Rebellion als Geisteshaltung.Die beiden 18-jährigen Freunde Heiko und Tommy wollen abhauen. Raus aus der DDR. Natürlich nicht nach Moskau, nicht nach Prag - nach Australien soll es gehen. Doch der Preis für die ersehnte Freiheit ist hoch: Nach einer gescheiterten Republikflucht landen die beiden im härtesten Knast der DDR. Brachiale Gewalt, Korruption und sexueller Missbrauch sind dort an der Tagesordnung. Schutzsuchend schlisst sich Tommy der starken Gemeinschaft einsitzender Neonazis an, während Heiko sich ihnen verweigert. Tommy gelingt es, nicht nur das Zuchthaus sondern auch die Staatsgrenze hinter sich zu lassen. Ironie des Schicksals: Kurz nach der Flucht fällt die Mauer. Einige Monate später treffen sich die Kumpels wieder und die Situation ist verkehrt. Inzwischen ist Heiko zum bekennenden Neonazi geworden. Wieder gerät ihre Freundschaft zwischen die politischen Fronten...
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Audiokommentar von Winfried Bonengel; Ingo Hasselbach; Laurens Straub - Hasselbach mit den Jungschauspielern - Promotion Featurette - Castingszenen - MIA Special (Videoclips / Interviews / Discografie der Berliner Band) - Umfangreiches "Hinter den Kulissen"-Material über die Arbeit von Bonengel - Cast & Crew Infos - Tipps und Anlaufstellen für AussteigerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2002Graubraun
Ein deutscher und ein irischer Film zum Gefängnis-Alltag
VENEDIG, 1. September
Hinter dem ungelenken Titel von Winfried Bonengels "Führer Ex" verbirgt sich eine sehr persönliche Geschichte: die Bekanntschaft mit dem Neonazi Ingo Hasselbach, der mit Hilfe des Filmemachers den Ausstieg aus der Szene schaffte und nun seinen tragischen Lebensweg zum abendfüllenden Script umgearbeitet hat. Die DDR, die Hasselbach wegen eines Fluchtversuches inhaftierte, damit seine Persönlichkeit brach und für braune Übeltaten empfänglich machte, erscheint in dieser Fokussierung als graue Betonwüste, in deren Hinterhöfen Neonazis und Polizisten, Punks und Spitzel tagtäglich aufeinander einschlagen. Bonengel hält sich an die seit dem Expressionismus bewährten Klischees aus Laternenlicht, Lederjacken, Uniformen und Kiezkaschemmen, bestückt mit allerhand Menschenmaterial, das die deutsche Geschichte seelisch und körperlich verkrüppelt hat. So weit, so gut, wenig anderes als Kasernenbilder erwartet die Welt augenscheinlich vom deutschen Kino.
Leider vermögen die Schauspieler, allen voran Titelheld Christian Blümel, zu billiger Werbemusik den Figuren beim Hersagen eines wenig nuancierten Dialogs keine Konturen zu geben. Was der wie mit dem Baseballschläger vorangetriebenen Handlung an psychologischer Überzeugungskraft fehlt, ersetzt Bonengel durch die hautnahe Darstellung der Brutalität im Politgefängnis. Man merkt dem Macher in diesem blutigen Kammerspiel seine Theatererfahrung an, es gibt schmerzliche Bilder von brüllenden Aufsehern, geilen Kapos, die ihre Unterworfenen unter der Dusche vergewaltigen, Selbstmördern und Prüglern - nur, warum diese Hölle jemanden zum Neonazi umformen muß, wird höchstens ansatzweise ersichtlich.
Weder der junge Neonazi, der in Uniform wirkt wie ein Primaner bei einem kruden Karnevalsscherz, noch der brav deklamierende Führeraufguß wirken, in die wiedervereinigte Freiheit entlassen, irgend diabolisch, und abermals rettet sich Bonengel in Gewaltszenen totgeprügelter Punkmädchen und niedergetrampelter Ausländerkinder, um die fehlende Vision zu übertünchen, die aus dem Pamphlet vielleicht tatsächlich eine Geschichte hätte machen können. Einzig Dieter Laser in der Nebenrolle eines einsitzenden Mörders macht vor, wie wirklich gute Schauspieler diesem Szenario vielleicht hätten Kontur geben können. Zum kaum aufkeimenden Schlußapplaus wirkte dieser Erstlingsfilm, wie er vielleicht auch gemeint war: arg deutsch. Das heißt aber leider: provinziell, didaktisch und gewollt.
Auch der schottisch-irische Beitrag "The Magdalen Sisters" schildert, allerdings mit unvergleichlich überzeugenderen Darstellerinnen, brutalen Gefängnisalltag. Peter Mullans detailgenaue Schilderung eines irischen Konvents für vermeintlich gefallene Mädchen beruht gleichfalls auf akribischer Dokumentation, läßt sich aber Zeit für die geschundenen Gesichter, führt neben der rohen auch die subtilen Gewalttaten, den pseudoreligiösen Stumpfsinn vor, den die rechtlosen Arbeitssklavinnen zu Nutz und Befriedigung des Klerus erdulden mußten. Mullan wurde für diese schreiende Anklage gegen ein Verbrechen der Kirche - erst 1996 schloß man das letzte Magdalenenheim - von katholischen Funktionären dreist als "verleumderisch" abgetan, was ein sicheres Indiz für die Qualität seiner sezierenden Ästhetik ist. Über Bonengels Film, der seine Bösewichter ja als schlagkräftige Bande harter Kerle vorführt, dürfte sich, und das ist wohl das Traurigste am ersten deutschen Beitrag auf dem Lido, kein überzeugter Neonazi ernstlich aufregen.
DIRK SCHÜMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein deutscher und ein irischer Film zum Gefängnis-Alltag
VENEDIG, 1. September
Hinter dem ungelenken Titel von Winfried Bonengels "Führer Ex" verbirgt sich eine sehr persönliche Geschichte: die Bekanntschaft mit dem Neonazi Ingo Hasselbach, der mit Hilfe des Filmemachers den Ausstieg aus der Szene schaffte und nun seinen tragischen Lebensweg zum abendfüllenden Script umgearbeitet hat. Die DDR, die Hasselbach wegen eines Fluchtversuches inhaftierte, damit seine Persönlichkeit brach und für braune Übeltaten empfänglich machte, erscheint in dieser Fokussierung als graue Betonwüste, in deren Hinterhöfen Neonazis und Polizisten, Punks und Spitzel tagtäglich aufeinander einschlagen. Bonengel hält sich an die seit dem Expressionismus bewährten Klischees aus Laternenlicht, Lederjacken, Uniformen und Kiezkaschemmen, bestückt mit allerhand Menschenmaterial, das die deutsche Geschichte seelisch und körperlich verkrüppelt hat. So weit, so gut, wenig anderes als Kasernenbilder erwartet die Welt augenscheinlich vom deutschen Kino.
Leider vermögen die Schauspieler, allen voran Titelheld Christian Blümel, zu billiger Werbemusik den Figuren beim Hersagen eines wenig nuancierten Dialogs keine Konturen zu geben. Was der wie mit dem Baseballschläger vorangetriebenen Handlung an psychologischer Überzeugungskraft fehlt, ersetzt Bonengel durch die hautnahe Darstellung der Brutalität im Politgefängnis. Man merkt dem Macher in diesem blutigen Kammerspiel seine Theatererfahrung an, es gibt schmerzliche Bilder von brüllenden Aufsehern, geilen Kapos, die ihre Unterworfenen unter der Dusche vergewaltigen, Selbstmördern und Prüglern - nur, warum diese Hölle jemanden zum Neonazi umformen muß, wird höchstens ansatzweise ersichtlich.
Weder der junge Neonazi, der in Uniform wirkt wie ein Primaner bei einem kruden Karnevalsscherz, noch der brav deklamierende Führeraufguß wirken, in die wiedervereinigte Freiheit entlassen, irgend diabolisch, und abermals rettet sich Bonengel in Gewaltszenen totgeprügelter Punkmädchen und niedergetrampelter Ausländerkinder, um die fehlende Vision zu übertünchen, die aus dem Pamphlet vielleicht tatsächlich eine Geschichte hätte machen können. Einzig Dieter Laser in der Nebenrolle eines einsitzenden Mörders macht vor, wie wirklich gute Schauspieler diesem Szenario vielleicht hätten Kontur geben können. Zum kaum aufkeimenden Schlußapplaus wirkte dieser Erstlingsfilm, wie er vielleicht auch gemeint war: arg deutsch. Das heißt aber leider: provinziell, didaktisch und gewollt.
Auch der schottisch-irische Beitrag "The Magdalen Sisters" schildert, allerdings mit unvergleichlich überzeugenderen Darstellerinnen, brutalen Gefängnisalltag. Peter Mullans detailgenaue Schilderung eines irischen Konvents für vermeintlich gefallene Mädchen beruht gleichfalls auf akribischer Dokumentation, läßt sich aber Zeit für die geschundenen Gesichter, führt neben der rohen auch die subtilen Gewalttaten, den pseudoreligiösen Stumpfsinn vor, den die rechtlosen Arbeitssklavinnen zu Nutz und Befriedigung des Klerus erdulden mußten. Mullan wurde für diese schreiende Anklage gegen ein Verbrechen der Kirche - erst 1996 schloß man das letzte Magdalenenheim - von katholischen Funktionären dreist als "verleumderisch" abgetan, was ein sicheres Indiz für die Qualität seiner sezierenden Ästhetik ist. Über Bonengels Film, der seine Bösewichter ja als schlagkräftige Bande harter Kerle vorführt, dürfte sich, und das ist wohl das Traurigste am ersten deutschen Beitrag auf dem Lido, kein überzeugter Neonazi ernstlich aufregen.
DIRK SCHÜMER
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