1885. Seit 20 Jahren steht die begnadete Köchin Eugénie im Dienst des legendären Gourmets Dodin Bouffant und kreiert mit ihm köstliche Gerichte. Aus der gemeinsamen Zeit in der Küche und der Leidenschaft für das Kochen ist über die Jahre weit mehr als nur eine Liebe fürs Essen erwachsen. Doch Eugénie will ihre Freiheit nicht aufgeben und hegt keinerlei Absichten Dodin zu heiraten. Also beschließt dieser, etwas zu tun, das er noch nie zuvor getan hat: für sie zu kochen.
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Trailer WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2024Das Eis darf im Feuer nicht schmelzen
Rekonstruktion eines Küchenzeitalters: Tràn Anh Hùngs kulinarisches Melodrama "Geliebte Köchin"
Ein Landhaus, ein kleines Schloss mit Garten, in der französischen Provinz. Die Köchin Eugénie bereitet mit ihrer Küchenhilfe Violette das Menü des Tages vor. Es gibt Gemüseterrine, Steinbutt, Kalbskarree und als Krönung Omelette surprise, ein Dessert, bei dem eine Kapsel aus Teigmasse mit Vanilleeis gefüllt, in eine Rüstung aus Baiser gesteckt, im Ofen gebacken und anschließend flambiert wird, ohne dass das Eis schmilzt. Die Bewegungen der beiden Frauen sind flüssig, konzentriert und zugleich entspannt, ein Tanz von Armen, Händen und Gesichtern, der weitergeht, als Dodin Bouffant, der Hausherr und Meisterkoch, hinzukommt und den Schauplatz der Choreographie zum oberen Stockwerk hin erweitert, denn die fünf Gourmets, die sich dort zum Souper versammeln, sind seine Freunde.
Doch da ist auch noch Pauline, die Nichte der Küchenhilfe, die davon träumt, die Kochkunst zu erlernen, und deren Talent im Erkennen von Geschmacksnoten den Hausherrn und seine Köchin überrascht. Und wenn man die Blicke, die Dodin und Eugénie dabei tauschen, genau liest, wird eine Vertraulichkeit sichtbar, die viel mehr ist als professionelles Einverständnis. Wir sind in den Achtzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts, und die beiden sind nicht verheiratet; das Schlösschen in der Provinz ist auch ein Schutzraum für eine ungewöhnliche Liebe.
Die Konstellation, mit der Tràn Anh Hùngs Film "Geliebte Köchin" beginnt, trägt alle Züge einer Marivaudage, einer philosophischen Komödie, in der jetzt nur noch eine Figur von außen dazukommen müsste, um die Verwicklungen auszulösen, die das Idyll am Ende zum Einsturz bringen. Aber sie kommt nicht. Im Gegenteil, der Film schreitet den Raum, den er eröffnet hat, immer weiter aus, führt durch Obst- und Gemüsegärten in der Umgebung und zugleich über Treppen und Gänge in die Schlafzimmer des Schlosses, in denen Eugénie und Dodin eine in Jahrzehnten gewachsene, reife und zärtliche Leidenschaft pflegen.
Das Einzige, was Dodin zur bonheur noch fehlt, ist die Ehe, auf die sich Eugénie trotz seiner beharrlichen Werbungen nicht einlassen will; sie sei, sagt er scherzhaft, ein Menü, das mit dem Dessert beginne, aber für die Köchin ist sie ein Mahl, das durch Pflichten versalzen wird. Der Konflikt, der keiner ist, bekommt eine tragische Färbung, als die Schwächeanfälle Eugénies in einen Zusammenbruch münden, doch sie erholt sich, nicht zuletzt, weil Dodin ihr mit Austern und getrüffeltem Huhn das Essen ihres Lebens kredenzt. Und weil sich die Welt vor den Schlossfenstern weiterdreht, gibt es eine Nebenhandlung, in der ein Prinz von Eurasien den Meisterkoch und seine Freunde zu einem so auserlesenen wie überladenen Gelage einlädt. Dodin revanchiert sich mit einem perfekt komponierten Pot au Feu.
Es gibt Filme, die von ihrer Handlung, und andere, die von ihrer Ausstattung leben. In "Geliebte Köchin", der im Original "La Passion de Dodin Bouffant" heißt, ist die Ausstattung die Handlung. Kein Möbel- oder Kleidungsstück, kein Küchen- oder Essgeschirr, kein Gartenbeet und kein Interieur, das nicht mit äußerster Raffinesse arrangiert wäre, und wenn Juliette Binoche als Eugénie im nächtlichen Boudoir ihre nackte Rückenansicht wie ein Traumbild von Man Ray der Kamera darbietet, wird auch sie zum Schmuckstück in Tràn Anh Hùngs Kinovitrine. So baut der Film seine Bildfolgen immer an der Grenze zum Kitsch. Aber er überschreitet sie nie, weil er dem Klischee, das er zitiert, jedes Mal voraus ist: Der Gemüsegarten ist kein Naturraum, sondern ein Freiluftlabor, die Küche kein Museumsstück, sondern eine Manufaktur, und am Horizont der Blumenwiese, durch die Dodin und Eugénie schreiten, lauert der Tod.
Juliette Binoche ist für ihre Mischung aus zartem Trotz und entschlossener Hingabe überall gelobt worden, aber eigentlich ist es Benoît Magimel als Dodin, der den Film zusammenhält. Man sieht ihm die Blessuren nicht an, die ihn in die Provinz getrieben haben, aber man ahnt sie, und man spürt die Melancholie, mit der er die kleine Pauline betrachtet, die ihn beerben und zugleich übertreffen wird. Seine Anträge an Eugénie haben einen Unterton von Verzweiflung, der sie unwiderstehlich macht. So rührt auch die Schönheit des Films aus dem heraufziehenden Unheil, das er nicht ohne Mühe ausblendet. Mit den Fressorgien des Kinos wie "Babettes Fest" oder "Chocolat" hat er deshalb weniger gemein als mit Renoirs "Landpartie" und Taverniers "Sonntag auf dem Lande", zwei Filmen, die wie er die Geister einer verlorenen Epoche beschwören.
Im vergangenen Jahr wurde "Geliebte Köchin", der in Cannes den Regiepreis gewonnen hatte, als französischer Beitrag für den Auslandsoscar nominiert. Als der Film nicht in die Endauswahl kam, beschwerten sich viele darüber, dass nicht Justine Triets "Anatomie eines Falls" aufgestellt worden war. Aber statt die Filme gegeneinander auszuspielen, sollte man sie zusammendenken: hier das Tableau der Gegenwart, dort das der Vergangenheit, hier die Ermittlung des Unglücks, dort die Rekonstruktion des Glücks. Ein Wunder des Erzählens und eines des Dekors. Gemeinsam beschreiben sie den Spielraum des französischen Kinos. ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rekonstruktion eines Küchenzeitalters: Tràn Anh Hùngs kulinarisches Melodrama "Geliebte Köchin"
Ein Landhaus, ein kleines Schloss mit Garten, in der französischen Provinz. Die Köchin Eugénie bereitet mit ihrer Küchenhilfe Violette das Menü des Tages vor. Es gibt Gemüseterrine, Steinbutt, Kalbskarree und als Krönung Omelette surprise, ein Dessert, bei dem eine Kapsel aus Teigmasse mit Vanilleeis gefüllt, in eine Rüstung aus Baiser gesteckt, im Ofen gebacken und anschließend flambiert wird, ohne dass das Eis schmilzt. Die Bewegungen der beiden Frauen sind flüssig, konzentriert und zugleich entspannt, ein Tanz von Armen, Händen und Gesichtern, der weitergeht, als Dodin Bouffant, der Hausherr und Meisterkoch, hinzukommt und den Schauplatz der Choreographie zum oberen Stockwerk hin erweitert, denn die fünf Gourmets, die sich dort zum Souper versammeln, sind seine Freunde.
Doch da ist auch noch Pauline, die Nichte der Küchenhilfe, die davon träumt, die Kochkunst zu erlernen, und deren Talent im Erkennen von Geschmacksnoten den Hausherrn und seine Köchin überrascht. Und wenn man die Blicke, die Dodin und Eugénie dabei tauschen, genau liest, wird eine Vertraulichkeit sichtbar, die viel mehr ist als professionelles Einverständnis. Wir sind in den Achtzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts, und die beiden sind nicht verheiratet; das Schlösschen in der Provinz ist auch ein Schutzraum für eine ungewöhnliche Liebe.
Die Konstellation, mit der Tràn Anh Hùngs Film "Geliebte Köchin" beginnt, trägt alle Züge einer Marivaudage, einer philosophischen Komödie, in der jetzt nur noch eine Figur von außen dazukommen müsste, um die Verwicklungen auszulösen, die das Idyll am Ende zum Einsturz bringen. Aber sie kommt nicht. Im Gegenteil, der Film schreitet den Raum, den er eröffnet hat, immer weiter aus, führt durch Obst- und Gemüsegärten in der Umgebung und zugleich über Treppen und Gänge in die Schlafzimmer des Schlosses, in denen Eugénie und Dodin eine in Jahrzehnten gewachsene, reife und zärtliche Leidenschaft pflegen.
Das Einzige, was Dodin zur bonheur noch fehlt, ist die Ehe, auf die sich Eugénie trotz seiner beharrlichen Werbungen nicht einlassen will; sie sei, sagt er scherzhaft, ein Menü, das mit dem Dessert beginne, aber für die Köchin ist sie ein Mahl, das durch Pflichten versalzen wird. Der Konflikt, der keiner ist, bekommt eine tragische Färbung, als die Schwächeanfälle Eugénies in einen Zusammenbruch münden, doch sie erholt sich, nicht zuletzt, weil Dodin ihr mit Austern und getrüffeltem Huhn das Essen ihres Lebens kredenzt. Und weil sich die Welt vor den Schlossfenstern weiterdreht, gibt es eine Nebenhandlung, in der ein Prinz von Eurasien den Meisterkoch und seine Freunde zu einem so auserlesenen wie überladenen Gelage einlädt. Dodin revanchiert sich mit einem perfekt komponierten Pot au Feu.
Es gibt Filme, die von ihrer Handlung, und andere, die von ihrer Ausstattung leben. In "Geliebte Köchin", der im Original "La Passion de Dodin Bouffant" heißt, ist die Ausstattung die Handlung. Kein Möbel- oder Kleidungsstück, kein Küchen- oder Essgeschirr, kein Gartenbeet und kein Interieur, das nicht mit äußerster Raffinesse arrangiert wäre, und wenn Juliette Binoche als Eugénie im nächtlichen Boudoir ihre nackte Rückenansicht wie ein Traumbild von Man Ray der Kamera darbietet, wird auch sie zum Schmuckstück in Tràn Anh Hùngs Kinovitrine. So baut der Film seine Bildfolgen immer an der Grenze zum Kitsch. Aber er überschreitet sie nie, weil er dem Klischee, das er zitiert, jedes Mal voraus ist: Der Gemüsegarten ist kein Naturraum, sondern ein Freiluftlabor, die Küche kein Museumsstück, sondern eine Manufaktur, und am Horizont der Blumenwiese, durch die Dodin und Eugénie schreiten, lauert der Tod.
Juliette Binoche ist für ihre Mischung aus zartem Trotz und entschlossener Hingabe überall gelobt worden, aber eigentlich ist es Benoît Magimel als Dodin, der den Film zusammenhält. Man sieht ihm die Blessuren nicht an, die ihn in die Provinz getrieben haben, aber man ahnt sie, und man spürt die Melancholie, mit der er die kleine Pauline betrachtet, die ihn beerben und zugleich übertreffen wird. Seine Anträge an Eugénie haben einen Unterton von Verzweiflung, der sie unwiderstehlich macht. So rührt auch die Schönheit des Films aus dem heraufziehenden Unheil, das er nicht ohne Mühe ausblendet. Mit den Fressorgien des Kinos wie "Babettes Fest" oder "Chocolat" hat er deshalb weniger gemein als mit Renoirs "Landpartie" und Taverniers "Sonntag auf dem Lande", zwei Filmen, die wie er die Geister einer verlorenen Epoche beschwören.
Im vergangenen Jahr wurde "Geliebte Köchin", der in Cannes den Regiepreis gewonnen hatte, als französischer Beitrag für den Auslandsoscar nominiert. Als der Film nicht in die Endauswahl kam, beschwerten sich viele darüber, dass nicht Justine Triets "Anatomie eines Falls" aufgestellt worden war. Aber statt die Filme gegeneinander auszuspielen, sollte man sie zusammendenken: hier das Tableau der Gegenwart, dort das der Vergangenheit, hier die Ermittlung des Unglücks, dort die Rekonstruktion des Glücks. Ein Wunder des Erzählens und eines des Dekors. Gemeinsam beschreiben sie den Spielraum des französischen Kinos. ANDREAS KILB
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