Max und Adam sind zwei außergewöhnlich intelligente Brüder, die auf beeindruckende Weise untrennbar miteinander verbunden sind. Adam praktiziert erfolgreich als Arzt, während sein Bruder Max sein eigenes Leben zu einer Achterbahnfahrt macht, genial und chaotisch zugleich. Unaufhaltbar zieht Max seinen Bruder in einen Strudel aus Drogenexzessen, Pechsträhnen und Verzweiflung - wo soll diese Selbstzerstörung enden?
Bonusmaterial
Kapitel- / Szenenanwahl Animiertes DVD-Menü DVD-Menü mit Soundeffekten Hinter den Kulissen TrailershowFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2017Anti-Helden unserer Zeit
Was wir sehen, wenn wir durch die Harvey-Brille sehen: Einen New Yorker Gangsterfilm mit Robert Pattinson, eine selbstbestimmte Heldin, die mordet, und Schauspieler, die für eine Rolle vorsprechen
Seit sehr viele Frauen in Hollywood Harvey Weinstein sexuelle Belästigung, Nötigung und zum Teil Vergewaltigung vorwerfen, seit Berühmtheiten wie Gwyneth Paltrow und Angelina Jolie zu diesen Frauen gehören, seit das Stichwort #metoo auf Twitter und Facebook sehr viel benutzt wird, seit einen jeden Morgen eine Harvey-Schlagzeile über einem neuen prominenten Frauengesicht erwartet, seit man mit näheren und entfernteren Bekannten über Weinstein spricht, seitdem gibt es vor allem drei Arten von Reaktionen: die erfreut-optimistischen (Endlich wird darüber gesprochen), die genervt-gleichgültigen (Was kümmern mich die Luxusprobleme von ein paar Hollywood-Sternchen) und die besorgt-pessimistischen (Kann der Aufruhr überhaupt etwas verändern? Darf man nie wieder flirten? Was wird aus Hollywood, aus dem Kino, aus der Welt überhaupt?).
Die besorgten Reaktionen sind die interessantesten, weil sich hier sehr dumme mit sehr berechtigten Fragen mischen. Und die Frage nach dem Kino nach Weinstein ist ja berechtigt und sogar ziemlich interessant. Kann man jetzt keinen Film mehr sehen, ohne Harvey Weinstein zu sehen? Das wäre tatsächlich unangenehm. Oder zumindest kaum einen, ohne an ihn und die Vorwürfe gegen ihn und den Sexismus in der Filmbranche und den Sexismus in vielen Bereichen zu denken? Das wäre vielleicht gar nicht so schlimm. Es ist sogar gut, jetzt im Kino eine Zeitlang durch die Harvey-Brille zu blicken. Ein guter Film hält das aus. Und ein sehr guter kann einem wahrscheinlich noch viele neue Dinge zu all diesen Fragen sagen. Filme kennen sich ja, ein Glück, mit Macht, mit Sex, mit den Beziehungen zwischen Männern und Frauen oft sehr gut aus.
"Good Time" von Josh und Benny Safdie zum Beispiel: ein großartiger New Yorker Gangsterfilm. Näher an Scorsese (der auch ihren nächsten Film produzieren wird) als an Tarantino und dabei doch ganz neu und eigenständig. Die Hauptrolle spielt Robert Pattinson, die zweite Hauptrolle Benny Safdie selbst, in einer Nebenrolle ist Jennifer Jason Leigh zu sehen. Leigh hat noch gar nichts zu Weinstein gesagt, fällt einem da auf. Dabei war sie doch in "The Hateful Eight" zu sehen, der, wie alle Tarantino-Filme, von Weinstein produziert wurde. Kurz überlegt man, ob Rollen wie die, die Leigh oft spielt, die eine Frau sehr fertig aussehen lassen und im Laufe des Films noch fertiger machen, sie vielleicht vor Belästigung schützen. Dann merkt man, was das für ein bescheuerter Gedanke ist. Und denkt lieber an die ausnahmsweise mal sehr schöne Castinggeschichte von Robert Pattinson: keine Castingcouch, kein Hotelzimmer. Nur ein "Twilight"-Star, der kein "Twilight"-Star mehr sein will, der im Internet ein Filmstill sieht, das ihn begeistert (aus "Heaven Knows What", der von einer Heroinsüchtigen erzählt), und die Regisseure anruft, um ihnen zu sagen, dass er bei ihrem nächsten Film dabei sein will. Die Safdie-Brüder haben Robert Pattinson dann gleich die Hauptrolle in ihrem neuen Film gegeben. Dieser Film ist "Good Time".
Pattinson spielt darin den Kleinganoven Connie Nikas, der zusammen mit seinem geistig behinderten Bruder Nick (Benny Safdie) eine Bank überfällt. Nick wird verhaftet, Connie entkommt. Den Rest des Films lang wird Connie versuchen, den Bruder zu befreien, er wird ihn im Gefängnis suchen und im Krankenhaus, er wird Hilfe suchen in der Wohnung fremder Leute und Crystal Meth suchen in einer Geisterbahn auf Long Island. Der Film beginnt mit einem Banküberfall und steigert von da an sein Tempo. Wenn nach 22 Minuten erst der Vorspann eingeblendet wird, fühlt es sich einerseits so an, als habe der Film gerade erst angefangen, und andererseits so, als sei man schon lange mittendrin in der dichten, rauhen, direkten Welt der Brüder Nikas und der Brüder Safdie.
Es ist Josh und Benny Safdies dritter gemeinsamer Kinofilm, beide sind erst Anfang dreißig. Sie drehen immer im Stadtteil Queens, in dem sie aufgewachsen sind - Drehs, die bekannt sind für Chaos, für Improvisation, für die Arbeit mit Laiendarstellern und auch mal ohne Drehgenehmigung. So wollte auch Robert Pattinson arbeiten. Er wollte, dass sie ihn als Star unsichtbar machen, dass man ihn am besten gar nicht mehr erkennt. Dafür hat er ein paar Wochen in Queens in einem Keller mit zugeklebten Fenstern gelebt und sich von Dosenthunfisch ernährt. Hat sich gelohnt.
"Good Time" ist eine ungewöhnliche und ungewöhnlich großartige Mischung aus Empathie und Coolness. Das liegt zum Teil an Pattinson, der Connie eben doch mit dem Charme eines Stars spielt, aber auch mit der Rücksichtslosigkeit eines echten Gangsters. Vor allem liegt es an den beiden Regisseuren, die diese Rücksichtslosigkeit nicht glorifizieren. Denn "Good Time" interessiert sich auch für die Opfer. Da wären: eine weiße Frau (Jennifer Jason Leigh), ein schwarzer Wachmann (Barkhad Abdi), ein schwarzes Mädchen (Taliah Webster), eine schwarze ältere Frau (Gladys Mathon). Sie werden ausgenutzt für Geld oder ein Versteck oder Flucht, mit dem Versprechen auf Liebe. In Queens funktioniert es andersherum als in Hollywood: Dort müssen die Frauen den Männern körperliche Nähe gegen eine Karriere tauschen, hier müssen sie dem Mann bei seiner Karriere helfen, um körperliche Nähe zu bekommen. Es bleibt ein Machtspiel, bei dem die Regeln nicht von den Frauen gemacht werden.
Der Film sei auch "ein Destillat der Ära Trump", mit seinem Charme und seiner Arroganz sei Connie "ein Antiheld unserer Zeit", schrieb Richard Brody im "New Yorker". Und weil Connie und Nick bei dem Banküberfall außerdem Blackfacing-Masken tragen, so Brody, erzähle "Good Time" auch von Rassismus. Das stimmt. "White privilege and entitlement" (wieder Brody) gelten sogar in der Gangsterwelt: Schwarze kommen ins Gefängnis, Weiße kommen entweder davon oder in eine liebevolle Betreuungsanstalt. "Good Time" zeigt das mit einem kritischen, parodistischen, aber realistischen Blick. Der gilt auch für die beschwatzten, bestohlenen, bezirzten Rollen der Frauen. Die fallen allerdings weniger auf. Außer man hat die Weinstein-Brille auf. Durch die sieht man gerade jedenfalls ziemlich klar. Und man kann sich auch mit ihr im Kino noch hervorragend amüsieren - auch das beweist "Good Time", den man in ein paar Jahrzehnten wohl ein frühes Meisterwerk der Safdie-Brüder nennen wird.
* * *
Auch "Lady Macbeth", der Debütfilm von William Oldroyd, ist eine Art Gangsterfilm. Ein ziemlich ungewöhnlicher allerdings. Und er ist keine Shakespeare-Verfilmung, sondern die Adaption des Romans "Lady Macbeth aus dem Landkreis Mzensk" von Nikolai Leskow, dessen Handlung für den Film von Russland wieder nach England verlegt wurde. "Lady Macbeth" spielt jetzt im 19. Jahrhundert irgendwo im englischen Norden auf dem Land. Die sehr junge Katherine (Florence Pugh) wird dort verheiratet mit dem wesentlich älteren Farmbesitzer Alexander (Paul Hilton). Zwangsverheiratet, wie aus einer späteren Bemerkung von ihm deutlich wird: "Ich habe dich gekauft, zusammen mit einem Stück Land, auf dem nichts wächst."
Die Geschichte entspricht aber keinem einzigen Klischee, das einem zur Konstellation "bemitleidenswerte junge Frau, gemeiner älterer Mann" einfallen würde. Sie ist das Gegenteil davon. Denn Katherine ist nicht verschüchtert, sie hat keine Angst. Und Mitleid muss man mit ihr auch schon sehr bald nicht mehr haben. Von Anfang an sind ihre entschiedene, aufrechte Haltung, ihr schönes, entschlossenes Gesicht eine Sensation für den Zuschauer und ein Affront für die Welt, in der sie jetzt lebt. Trotzig und furchtlos wie ein rebellischer Teenager (sie ist wahrscheinlich sogar noch einer), dem die Konsequenzen seines Handelns egal sind. Oder: Egal sind ihr die Kollateralschäden, die durch das Handeln in Selbstbestimmtheit entstehen. Sie ist die Heldin des Films. Und sie ist eine Mörderin (nein, Mord ist hier kein Synonym für Notwehr).
Zu Katherines Selbstbestimmtheit gehört neben langen Spaziergängen im Freien, Mittagsschlaf und offenem Haar vor allem Sex. Und zwar bestimmt nicht mit ihrem Ehemann. Sie habe keine Scham, wirft ihr der Schwiegervater vor. Beim Zusehen bewundert man sie dafür, folgt ihr eine Weile noch dankbar, denn einige Szenen sind auch sehr komisch. Dann aber, und das hat natürlich mit den Morden und nicht mit dem Sex zu tun, kann man sie nicht mehr lieben. "Lady Macbeth" nimmt keinerlei Rücksicht auf solche Zuschauersympathien, dafür ist der Film zu klug.
Denn dieser "viktorianische Film noir", wie ihn der "Guardian" treffend nennt, ist auch eine Analyse von Macht- und Klassenverhältnissen. Und so wie man Katherine schließlich nicht mehr lieben kann, kann man ihren Mann nicht mehr hassen, wenn man erfährt, dass auch er ja sein Leben von seinem Vater vorgeschrieben bekommen hat. Alle Figuren sind hier Unterdrückte, und alle geben diese Unterdrückung selbst weiter: die zwangsverheiratete Frau an die Dienstboten, die weißen Dienstboten an das schwarze Hausmädchen, das Hausmädchen ihrerseits zurück an die Ehefrau, wenn sie ihr Korsett zu eng schnürt oder ihr die Haare mit schmerzhafter Gewalt kämmt. Als Katherine das erste Mal allein auf dem Hof ist, probiert sie die Worte, die ihr Mann eben noch an sie gerichtet hat, an den Knechten aus: "Face the wall! Stop smiling!" Es sind letztlich Überlebensstrategien, sagt dieser beeindruckende, furchtlose, vielleicht auch feministische Film, der nicht moralisiert und kein Urteil spricht. Er zeigt eine Heldin, die man nicht mögen kann, in Verhältnissen, die man nicht mögen kann. Den Film "Lady Macbeth" aber kann man lieben.
* * *
Und dann noch ein richtiger Castingfilm. "Casting" von Nicolas Wackerbarth heißt nicht nur so, er erzählt auch davon. Von Regisseurin Vera (Judith Engel), die fürs Fernsehen eine neue Version von Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" drehen soll. Vom Filmteam und den Kulissen, die schon bereitstehen (in einer Woche ist Drehbeginn), und einer Hauptdarstellerin, die noch nicht feststeht. Vera kann sich einfach nicht entscheiden, immer wieder bestellt sie die Frauen, die in Frage kommen, zu einem weiteren Casting ein (gespielt mit viel Selbstironie unter anderem von Ursina Lardi und Andrea Sawatzki). Der Einzige, der immer dableibt, ist Anspielpartner Gerwin (Andreas Lust), der sich von eigenen Karrierehoffnungen längst verabschiedet hat. Hatte.
"Casting" ist aus Gerwins Perspektive erzählt, aus der Perspektive von jemandem, der nicht ganz dazugehört, aber alles mitkriegt. Das ist eine gute Perspektive auf die absurden, die komischen und die unbarmherzigen Seiten der Filmbranche. Eine gute Entscheidung von Wackerbarth war es auch, die Dialoge während des Drehs improvisieren zu lassen. Die Schauspieler, die solche Situationen selbst schon hundertmal erlebt, solche Sätze schon hundertmal gehört oder gesagt haben, zeigen einem so einen vermutlich glaubwürdigen Castingslang aus angestrengter Nettigkeit und kaum verborgener Aggression. Eine Castingcouch, die diesen Namen verdiente, gibt es hier nicht. Sexismus schon. Gerwin erfährt ihn, der einzige Mann in dem weiblichen Team. Ob er "wirklich nur schwul" ist, wollen die Frauen wissen, bevor sie sich über seinen Sexappeal im Allgemeinen und seinen Hintern im Speziellen unterhalten. Anfassen wollen sie den auch gerne mal.
Das alles zeigt "Casting" klug und nur ein bisschen böse. "Casting" ist eine Komödie, eine Farce als Kammerspiel. Mehr will es nicht sein, mehr muss es nicht sein. Ausgerechnet die Geschichte einer Filmproduktion lenkt einen am besten vom Weinstein-Wahnsinn ab. Während man sehr laut lacht, rutscht die Weinstein-Brille ein bisschen herunter. Nur ein bisschen. Dort kann sie noch eine Weile bleiben. Absetzen muss man sie noch nicht.
JULIA DETTKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was wir sehen, wenn wir durch die Harvey-Brille sehen: Einen New Yorker Gangsterfilm mit Robert Pattinson, eine selbstbestimmte Heldin, die mordet, und Schauspieler, die für eine Rolle vorsprechen
Seit sehr viele Frauen in Hollywood Harvey Weinstein sexuelle Belästigung, Nötigung und zum Teil Vergewaltigung vorwerfen, seit Berühmtheiten wie Gwyneth Paltrow und Angelina Jolie zu diesen Frauen gehören, seit das Stichwort #metoo auf Twitter und Facebook sehr viel benutzt wird, seit einen jeden Morgen eine Harvey-Schlagzeile über einem neuen prominenten Frauengesicht erwartet, seit man mit näheren und entfernteren Bekannten über Weinstein spricht, seitdem gibt es vor allem drei Arten von Reaktionen: die erfreut-optimistischen (Endlich wird darüber gesprochen), die genervt-gleichgültigen (Was kümmern mich die Luxusprobleme von ein paar Hollywood-Sternchen) und die besorgt-pessimistischen (Kann der Aufruhr überhaupt etwas verändern? Darf man nie wieder flirten? Was wird aus Hollywood, aus dem Kino, aus der Welt überhaupt?).
Die besorgten Reaktionen sind die interessantesten, weil sich hier sehr dumme mit sehr berechtigten Fragen mischen. Und die Frage nach dem Kino nach Weinstein ist ja berechtigt und sogar ziemlich interessant. Kann man jetzt keinen Film mehr sehen, ohne Harvey Weinstein zu sehen? Das wäre tatsächlich unangenehm. Oder zumindest kaum einen, ohne an ihn und die Vorwürfe gegen ihn und den Sexismus in der Filmbranche und den Sexismus in vielen Bereichen zu denken? Das wäre vielleicht gar nicht so schlimm. Es ist sogar gut, jetzt im Kino eine Zeitlang durch die Harvey-Brille zu blicken. Ein guter Film hält das aus. Und ein sehr guter kann einem wahrscheinlich noch viele neue Dinge zu all diesen Fragen sagen. Filme kennen sich ja, ein Glück, mit Macht, mit Sex, mit den Beziehungen zwischen Männern und Frauen oft sehr gut aus.
"Good Time" von Josh und Benny Safdie zum Beispiel: ein großartiger New Yorker Gangsterfilm. Näher an Scorsese (der auch ihren nächsten Film produzieren wird) als an Tarantino und dabei doch ganz neu und eigenständig. Die Hauptrolle spielt Robert Pattinson, die zweite Hauptrolle Benny Safdie selbst, in einer Nebenrolle ist Jennifer Jason Leigh zu sehen. Leigh hat noch gar nichts zu Weinstein gesagt, fällt einem da auf. Dabei war sie doch in "The Hateful Eight" zu sehen, der, wie alle Tarantino-Filme, von Weinstein produziert wurde. Kurz überlegt man, ob Rollen wie die, die Leigh oft spielt, die eine Frau sehr fertig aussehen lassen und im Laufe des Films noch fertiger machen, sie vielleicht vor Belästigung schützen. Dann merkt man, was das für ein bescheuerter Gedanke ist. Und denkt lieber an die ausnahmsweise mal sehr schöne Castinggeschichte von Robert Pattinson: keine Castingcouch, kein Hotelzimmer. Nur ein "Twilight"-Star, der kein "Twilight"-Star mehr sein will, der im Internet ein Filmstill sieht, das ihn begeistert (aus "Heaven Knows What", der von einer Heroinsüchtigen erzählt), und die Regisseure anruft, um ihnen zu sagen, dass er bei ihrem nächsten Film dabei sein will. Die Safdie-Brüder haben Robert Pattinson dann gleich die Hauptrolle in ihrem neuen Film gegeben. Dieser Film ist "Good Time".
Pattinson spielt darin den Kleinganoven Connie Nikas, der zusammen mit seinem geistig behinderten Bruder Nick (Benny Safdie) eine Bank überfällt. Nick wird verhaftet, Connie entkommt. Den Rest des Films lang wird Connie versuchen, den Bruder zu befreien, er wird ihn im Gefängnis suchen und im Krankenhaus, er wird Hilfe suchen in der Wohnung fremder Leute und Crystal Meth suchen in einer Geisterbahn auf Long Island. Der Film beginnt mit einem Banküberfall und steigert von da an sein Tempo. Wenn nach 22 Minuten erst der Vorspann eingeblendet wird, fühlt es sich einerseits so an, als habe der Film gerade erst angefangen, und andererseits so, als sei man schon lange mittendrin in der dichten, rauhen, direkten Welt der Brüder Nikas und der Brüder Safdie.
Es ist Josh und Benny Safdies dritter gemeinsamer Kinofilm, beide sind erst Anfang dreißig. Sie drehen immer im Stadtteil Queens, in dem sie aufgewachsen sind - Drehs, die bekannt sind für Chaos, für Improvisation, für die Arbeit mit Laiendarstellern und auch mal ohne Drehgenehmigung. So wollte auch Robert Pattinson arbeiten. Er wollte, dass sie ihn als Star unsichtbar machen, dass man ihn am besten gar nicht mehr erkennt. Dafür hat er ein paar Wochen in Queens in einem Keller mit zugeklebten Fenstern gelebt und sich von Dosenthunfisch ernährt. Hat sich gelohnt.
"Good Time" ist eine ungewöhnliche und ungewöhnlich großartige Mischung aus Empathie und Coolness. Das liegt zum Teil an Pattinson, der Connie eben doch mit dem Charme eines Stars spielt, aber auch mit der Rücksichtslosigkeit eines echten Gangsters. Vor allem liegt es an den beiden Regisseuren, die diese Rücksichtslosigkeit nicht glorifizieren. Denn "Good Time" interessiert sich auch für die Opfer. Da wären: eine weiße Frau (Jennifer Jason Leigh), ein schwarzer Wachmann (Barkhad Abdi), ein schwarzes Mädchen (Taliah Webster), eine schwarze ältere Frau (Gladys Mathon). Sie werden ausgenutzt für Geld oder ein Versteck oder Flucht, mit dem Versprechen auf Liebe. In Queens funktioniert es andersherum als in Hollywood: Dort müssen die Frauen den Männern körperliche Nähe gegen eine Karriere tauschen, hier müssen sie dem Mann bei seiner Karriere helfen, um körperliche Nähe zu bekommen. Es bleibt ein Machtspiel, bei dem die Regeln nicht von den Frauen gemacht werden.
Der Film sei auch "ein Destillat der Ära Trump", mit seinem Charme und seiner Arroganz sei Connie "ein Antiheld unserer Zeit", schrieb Richard Brody im "New Yorker". Und weil Connie und Nick bei dem Banküberfall außerdem Blackfacing-Masken tragen, so Brody, erzähle "Good Time" auch von Rassismus. Das stimmt. "White privilege and entitlement" (wieder Brody) gelten sogar in der Gangsterwelt: Schwarze kommen ins Gefängnis, Weiße kommen entweder davon oder in eine liebevolle Betreuungsanstalt. "Good Time" zeigt das mit einem kritischen, parodistischen, aber realistischen Blick. Der gilt auch für die beschwatzten, bestohlenen, bezirzten Rollen der Frauen. Die fallen allerdings weniger auf. Außer man hat die Weinstein-Brille auf. Durch die sieht man gerade jedenfalls ziemlich klar. Und man kann sich auch mit ihr im Kino noch hervorragend amüsieren - auch das beweist "Good Time", den man in ein paar Jahrzehnten wohl ein frühes Meisterwerk der Safdie-Brüder nennen wird.
* * *
Auch "Lady Macbeth", der Debütfilm von William Oldroyd, ist eine Art Gangsterfilm. Ein ziemlich ungewöhnlicher allerdings. Und er ist keine Shakespeare-Verfilmung, sondern die Adaption des Romans "Lady Macbeth aus dem Landkreis Mzensk" von Nikolai Leskow, dessen Handlung für den Film von Russland wieder nach England verlegt wurde. "Lady Macbeth" spielt jetzt im 19. Jahrhundert irgendwo im englischen Norden auf dem Land. Die sehr junge Katherine (Florence Pugh) wird dort verheiratet mit dem wesentlich älteren Farmbesitzer Alexander (Paul Hilton). Zwangsverheiratet, wie aus einer späteren Bemerkung von ihm deutlich wird: "Ich habe dich gekauft, zusammen mit einem Stück Land, auf dem nichts wächst."
Die Geschichte entspricht aber keinem einzigen Klischee, das einem zur Konstellation "bemitleidenswerte junge Frau, gemeiner älterer Mann" einfallen würde. Sie ist das Gegenteil davon. Denn Katherine ist nicht verschüchtert, sie hat keine Angst. Und Mitleid muss man mit ihr auch schon sehr bald nicht mehr haben. Von Anfang an sind ihre entschiedene, aufrechte Haltung, ihr schönes, entschlossenes Gesicht eine Sensation für den Zuschauer und ein Affront für die Welt, in der sie jetzt lebt. Trotzig und furchtlos wie ein rebellischer Teenager (sie ist wahrscheinlich sogar noch einer), dem die Konsequenzen seines Handelns egal sind. Oder: Egal sind ihr die Kollateralschäden, die durch das Handeln in Selbstbestimmtheit entstehen. Sie ist die Heldin des Films. Und sie ist eine Mörderin (nein, Mord ist hier kein Synonym für Notwehr).
Zu Katherines Selbstbestimmtheit gehört neben langen Spaziergängen im Freien, Mittagsschlaf und offenem Haar vor allem Sex. Und zwar bestimmt nicht mit ihrem Ehemann. Sie habe keine Scham, wirft ihr der Schwiegervater vor. Beim Zusehen bewundert man sie dafür, folgt ihr eine Weile noch dankbar, denn einige Szenen sind auch sehr komisch. Dann aber, und das hat natürlich mit den Morden und nicht mit dem Sex zu tun, kann man sie nicht mehr lieben. "Lady Macbeth" nimmt keinerlei Rücksicht auf solche Zuschauersympathien, dafür ist der Film zu klug.
Denn dieser "viktorianische Film noir", wie ihn der "Guardian" treffend nennt, ist auch eine Analyse von Macht- und Klassenverhältnissen. Und so wie man Katherine schließlich nicht mehr lieben kann, kann man ihren Mann nicht mehr hassen, wenn man erfährt, dass auch er ja sein Leben von seinem Vater vorgeschrieben bekommen hat. Alle Figuren sind hier Unterdrückte, und alle geben diese Unterdrückung selbst weiter: die zwangsverheiratete Frau an die Dienstboten, die weißen Dienstboten an das schwarze Hausmädchen, das Hausmädchen ihrerseits zurück an die Ehefrau, wenn sie ihr Korsett zu eng schnürt oder ihr die Haare mit schmerzhafter Gewalt kämmt. Als Katherine das erste Mal allein auf dem Hof ist, probiert sie die Worte, die ihr Mann eben noch an sie gerichtet hat, an den Knechten aus: "Face the wall! Stop smiling!" Es sind letztlich Überlebensstrategien, sagt dieser beeindruckende, furchtlose, vielleicht auch feministische Film, der nicht moralisiert und kein Urteil spricht. Er zeigt eine Heldin, die man nicht mögen kann, in Verhältnissen, die man nicht mögen kann. Den Film "Lady Macbeth" aber kann man lieben.
* * *
Und dann noch ein richtiger Castingfilm. "Casting" von Nicolas Wackerbarth heißt nicht nur so, er erzählt auch davon. Von Regisseurin Vera (Judith Engel), die fürs Fernsehen eine neue Version von Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" drehen soll. Vom Filmteam und den Kulissen, die schon bereitstehen (in einer Woche ist Drehbeginn), und einer Hauptdarstellerin, die noch nicht feststeht. Vera kann sich einfach nicht entscheiden, immer wieder bestellt sie die Frauen, die in Frage kommen, zu einem weiteren Casting ein (gespielt mit viel Selbstironie unter anderem von Ursina Lardi und Andrea Sawatzki). Der Einzige, der immer dableibt, ist Anspielpartner Gerwin (Andreas Lust), der sich von eigenen Karrierehoffnungen längst verabschiedet hat. Hatte.
"Casting" ist aus Gerwins Perspektive erzählt, aus der Perspektive von jemandem, der nicht ganz dazugehört, aber alles mitkriegt. Das ist eine gute Perspektive auf die absurden, die komischen und die unbarmherzigen Seiten der Filmbranche. Eine gute Entscheidung von Wackerbarth war es auch, die Dialoge während des Drehs improvisieren zu lassen. Die Schauspieler, die solche Situationen selbst schon hundertmal erlebt, solche Sätze schon hundertmal gehört oder gesagt haben, zeigen einem so einen vermutlich glaubwürdigen Castingslang aus angestrengter Nettigkeit und kaum verborgener Aggression. Eine Castingcouch, die diesen Namen verdiente, gibt es hier nicht. Sexismus schon. Gerwin erfährt ihn, der einzige Mann in dem weiblichen Team. Ob er "wirklich nur schwul" ist, wollen die Frauen wissen, bevor sie sich über seinen Sexappeal im Allgemeinen und seinen Hintern im Speziellen unterhalten. Anfassen wollen sie den auch gerne mal.
Das alles zeigt "Casting" klug und nur ein bisschen böse. "Casting" ist eine Komödie, eine Farce als Kammerspiel. Mehr will es nicht sein, mehr muss es nicht sein. Ausgerechnet die Geschichte einer Filmproduktion lenkt einen am besten vom Weinstein-Wahnsinn ab. Während man sehr laut lacht, rutscht die Weinstein-Brille ein bisschen herunter. Nur ein bisschen. Dort kann sie noch eine Weile bleiben. Absetzen muss man sie noch nicht.
JULIA DETTKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main