Nach dem Tod des gefeierten Theaterautors Antonie dAnthac erhalten seine Freunde eine Einladung in sein Landhaus. Hier teilt ihnen der Verstorbene per Video seinen letzten Wunsch mit. Alle der versammelten Freunde haben über Jahre in Antoines Stück "Eurydice" mitgewirkt und sollen für ihn eine letzte Entscheidung treffen: Eine junge Theatertruppe hat einen Mitschnitt ihrer Proben zu "Eurydice" geschickt, um von Antoine die Erlaubnis zur Aufführung zu bekommen. Kaum sehen die Freunde ihre Figuren auf der Leinwand, sind auch sie wieder in ihren Rollen gefangen, aber das bleibt nicht die letzte Überraschung, die an diesem Abend auf sie wartet.
Bonusmaterial
- TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2013Spielereien in der Gruft der Erinnerung
Ein neuer Film von Alain Resnais ist immer ein Ereignis - im Fall von "Ihr werdet euch noch wundern" kommt es mit einigem Theaterdonner in die Kinos.
Antoine d'Anthac muss eine bedeutende Persönlichkeit gewesen sein. Denn von seinem Tod wird eine ganze Reihe von Stars in Kenntnis gesetzt. Mehr als ein Dutzend Mal läutet zu Beginn von "Ihr werdet euch noch wundern", dem neuen Film von Alain Resnais, das Telefon. Michel Piccoli, Lambert Wilson, Sabine Azéma, Anne Consigny, Anny Duperey, Mathieu Amalric und noch ein paar weitere erhalten die Nachricht vom Ableben von Antoine d'Anthac und von seiner letzten Verfügung.
Es ist eine Verfügung über sie. Sie alle sollen sich in Peillon in der Provence einfinden, ohne dass sie vorerst genauer wüssten, was sie dort erwartet. Antoine d'Anthac, ein fiktiver Autor, stiftet ein Konklave der "crème de la crème" des französischen Schauspiels. Damit ist die erste Pointe gesetzt in einem Film, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf dem Terrain zwischen Kino und Theater die letzten Gewissheiten aufzuheben. Die beiden Künste, die in einem prekären Spannungsverhältnis zueinander stehen, werden bei dem mittlerweile 91 Jahre alten Resnais zu Geschwistern, die es beide braucht, um in ein Geisterreich vorzudringen. Es ist das Geisterreich der Erinnerung.
Der offensichtlich nicht uneitle Antoine d'Anthac meldet sich, nachdem das Ensemble die gruftige Halle seines Anwesens betreten und in schweren Fauteuils Platz genommen hat, mit einer Botschaft aus dem Jenseits. Er hat sie vor seinem Tod eingespielt, doch nun wirkt er wie der erste Geist in diesem Experiment. Er möchte, dass sich die vertretenen Akteure und Aktricen einen Film ansehen, in dem eine junge Theatertruppe bei Proben zu "Eurydice" zu sehen ist, einem Stück von Jean Anouilh, das 1941 im besetzten Paris seine Premiere hatte.
Die geladenen Gäste haben alle einmal in Inszenierungen dieses französischen modernen Klassikers gespielt. Sie sind nun die Jury, die darüber zu befinden hat, ob eine neue Generation sich daran versuchen dürfen soll. Und so beginnt die Vorführung, auf einer Leinwand, für die sich die steinernen Wände von d'Anthacs seltsamem Versammlungsraum öffnen, als wären sie Vorhänge. Lambert Wilson und Anne Consigny sind das jüngere Paar, das sich in den Hauptrollen des Orpheus und der Eurydike wiedererkennen kann, Sabine Azéma und Pierre Arditi, die quintessentiellen Resnais-Stars, sind das ältere. Und auch alle anderen haben ihre angestammten Rollen, die sie nun lernen müssen, zu teilen.
Den Raum der Identifikation, den das Kino stiftet, macht Resnais in "Vous n'avez encore rien vu" (so der Originaltitel) auf eine theatralische Weise durchlässig. Während wir während eines Films häufig wie körperlos werden und nahezu aufgehen in dem, was Bild und Ton mit uns machen, werden hier die Figuren von Anouilh zu etwas Flüchtigem, zu Trägern momenthafter Besetzung, ja eigentlich sogar zu Objekten in einem Streit, in dem bedeutende Schauspieler darum kämpfen, sie selbst werden zu dürfen, indem sie sich Rollen wieder aneignen, deren "definitive" Verkörperung sie einmal gewesen waren. In zahlreiche Richtungen öffnet Resnais dabei sein Spiel mit dem Fiktionalen, denn auch die anwesenden Stars, die allesamt eine gut dokumentierte Karriere haben, beziehen sich hier auf erfundene Teile ihres Wirkens. Nicht zuletzt bezieht Resnais sich auch für die zentrale Konstellation auf ein weiteres Stück von Anouilh, nämlich das viel spätere "Cher Antoine" (1969), in dem die Einberufung der Schauspieler schon entworfen ist. "Ihr werdet euch noch wundern" ist so etwas wie ein "mash-up" im Bereich der hohen Kunst, wobei die Verschränkung verschiedener Texte in einen neuen natürlich nichts eigentlich Neues ist.
Als Resnais vor mehr als fünfzig Jahren seine ersten Spielfilme veröffentlichte, waren die großen Themen seines Schaffens noch stärker mit historischen Umständen vermittelt ("Hiroshima mon amour"). Aber im Grunde war schon "Letztes Jahr in Marienbad" ein hermetisches Formexperiment, in dem es stärker um die Potenzen der Künste ging (in diesem Fall: Roman und Film) als um deren Beziehungen zu einer äußeren Wirklichkeit. Mit "Ihr werdet euch noch wundern" findet diese Haupttendenz seines Werks nun auf jeden Fall eine konsequente Ausprägung: Das Kino ist für ihn eine Kunst der geschlossenen Türen, hinter denen große Fragen wie in einem Labor verhandelt werden können. Am Ende geht das nicht ohne ein bisschen Theaterdonner, über den man durchaus erleichtert sein kann nach so viel hochklassigem Verwirrspiel.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein neuer Film von Alain Resnais ist immer ein Ereignis - im Fall von "Ihr werdet euch noch wundern" kommt es mit einigem Theaterdonner in die Kinos.
Antoine d'Anthac muss eine bedeutende Persönlichkeit gewesen sein. Denn von seinem Tod wird eine ganze Reihe von Stars in Kenntnis gesetzt. Mehr als ein Dutzend Mal läutet zu Beginn von "Ihr werdet euch noch wundern", dem neuen Film von Alain Resnais, das Telefon. Michel Piccoli, Lambert Wilson, Sabine Azéma, Anne Consigny, Anny Duperey, Mathieu Amalric und noch ein paar weitere erhalten die Nachricht vom Ableben von Antoine d'Anthac und von seiner letzten Verfügung.
Es ist eine Verfügung über sie. Sie alle sollen sich in Peillon in der Provence einfinden, ohne dass sie vorerst genauer wüssten, was sie dort erwartet. Antoine d'Anthac, ein fiktiver Autor, stiftet ein Konklave der "crème de la crème" des französischen Schauspiels. Damit ist die erste Pointe gesetzt in einem Film, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf dem Terrain zwischen Kino und Theater die letzten Gewissheiten aufzuheben. Die beiden Künste, die in einem prekären Spannungsverhältnis zueinander stehen, werden bei dem mittlerweile 91 Jahre alten Resnais zu Geschwistern, die es beide braucht, um in ein Geisterreich vorzudringen. Es ist das Geisterreich der Erinnerung.
Der offensichtlich nicht uneitle Antoine d'Anthac meldet sich, nachdem das Ensemble die gruftige Halle seines Anwesens betreten und in schweren Fauteuils Platz genommen hat, mit einer Botschaft aus dem Jenseits. Er hat sie vor seinem Tod eingespielt, doch nun wirkt er wie der erste Geist in diesem Experiment. Er möchte, dass sich die vertretenen Akteure und Aktricen einen Film ansehen, in dem eine junge Theatertruppe bei Proben zu "Eurydice" zu sehen ist, einem Stück von Jean Anouilh, das 1941 im besetzten Paris seine Premiere hatte.
Die geladenen Gäste haben alle einmal in Inszenierungen dieses französischen modernen Klassikers gespielt. Sie sind nun die Jury, die darüber zu befinden hat, ob eine neue Generation sich daran versuchen dürfen soll. Und so beginnt die Vorführung, auf einer Leinwand, für die sich die steinernen Wände von d'Anthacs seltsamem Versammlungsraum öffnen, als wären sie Vorhänge. Lambert Wilson und Anne Consigny sind das jüngere Paar, das sich in den Hauptrollen des Orpheus und der Eurydike wiedererkennen kann, Sabine Azéma und Pierre Arditi, die quintessentiellen Resnais-Stars, sind das ältere. Und auch alle anderen haben ihre angestammten Rollen, die sie nun lernen müssen, zu teilen.
Den Raum der Identifikation, den das Kino stiftet, macht Resnais in "Vous n'avez encore rien vu" (so der Originaltitel) auf eine theatralische Weise durchlässig. Während wir während eines Films häufig wie körperlos werden und nahezu aufgehen in dem, was Bild und Ton mit uns machen, werden hier die Figuren von Anouilh zu etwas Flüchtigem, zu Trägern momenthafter Besetzung, ja eigentlich sogar zu Objekten in einem Streit, in dem bedeutende Schauspieler darum kämpfen, sie selbst werden zu dürfen, indem sie sich Rollen wieder aneignen, deren "definitive" Verkörperung sie einmal gewesen waren. In zahlreiche Richtungen öffnet Resnais dabei sein Spiel mit dem Fiktionalen, denn auch die anwesenden Stars, die allesamt eine gut dokumentierte Karriere haben, beziehen sich hier auf erfundene Teile ihres Wirkens. Nicht zuletzt bezieht Resnais sich auch für die zentrale Konstellation auf ein weiteres Stück von Anouilh, nämlich das viel spätere "Cher Antoine" (1969), in dem die Einberufung der Schauspieler schon entworfen ist. "Ihr werdet euch noch wundern" ist so etwas wie ein "mash-up" im Bereich der hohen Kunst, wobei die Verschränkung verschiedener Texte in einen neuen natürlich nichts eigentlich Neues ist.
Als Resnais vor mehr als fünfzig Jahren seine ersten Spielfilme veröffentlichte, waren die großen Themen seines Schaffens noch stärker mit historischen Umständen vermittelt ("Hiroshima mon amour"). Aber im Grunde war schon "Letztes Jahr in Marienbad" ein hermetisches Formexperiment, in dem es stärker um die Potenzen der Künste ging (in diesem Fall: Roman und Film) als um deren Beziehungen zu einer äußeren Wirklichkeit. Mit "Ihr werdet euch noch wundern" findet diese Haupttendenz seines Werks nun auf jeden Fall eine konsequente Ausprägung: Das Kino ist für ihn eine Kunst der geschlossenen Türen, hinter denen große Fragen wie in einem Labor verhandelt werden können. Am Ende geht das nicht ohne ein bisschen Theaterdonner, über den man durchaus erleichtert sein kann nach so viel hochklassigem Verwirrspiel.
BERT REBHANDL
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