Produktdetails
- FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
- EAN: 5051889009153
- Artikelnr.: 48039284
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2021Vielleicht gibt es gar keine Blutdiamanten
Was taugt das Toleranzmilieu? "Le Prince" von Lisa Bierwirth gibt im Kino eine ernste Antwort
Bei einem Abendessen in einem bürgerlichen Haushalt in Frankfurt am Main sitzen fünf Menschen beisammen. Die ungerade Zahl deutet an, dass die Beziehungen in dieser kleinen Gesellschaft vielschichtig sind. Die Gastgeber sind seit Langem ein Paar: Ursula, eine Juristin, und ihr Mann Martin, er hat gekocht. Dazu Peter, der Leiter einer wichtigen Kunstinstitution in der Stadt, und Monika, sie arbeitet als freie Kuratorin für das Haus, mit dem sie sich eng verbunden fühlt. Peter und Monika waren einmal ein Paar, davon bleiben natürlich Gefühle, nun sind sie aber vor allem beruflich verbunden. Denn Peter ist im Begriff, einen Karrieresprung zu machen, und Monika steht nun plötzlich ohne Patronanz da. Sie würde das nie so sehen, aber es ist doch unabweislich. Der naheliegende Schritt wäre, sich für die Leitungsposition der Kunsthalle zu bewerben, die Peter verlassen wird. Ist es ein Vorteil, dass man Monikas Ausstellungen als "eigenwillig" qualifiziert?
Die fünfte Person am Tisch schweigt zumeist. Joseph ist mit Monika gekommen. Er stammt aus Kongo, in Frankfurt lebt er mit einem prekären Status, eigentlich darf er sich in Deutschland nicht frei bewegen. Er unterliegt der "räumlichen Einschränkung", einer der vielen Regelungen im Rahmen eines Asylverfahrens. Joseph ist der einzige Schwarze am Tisch. Es gehört zu den Konventionen aufgeklärter Menschen, dass das keine Rolle spielen sollte. So entsteht eine eigentümliche Spannung. Eine Weile scheint seine Anwesenheit gar nicht bemerkt zu werden, man spricht Deutsch, das er nicht versteht. Als die Konversation ins Englische wechselt, geht das mit der Frage einher: "What do you do?" Joseph verkauft Diamanten. "Blutdiamanten?" Joseph reagiert gereizt, weil die Anwesenden, Monika eingeschlossen, über die Verhältnisse in Kongo nicht viel wissen. Vielleicht gibt es gar keine Blutdiamanten, stellt Joseph in den Raum, vielleicht ist der Begriff nur eine Erfindung von "den Juden". Betretenes Schweigen. Monika versucht, Joseph eine Brücke zu bauen. Doch es bleibt offen, ob ihm gerade ein antisemitisches Stereotyp unterlaufen ist, oder ob er seine Gastgeber mit der anstößigen Bemerkung provozieren wollte.
In Lisa Bierwirths Film "Le Prince" beginnt die Beziehung zwischen Monika und Joseph mit einer beiläufigen urbanen Szene. Vor einem Lokal stehen ein paar Leute, jemand fragt nach einer Zigarette, und plötzlich ist Monika in einer Welt, von der sie davor wenig Notiz genommen hat. Die kongolesische Diaspora, eine Parallelgesellschaft, so lautet ein Begriff aus der politischen Debatte, der hier gerade in seiner Ambivalenz gut passt. Monika und Joseph begegnen einander in einem Hinterhof, er duckt sich in die Dunkelheit, damit die Polizei ihn nicht entdeckt, sie wird unvermutet Komplizin.
Damit beginnt eine Liebesgeschichte, die sich ihrer Voraussetzungen erst bewusst werden muss. Auch in der Liebe verlaufen die Leben parallel, aber sie bekommen eine Spannung, die einen gemeinsamen Fluchtpunkt erhoffen lässt. Das wäre dann das Glück, oder wenigstens Zusammenwohnen. Oder ein neues Leben in Angola, wie es Joseph an einer Stelle vorschlägt. In Angola machen viele Leute aus der Volksrepublik Kongo Geschäfte. Von dort kommen viele Container nach Deutschland, oder auch nicht. Ob sie ankommen, davon hängt ab, ob Joseph seine Schulden bezahlen kann, die er anscheinend bei einem Casino hat. Seine Geschäfte sind nicht von der Art, dass er Monika sehr viel davon erzählen möchte. Sie wird aber doch damit konfrontiert, denn eines Tages taucht einer seiner Freunde bei ihr auf, und fragt sie nach Geld.
Für Lisa Bierwirth, die an der Berliner DFFB studiert und als Regieassistentin von Valeska Grisebach bei "Western" Erfahrungen gesammelt hat, ist "Le Prince" der erste lange Spielfilm. Er überzeugt durch große erzählerische Klugheit und bemerkenswerte Darsteller. Im Zentrum steht Ursula Strauss, eine gebürtige Österreicherin. Sie macht aus Monika eine paradigmatisch moderne Frau, für die Distanz - auch zu sich selbst - zur zweiten Natur geworden ist. Dass sie plötzlich in der Kunstwelt netzwerken und sich verbiegen muss, das spielt Strauss mit allen Facetten zwischen Arroganz, Unbehagen und verborgenem Schmerz, immer mit minimalen Regungen. Ein dramatischer Ausbruch würde zu dieser Figur nicht passen.
Joseph (gespielt von dem französischen Rapper Passi Balende) bleibt die uneinholbare Figur, angeblich ein "Prinz" in der Welt seiner Herkunft, nacktes Leben in der Welt, in der er sich zu bewegen versucht. Er möchte zwar Papiere, die ihm zu einem legalen Aufenthalt verhelfen würden, aber er würde seine Geschäfte weiterhin gern in einer Schattenwirtschaft betreiben und legitimiert sich mit einem Zitat, das er Mobutu Sese Seko zuschreibt, dem langjährigen Diktator von Zaire, der das Land ausplünderte und es schließlich sich selbst überließ: "débrouillez-vous", in etwa: "seht zu, wo ihr bleibt." Man könnte diese Geschichte auch aus Josephs Perspektive erzählen; in Ansätzen hat York-Fabian Raabe so etwas mit "Borga" probiert (F.A.Z. vom 28. Januar), der demnächst ins Kino kommt. Plausibler aber sind die Perspektivierung durch eine Figur wie Monika und das Kunstfeld als Kontext für eine persönliche Erfahrung mit dem Anderen.
Postkolonialität ist dort schon seit einiger Zeit eine zentrale Kategorie. Lisa Bierwirth erzählt von Monika nun eine Geschichte, die man als gelebte Postkolonialität bezeichnen könnte. Der Film hat ein systemisches Interesse, packt aber alle Überlegungen in präzise gesetzte Details. In einer Szene sitzt Monika mit einem Künstler namens Douglas zusammen und plant eine nächste Ausstellung. Es handelt sich dabei um Douglas Gordon, einen Schotten, der vor allem mit Videoarbeiten berühmt geworden ist, ein echter Star, der "Le Prince" mit einem Cameo beehrt. Er tritt hier mit einem Gestus auf, den man wohl am ehesten als Punk bezeichnen könnte. Und ein Moment von Punk ist dann auch die großartige (hier nicht zu verratende) Pointe, mit der Lisa Bierwirth die Ökonomien der Liebe und der Arbeit in "Le Prince" in ein unweigerlich offenes Ende übergehen lässt. Ihrem Film ist ein großes Publikum zu wünschen. BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was taugt das Toleranzmilieu? "Le Prince" von Lisa Bierwirth gibt im Kino eine ernste Antwort
Bei einem Abendessen in einem bürgerlichen Haushalt in Frankfurt am Main sitzen fünf Menschen beisammen. Die ungerade Zahl deutet an, dass die Beziehungen in dieser kleinen Gesellschaft vielschichtig sind. Die Gastgeber sind seit Langem ein Paar: Ursula, eine Juristin, und ihr Mann Martin, er hat gekocht. Dazu Peter, der Leiter einer wichtigen Kunstinstitution in der Stadt, und Monika, sie arbeitet als freie Kuratorin für das Haus, mit dem sie sich eng verbunden fühlt. Peter und Monika waren einmal ein Paar, davon bleiben natürlich Gefühle, nun sind sie aber vor allem beruflich verbunden. Denn Peter ist im Begriff, einen Karrieresprung zu machen, und Monika steht nun plötzlich ohne Patronanz da. Sie würde das nie so sehen, aber es ist doch unabweislich. Der naheliegende Schritt wäre, sich für die Leitungsposition der Kunsthalle zu bewerben, die Peter verlassen wird. Ist es ein Vorteil, dass man Monikas Ausstellungen als "eigenwillig" qualifiziert?
Die fünfte Person am Tisch schweigt zumeist. Joseph ist mit Monika gekommen. Er stammt aus Kongo, in Frankfurt lebt er mit einem prekären Status, eigentlich darf er sich in Deutschland nicht frei bewegen. Er unterliegt der "räumlichen Einschränkung", einer der vielen Regelungen im Rahmen eines Asylverfahrens. Joseph ist der einzige Schwarze am Tisch. Es gehört zu den Konventionen aufgeklärter Menschen, dass das keine Rolle spielen sollte. So entsteht eine eigentümliche Spannung. Eine Weile scheint seine Anwesenheit gar nicht bemerkt zu werden, man spricht Deutsch, das er nicht versteht. Als die Konversation ins Englische wechselt, geht das mit der Frage einher: "What do you do?" Joseph verkauft Diamanten. "Blutdiamanten?" Joseph reagiert gereizt, weil die Anwesenden, Monika eingeschlossen, über die Verhältnisse in Kongo nicht viel wissen. Vielleicht gibt es gar keine Blutdiamanten, stellt Joseph in den Raum, vielleicht ist der Begriff nur eine Erfindung von "den Juden". Betretenes Schweigen. Monika versucht, Joseph eine Brücke zu bauen. Doch es bleibt offen, ob ihm gerade ein antisemitisches Stereotyp unterlaufen ist, oder ob er seine Gastgeber mit der anstößigen Bemerkung provozieren wollte.
In Lisa Bierwirths Film "Le Prince" beginnt die Beziehung zwischen Monika und Joseph mit einer beiläufigen urbanen Szene. Vor einem Lokal stehen ein paar Leute, jemand fragt nach einer Zigarette, und plötzlich ist Monika in einer Welt, von der sie davor wenig Notiz genommen hat. Die kongolesische Diaspora, eine Parallelgesellschaft, so lautet ein Begriff aus der politischen Debatte, der hier gerade in seiner Ambivalenz gut passt. Monika und Joseph begegnen einander in einem Hinterhof, er duckt sich in die Dunkelheit, damit die Polizei ihn nicht entdeckt, sie wird unvermutet Komplizin.
Damit beginnt eine Liebesgeschichte, die sich ihrer Voraussetzungen erst bewusst werden muss. Auch in der Liebe verlaufen die Leben parallel, aber sie bekommen eine Spannung, die einen gemeinsamen Fluchtpunkt erhoffen lässt. Das wäre dann das Glück, oder wenigstens Zusammenwohnen. Oder ein neues Leben in Angola, wie es Joseph an einer Stelle vorschlägt. In Angola machen viele Leute aus der Volksrepublik Kongo Geschäfte. Von dort kommen viele Container nach Deutschland, oder auch nicht. Ob sie ankommen, davon hängt ab, ob Joseph seine Schulden bezahlen kann, die er anscheinend bei einem Casino hat. Seine Geschäfte sind nicht von der Art, dass er Monika sehr viel davon erzählen möchte. Sie wird aber doch damit konfrontiert, denn eines Tages taucht einer seiner Freunde bei ihr auf, und fragt sie nach Geld.
Für Lisa Bierwirth, die an der Berliner DFFB studiert und als Regieassistentin von Valeska Grisebach bei "Western" Erfahrungen gesammelt hat, ist "Le Prince" der erste lange Spielfilm. Er überzeugt durch große erzählerische Klugheit und bemerkenswerte Darsteller. Im Zentrum steht Ursula Strauss, eine gebürtige Österreicherin. Sie macht aus Monika eine paradigmatisch moderne Frau, für die Distanz - auch zu sich selbst - zur zweiten Natur geworden ist. Dass sie plötzlich in der Kunstwelt netzwerken und sich verbiegen muss, das spielt Strauss mit allen Facetten zwischen Arroganz, Unbehagen und verborgenem Schmerz, immer mit minimalen Regungen. Ein dramatischer Ausbruch würde zu dieser Figur nicht passen.
Joseph (gespielt von dem französischen Rapper Passi Balende) bleibt die uneinholbare Figur, angeblich ein "Prinz" in der Welt seiner Herkunft, nacktes Leben in der Welt, in der er sich zu bewegen versucht. Er möchte zwar Papiere, die ihm zu einem legalen Aufenthalt verhelfen würden, aber er würde seine Geschäfte weiterhin gern in einer Schattenwirtschaft betreiben und legitimiert sich mit einem Zitat, das er Mobutu Sese Seko zuschreibt, dem langjährigen Diktator von Zaire, der das Land ausplünderte und es schließlich sich selbst überließ: "débrouillez-vous", in etwa: "seht zu, wo ihr bleibt." Man könnte diese Geschichte auch aus Josephs Perspektive erzählen; in Ansätzen hat York-Fabian Raabe so etwas mit "Borga" probiert (F.A.Z. vom 28. Januar), der demnächst ins Kino kommt. Plausibler aber sind die Perspektivierung durch eine Figur wie Monika und das Kunstfeld als Kontext für eine persönliche Erfahrung mit dem Anderen.
Postkolonialität ist dort schon seit einiger Zeit eine zentrale Kategorie. Lisa Bierwirth erzählt von Monika nun eine Geschichte, die man als gelebte Postkolonialität bezeichnen könnte. Der Film hat ein systemisches Interesse, packt aber alle Überlegungen in präzise gesetzte Details. In einer Szene sitzt Monika mit einem Künstler namens Douglas zusammen und plant eine nächste Ausstellung. Es handelt sich dabei um Douglas Gordon, einen Schotten, der vor allem mit Videoarbeiten berühmt geworden ist, ein echter Star, der "Le Prince" mit einem Cameo beehrt. Er tritt hier mit einem Gestus auf, den man wohl am ehesten als Punk bezeichnen könnte. Und ein Moment von Punk ist dann auch die großartige (hier nicht zu verratende) Pointe, mit der Lisa Bierwirth die Ökonomien der Liebe und der Arbeit in "Le Prince" in ein unweigerlich offenes Ende übergehen lässt. Ihrem Film ist ein großes Publikum zu wünschen. BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main