Auf den Straßen von New York schlägt sich Valerie Solanas mit Gelegenheitsprostitution und Schnorren durch, wenn sie als Gründerin, Vorsitzende und eigenes Mitglied der "SCUM - Society for Cutting Up Men" nicht gerade ihre radikal feministischen Gedanken verbreitet. Zufällig lernt sie Andy Warhol kennen, den introvertierten Pop-Künstler, der in seinem Atelier in einer Aura des Glamours, des Neuen, des "Anything goes" lebt. Jeder könne für fünfzehn Minuten ein Star sein, proklamiert Warhol. Solanas drängt sich in die Entourage, die den Künstler stets umgibt, doch nach anfänglichem Interesse Warhols wird sie wegen ihrer wild lodernden Wut wieder aus dem erlesenen Kreis ausgeschlossen. Enttäuschung, Hass und eine beginnende Paranoia stauen sich in Solanas auf. Schließlich sieht sie den Tag gekommen, von Warhol ihre fünfzehn Minuten Ruhm einzufordern.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Making Of - Interviews - Filmografien - Original Trailer - SlideshowFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.1997Schuld sind immer die anderen
Der tödliche Bruch zwischen Kunst und Leben: Mary Harrons Film "I Shot Andy Warhol"
"Und ich glaube, daß was nicht stimmen kann, wenn sie jetzt am Leben ist", heißt es in einem der "Songs for Drella", die Lou Reed und John Cale dem Andenken ihres Mentors Andy Warhol widmeten. Die Liedzeile bezieht sich auf Valerie Solanas, jene Frau, die im Jahr 1968 mehrere Schüsse auf Andy Warhol abgab, deren Folgen der Künstler knapp zwanzig Jahre später erlag. Das Ich, das sich in den "Songs for Drella" mit der Stimme Lou Reeds ausspricht, hat noch einige weitere Gehässigkeiten für die psychisch kranke Attentäterin parat: "Und ich glaube, Auge um Auge ist elementar", heißt es etwa in dem effektvoll als Glaubensbekenntnis angelegten Song "I Believe". Arm in Arm mit dem Alten Testament, gerät das Lied schließlich in den größten denkbaren Gegensatz zum christlichen Ethos: "Ich glaube, bei ihr hätte ich persönlich den Schalter umgelegt."
So bestrickend die Rhetorik, so zweifelhaft die Botschaft. Der Film "I Shot Andy Warhol" versucht, der Attentäterin Valerie Solanas - die 1989, zwei Jahre später als Warhol, nach Jahren des Klinikaufenthaltes und der Obdachlosigkeit starb - mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und immerhin John Cale tat Buße, indem er den Soundtrack beisteuerte.
Das Regiedebüt der Musikjournalistin Mary Harron trumpft gleich zu Beginn mit der Sensation des Attentats auf. Dann jedoch setzt eine filmlange Rückblende ein, die dem Zuschauer das schwierige Wesen der Täterin nahebringen möchte. Er lernt Valerie Solanas als eine harsche, aber verletzliche Frau kennen, deren Lebensführung in krassem Widerspruch zu ihrem Selbstbild steht: Vor ihrer Schreibmaschine im New Yorker Chelsea-Hotel sitzend, ausgestattet mit allen Insignien des Bohemiens, entspricht sie ganz dem Bild der Schriftstellerin, als die sie sich sieht. Draußen auf den Straßen des Greenwich Village aber, wo sie ihre Existenz immer wieder mit verächtlich ausgehandelten Sexgeschäften fristet, tut sich zwischen Kunst und Leben ein Bruch auf, den selbst das Klischee vom wilden Künstlerdasein nicht kitten kann.
Derart gebrochen, doch mit stets vehementer Selbstbeharrung, gerät Valerie Solanas Mitte der sechziger Jahre in den Dunstkreis von Warhols "Factory", verbleibt allerdings, nach verheißungsvollen Anfängen, ebendort: im Dunst. "I Shot Andy Warhol" zeigt, wie künstlerische und menschliche Enttäuschung aus der Schriftstellerin eine gehässige Pamphletistin macht, deren wutschäumendes Hauptwerk den Titel "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer" trägt.
Aber die Sache hat einen Haken. Zwar deutet der Film an, daß Valerie Solanas an dem Symptom ihrer Zeit krankte, immer nur in der Gesellschaft, nie aber bei sich selbst Schuld suchen zu können. Und er verschweigt auch nicht, wie diese Fixierung sich allmählich zur fixen Idee einer ständigen Verfolgung verengte. Dennoch und obwohl mit Lili Taylor eine der interessantesten amerikanischen Schauspielerinnen der jüngeren Generation dem wabernden Bild der Valerie Solanas prägnante Gestalt gibt, ist "I Shot Andy Warhol" alles andere als ein gelungener Film.
Das liegt vor allem an der Art, mit der die New Yorker Kunstszene jener Jahre dargestellt wird. Mary Harron und ihr Koautor Daniel Minahan wollen Gerechtigkeit für ihre schwierige Heldin. Sie erkaufen sie mit dem Preis der Ungerechtigkeit gegenüber der nicht minder komplexen Persönlichkeit Andy Warhols. Die Kunst der sechziger Jahre, so legt es die Darstellung des Films nahe, ist vor allem ein großer Bluff, in Szene gesetzt von infantilen, selbstverliebten, halb debilen Männern, die, mit den Worten von Solanas' Manifest, alles daransetzen, "entweder schwul zu werden oder sich mit Hilfe von Drogen umzubringen". Wie so oft steckt auch hier in der Täuschung ein Stück Wahrheit. Aber muß man sich deshalb gleich an den Stammtisch derer setzen, denen zeitgenössische Kunst von jeher als das Werk von Verrückten gilt?
Ein anderer Regiedebütant, der Maler Julian Schnabel, hat in seinem Film "Basquiat" erst kürzlich vorgeführt, wie man die Allüren und Scharlatanerien eines hochgezüchteten Kunstbetriebs bloßstellen kann, ohne der Kunst selbst am Zeug zu flicken. "I Shot Andy Warhol" folgt hingegen der eingespielten Dramaturgie, mit der das zweite Buch Mose gemeinhin verfilmt wird - die alte Hochkultur muß als dekadent diffamiert werden, damit die neue Lehre Existenzberechtigung erlangt. Mit dem Unterschied, daß an die Stelle der Ägypter die "Moderne Kunst", an die Stelle des Judentums hingegen das Glaubenssystem von der Minderwertigkeit der Männer tritt (das in diesem Film irrtümlich für Feminismus gehalten wird).
Solche Spekulationen scheinen freilich luxuriös, wenn schon die handwerkliche Ausarbeitung zu wünschen übrigläßt. Selbst in ästhetischer Hinsicht nimmt "I Shot Andy Warhol" die Stammtischperspektive ein, indem der Film zu keinem Zeitpunkt die biedere, festgefügte Bildwelt des B-Pictures verläßt (die angesehene Kamerafrau Ellen Kuras arbeitet hier ganz offensichtlich weit unter ihren Möglichkeiten). Nirgends wird das deutlicher als in der breit angelegten Szene einer Party in Warhols "Factory", die sich zu einer Orgie steigern soll, aber nicht mehr als ein Müsli der immergleichen Bildausschnitte liefert: Auch kameratechnisch beharrt der Film "I Shot Andy Warhol" auf seinen Einstellungen; die Orgie bleibt ein Stehempfang. Damit aber ergibt sich ein schwerwiegendes Zielgruppenproblem: Das Stammpublikum so schlicht gestalteter Filme interessiert sich im allgemeinen nicht für Feminismus, erst recht nicht für Kunst. Und umgekehrt. "I Shot Andy Warhol" ist der Paradefall eines völlig überflüssigen Films. STEFFEN JACOBS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der tödliche Bruch zwischen Kunst und Leben: Mary Harrons Film "I Shot Andy Warhol"
"Und ich glaube, daß was nicht stimmen kann, wenn sie jetzt am Leben ist", heißt es in einem der "Songs for Drella", die Lou Reed und John Cale dem Andenken ihres Mentors Andy Warhol widmeten. Die Liedzeile bezieht sich auf Valerie Solanas, jene Frau, die im Jahr 1968 mehrere Schüsse auf Andy Warhol abgab, deren Folgen der Künstler knapp zwanzig Jahre später erlag. Das Ich, das sich in den "Songs for Drella" mit der Stimme Lou Reeds ausspricht, hat noch einige weitere Gehässigkeiten für die psychisch kranke Attentäterin parat: "Und ich glaube, Auge um Auge ist elementar", heißt es etwa in dem effektvoll als Glaubensbekenntnis angelegten Song "I Believe". Arm in Arm mit dem Alten Testament, gerät das Lied schließlich in den größten denkbaren Gegensatz zum christlichen Ethos: "Ich glaube, bei ihr hätte ich persönlich den Schalter umgelegt."
So bestrickend die Rhetorik, so zweifelhaft die Botschaft. Der Film "I Shot Andy Warhol" versucht, der Attentäterin Valerie Solanas - die 1989, zwei Jahre später als Warhol, nach Jahren des Klinikaufenthaltes und der Obdachlosigkeit starb - mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und immerhin John Cale tat Buße, indem er den Soundtrack beisteuerte.
Das Regiedebüt der Musikjournalistin Mary Harron trumpft gleich zu Beginn mit der Sensation des Attentats auf. Dann jedoch setzt eine filmlange Rückblende ein, die dem Zuschauer das schwierige Wesen der Täterin nahebringen möchte. Er lernt Valerie Solanas als eine harsche, aber verletzliche Frau kennen, deren Lebensführung in krassem Widerspruch zu ihrem Selbstbild steht: Vor ihrer Schreibmaschine im New Yorker Chelsea-Hotel sitzend, ausgestattet mit allen Insignien des Bohemiens, entspricht sie ganz dem Bild der Schriftstellerin, als die sie sich sieht. Draußen auf den Straßen des Greenwich Village aber, wo sie ihre Existenz immer wieder mit verächtlich ausgehandelten Sexgeschäften fristet, tut sich zwischen Kunst und Leben ein Bruch auf, den selbst das Klischee vom wilden Künstlerdasein nicht kitten kann.
Derart gebrochen, doch mit stets vehementer Selbstbeharrung, gerät Valerie Solanas Mitte der sechziger Jahre in den Dunstkreis von Warhols "Factory", verbleibt allerdings, nach verheißungsvollen Anfängen, ebendort: im Dunst. "I Shot Andy Warhol" zeigt, wie künstlerische und menschliche Enttäuschung aus der Schriftstellerin eine gehässige Pamphletistin macht, deren wutschäumendes Hauptwerk den Titel "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer" trägt.
Aber die Sache hat einen Haken. Zwar deutet der Film an, daß Valerie Solanas an dem Symptom ihrer Zeit krankte, immer nur in der Gesellschaft, nie aber bei sich selbst Schuld suchen zu können. Und er verschweigt auch nicht, wie diese Fixierung sich allmählich zur fixen Idee einer ständigen Verfolgung verengte. Dennoch und obwohl mit Lili Taylor eine der interessantesten amerikanischen Schauspielerinnen der jüngeren Generation dem wabernden Bild der Valerie Solanas prägnante Gestalt gibt, ist "I Shot Andy Warhol" alles andere als ein gelungener Film.
Das liegt vor allem an der Art, mit der die New Yorker Kunstszene jener Jahre dargestellt wird. Mary Harron und ihr Koautor Daniel Minahan wollen Gerechtigkeit für ihre schwierige Heldin. Sie erkaufen sie mit dem Preis der Ungerechtigkeit gegenüber der nicht minder komplexen Persönlichkeit Andy Warhols. Die Kunst der sechziger Jahre, so legt es die Darstellung des Films nahe, ist vor allem ein großer Bluff, in Szene gesetzt von infantilen, selbstverliebten, halb debilen Männern, die, mit den Worten von Solanas' Manifest, alles daransetzen, "entweder schwul zu werden oder sich mit Hilfe von Drogen umzubringen". Wie so oft steckt auch hier in der Täuschung ein Stück Wahrheit. Aber muß man sich deshalb gleich an den Stammtisch derer setzen, denen zeitgenössische Kunst von jeher als das Werk von Verrückten gilt?
Ein anderer Regiedebütant, der Maler Julian Schnabel, hat in seinem Film "Basquiat" erst kürzlich vorgeführt, wie man die Allüren und Scharlatanerien eines hochgezüchteten Kunstbetriebs bloßstellen kann, ohne der Kunst selbst am Zeug zu flicken. "I Shot Andy Warhol" folgt hingegen der eingespielten Dramaturgie, mit der das zweite Buch Mose gemeinhin verfilmt wird - die alte Hochkultur muß als dekadent diffamiert werden, damit die neue Lehre Existenzberechtigung erlangt. Mit dem Unterschied, daß an die Stelle der Ägypter die "Moderne Kunst", an die Stelle des Judentums hingegen das Glaubenssystem von der Minderwertigkeit der Männer tritt (das in diesem Film irrtümlich für Feminismus gehalten wird).
Solche Spekulationen scheinen freilich luxuriös, wenn schon die handwerkliche Ausarbeitung zu wünschen übrigläßt. Selbst in ästhetischer Hinsicht nimmt "I Shot Andy Warhol" die Stammtischperspektive ein, indem der Film zu keinem Zeitpunkt die biedere, festgefügte Bildwelt des B-Pictures verläßt (die angesehene Kamerafrau Ellen Kuras arbeitet hier ganz offensichtlich weit unter ihren Möglichkeiten). Nirgends wird das deutlicher als in der breit angelegten Szene einer Party in Warhols "Factory", die sich zu einer Orgie steigern soll, aber nicht mehr als ein Müsli der immergleichen Bildausschnitte liefert: Auch kameratechnisch beharrt der Film "I Shot Andy Warhol" auf seinen Einstellungen; die Orgie bleibt ein Stehempfang. Damit aber ergibt sich ein schwerwiegendes Zielgruppenproblem: Das Stammpublikum so schlicht gestalteter Filme interessiert sich im allgemeinen nicht für Feminismus, erst recht nicht für Kunst. Und umgekehrt. "I Shot Andy Warhol" ist der Paradefall eines völlig überflüssigen Films. STEFFEN JACOBS
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