New York, kurz vor dem großen Finanz-Crash. Abend für Abend strömen die Männer der Wall Street in den angesagtesten Stripclub der Stadt. Ramona (Jennifer Lopez) ist der Star des Clubs, keine kann ihr in diesem Job das Wasser reichen, sie kennt jede Pose, jeden Trick, jeden Kniff - und sie weiß, wie sie den reichen Gästen auch noch den letzten Dollar aus der Tasche zieht. Als die unerfahrene Destiny (Constance Wu) neu ins eingeschworene Team kommt, nimmt Ramona sie unter ihre Fittiche: Und gemeinsam starten sie richtig durch. Sie nehmen mehr Geld ein, als sie sich jemals hätten träumen lassen. Dann kommt der große Crash von 2008 und lässt von einem Tag auf den anderen alles zusammenstürzen. Der Club bleibt leer. Doch Ramona und Destiny sind nicht bereit, die von gierigen Bankern ausgelöste Krise auszubaden. In einer Welt, in der die einen das Geld haben und die anderen dafür tanzen, wollen die beiden nun selbst die Regeln vorgeben. Mit einem gewagten Plan und einer erweiterten Crew rund um Mercedes (Keke Palmer) und Annabelle (Lili Reinhart) beginnen sie ihre ehemaligen Kunden nun so richtig auszunehmen. Bis das Ganze außer Kontrolle gerät...
Bonusmaterial
Featurette Audikommentar der RegisseurinFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2019Die Strafe der Freiheit
Jennifer Lopez führt den Aufstand der Stripperinnen gegen die Wall Street an, Willem Dafoe und Robert Pattinson liefern sich ein düsteres Psychoduell, und ein Junge aus Schwarzafrika wird im Wien des 18. Jahrhunderts zum "Hofmohr"
Im späten 19. Jahrhundert musste man schon ein Weilchen suchen, wenn man einen Ort finden wollte, an dem die Zivilisation noch nicht so richtig angekommen war. Der Holzfäller Ephraim Winslow hat in den kanadischen Wäldern erlebt, was es heißt, an den Grenzen der bekannten Welt zu arbeiten. Er müsste also ganz gut vorbereitet sein auf die Stelle, die er danach antritt: vier Wochen Dienst in einem Leuchtturm, der Seefahrer vor einer Klippe im Atlantischen Ozean warnen soll. Vier Wochen, um eine Tätigkeit zu erlernen, die nicht allzu schwer erscheint. Es gibt jedoch einen Haken. Ephraim hat einen Vorgesetzten, den alten Tom Wake, der eifersüchtig darüber wacht, dass nur er selbst hinaufdarf zu dem Scheinwerfer. Für Ephraim bleiben die niederen Dienste. Er muss die Nachttöpfe ausleeren und dabei darauf achten, dass der Wind ihm die Ausscheidungen nicht sofort zurückschleudert. Er muss einen Männerhaushalt unter Bedingungen führen, die mit dem Wort unwirtlich noch vorsichtig beschrieben wären.
Für den Regisseur Robert Eggers ist dieser Außenposten auch so etwas wie ein Labor. Er kann hier ganz prächtig einen Zauberlehrling des Kinos machen. Sein Film "Der Leuchtturm" ist ein wildes Stilgemisch, ein steifer Grog aus Schauerromantik und durchgeknallter Archaik, gefilmt in einem fast quadratischen Schwarzweißbild, als wäre die Idee direkt aus einem der Holzapparate der Brüder Lumière gestohlen. Die erfanden zu dem Zeitpunkt, zu dem wir uns die beiden Landseebären bei ihrem einsamen Dienst denken müssen, gerade die bewegten Bilder. Und Eggers mischt die Attraktionen des frühen Kinos sehr geschickt mit einer literarischen Moderne, die am liebsten direkt bei den alten Propheten mit- und abgeschrieben hätte. Bei Männern, bei denen man auch nicht so genau hätte sagen können, ob aus ihnen ein Gott sprach, oder ein wilder Wahn.
Herman Melville ist in dem Bunde von Ephraim und Thomas offensichtlich der Dritte, und das gleißende Licht im Oberstübchen des Leuchtturms ist so etwas wie der weiße Wal in der Geschichte. Also das Motiv für eine Suche, die unweigerlich in die Abgründe der eigenen Innerlichkeit führt. Eggers kommt zu dieser kulturhistorisch höchst resonanten Konstellation gleichsam von der anderen Seite, weil er sich schon in seinem Langfilmdebüt "The Witch" (genauer: "The VVitch: A New-England Folktale") durch die Schichtungen des Zivilisationsprozesses gearbeitet hatte: eine Hexengeschichte aus der Zeit der frühen europäischen Kolonisierung Nordamerikas, die sich von puritanischen Primärtexten inspirieren ließ.
Ephraim und Thomas stecken noch tief in dieser voraufgeklärten Welt, sind aber auch unübersehbar Kunstfiguren. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie von zwei Stars gespielt werden, die ihre Persona mit in den Leuchtturm bringen: Willem Dafoe, mit seiner sturmgegerbten Stimme und seinem stets frevlerisch wirkenden Grinsen, und Robert Pattinson, nicht mehr ganz Jungstar, aber immer noch formbar. Eggers inszeniert mit den beiden ein stickiges Kammerspiel, aus dem vor allem Ephraim nach Auswegen sucht. Er findet sie im Ruf einer Sirene, aber auch in der Bedrohung durch Vögel, die mit ihren spitzen Schnäbeln tief in die Eingeweide hacken. Die Atmosphäre, auf die es Eggers ankommt, schillert zwischen homosozialem Schnapsrausch und den verzweifelten Sublimierungen eines jungen Mannes, der als einziges (notgedrungen auch irgendwie erotisches) Gegenüber einen alten Schrat hat, den man leicht mit dem Teufel persönlich verwechseln könnte.
Es gibt nur ein geisterabwehrendes Mittel, das da noch helfen mag: Lachen. "Der Leuchtturm" übertreibt es mit der heftig vergorenen Mythologie am Ende wohl doch zu stark, um das Publikum nicht auf eine ironische Distanz zu verweisen. Und es damit in die Zivilisation zurückzuschicken, zu der Eggers hier mit großem Geknarze auf Abstand geht.
Nicht nur im Vergleich zu den zwei nautischen Orientierungshelfern aus "Der Leuchtturm" sind die Herren des Kapitals an der New Yorker Wall Street natürlich Prototypen der Moderne. Aber auch sie haben ihre merkwürdigen Rituale. Was hat es etwa mit dem Brauch auf sich, nach Feierabend im Rudel in schummrige Bars einzufallen, in denen Frauen sich um Stangen räkeln und von ihrer sowieso schon spärlichen Bekleidung dann auch noch so viel ablegen, dass gerade einmal ein String auf der Haut bleibt, in den man Dollarscheine schieben kann? Die Stripperin gehört zum Klischee des Brokers wie die Kreditkarte, mit der die Kokslinien gezogen werden. Mit Sex haben diese Etablissements wohl weniger zu tun als mit der Macht, die das Geld ja irgendwo zeigen muss. Lorene Scafarias Film "Hustlers" zieht aus dem Machtgefälle, das in Striplokalen inszeniert und institutionalisiert wird, eine längst fällige Konsequenz. Sie dreht es um. Denn auch die Könige der Welt haben ihren Schwachpunkt. Sie trinken zu viel und sind auch anderen Betäubungsmitteln nicht abgeneigt. Da müsste man bloß mal ein wenig nachhelfen, und schon hat man es mit einem willenlosen Typen zu tun, den eine geschickte Frau so richtig ausnehmen kann. Läuft ja eh alles auf Spesen, trifft also niemanden persönlich, sondern verläuft sich als Verrechnungsposten in den Bilanzen der Banken.
Für das Geschäftsmodell, auf das sich ein paar Stripperinnen verlegen, die dadurch zu "Hustlers" werden, gibt es im Deutschen einen schönen umgangssprachlichen Begriff: jemanden "eintauchen" heißt jemanden übervorteilen. Die Grenzen zum Betrug sind fließend. Bei der Frauengruppe rund um Ramona Vega (Jennifer Lopez) wird der Betrug relativ schnell gewerbsmäßig. 5000 Dollar "Umsatz" pro Opfer sind keine Seltenheit, und Frauen wie die Erzählerin Destiny (Constance Wu, bekannt aus "Crazy Rich Asians") können damit nicht nur ihren Verpflichtungen (eine Mutter muss versorgt werden, ein Kind soll es besser haben) nachkommen, sondern auch selbst ein wenig an der Konsumkultur teilhaben.
"Hustlers" setzt ganz offensichtlich auf die starke Bewegung einer Ermächtigung von Frauen, die in Hollywood gegenwärtig zu verzeichnen ist. Mehr noch: Der Film hat alle Facetten einer großen Allegorie, einer Umkehrung der sexuellen Ausbeutungsverhältnisse, denn was könnte sinnvoller sein, als die Männer zahlen zu lassen, ohne dass sie dafür etwas bekämen außer einem Brummschädel? Allerdings hätte es der guten Sache wohl nicht geschadet, wenn die "Hustlers" als Figuren ein wenig plausibler geworden wären. Lorene Scafaria aber setzt ganz auf den Appeal ihrer Stars und mischt alles mit einem eingängigen Soundtrack.
Die Kurzformel einer frühneuzeitlichen Migrationsgeschichte lautet so: Ein christlich getaufter Mann namens Angelo, der seinen ursprünglichen Namen nicht weiß, ist ein "Sohn Afrikas", aber ein "Mann Europas". Ein Mensch, der eigentlich noch eher den Affen verwandt schien, spielt nun die Flöte und fungiert als "neuer Glanz" im Haus einer europäischen Fürstenfamilie. Fünf Darsteller gibt es in Markus Schleinzers Film für diesen Angelo, der zu Beginn mit sieben anderen Kindern Afrikas für den europäischen Markt aufbereitet wird: Er wird gründlich gesäubert und bekommt einen weißen Kittel angelegt. Dann wird er zu seiner neuen Familie gebracht. Eine Komtesse nimmt ihn in Empfang, sie ist beseelt von der Idee, diesen Engel vor dem (Rück-)Fall in die Verfallenheit an den Teufel zu bewahren.
Die Erzählerposition von Schleinzer ist vergleichbar der von Robert Musil, der in seinem Großroman "Der Mann ohne Eigenschaften" die historische Figur Angelo Soliman literarisch umgestaltet hat. Bei Musil ist Soliman dem Industriellen Arnheim zugeordnet, der auch sprachlich noch Echos des Pomps erkennen lässt, mit dem bei Schleinzer die Figuren auf Französisch und Deutsch von den "Wundern" der Natur sprechen. Angelo sieht sich aber auch selbst als jemand Besonderen: "Mein Vater ist ein König!" Der ganze Motivkomplex von (Menschheits-)Familie und Aristokratie/Königswürde bestimmt auch Schleinzers Film. Er schließt dabei an die Kulissenästhetik des Theaters der Epoche an. Angelo ist zwar eindeutig eine Kontrastfigur, aber nicht in dem Sinn, dass von ihm aus ein falsches Bewusstsein durchschaubar würde. Im Gegenteil sind es Versuchungen von Verwechslung und Überidentifikation, die an einer pointierten Dialogstelle auch das Objektivierungspathos der Zeit auf eine brillante (heimlich wohl Hegel parodierende) Formel bringen: "Glaubt er jetzt schon, er ist ich?", bricht es aus dem Kaiser heraus, weil Angelo einen Stammhalter gezeugt hat, eine Tochter, über die später ein Museumsdirektor ein vernichtendes Urteil in Form eines konventionellen Kompliments spricht: "Ganz der Papa!"
Tatsächlich ist "Angelo" ein Film über ein Regime, das Fälle von "métissage" (Vermischung) möglichst lange verdrängen würde, weil man so lange wie möglich von einer idealen Ordnung der Natur ausgehen möchte. Wie weit sich von den Vitrinen eines naturhistorischen Museums Verbindungen in eine rassistische Gegenwart ziehen lassen, ist nicht mehr Gegenstand von "Angelo" - allerdings deutet Schleinzer mit einem der ambivalentesten Bilder seines Films an, dass ihm bewusst ist, in welche Gegenwart er mit seinem "Neger", der "kein Neger mehr sein möchte", spricht: Den Theatermonolog über seine mythologisch konstruierte Herkunft spricht Angelo später noch einmal in Gegenwart seiner weißen Geliebten, und er zieht sich dabei ein Tuch so über den Kopf, dass es plötzlich wie eine Burka wirkt, wenn auch keine schwarze, sondern eine, die mit ihrem orientalisierenden Muster weitere Assoziationen provoziert.
Die großartige Dialektik von "Angelo" gipfelt schließlich in einem Satz, der sich auch wieder umkehren ließe: "Der Herr schenkt Ihnen zur Strafe die Freiheit." Angelo bekommt zur Freiheit die Strafe der Identität geschenkt. Er muss er selber bleiben, als "erster Vertreter des Menschengeschlechts" für immer eine "Allegorie", ein auch kinematographisches Präparat, in dessen Angesicht seine Tochter (wieder) zu einer Wilden wird. Die Strafe der Freiheit, von deren Heraufkunft "Angelo" so wunderbar vieldeutig erzählt, muss die unrettbar universal gewordene Menschheit für den Rest ihrer unauflösbaren Naturkulturgeschichte verbüßen.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jennifer Lopez führt den Aufstand der Stripperinnen gegen die Wall Street an, Willem Dafoe und Robert Pattinson liefern sich ein düsteres Psychoduell, und ein Junge aus Schwarzafrika wird im Wien des 18. Jahrhunderts zum "Hofmohr"
Im späten 19. Jahrhundert musste man schon ein Weilchen suchen, wenn man einen Ort finden wollte, an dem die Zivilisation noch nicht so richtig angekommen war. Der Holzfäller Ephraim Winslow hat in den kanadischen Wäldern erlebt, was es heißt, an den Grenzen der bekannten Welt zu arbeiten. Er müsste also ganz gut vorbereitet sein auf die Stelle, die er danach antritt: vier Wochen Dienst in einem Leuchtturm, der Seefahrer vor einer Klippe im Atlantischen Ozean warnen soll. Vier Wochen, um eine Tätigkeit zu erlernen, die nicht allzu schwer erscheint. Es gibt jedoch einen Haken. Ephraim hat einen Vorgesetzten, den alten Tom Wake, der eifersüchtig darüber wacht, dass nur er selbst hinaufdarf zu dem Scheinwerfer. Für Ephraim bleiben die niederen Dienste. Er muss die Nachttöpfe ausleeren und dabei darauf achten, dass der Wind ihm die Ausscheidungen nicht sofort zurückschleudert. Er muss einen Männerhaushalt unter Bedingungen führen, die mit dem Wort unwirtlich noch vorsichtig beschrieben wären.
Für den Regisseur Robert Eggers ist dieser Außenposten auch so etwas wie ein Labor. Er kann hier ganz prächtig einen Zauberlehrling des Kinos machen. Sein Film "Der Leuchtturm" ist ein wildes Stilgemisch, ein steifer Grog aus Schauerromantik und durchgeknallter Archaik, gefilmt in einem fast quadratischen Schwarzweißbild, als wäre die Idee direkt aus einem der Holzapparate der Brüder Lumière gestohlen. Die erfanden zu dem Zeitpunkt, zu dem wir uns die beiden Landseebären bei ihrem einsamen Dienst denken müssen, gerade die bewegten Bilder. Und Eggers mischt die Attraktionen des frühen Kinos sehr geschickt mit einer literarischen Moderne, die am liebsten direkt bei den alten Propheten mit- und abgeschrieben hätte. Bei Männern, bei denen man auch nicht so genau hätte sagen können, ob aus ihnen ein Gott sprach, oder ein wilder Wahn.
Herman Melville ist in dem Bunde von Ephraim und Thomas offensichtlich der Dritte, und das gleißende Licht im Oberstübchen des Leuchtturms ist so etwas wie der weiße Wal in der Geschichte. Also das Motiv für eine Suche, die unweigerlich in die Abgründe der eigenen Innerlichkeit führt. Eggers kommt zu dieser kulturhistorisch höchst resonanten Konstellation gleichsam von der anderen Seite, weil er sich schon in seinem Langfilmdebüt "The Witch" (genauer: "The VVitch: A New-England Folktale") durch die Schichtungen des Zivilisationsprozesses gearbeitet hatte: eine Hexengeschichte aus der Zeit der frühen europäischen Kolonisierung Nordamerikas, die sich von puritanischen Primärtexten inspirieren ließ.
Ephraim und Thomas stecken noch tief in dieser voraufgeklärten Welt, sind aber auch unübersehbar Kunstfiguren. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie von zwei Stars gespielt werden, die ihre Persona mit in den Leuchtturm bringen: Willem Dafoe, mit seiner sturmgegerbten Stimme und seinem stets frevlerisch wirkenden Grinsen, und Robert Pattinson, nicht mehr ganz Jungstar, aber immer noch formbar. Eggers inszeniert mit den beiden ein stickiges Kammerspiel, aus dem vor allem Ephraim nach Auswegen sucht. Er findet sie im Ruf einer Sirene, aber auch in der Bedrohung durch Vögel, die mit ihren spitzen Schnäbeln tief in die Eingeweide hacken. Die Atmosphäre, auf die es Eggers ankommt, schillert zwischen homosozialem Schnapsrausch und den verzweifelten Sublimierungen eines jungen Mannes, der als einziges (notgedrungen auch irgendwie erotisches) Gegenüber einen alten Schrat hat, den man leicht mit dem Teufel persönlich verwechseln könnte.
Es gibt nur ein geisterabwehrendes Mittel, das da noch helfen mag: Lachen. "Der Leuchtturm" übertreibt es mit der heftig vergorenen Mythologie am Ende wohl doch zu stark, um das Publikum nicht auf eine ironische Distanz zu verweisen. Und es damit in die Zivilisation zurückzuschicken, zu der Eggers hier mit großem Geknarze auf Abstand geht.
Nicht nur im Vergleich zu den zwei nautischen Orientierungshelfern aus "Der Leuchtturm" sind die Herren des Kapitals an der New Yorker Wall Street natürlich Prototypen der Moderne. Aber auch sie haben ihre merkwürdigen Rituale. Was hat es etwa mit dem Brauch auf sich, nach Feierabend im Rudel in schummrige Bars einzufallen, in denen Frauen sich um Stangen räkeln und von ihrer sowieso schon spärlichen Bekleidung dann auch noch so viel ablegen, dass gerade einmal ein String auf der Haut bleibt, in den man Dollarscheine schieben kann? Die Stripperin gehört zum Klischee des Brokers wie die Kreditkarte, mit der die Kokslinien gezogen werden. Mit Sex haben diese Etablissements wohl weniger zu tun als mit der Macht, die das Geld ja irgendwo zeigen muss. Lorene Scafarias Film "Hustlers" zieht aus dem Machtgefälle, das in Striplokalen inszeniert und institutionalisiert wird, eine längst fällige Konsequenz. Sie dreht es um. Denn auch die Könige der Welt haben ihren Schwachpunkt. Sie trinken zu viel und sind auch anderen Betäubungsmitteln nicht abgeneigt. Da müsste man bloß mal ein wenig nachhelfen, und schon hat man es mit einem willenlosen Typen zu tun, den eine geschickte Frau so richtig ausnehmen kann. Läuft ja eh alles auf Spesen, trifft also niemanden persönlich, sondern verläuft sich als Verrechnungsposten in den Bilanzen der Banken.
Für das Geschäftsmodell, auf das sich ein paar Stripperinnen verlegen, die dadurch zu "Hustlers" werden, gibt es im Deutschen einen schönen umgangssprachlichen Begriff: jemanden "eintauchen" heißt jemanden übervorteilen. Die Grenzen zum Betrug sind fließend. Bei der Frauengruppe rund um Ramona Vega (Jennifer Lopez) wird der Betrug relativ schnell gewerbsmäßig. 5000 Dollar "Umsatz" pro Opfer sind keine Seltenheit, und Frauen wie die Erzählerin Destiny (Constance Wu, bekannt aus "Crazy Rich Asians") können damit nicht nur ihren Verpflichtungen (eine Mutter muss versorgt werden, ein Kind soll es besser haben) nachkommen, sondern auch selbst ein wenig an der Konsumkultur teilhaben.
"Hustlers" setzt ganz offensichtlich auf die starke Bewegung einer Ermächtigung von Frauen, die in Hollywood gegenwärtig zu verzeichnen ist. Mehr noch: Der Film hat alle Facetten einer großen Allegorie, einer Umkehrung der sexuellen Ausbeutungsverhältnisse, denn was könnte sinnvoller sein, als die Männer zahlen zu lassen, ohne dass sie dafür etwas bekämen außer einem Brummschädel? Allerdings hätte es der guten Sache wohl nicht geschadet, wenn die "Hustlers" als Figuren ein wenig plausibler geworden wären. Lorene Scafaria aber setzt ganz auf den Appeal ihrer Stars und mischt alles mit einem eingängigen Soundtrack.
Die Kurzformel einer frühneuzeitlichen Migrationsgeschichte lautet so: Ein christlich getaufter Mann namens Angelo, der seinen ursprünglichen Namen nicht weiß, ist ein "Sohn Afrikas", aber ein "Mann Europas". Ein Mensch, der eigentlich noch eher den Affen verwandt schien, spielt nun die Flöte und fungiert als "neuer Glanz" im Haus einer europäischen Fürstenfamilie. Fünf Darsteller gibt es in Markus Schleinzers Film für diesen Angelo, der zu Beginn mit sieben anderen Kindern Afrikas für den europäischen Markt aufbereitet wird: Er wird gründlich gesäubert und bekommt einen weißen Kittel angelegt. Dann wird er zu seiner neuen Familie gebracht. Eine Komtesse nimmt ihn in Empfang, sie ist beseelt von der Idee, diesen Engel vor dem (Rück-)Fall in die Verfallenheit an den Teufel zu bewahren.
Die Erzählerposition von Schleinzer ist vergleichbar der von Robert Musil, der in seinem Großroman "Der Mann ohne Eigenschaften" die historische Figur Angelo Soliman literarisch umgestaltet hat. Bei Musil ist Soliman dem Industriellen Arnheim zugeordnet, der auch sprachlich noch Echos des Pomps erkennen lässt, mit dem bei Schleinzer die Figuren auf Französisch und Deutsch von den "Wundern" der Natur sprechen. Angelo sieht sich aber auch selbst als jemand Besonderen: "Mein Vater ist ein König!" Der ganze Motivkomplex von (Menschheits-)Familie und Aristokratie/Königswürde bestimmt auch Schleinzers Film. Er schließt dabei an die Kulissenästhetik des Theaters der Epoche an. Angelo ist zwar eindeutig eine Kontrastfigur, aber nicht in dem Sinn, dass von ihm aus ein falsches Bewusstsein durchschaubar würde. Im Gegenteil sind es Versuchungen von Verwechslung und Überidentifikation, die an einer pointierten Dialogstelle auch das Objektivierungspathos der Zeit auf eine brillante (heimlich wohl Hegel parodierende) Formel bringen: "Glaubt er jetzt schon, er ist ich?", bricht es aus dem Kaiser heraus, weil Angelo einen Stammhalter gezeugt hat, eine Tochter, über die später ein Museumsdirektor ein vernichtendes Urteil in Form eines konventionellen Kompliments spricht: "Ganz der Papa!"
Tatsächlich ist "Angelo" ein Film über ein Regime, das Fälle von "métissage" (Vermischung) möglichst lange verdrängen würde, weil man so lange wie möglich von einer idealen Ordnung der Natur ausgehen möchte. Wie weit sich von den Vitrinen eines naturhistorischen Museums Verbindungen in eine rassistische Gegenwart ziehen lassen, ist nicht mehr Gegenstand von "Angelo" - allerdings deutet Schleinzer mit einem der ambivalentesten Bilder seines Films an, dass ihm bewusst ist, in welche Gegenwart er mit seinem "Neger", der "kein Neger mehr sein möchte", spricht: Den Theatermonolog über seine mythologisch konstruierte Herkunft spricht Angelo später noch einmal in Gegenwart seiner weißen Geliebten, und er zieht sich dabei ein Tuch so über den Kopf, dass es plötzlich wie eine Burka wirkt, wenn auch keine schwarze, sondern eine, die mit ihrem orientalisierenden Muster weitere Assoziationen provoziert.
Die großartige Dialektik von "Angelo" gipfelt schließlich in einem Satz, der sich auch wieder umkehren ließe: "Der Herr schenkt Ihnen zur Strafe die Freiheit." Angelo bekommt zur Freiheit die Strafe der Identität geschenkt. Er muss er selber bleiben, als "erster Vertreter des Menschengeschlechts" für immer eine "Allegorie", ein auch kinematographisches Präparat, in dessen Angesicht seine Tochter (wieder) zu einer Wilden wird. Die Strafe der Freiheit, von deren Heraufkunft "Angelo" so wunderbar vieldeutig erzählt, muss die unrettbar universal gewordene Menschheit für den Rest ihrer unauflösbaren Naturkulturgeschichte verbüßen.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main