit einem seligen Lächeln aufgewacht ist, weil einem noch eine Wunscherfüllung erinnerlich ist, oder ob man gerädert ist von einem Höllenritt durch das Unbewusste. Steven Spielberg ist in Hollywood derjenige, auf den am besten das alte Klischee von der Traumfabrik passt. Nun hat er sich eine Geschichte vorgenommen, in der es um eben dieses Thema geht: Wie kommen die Träume zu den Menschen?
Der "BFG", der "Big Friendly Giant", eine Figur aus einer Geschichte von Roald Dahl, ist beruflich im Metier der Traumdistribution tätig. Er schleicht nachts durch die Gegend, mit einem Trichter injiziert er Träume in die Räume, sie finden ihren Weg durch die niemals vollständig geschlossenen Münder der Menschen in das Innere und tun dort das ihre. Sie verzücken oder peinigen, in jedem Fall aber machen sie die Stunden, in denen wir nicht ganz bei uns sind, auf eine geheimnisvolle Weise ereignisreich. Wenn man sich den großen freundlichen Riesen so ansieht, dann würde man zuerst meinen, er wäre nur für die Albträume zuständig. So sieht es auch das Waisenmädchen Sophie, die in einem Schlafsaal untergebracht ist und eine Regel verletzt, die so eisern ist wie ihr Bettgestell: "Nachts niemals aus den Federn."
Sophie aber sieht aus dem Fenster, und da bemerkt sie etwas Außerordentliches: eine riesige Hand, die eine umgestürzte Mülltonne wieder geradestellt. Gleich darauf sieht sie die ganze Gestalt, so dass dem Giganten gar nichts anderes übrigbleibt, als das Mädchen zu entführen. Er muss dann aber auch dessen Frage beantworten: "Was für ein Monster bist du?" Die Frage liegt nahe nicht nur aufgrund der Übergröße des Quasi-Hobbits mit der Arzttasche. Der BFG lebt in einem Laboratorium, umgeben von Einmachgläsern. Er ernährt sich von einem unappetitlichen Gemüse und trinkt ein Schaumgetränk, das man als Raketenantrieb verwenden könnte, so starke Flatulenzen löst es aus. Nur die Queen of England wird später, in einer großen Szene, ihre Eingeweide unter Kontrolle halten - ein bemerkenswerter Fall von unterdrücktem Amusement und der entscheidende Schritt in der bald anhebenden "Operation Giant Control".
Denn der "BFG" ist eigentlich ein Zwerg angesichts der richtigen, menschenfresserischen Riesen, die in den Highlands ihre Fußballerfrisuren zur Schau tragen und sich wahlweise zyklopisch oder polyphemisch gerieren. Solche Monster können nur von Kindern besiegt werden, das weiß niemand besser als Steven Spielberg. Seine Version des davor schon einmal verfilmten "BFG" hält sich recht eng an die Vorlage und bietet im Übrigen das auf, worauf man sich bei dem Regisseur von "E.T." verlassen kann (das Drehbuch stammt wie beim Klassiker aus dem Jahr 1982 von der im Vorjahr verstorbenen Melissa Mathison): Die Tricktechnik dient ganz der kindlichen Imagination, sie macht sich im Grunde so unsichtbar, wie man bei Träumen oft nicht sagen könnte, wie sie denn konkret ausgesehen haben. Das mittelirdische England zwischen grünen Fluren und gepflasterten Straßen ist kein Aufmarschgebiet für Transformer aus dem Triebleben, sondern eigentlich eine behütete Zone. So dass am beunruhigendsten diese Elmsfeuer wirken, die wie Geisterzungen in das Innerste der Menschen drängen. Man möchte danach nur noch auf dem Bauch schlafen, aber das wäre ein langweiliger Schlaf. "BFG" besetzt genau die Mitte zwischen traumloser Erquickung und den wilden Jagden, in denen das Blockbusterkino gern seine technischen Kapazitäten auslebt. Damit wiederholt Steven Spielberg, der nach "Bridge of Spies" wieder seinem Spieltrieb nachgegeben hat, zwar weitgehend nur die Muster einer bereits fest eingefahrenen Karriere, aber bei einer Vorlage von Roald Dahl gibt es zumindest auf der Detailebene so viel Absonderliches, dass schließlich sogar die Queen ihre Träume neu sieht: "So bloody, so vivid, so real." So sollte wohl auch der Film sein. Ist er auch beinahe ein wenig.
Der Schlaf der "kleinen Constance" in dem französischen Film "Frühstück bei Monsieur Henri" ist im Grunde gut behütet, auch wenn sie von ihrer Familie aus Orléans ein paar kleinere Dämonen nach Paris mitgebracht hat. Constance Piponnier, die als "petite Constance" eigentlich unangemessen adressiert wird, hat Quartier gefunden bei einem alten Griesgram: Monsieur Henri hat eine riesige Wohnung, aber niemanden, der sie mit ihm teilen will. Die Hausregeln für die Untermieterin sind umfangreich, dass sie überhaupt das charmant altmodische Zimmer bekommt, hat sie dem Los zu verdanken - behauptet jedenfalls der Hausherr, der vielleicht nur davon ablenken will, dass sie ihm doch gefällt, diese jugendliche Erscheinung, die frischen Wind in das Leben eines ehemaligen Steuerberaters bringen könnte.
Drei Generationen treffen in dieser Romanze so aufeinander, dass es nicht um eine Liebeswahl geht (das wäre selbst für französische Verhältnisse ein außergewöhnlicher Altersunterschied), sondern um ein Verhältnis, das der wechselseitigen Entfaltung dient. Das Klavier bei Monsieur Henri, das eigentlich abgesperrt ist, ist das Requisit der Öffnung. Constance spielt nämlich ganz ausgezeichnet, aber man hat es ihr abgewöhnt. Monsieur Henri wiederum hat sich fast alles abgewöhnt, er bringt es gerade noch zu einer infamen (allerdings für Constance mietmindernden) Intrige, in der er die Studentin auf seinen Sohn ansetzt, ebenfalls Steuerberater und durch den Vater doch recht verkorkst.
"Frühstück bei Monsieur Henri" gehört zu diesem immer noch anschwellenden Strom französischer Filme, die seit einigen Jahren einen wesentlichen Teil des Kinoprogramms der gebildeten Stände in Deutschland ausmachen. Gehobenes Unterhaltungskino mit guten Schauspielern, viel Gefühl und klassischen Dramaturgien sorgt für angenehmen Zeitvertreib. Vor mehr als einem halben Jahrhundert gab es einmal einen Aufstand der jungen Regisseure gegen dieses "Kino der Qualität", nun hat es sich wieder auf ganzer Linie durchgesetzt, und es kann zu einer Ironie kommen wie der, dass Claude Brasseur, ein Held des Kinos der sechziger Jahre ("Die Außenseiterbande"), nun als schnarrender Altschrat einen Geist spielen muss, der stets verneint - und der der "kleinen Constance" am Ende doch seine Pantoffel überlässt. Warme Füße, das ist das, was man von Filmen wie "Frühstück bei Monsieur Henri" bekommt.
Paris als die Stadt der Liebe ist auch ein Bezugspunkt in dem österreichischen Thriller "Ma folie". Hanna trifft dort Yann und trennt sich seinetwegen von Goran, mit dem sie in Wien ein Paar war. Goran will nur, dass Hanna glücklich ist. Deswegen will er mit ihr befreundet bleiben. Das nimmt allerdings Yann nicht gut auf. Er zeigt plötzlich ein anderes Gesicht. Hanna bekommt allmählich Probleme, denn eines Morgens läutet der Wecker nicht, und sie kommt zu spät zur Arbeit. Irgendjemand muss den Wecker ausgeschaltet haben. Yann behauptet fest, dass Hanna es selbst war. "Darüber müssen wir in der Supervision reden", heißt es, als sie zu spät zum Dienst kommt. Hanna arbeitet in einem Kinderschutzzentrum, sie ist umgeben von Psychologie, alles wird hinterfragt, ein unangenehmes Gefühl der Kontrolle macht sich breit. Die Pointe von Andrina Mracnikars "Ma folie" ist, dass sich in die zwischenmenschlichen Beziehungen zunehmend ein technisches Element mischt, denn Yann zieht sich zwar aus Hannas Leben zurück, er schickt aber weiterhin Videobotschaften. Darin geht es nun nicht mehr um Zärtlichkeit und imaginierte Nähe, sondern um Bedrohung und Überwachung. Also auch um Supervision. Hanna hat es mit einem Stalker zu tun, sie reagiert darauf naheliegenderweise argwöhnisch. Sie fühlt sich verfolgt. Mit der Berliner Schauspielerin Alice Dwyer in der Hauptrolle hat Andrina Mracnikar einen dramaturgisch plausiblen Psychothriller gedreht, dessen Spannung allerdings durch den Schematismus beeinträchtigt wird, mit dem hier das Psychologische zum Spiegelbild der technologischen Möglichkeiten wird. Dass man in dem Bild, das sich jemand von einem macht, irgendwann auch gefangensitzen kann, ist ein Umstand, aus dem sich immer noch viel machen lässt - allerdings nicht mit Dialogen, die so unbeholfen klingen, dass man entweder die Verfremdungsabsicht nicht mitkriegt, oder aber diese jungen Leute sind wirklich vollkommen arglos sich selbst gegenüber. In dieser Ambivalenz entsteht üblicherweise das, was als "folie", als Wahn, zum Ausbruch kommen könnte. Das geht bei Andrina Mracnikar einfach nicht auf. Gäbe es in dieser Welt einen "BFG", er hätte gut zu tun, denn man muss sich die Träume von Hanna, Goran und Yann leider langweilig vorstellen. Für einen Psychothriller ist das ein Todesurteil.
BERT REBHANDL
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Steven Spielberg verfilmt eine Geschichte von Roald Dahl, Claude Brasseur lässt sich vom Klavierspiel verzaubern, und Alice Dwyer rückt ein Stalker auf den Leib
Mit der Entzauberung der Träume sind die Wissenschaften zuletzt ein ganzes Stück vorangekommen. Die Vorstellung, dass es sich bei unseren Nachtgespinsten nur um sinnlose Stromgewitter in unseren Gehirnwindungen handelt, kann man tröstlich finden oder enttäuschend - je nachdem, ob man gerade mit einem seligen Lächeln aufgewacht ist, weil einem noch eine Wunscherfüllung erinnerlich ist, oder ob man gerädert ist von einem Höllenritt durch das Unbewusste. Steven Spielberg ist in Hollywood derjenige, auf den am besten das alte Klischee von der Traumfabrik passt. Nun hat er sich eine Geschichte vorgenommen, in der es um eben dieses Thema geht: Wie kommen die Träume zu den Menschen?
Der "BFG", der "Big Friendly Giant", eine Figur aus einer Geschichte von Roald Dahl, ist beruflich im Metier der Traumdistribution tätig. Er schleicht nachts durch die Gegend, mit einem Trichter injiziert er Träume in die Räume, sie finden ihren Weg durch die niemals vollständig geschlossenen Münder der Menschen in das Innere und tun dort das ihre. Sie verzücken oder peinigen, in jedem Fall aber machen sie die Stunden, in denen wir nicht ganz bei uns sind, auf eine geheimnisvolle Weise ereignisreich. Wenn man sich den großen freundlichen Riesen so ansieht, dann würde man zuerst meinen, er wäre nur für die Albträume zuständig. So sieht es auch das Waisenmädchen Sophie, die in einem Schlafsaal untergebracht ist und eine Regel verletzt, die so eisern ist wie ihr Bettgestell: "Nachts niemals aus den Federn."
Sophie aber sieht aus dem Fenster, und da bemerkt sie etwas Außerordentliches: eine riesige Hand, die eine umgestürzte Mülltonne wieder geradestellt. Gleich darauf sieht sie die ganze Gestalt, so dass dem Giganten gar nichts anderes übrigbleibt, als das Mädchen zu entführen. Er muss dann aber auch dessen Frage beantworten: "Was für ein Monster bist du?" Die Frage liegt nahe nicht nur aufgrund der Übergröße des Quasi-Hobbits mit der Arzttasche. Der BFG lebt in einem Laboratorium, umgeben von Einmachgläsern. Er ernährt sich von einem unappetitlichen Gemüse und trinkt ein Schaumgetränk, das man als Raketenantrieb verwenden könnte, so starke Flatulenzen löst es aus. Nur die Queen of England wird später, in einer großen Szene, ihre Eingeweide unter Kontrolle halten - ein bemerkenswerter Fall von unterdrücktem Amusement und der entscheidende Schritt in der bald anhebenden "Operation Giant Control".
Denn der "BFG" ist eigentlich ein Zwerg angesichts der richtigen, menschenfresserischen Riesen, die in den Highlands ihre Fußballerfrisuren zur Schau tragen und sich wahlweise zyklopisch oder polyphemisch gerieren. Solche Monster können nur von Kindern besiegt werden, das weiß niemand besser als Steven Spielberg. Seine Version des davor schon einmal verfilmten "BFG" hält sich recht eng an die Vorlage und bietet im Übrigen das auf, worauf man sich bei dem Regisseur von "E.T." verlassen kann (das Drehbuch stammt wie beim Klassiker aus dem Jahr 1982 von der im Vorjahr verstorbenen Melissa Mathison): Die Tricktechnik dient ganz der kindlichen Imagination, sie macht sich im Grunde so unsichtbar, wie man bei Träumen oft nicht sagen könnte, wie sie denn konkret ausgesehen haben. Das mittelirdische England zwischen grünen Fluren und gepflasterten Straßen ist kein Aufmarschgebiet für Transformer aus dem Triebleben, sondern eigentlich eine behütete Zone. So dass am beunruhigendsten diese Elmsfeuer wirken, die wie Geisterzungen in das Innerste der Menschen drängen. Man möchte danach nur noch auf dem Bauch schlafen, aber das wäre ein langweiliger Schlaf. "BFG" besetzt genau die Mitte zwischen traumloser Erquickung und den wilden Jagden, in denen das Blockbusterkino gern seine technischen Kapazitäten auslebt. Damit wiederholt Steven Spielberg, der nach "Bridge of Spies" wieder seinem Spieltrieb nachgegeben hat, zwar weitgehend nur die Muster einer bereits fest eingefahrenen Karriere, aber bei einer Vorlage von Roald Dahl gibt es zumindest auf der Detailebene so viel Absonderliches, dass schließlich sogar die Queen ihre Träume neu sieht: "So bloody, so vivid, so real." So sollte wohl auch der Film sein. Ist er auch beinahe ein wenig.
Der Schlaf der "kleinen Constance" in dem französischen Film "Frühstück bei Monsieur Henri" ist im Grunde gut behütet, auch wenn sie von ihrer Familie aus Orléans ein paar kleinere Dämonen nach Paris mitgebracht hat. Constance Piponnier, die als "petite Constance" eigentlich unangemessen adressiert wird, hat Quartier gefunden bei einem alten Griesgram: Monsieur Henri hat eine riesige Wohnung, aber niemanden, der sie mit ihm teilen will. Die Hausregeln für die Untermieterin sind umfangreich, dass sie überhaupt das charmant altmodische Zimmer bekommt, hat sie dem Los zu verdanken - behauptet jedenfalls der Hausherr, der vielleicht nur davon ablenken will, dass sie ihm doch gefällt, diese jugendliche Erscheinung, die frischen Wind in das Leben eines ehemaligen Steuerberaters bringen könnte.
Drei Generationen treffen in dieser Romanze so aufeinander, dass es nicht um eine Liebeswahl geht (das wäre selbst für französische Verhältnisse ein außergewöhnlicher Altersunterschied), sondern um ein Verhältnis, das der wechselseitigen Entfaltung dient. Das Klavier bei Monsieur Henri, das eigentlich abgesperrt ist, ist das Requisit der Öffnung. Constance spielt nämlich ganz ausgezeichnet, aber man hat es ihr abgewöhnt. Monsieur Henri wiederum hat sich fast alles abgewöhnt, er bringt es gerade noch zu einer infamen (allerdings für Constance mietmindernden) Intrige, in der er die Studentin auf seinen Sohn ansetzt, ebenfalls Steuerberater und durch den Vater doch recht verkorkst.
"Frühstück bei Monsieur Henri" gehört zu diesem immer noch anschwellenden Strom französischer Filme, die seit einigen Jahren einen wesentlichen Teil des Kinoprogramms der gebildeten Stände in Deutschland ausmachen. Gehobenes Unterhaltungskino mit guten Schauspielern, viel Gefühl und klassischen Dramaturgien sorgt für angenehmen Zeitvertreib. Vor mehr als einem halben Jahrhundert gab es einmal einen Aufstand der jungen Regisseure gegen dieses "Kino der Qualität", nun hat es sich wieder auf ganzer Linie durchgesetzt, und es kann zu einer Ironie kommen wie der, dass Claude Brasseur, ein Held des Kinos der sechziger Jahre ("Die Außenseiterbande"), nun als schnarrender Altschrat einen Geist spielen muss, der stets verneint - und der der "kleinen Constance" am Ende doch seine Pantoffel überlässt. Warme Füße, das ist das, was man von Filmen wie "Frühstück bei Monsieur Henri" bekommt.
Paris als die Stadt der Liebe ist auch ein Bezugspunkt in dem österreichischen Thriller "Ma folie". Hanna trifft dort Yann und trennt sich seinetwegen von Goran, mit dem sie in Wien ein Paar war. Goran will nur, dass Hanna glücklich ist. Deswegen will er mit ihr befreundet bleiben. Das nimmt allerdings Yann nicht gut auf. Er zeigt plötzlich ein anderes Gesicht. Hanna bekommt allmählich Probleme, denn eines Morgens läutet der Wecker nicht, und sie kommt zu spät zur Arbeit. Irgendjemand muss den Wecker ausgeschaltet haben. Yann behauptet fest, dass Hanna es selbst war. "Darüber müssen wir in der Supervision reden", heißt es, als sie zu spät zum Dienst kommt. Hanna arbeitet in einem Kinderschutzzentrum, sie ist umgeben von Psychologie, alles wird hinterfragt, ein unangenehmes Gefühl der Kontrolle macht sich breit. Die Pointe von Andrina Mracnikars "Ma folie" ist, dass sich in die zwischenmenschlichen Beziehungen zunehmend ein technisches Element mischt, denn Yann zieht sich zwar aus Hannas Leben zurück, er schickt aber weiterhin Videobotschaften. Darin geht es nun nicht mehr um Zärtlichkeit und imaginierte Nähe, sondern um Bedrohung und Überwachung. Also auch um Supervision. Hanna hat es mit einem Stalker zu tun, sie reagiert darauf naheliegenderweise argwöhnisch. Sie fühlt sich verfolgt. Mit der Berliner Schauspielerin Alice Dwyer in der Hauptrolle hat Andrina Mracnikar einen dramaturgisch plausiblen Psychothriller gedreht, dessen Spannung allerdings durch den Schematismus beeinträchtigt wird, mit dem hier das Psychologische zum Spiegelbild der technologischen Möglichkeiten wird. Dass man in dem Bild, das sich jemand von einem macht, irgendwann auch gefangensitzen kann, ist ein Umstand, aus dem sich immer noch viel machen lässt - allerdings nicht mit Dialogen, die so unbeholfen klingen, dass man entweder die Verfremdungsabsicht nicht mitkriegt, oder aber diese jungen Leute sind wirklich vollkommen arglos sich selbst gegenüber. In dieser Ambivalenz entsteht üblicherweise das, was als "folie", als Wahn, zum Ausbruch kommen könnte. Das geht bei Andrina Mracnikar einfach nicht auf. Gäbe es in dieser Welt einen "BFG", er hätte gut zu tun, denn man muss sich die Träume von Hanna, Goran und Yann leider langweilig vorstellen. Für einen Psychothriller ist das ein Todesurteil.
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