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Ein Dokumentarfilm über das Verhältnis zu Liebe, Erotik, Prostitution und Homosexualität und der Frage nach Konventionen und Moral eines Landes - quer durch die sozialen Schichten und Generationen, an venezianischen Badestränden, vor Mailands Fabriktoren, auf sizilianischen Feldern oder am Fußballplatz. Unterbrochen werden die Interviews immer wieder durch Gespräche zwischen Pasolini, Alberto Moravia und dem Psychologen Cesare Musatti.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: 4 Pasolini Trailer: -Gastmahl der Liebe (4:28 min.) -Accattone (1:57 min.) -Edipo re (3:24 min.) -Grosse Vögel, kleine Vögel (3:13 min.)
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Produktbeschreibung
Ein Dokumentarfilm über das Verhältnis zu Liebe, Erotik, Prostitution und Homosexualität und der Frage nach Konventionen und Moral eines Landes - quer durch die sozialen Schichten und Generationen, an venezianischen Badestränden, vor Mailands Fabriktoren, auf sizilianischen Feldern oder am Fußballplatz. Unterbrochen werden die Interviews immer wieder durch Gespräche zwischen Pasolini, Alberto Moravia und dem Psychologen Cesare Musatti.

Bonusmaterial

DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: 4 Pasolini Trailer: -Gastmahl der Liebe (4:28 min.) -Accattone (1:57 min.) -Edipo re (3:24 min.) -Grosse Vögel, kleine Vögel (3:13 min.)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2023

Atemloses Fragen

Italien und der Sex: Pier Paolo Pasolini versuchte 1963 eine poetisch- provokante Bestandsaufnahme.

Einer, der die Welt liebt, die er hasst. Einer, der die Geschichte besitzt, so wie sie ihn besitzt. Einer, der daran glaubt, dass das Mythische nichts anderes ist als die andere Seite des Realismus. Einer, dessen eingefallenes Gesicht mit dem vorstehenden Jochbogen manchmal an das von Dostojewski erinnert. Einer, der lieber zu Unrecht verurteilt werden wollte, als toleriert zu werden. Einer, der vor hundert Jahren geboren wurde: Pier Paolo Pasolini.

Sein Ruf als einer der wichtigsten Regisseure der Filmgeschichte ist gefestigt, sein Einfluss auf ebendiese Geschichte dagegen schwer greifbar: Oft wird sein Leben im Licht des gewaltsamen Todes 1975 als Gesamtkunstwerk verstanden. Oft wissen die Leute aber eben auch nur noch das von ihm: dass er bestialisch ermordet wurde. Pasolini: Das ist nicht nur der Regisseur vieler Filme, sondern auch der Dichter, Romancier, Journalist, öffentliche Intellektuelle und nicht zuletzt der Angeklagte, der in mehr als dreißig Prozessen für die Streitfragen seiner Zeit zu Glauben, Kunst, Politik und Sexualität herhalten musste.

Der erste Prozess war der schlimmste: 1949 wurde Pasolini, der noch während des Krieges im heimatlichen Casarsa ein Zentrum zur Erforschung der friaulischen Sprache und Kultur gegründet hatte und als Mittelschullehrer arbeitete, wegen Verführung Minderjähriger und Unzucht in der Öffentlichkeit angezeigt. Ein Junge aus der Nachbarschaft hatte dem Ortspfarrer gebeichtet, er habe mit Pasolini am Rande eines Dorffestes Sex gehabt. Dieser löste unter Verletzung des Beichtgeheimnisses mithilfe der christdemokratischen Presse einen Sittenskandal aus. In dem kleinen Ort wurde Pasolini über Nacht zum Ausgestoßenen und musste zusammen mit seiner Mutter nach Rom fliehen.

Das mit dieser Erfahrung verbundene Trauma verfolgter Sexualität wird zu einem Grunderlebnis des Künstlers Pasolini. In all seinen Werken, den literarischen, filmischen wie auch den intellektuellen, kommt das Thema des verfemten Begehrens vor. Nirgendwo aber wird es auf so anziehende Weise behandelt wie in dem wenig bekannten Dokumentarfilm "Gastmahl der Liebe" (Comizi d'amore), an dem Pasolini 1963 in einer Drehpause zwischen zwei weiteren Filmen arbeitete.

Von Nord- nach Süditalien, von Stränden über Tanzlokale bis hin zu Fabriktoren führt Pasolini seine Recherchereise zum italienischen Sexualleben zu Beginn der Sechzigerjahre. Es ist eine poetisch-provokante Bestandsaufnahme dessen, was unterschiedliche Generationen in diesem Augenblick über ihr Sexualleben denken beziehungsweise zu äußern bereit sind. Die Gesprächspartner sind so bunt gemischt wie die Antworten auf Pasolinis atemlos vorgetragene Fragen. Vom streng traditionalistischen Dichter Giuseppe Ungaretti über Fußballspieler des FC Bologna bis zum mafiösen Straßenjungen reicht das Spektrum der Auskunftgeber. Die gerade von heutiger Warte aus vorbildhafte Anziehung des Films liegt in seiner gelassenen Wiedergabe selbst der abstrusesten Meinungen. Da deutet ein sizilianischer Macho an, dass er einen Seitensprung seiner Frau mit sofortigem Meuchelmord bestrafen würde, da zeigt sich eine Gruppe junger Mädchen angewidert von der Frage, wie sie mit der potentiellen Homosexualität einer ihrer Söhne umgehen würde - Pasolini kommentiert all das nicht, er ordnet nicht ein, er geht nicht dazwischen. Stattdessen stellt er hastig und schamlos weitere Fragen. Nie, so kommt es einem vor, ist er mit einer Antwort zufrieden, nie dringt sie ihm tief genug ein in den geheimen, den Blicken sonst entzogenen Bereich des Intimlebens. Aber darum, also um Zufriedenheit, geht es in diesem Film auch eben gerade nicht.

Viel eher ist er eine Suchanzeige, ein bewegtes Archivstück und voyeuristisches Zeitdokument. In mancher Hinsicht orientiert an den ein gutes Jahrzehnt zuvor geführten Interviews des amerikanischen "Kinsey-Reports", bildet Pasolinis "Gastmahl der Liebe" die sexuellen Triebe und Tabus einer zwischen Aufbruch und Traditionalismus hin- und hergerissenen Gesellschaft ab.

Was Pasolini über seinen ersten Film "Accattone - Wer nie sein Brot mit Tränen aß" gesagt hat, nämlich dass er damit seine kleinbürgerliche Herkunft verleugnen wolle, trifft auf "Gastmahl der Liebe" in noch viel augenfälligerer Weise zu: Da begibt sich ein vornehm gekleideter Intellektueller in die Niederungen von präferierten Sexstellungen und expliziten Gewaltphantasien, um das eigene Selbstverständnis als kunstschaffender Bourgeois zu konterkarieren.

Darüber hinaus präsentiert der Film zentrale Leitthemen aus Pasolinis Werk: Gruppen junger Leute auf verschmutzten Straßen, die sinnliche Überhöhung regionaler Dialekte und Eigenarten, die unhintergehbare Distanz zwischen Menschen als Katastrophe des Daseins.

"Gastmahl der Liebe" ist die Aufnahme einer Art zu sprechen, zu leben, zu sehnen und zu verachten. Der Dokumentarfilm bietet Schlaglichter in eine Welt instinktiver Wildheit und tabuisierter Lustvorstellungen und eröffnet einen aufregenden Zugang zum Lebens- und Sprachzusammenhang unterschiedlicher Gesellschaftsschichten. Schließlich führt er uns Fortgeschrittenen eindrücklich vor Augen, wie radikal sich sexualmoralische Einstellungen seither verändert haben - nicht ohne, wie bei Pasolini glücklicherweise immer, ins Gedächtnis zu rufen, dass mit jedem Traditionsbruch auch Verluste einhergehen. SIMON STRAUSS

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