Dokumentation der 100. TOUR DE FRANCE (2003) aus der Sicht des deutschen Rennteams. Die Hauptakteure Zabel und Aldag, aber auch andere Teamfahrer kommen zu Wort, äußern sich über die Leiden und Strapazen, aber auch über ihre Siegeshoffnungen und Motivationsantriebe. Die spektakulärsten Strecken, Abfahrten und Finishs werden aus Kamera-Perspektiven gezeigt, die im Fernsehen nicht zu sehen waren.
Bonusmaterial
- Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Französische Stellen deutsch untertitelt - Audio-Kommentar des Regisseurs - Deleted ScenesFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2004Wer radelt, adelt
Sportsgeist: Pepe Danquart dokumentiert die "HöllenTour"
"Als Rennfahrer darfste auch nicht zuviel nachdenken", sagt Erik Zabel. Und sein Fahrensmann Rolf Aldag gibt zu, daß es nicht wirklich schlau ist, auf einundzwanzig Millimeter breiten Reifen und einer klassischen Seilzugbremse mit fünfundneunzig Sachen einen Paß hinunterzurasen. Als Filmemacher sollte man hingegen schon nachdenken, wenn man sich einem medial in allen Facetten aufbereiteten Thema wie der Tour de France nähert. Fernsehbilder bieten heute jede erdenkliche Perspektive, Superzeitlupen mit Oberschenkelnahaufnahmen, die Übertragung von Puls und Wattleistung der Fahrer werden demnächst Standard sein. Aber all diese Bilder zeigen doch immer nur einen Bruchteil dessen, was das berühmteste Radrennen der Welt wirklich ausmacht.
Die wahren Helden der "HöllenTour" heißen Erik Zabel, Rolf Aldag, Andreas Klöden, Alexander Winokurow und Steve Zampieri. Sie fahren - wir sind im Jahr 2003, Jan Ullrich ist in dieser Saison beim Team Bianchi - für das Team Telekom (das sich nun in Team T-Mobile umbenannt hat). Mario Kummer sitzt als Sportdirektor im Begleitwagen, der hochkonzentrierte Dirigent der dreiwöchigen Tortur. Dann ist da noch Dieter "Eule" Ruthenberg, Mädchen für alles, Masseur, Mutter in Personalunion - ein großer Liebender, der hinter seinen dicken Brillengläsern verschanzt sowenig wie unbedingt nötig sagt. Für sie alle ist die Tour nicht nur die Krönung des Radsportjahres, sie ist das Lebensziel.
Leben heißt in diesem Fall leiden. Und leiden heißt, diesen Sport so zu lieben, daß man für ihn alles gibt: die Hitzeschlachten im Midi ebenso wie die mörderischen Bergetappen in den Westalpen. Jeder Punkt auf dem Trikot für den besten Bergfahrer, sagt Aldag, nachdem er es sich erkämpft hat, hat mich ein Jahr meines Lebens gekostet. Eine Etappe bei der Tour gewinnen, und man ist ganz oben, ein Toursieg, und die Unsterblichkeit ist greifbar. Mehr als fünf Toursiege hat noch niemand geschafft. Lance Armstrong könnte Ende Juli der erste sein.
Pepe Danquart (Buch und Regie), oscarprämiert und filmgeschichtlich mit allen Wassern gewaschen, hat einen Dokumentarfilm gedreht, der die Genregrenzen wieder ein Stück erweitert. Ein Sportfilm, der als so klassisch gelten darf wie sein Gegenstand. Dokumentarisch heißt bei Danquart: komplettes Vertrauen ins Bild - keine Erzählerstimme aus dem Off, keine schriftlichen Einblendungen, nur Untertitel für übersetzte Zitate. Der Regisseur läßt weg, was man nicht in Bilder übersetzen kann - die Technik der Rennmaschinen, die Renntaktik, die Hierarchien unter den Fahrern, die Dopingfrage. Garnierung bietet allenfalls die Filmmusik, für die Till Brönner sich großzügig bei Miles Davis und Ry Cooder bedient hat.
Danquart zeigt nicht nur die ausgemergelten, geschundenen, geflickten Körper. Er zeigt auch die Angst vor dem Versagen, die Selbstzweifel. Die drei Kamerateams (Michael Hammon, Wolfgang Thaler, Filip Zumbrunn) dringen dorthin vor, wo der Fernsehzuschauer nicht hindarf, zu den Fahrern im Mannschaftsbus, ins Hotelbett, zum Aufwärmtraining. Man sieht die Herren beim Essen, beim Pinkeln, beim Rasieren der Beine. Man gewinnt einen Eindruck von der Materialschlacht, die eine solche Mammutveranstaltung bedeutet, erlebt die Zuschauer entlang der Strecke, die Aufbauhelfer, Gendarmen, Mechaniker, Journalisten, Kommentatoren.
Auf der dreiwöchigen Fahrt durch die Bühnenlandschaft Frankreichs entstehen Bilder von surrealer Schönheit. Nach einem furiosen Auftakt, der Oliver-Stone-Qualitäten hat - das Wahnsystem der Tour läßt grüßen -, findet der zweistündige Film seinen Rhythmus, indem er tags den Etappen folgt und nachts an den Rändern des Geschehens stöbert. Während das Hauptfeld wie ein Schwarm durch die van-Goghschen Sonnenblumenfelder surrt, schneidet Danquart historische Aufnahmen aus der hundertjährigen Geschichte dazwischen, preist der Tour-Historiker Serge Laget in einem Schnellsprech- und Begeisterungstaumel die Brutalitäten und Geheimnisse des Rennens. Die Tour, sagt er, adle den Zuschauer, weil die besten Fahrer der Welt "zum Mann aus der U-Bahn" kämen. Dann senkt sich ein Hubschrauber vor der Bergkulisse herab, man sieht die Zuschauer mit dem Rücken zur Kamera auf Klappstühlen, und dann wischt mit einem anschwellenden Kettensirren der Peloton als gezackter Schemen vorbei. Ein Wimpernschlag.
Zabel und Aldag, seit elf Jahren eine eheähnliche Kampfgemeinschaft, haben als Sprinter und Helfer auch 2003 mit dem Ausgang der Tour nichts zu tun, aber Alexander Winokurow steht in Paris als Dritter auf dem Podest. Wie groß diese Sportler im Vergleich zu den allseits angebeteten Fußballspielern sind, offenbart sich nicht nur in ihrer Härte gegen sich selbst, sondern auch in ihrem Mangel an Eitelkeit: Die meisten versehen ihr Tagwerk unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Was Sportsgeist bedeutet, kann man ermessen, wenn einer wie Zabel seinem langjährigen Teamkollegen Ullrich eine "Gottesgabe" attestiert, die nur Lance Armstrong und "zwei, drei andere" hätten. "Wenn es bei uns aufhört", sagt er mit Seitenblick auf Aldag, "dann fängt's bei Ulle erst an."
Ullrich kommt dann auch noch ins Bild, je mehr sich die Tour zum Zweikampf mit Armstrong auswächst. Den fatalen Sturz beim abschließenden Zeitfahren zeigt Danquart aus Sicht der Journalisten im Pressezentrum; da ist das Rennen schon wieder gefiltert durch die Fernsehbilder. Am Ende stehen Zabel und Aldag auf den Champs-Elysées, das Rennen ist gelaufen. Sie schauen unter einem bonbonblauen Wölkchenhimmel auf den Triumphbogen. Wie hatte "Eule" am Anfang gesagt: "Nur die Besten kommen durch, das kann man ganz klar sagen."
HANNES HINTERMEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sportsgeist: Pepe Danquart dokumentiert die "HöllenTour"
"Als Rennfahrer darfste auch nicht zuviel nachdenken", sagt Erik Zabel. Und sein Fahrensmann Rolf Aldag gibt zu, daß es nicht wirklich schlau ist, auf einundzwanzig Millimeter breiten Reifen und einer klassischen Seilzugbremse mit fünfundneunzig Sachen einen Paß hinunterzurasen. Als Filmemacher sollte man hingegen schon nachdenken, wenn man sich einem medial in allen Facetten aufbereiteten Thema wie der Tour de France nähert. Fernsehbilder bieten heute jede erdenkliche Perspektive, Superzeitlupen mit Oberschenkelnahaufnahmen, die Übertragung von Puls und Wattleistung der Fahrer werden demnächst Standard sein. Aber all diese Bilder zeigen doch immer nur einen Bruchteil dessen, was das berühmteste Radrennen der Welt wirklich ausmacht.
Die wahren Helden der "HöllenTour" heißen Erik Zabel, Rolf Aldag, Andreas Klöden, Alexander Winokurow und Steve Zampieri. Sie fahren - wir sind im Jahr 2003, Jan Ullrich ist in dieser Saison beim Team Bianchi - für das Team Telekom (das sich nun in Team T-Mobile umbenannt hat). Mario Kummer sitzt als Sportdirektor im Begleitwagen, der hochkonzentrierte Dirigent der dreiwöchigen Tortur. Dann ist da noch Dieter "Eule" Ruthenberg, Mädchen für alles, Masseur, Mutter in Personalunion - ein großer Liebender, der hinter seinen dicken Brillengläsern verschanzt sowenig wie unbedingt nötig sagt. Für sie alle ist die Tour nicht nur die Krönung des Radsportjahres, sie ist das Lebensziel.
Leben heißt in diesem Fall leiden. Und leiden heißt, diesen Sport so zu lieben, daß man für ihn alles gibt: die Hitzeschlachten im Midi ebenso wie die mörderischen Bergetappen in den Westalpen. Jeder Punkt auf dem Trikot für den besten Bergfahrer, sagt Aldag, nachdem er es sich erkämpft hat, hat mich ein Jahr meines Lebens gekostet. Eine Etappe bei der Tour gewinnen, und man ist ganz oben, ein Toursieg, und die Unsterblichkeit ist greifbar. Mehr als fünf Toursiege hat noch niemand geschafft. Lance Armstrong könnte Ende Juli der erste sein.
Pepe Danquart (Buch und Regie), oscarprämiert und filmgeschichtlich mit allen Wassern gewaschen, hat einen Dokumentarfilm gedreht, der die Genregrenzen wieder ein Stück erweitert. Ein Sportfilm, der als so klassisch gelten darf wie sein Gegenstand. Dokumentarisch heißt bei Danquart: komplettes Vertrauen ins Bild - keine Erzählerstimme aus dem Off, keine schriftlichen Einblendungen, nur Untertitel für übersetzte Zitate. Der Regisseur läßt weg, was man nicht in Bilder übersetzen kann - die Technik der Rennmaschinen, die Renntaktik, die Hierarchien unter den Fahrern, die Dopingfrage. Garnierung bietet allenfalls die Filmmusik, für die Till Brönner sich großzügig bei Miles Davis und Ry Cooder bedient hat.
Danquart zeigt nicht nur die ausgemergelten, geschundenen, geflickten Körper. Er zeigt auch die Angst vor dem Versagen, die Selbstzweifel. Die drei Kamerateams (Michael Hammon, Wolfgang Thaler, Filip Zumbrunn) dringen dorthin vor, wo der Fernsehzuschauer nicht hindarf, zu den Fahrern im Mannschaftsbus, ins Hotelbett, zum Aufwärmtraining. Man sieht die Herren beim Essen, beim Pinkeln, beim Rasieren der Beine. Man gewinnt einen Eindruck von der Materialschlacht, die eine solche Mammutveranstaltung bedeutet, erlebt die Zuschauer entlang der Strecke, die Aufbauhelfer, Gendarmen, Mechaniker, Journalisten, Kommentatoren.
Auf der dreiwöchigen Fahrt durch die Bühnenlandschaft Frankreichs entstehen Bilder von surrealer Schönheit. Nach einem furiosen Auftakt, der Oliver-Stone-Qualitäten hat - das Wahnsystem der Tour läßt grüßen -, findet der zweistündige Film seinen Rhythmus, indem er tags den Etappen folgt und nachts an den Rändern des Geschehens stöbert. Während das Hauptfeld wie ein Schwarm durch die van-Goghschen Sonnenblumenfelder surrt, schneidet Danquart historische Aufnahmen aus der hundertjährigen Geschichte dazwischen, preist der Tour-Historiker Serge Laget in einem Schnellsprech- und Begeisterungstaumel die Brutalitäten und Geheimnisse des Rennens. Die Tour, sagt er, adle den Zuschauer, weil die besten Fahrer der Welt "zum Mann aus der U-Bahn" kämen. Dann senkt sich ein Hubschrauber vor der Bergkulisse herab, man sieht die Zuschauer mit dem Rücken zur Kamera auf Klappstühlen, und dann wischt mit einem anschwellenden Kettensirren der Peloton als gezackter Schemen vorbei. Ein Wimpernschlag.
Zabel und Aldag, seit elf Jahren eine eheähnliche Kampfgemeinschaft, haben als Sprinter und Helfer auch 2003 mit dem Ausgang der Tour nichts zu tun, aber Alexander Winokurow steht in Paris als Dritter auf dem Podest. Wie groß diese Sportler im Vergleich zu den allseits angebeteten Fußballspielern sind, offenbart sich nicht nur in ihrer Härte gegen sich selbst, sondern auch in ihrem Mangel an Eitelkeit: Die meisten versehen ihr Tagwerk unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Was Sportsgeist bedeutet, kann man ermessen, wenn einer wie Zabel seinem langjährigen Teamkollegen Ullrich eine "Gottesgabe" attestiert, die nur Lance Armstrong und "zwei, drei andere" hätten. "Wenn es bei uns aufhört", sagt er mit Seitenblick auf Aldag, "dann fängt's bei Ulle erst an."
Ullrich kommt dann auch noch ins Bild, je mehr sich die Tour zum Zweikampf mit Armstrong auswächst. Den fatalen Sturz beim abschließenden Zeitfahren zeigt Danquart aus Sicht der Journalisten im Pressezentrum; da ist das Rennen schon wieder gefiltert durch die Fernsehbilder. Am Ende stehen Zabel und Aldag auf den Champs-Elysées, das Rennen ist gelaufen. Sie schauen unter einem bonbonblauen Wölkchenhimmel auf den Triumphbogen. Wie hatte "Eule" am Anfang gesagt: "Nur die Besten kommen durch, das kann man ganz klar sagen."
HANNES HINTERMEIER
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