Keine Jobs, kein Geld, und eine endlose Schlange vor dem Arbeitsamt! Doch sechs arbeitslose Stahlarbeiter aus Sheffield lassen sich nicht unterkriegen. Inspiriert von einem Auftritt der Männerstripper "The Chippendales" wittert Gaz (Robert Carlyle) die einmalige Chance, das große, schnelle Geld zu machen. Gemeinsam mit einem handverlesenen Team von Leidensgenossen gründet er eine eigene Stripper-Truppe und kündigt eine gewagte Show an. Es spricht sich wie ein Lauffeuer unter den Frauen Sheffields herum diese Männer lassen die Hosen runter - und nach dem Motto "Ganz oder gar nicht" auch die allerletzte Hülle fallen. Doch kurz vor dem wahrlich bloßstellenden Job schleicht sich den Männern Panik ein ...
Bonusmaterial
- Original KinotrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.1997Bis aufs letzte Hemd
Striptease macht Mut: Peter Cattaneos britischer Film "The Full Monty" empfiehlt Ausziehen gegen Arbeitslosigkeit
Nathan hätte gerne einen ganz normalen Vater. Einen, der keine zweifelhaften Geschäfte macht, um zu Geld zu kommen, und dem er nicht helfen muß, Stahlträger aus einer verlassenen Fabrik zu stehlen. Aber im Leben seines Vaters Gaz ist nichts mehr normal, seit der seine Arbeit verloren hat. Gaz (Robert Carlyle) ist Stahlarbeiter, und das ist in Englands Industriestadt Sheffield ein anderes Wort für chancenlos. Noch in den siebziger Jahren priesen Werbespots das Zentrum der britischen Messerfabrikation als Yorkshires "schlagendes Herz". Fünfundzwanzig Jahre später zeigt Peter Cattaneo in seinem Film "Ganz oder gar nicht" (The Full Monty) eine heruntergekommene Stadt. Sein Sheffield wirkt ebenso hoffnungslos wie die Stahlarbeiter, die der Automatisierungsprozeß "freigesetzt" hat und die nichts lieber täten, als diese Freiheit wieder einzutauschen gegen einen Job. Doch die Stahlindustrie braucht sie nicht mehr. Maschinen sind billiger.
Gaz bekommt den Verdrängungswettbewerb nicht nur als Arbeiter, sondern auch als Ehemann und Vater zu spüren. Seine Frau lebt längst mit einem anderen zusammen, der ihr und Nathan (William Snape) ein schmuckes Reihenhaus samt Mittelklassewagen und wirtschaftlicher Sicherheit bieten kann. Den Kontakt zu seinem Sohn würde sie dem unsteten Gaz am liebsten ganz verbieten, und so wird der Unterhalt, den Gaz nicht zahlen kann, zum Druckmittel. Kein Geld - kein Nathan. Der Erfolg der "Chippendales", einer Gruppe männlicher Stripteasetänzer, die gerade in Sheffield gastiert, erscheint Gaz da wie ein Fingerzeig in seiner finanziellen Not. In einer alten Werkshalle unternimmt er die ersten eigenen Tanzversuche, und nicht einmal die Verstörung seines Sohnes, der vor dem lasziv sich windenden Vater entsetzt davonläuft, können ihn von seinem Plan abbringen, eine eigene Strippergruppe zu gründen.
Es wäre ein leichtes gewesen, aus dieser Idee eine platte Komödie zu machen. Denn natürlich sind Gaz und seine fünf Mitstreiter ihren erfolgreichen Vorbildern ganz und gar unähnlich: zu dick, zu alt, zu wenig trainiert. Doch der Regisseur Peter Cattaneo gerät bei seinem Spielfilmdebüt nie in die Gefahr, aus diesem offensichtlichen Kontrast Kapital zu schlagen. Was seine Figuren vor der Lächerlichkeit schützt, ist ihre Verzweiflung. Verzweifelt muß man wohl sein, um sich als "Yorkshire-Version" der "Chippendales" zu versuchen. Mit ihrem Arbeitsplatz haben die Männer auch die Selbstachtung verloren. Wer auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr taugt, taugt auch sonst nichts, lautet ihre simple Gleichung, und daraus ziehen sie bisweilen verhängnisvolle Konsequenzen. Der ehemalige Vorarbeiter Gerald etwa, den Tom Wilkinson schwanken läßt zwischen Verzagtheit und gezwungener Zuversicht, verschweigt seiner Frau seit sechs Monaten, daß er arbeitslos ist. Der falsche Stolz kostet ihn am Ende nicht nur sämtliche Möbel, die seine Gläubiger pfänden, sondern auch seine Ehe.
Daß diesen gebeutelten Männern nun ausgerechnet ein Striptease zu neuer Selbstachtung verhelfen könnte, scheint reichlich weit hergeholt. Doch die Idee des Drehbuchautors Simon Beaufoy ist nicht nur gewagt, sie funktioniert auch noch. Zwischen Sit-ups, Sonnenbank und Tanzschritten fassen die abgehalfterten Stahlarbeiter und glücklosen Ehemänner wieder Zutrauen zu sich. Cattaneo erliegt dabei glücklicherweise nicht der Versuchung, seine working class men, die sich den Namen "Hot Metal" zulegen, in Showstars zu verwandeln. Zwar dient Jennifer Beals, die tanzende Schweißerin aus "Flash Dance", den Männern vor dem heimischen Videorekorder als Studienobjekt. Doch wenn die Arbeiter fachmännisch die dilettantische Schweißtechnik der Schauspielerin begutachten, dann entlarvt Cattaneo das Filmmärchen "Flash Dance". Sein Sheffield hingegen liegt in Yorkshire und nicht in Hollywood. Und darum packt die Männer auch eine ganz realistische Furcht vor dem möglichen Spott ihres Publikums, darum erscheint dem übergewichtigen Dave (Mark Addy) der stumpfsinnige, aber achtbare Posten eines Wachmanns im Einkaufszentrum plötzlich als Alternative. Wer schließlich will einen arbeitslosen Mann mit Bauch, der seine Frau Jean (Lesley Sharp) zu verlieren fürchtet und diese Angst mit immer neuen Schokoriegeln betäubt, schon tanzen sehen? "Ich", sagt Jean schlicht, und Mark Addy und Lesley Sharp gelingt in dieser Szene eine anrührende Miniatur über den Zweifel und die Liebe.
Verwicklungen gibt es natürlich auch, von der Entdeckung der heimlichen Proben über die vorübergehende Festnahme der "Stahlstripper" bis zur Titelgeschichte in der Zeitung. Die Schlagzeilen indes machen "Hot Metal" zum Selbstläufer, und unversehens findet sich die Gruppe hinter der Bühne wieder - nur durch einen Vorhang getrennt von einem johlenden, pfeifenden Publikum. Wie die sechs da plötzlich alle Sicherheit verlieren, wie sie mit sich ringen und im letzten Moment am liebsten weglaufen würden, ist köstlich anzuschauen. Wenn sie es am Ende doch wagen, "Full Monty", also gänzlich nackt, auf der Bühne zu stehen, gerät die Show zum doppelten Erfolg. Der Auftritt ist nicht nur ein Kassenschlager, er ist auch ein Sieg über die eigene Angst. Und das vielleicht verblüfft am meisten an Simon Beaufoys Drehbuchidee: Daß sich nicht nur auszieht, wer nichts mehr zu verlieren hat. Sondern auch, wer noch viel gewinnen kann. ELKE BOHL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Striptease macht Mut: Peter Cattaneos britischer Film "The Full Monty" empfiehlt Ausziehen gegen Arbeitslosigkeit
Nathan hätte gerne einen ganz normalen Vater. Einen, der keine zweifelhaften Geschäfte macht, um zu Geld zu kommen, und dem er nicht helfen muß, Stahlträger aus einer verlassenen Fabrik zu stehlen. Aber im Leben seines Vaters Gaz ist nichts mehr normal, seit der seine Arbeit verloren hat. Gaz (Robert Carlyle) ist Stahlarbeiter, und das ist in Englands Industriestadt Sheffield ein anderes Wort für chancenlos. Noch in den siebziger Jahren priesen Werbespots das Zentrum der britischen Messerfabrikation als Yorkshires "schlagendes Herz". Fünfundzwanzig Jahre später zeigt Peter Cattaneo in seinem Film "Ganz oder gar nicht" (The Full Monty) eine heruntergekommene Stadt. Sein Sheffield wirkt ebenso hoffnungslos wie die Stahlarbeiter, die der Automatisierungsprozeß "freigesetzt" hat und die nichts lieber täten, als diese Freiheit wieder einzutauschen gegen einen Job. Doch die Stahlindustrie braucht sie nicht mehr. Maschinen sind billiger.
Gaz bekommt den Verdrängungswettbewerb nicht nur als Arbeiter, sondern auch als Ehemann und Vater zu spüren. Seine Frau lebt längst mit einem anderen zusammen, der ihr und Nathan (William Snape) ein schmuckes Reihenhaus samt Mittelklassewagen und wirtschaftlicher Sicherheit bieten kann. Den Kontakt zu seinem Sohn würde sie dem unsteten Gaz am liebsten ganz verbieten, und so wird der Unterhalt, den Gaz nicht zahlen kann, zum Druckmittel. Kein Geld - kein Nathan. Der Erfolg der "Chippendales", einer Gruppe männlicher Stripteasetänzer, die gerade in Sheffield gastiert, erscheint Gaz da wie ein Fingerzeig in seiner finanziellen Not. In einer alten Werkshalle unternimmt er die ersten eigenen Tanzversuche, und nicht einmal die Verstörung seines Sohnes, der vor dem lasziv sich windenden Vater entsetzt davonläuft, können ihn von seinem Plan abbringen, eine eigene Strippergruppe zu gründen.
Es wäre ein leichtes gewesen, aus dieser Idee eine platte Komödie zu machen. Denn natürlich sind Gaz und seine fünf Mitstreiter ihren erfolgreichen Vorbildern ganz und gar unähnlich: zu dick, zu alt, zu wenig trainiert. Doch der Regisseur Peter Cattaneo gerät bei seinem Spielfilmdebüt nie in die Gefahr, aus diesem offensichtlichen Kontrast Kapital zu schlagen. Was seine Figuren vor der Lächerlichkeit schützt, ist ihre Verzweiflung. Verzweifelt muß man wohl sein, um sich als "Yorkshire-Version" der "Chippendales" zu versuchen. Mit ihrem Arbeitsplatz haben die Männer auch die Selbstachtung verloren. Wer auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr taugt, taugt auch sonst nichts, lautet ihre simple Gleichung, und daraus ziehen sie bisweilen verhängnisvolle Konsequenzen. Der ehemalige Vorarbeiter Gerald etwa, den Tom Wilkinson schwanken läßt zwischen Verzagtheit und gezwungener Zuversicht, verschweigt seiner Frau seit sechs Monaten, daß er arbeitslos ist. Der falsche Stolz kostet ihn am Ende nicht nur sämtliche Möbel, die seine Gläubiger pfänden, sondern auch seine Ehe.
Daß diesen gebeutelten Männern nun ausgerechnet ein Striptease zu neuer Selbstachtung verhelfen könnte, scheint reichlich weit hergeholt. Doch die Idee des Drehbuchautors Simon Beaufoy ist nicht nur gewagt, sie funktioniert auch noch. Zwischen Sit-ups, Sonnenbank und Tanzschritten fassen die abgehalfterten Stahlarbeiter und glücklosen Ehemänner wieder Zutrauen zu sich. Cattaneo erliegt dabei glücklicherweise nicht der Versuchung, seine working class men, die sich den Namen "Hot Metal" zulegen, in Showstars zu verwandeln. Zwar dient Jennifer Beals, die tanzende Schweißerin aus "Flash Dance", den Männern vor dem heimischen Videorekorder als Studienobjekt. Doch wenn die Arbeiter fachmännisch die dilettantische Schweißtechnik der Schauspielerin begutachten, dann entlarvt Cattaneo das Filmmärchen "Flash Dance". Sein Sheffield hingegen liegt in Yorkshire und nicht in Hollywood. Und darum packt die Männer auch eine ganz realistische Furcht vor dem möglichen Spott ihres Publikums, darum erscheint dem übergewichtigen Dave (Mark Addy) der stumpfsinnige, aber achtbare Posten eines Wachmanns im Einkaufszentrum plötzlich als Alternative. Wer schließlich will einen arbeitslosen Mann mit Bauch, der seine Frau Jean (Lesley Sharp) zu verlieren fürchtet und diese Angst mit immer neuen Schokoriegeln betäubt, schon tanzen sehen? "Ich", sagt Jean schlicht, und Mark Addy und Lesley Sharp gelingt in dieser Szene eine anrührende Miniatur über den Zweifel und die Liebe.
Verwicklungen gibt es natürlich auch, von der Entdeckung der heimlichen Proben über die vorübergehende Festnahme der "Stahlstripper" bis zur Titelgeschichte in der Zeitung. Die Schlagzeilen indes machen "Hot Metal" zum Selbstläufer, und unversehens findet sich die Gruppe hinter der Bühne wieder - nur durch einen Vorhang getrennt von einem johlenden, pfeifenden Publikum. Wie die sechs da plötzlich alle Sicherheit verlieren, wie sie mit sich ringen und im letzten Moment am liebsten weglaufen würden, ist köstlich anzuschauen. Wenn sie es am Ende doch wagen, "Full Monty", also gänzlich nackt, auf der Bühne zu stehen, gerät die Show zum doppelten Erfolg. Der Auftritt ist nicht nur ein Kassenschlager, er ist auch ein Sieg über die eigene Angst. Und das vielleicht verblüfft am meisten an Simon Beaufoys Drehbuchidee: Daß sich nicht nur auszieht, wer nichts mehr zu verlieren hat. Sondern auch, wer noch viel gewinnen kann. ELKE BOHL
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