IM KRIEG DER 1. WELTKRIEG IN 3D ist der erste historische Dokumentarfilm in 3D und Farbe. Mit einer einzigartigen Visualität erzählt er von der Pracht der alten Welt, vom Taumel der ersten Kriegsbegeisterung und schließlich von den Schützengräben der großen Schlachten. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde mit der Stereoskopie, der ersten 3D-Technik der Geschichte, eine gewaltige Anzahl dreidimensionaler Bilder geschaffen viele von ihnen handkoloriert. Dieser Schatz wurde für IM KRIEG zur wichtigsten Grundlage. Begleitet werden die Bilder von Zitaten aus Tagebüchern und Briefen, verfasst von so berühmten Zeitgenossen wie dem Schriftsteller Stefan Zweig und dem französischen Cellisten Maurice Maréchal, aber auch von einfachen Soldaten, Männern und Frauen. So entsteht ein Chor der Erinnerung. Zusammen mit der symphonischen Musik von Henrik Albrecht, eingespielt durch das Filmorchester Babelsberg, eröffnen uns die aufwändigst restaurierten 3D-Bilder einen einzigartigen Zugang zu den Ereignissen des 1. Weltkriegs.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2004Die Verwirrung des Lukas Eiserbeck
Zwischen Straßenbahn und Käsetheke: "Schußangst" und "Madrid", zwei neue Filme aus Deutschland
Es ist gut, daß es viele deutsche Filme gibt - mehr als hundert im Jahr -, und es ist schön, daß diese Filme nicht nur von Deutschen gedreht werden. Dito Tsintsadze zum Beispiel, der Regisseur von "Schußangst", stammt aus Georgien. Er hat bei Otar Iosseliani und Elgar Schengelaja studiert, zwei Klassikern des georgischen Kinos. 1996 kam er als Stipendiat des Media-Programms der Europäischen Union nach Deutschland, wo er seither arbeitet. "Schußangst" ist sein zweiter Spielfilm.
"Schußangst" erzählt von Lukas Eiserbeck (Fabian Hinrichs), der als Zivildienstleistender in einer verlotterten deutschen Mittelstadt lebt. Tagsüber bringt Lukas alten und kranken Menschen das Mittagessen, abends und nachts erholt er sich beim Rudern. In der Straßenbahn trifft Lukas das Mädchen Isabella (Lavinia Wilson). Aber Isabella hat ein Verhältnis mit ihrem Stiefvater, Romberg. Irgendwann kauft sich Lukas ein Gewehr. Dann stirbt Romberg an einem Herzinfarkt. Aber Lukas hat Gefallen am Schießen gefunden. So kommt es zu einer absurden und grausamen Tat.
Lukas Eiserbeck ist, wie viele junge Helden des neueren Kinos, ein entfernter Verwandter des Taxi-Drivers Travis Bickle aus Martin Scorseses Film. Wenn man seine Geschichte liest, klingt sie plausibel, selbst in ihren unlogischen, unvermuteten Wendungen. Wenn man sie aber so sieht, wie Dito Tsintsadze sie inszeniert hat, wird sie zur bloßen Behauptung. Denn Tsintsadze hat sich die Mühe gespart, für das, was auf dem Papier rätselhaft, aber verständlich ist, visuelle Entsprechungen zu finden, wahnhafte Bilder der Wirklichkeit, wirkliche Bilder des Wahns. Er hat keinen Film gedreht, sondern Bilder zu einem Text.
Diesen Text, einen Roman, hat Dirk Kurbjuweit verfaßt, Schriftsteller und Journalist, und wenn man will, kann man einige von Kurbjuweits früheren Reportagethemen in "Schußangst" wiedererkennen. Aber das Buch versteht man auch ohne Vorwissen, denn es handelt von einem Daseinsgefühl, einem drängenden Bedürfnis, das viele Menschen in den seltsamen Jahren zwischen Zwanzig und Dreißig befällt: dem Bedürfnis, jetzt, hier und heute die Welt zu verbessern. Der junge Lukas Eiserbeck will dieses Bedürfnis befriedigen, indem er einen Mann erschießt, der für Greueltaten in Bosnien verantwortlich ist. Zugleich will er mit seiner Tat dem Mädchen imponieren, das er liebt und das aus einer muslimischen Familie stammt. Kurbjuweit hat dieses Gewissensdrama in einen genau beschriebenen Rahmen gestellt, in die Stadt Hamburg mit ihren Kanälen und Kiezen, ihren Villen und Einzimmerwohnungen und in die Zeit des Balkankriegs. So faßt er zwei Bilder in eins, ein inneres und ein äußeres, wie jeder gute Romancier.
Dito Tsintsadze dagegen kann mit den Orts- und Zeitangaben des Buchs offenbar nichts anfangen. Deshalb bricht er die Geschichte aus ihrem Rahmen heraus und stellt sie in ein leicht muffiges Ungefähr, das halb wie Hamburg, halb wie Halle oder Zwickau aussieht. Aus dem Kriegsverbrecher macht er einen Psychoberater, der mit dem Slogan "Besiege deine Angst" in Stadthallen auftritt, und aus der muslimischen Geliebten ein verhuschtes Weibchen, das sich in Kampfsportkursen Mut antrainiert. Weil all das noch nicht ausreicht, um neunzig Filmminuten zu füllen, gibt Tsintsadze den Nebenfiguren des Romans ausgiebig Raum: dem Alten, der Lukas von seinen Kriegserlebnissen erzählt, der Frührentnerin, die sich als Prostituierte ein Zubrot verdient, dem Nachbarn, der von der menschlichen Wärme Nordkoreas schwärmt.
Diese Typen füllen die Rücksitze des Films, aber sein Motor springt dennoch nicht an, weil Tsintsadze die Hauptfigur nicht zu fassen kriegt. Der Reiz von Geschichten, deren Helden hinter zugeklappten Seelenfensterläden hausen, liegt darin, das unsichtbare Innere im sichtbaren Äußeren zu spiegeln, den Amokläufer in seiner Welt. Der Spiegel von "Schußangst" aber bleibt blind, er zeigt nur Skurrilitäten, die so zufällig nebeneinanderstehen wie die Dinge in einem Pfandleihhaus. Einmal steht ein Kommissar (Christoph Waltz) vor Lukas' Tür und droht, ihn zu verhaften. Später taucht derselbe Mann noch zweimal auf und redet auf Lukas ein, doch dann verschwindet er ebenso plötzlich aus dem Bild, wie er gekommen ist. So wie mit dieser Figur geht es einem mit dem ganzen Film: Etwas baut sich auf, doch bevor es richtig Kontur gewinnt, ist es zerstoben. Der Schuß, der am Ende fällt, löst keinen Schock aus, sondern Erleichterung darüber, daß der zähe Quark endlich vorbei ist.
Tsintsadzes weibliche Hauptfigur heißt Isabella, die Heldin von Daphne Charizanis Debütfilm "Madrid" heißt Isabel. Auch sie ist auf jene Art undurchschaubar, die man mit Unverständlichkeit verwechseln kann, wenn man die Maßstäbe des normalen Lebens zugrunde legt. Isabel, Kind spanischer Eltern, arbeitet als Angestellte in einem deutschen Supermarkt, wo sie täglich die Kolleginnen zur Ordnung rufen muß, aber die Piepsstimme, mit der die Schauspielerin Kathrin Angerer diese Rolle spricht, reicht kaum von der Fleisch- bis zur Käsetheke. Daphne Charizani, die Regisseurin von "Madrid", ist in Thessaloniki geboren, und vielleicht hätte es ihrem Filmdebüt geholfen, wenn sie es etwas näher an ihrer eigenen Lebenswirklichkeit angesiedelt hätte. Aber wer weiß das schon? Die Jury des Hessischen Filmpreises fand "Madrid" jedenfalls auszeichnungswürdig, während "Schußangst" die Goldene Muschel von San Sebastián und den Goldenen Prometheus von Tiflis gewann. Und irgendwann wird es auch einen Rödelheimer Filmpreis geben, und vor dem Film, der ihn bekommen wird, fürchten wir uns schon jetzt.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Straßenbahn und Käsetheke: "Schußangst" und "Madrid", zwei neue Filme aus Deutschland
Es ist gut, daß es viele deutsche Filme gibt - mehr als hundert im Jahr -, und es ist schön, daß diese Filme nicht nur von Deutschen gedreht werden. Dito Tsintsadze zum Beispiel, der Regisseur von "Schußangst", stammt aus Georgien. Er hat bei Otar Iosseliani und Elgar Schengelaja studiert, zwei Klassikern des georgischen Kinos. 1996 kam er als Stipendiat des Media-Programms der Europäischen Union nach Deutschland, wo er seither arbeitet. "Schußangst" ist sein zweiter Spielfilm.
"Schußangst" erzählt von Lukas Eiserbeck (Fabian Hinrichs), der als Zivildienstleistender in einer verlotterten deutschen Mittelstadt lebt. Tagsüber bringt Lukas alten und kranken Menschen das Mittagessen, abends und nachts erholt er sich beim Rudern. In der Straßenbahn trifft Lukas das Mädchen Isabella (Lavinia Wilson). Aber Isabella hat ein Verhältnis mit ihrem Stiefvater, Romberg. Irgendwann kauft sich Lukas ein Gewehr. Dann stirbt Romberg an einem Herzinfarkt. Aber Lukas hat Gefallen am Schießen gefunden. So kommt es zu einer absurden und grausamen Tat.
Lukas Eiserbeck ist, wie viele junge Helden des neueren Kinos, ein entfernter Verwandter des Taxi-Drivers Travis Bickle aus Martin Scorseses Film. Wenn man seine Geschichte liest, klingt sie plausibel, selbst in ihren unlogischen, unvermuteten Wendungen. Wenn man sie aber so sieht, wie Dito Tsintsadze sie inszeniert hat, wird sie zur bloßen Behauptung. Denn Tsintsadze hat sich die Mühe gespart, für das, was auf dem Papier rätselhaft, aber verständlich ist, visuelle Entsprechungen zu finden, wahnhafte Bilder der Wirklichkeit, wirkliche Bilder des Wahns. Er hat keinen Film gedreht, sondern Bilder zu einem Text.
Diesen Text, einen Roman, hat Dirk Kurbjuweit verfaßt, Schriftsteller und Journalist, und wenn man will, kann man einige von Kurbjuweits früheren Reportagethemen in "Schußangst" wiedererkennen. Aber das Buch versteht man auch ohne Vorwissen, denn es handelt von einem Daseinsgefühl, einem drängenden Bedürfnis, das viele Menschen in den seltsamen Jahren zwischen Zwanzig und Dreißig befällt: dem Bedürfnis, jetzt, hier und heute die Welt zu verbessern. Der junge Lukas Eiserbeck will dieses Bedürfnis befriedigen, indem er einen Mann erschießt, der für Greueltaten in Bosnien verantwortlich ist. Zugleich will er mit seiner Tat dem Mädchen imponieren, das er liebt und das aus einer muslimischen Familie stammt. Kurbjuweit hat dieses Gewissensdrama in einen genau beschriebenen Rahmen gestellt, in die Stadt Hamburg mit ihren Kanälen und Kiezen, ihren Villen und Einzimmerwohnungen und in die Zeit des Balkankriegs. So faßt er zwei Bilder in eins, ein inneres und ein äußeres, wie jeder gute Romancier.
Dito Tsintsadze dagegen kann mit den Orts- und Zeitangaben des Buchs offenbar nichts anfangen. Deshalb bricht er die Geschichte aus ihrem Rahmen heraus und stellt sie in ein leicht muffiges Ungefähr, das halb wie Hamburg, halb wie Halle oder Zwickau aussieht. Aus dem Kriegsverbrecher macht er einen Psychoberater, der mit dem Slogan "Besiege deine Angst" in Stadthallen auftritt, und aus der muslimischen Geliebten ein verhuschtes Weibchen, das sich in Kampfsportkursen Mut antrainiert. Weil all das noch nicht ausreicht, um neunzig Filmminuten zu füllen, gibt Tsintsadze den Nebenfiguren des Romans ausgiebig Raum: dem Alten, der Lukas von seinen Kriegserlebnissen erzählt, der Frührentnerin, die sich als Prostituierte ein Zubrot verdient, dem Nachbarn, der von der menschlichen Wärme Nordkoreas schwärmt.
Diese Typen füllen die Rücksitze des Films, aber sein Motor springt dennoch nicht an, weil Tsintsadze die Hauptfigur nicht zu fassen kriegt. Der Reiz von Geschichten, deren Helden hinter zugeklappten Seelenfensterläden hausen, liegt darin, das unsichtbare Innere im sichtbaren Äußeren zu spiegeln, den Amokläufer in seiner Welt. Der Spiegel von "Schußangst" aber bleibt blind, er zeigt nur Skurrilitäten, die so zufällig nebeneinanderstehen wie die Dinge in einem Pfandleihhaus. Einmal steht ein Kommissar (Christoph Waltz) vor Lukas' Tür und droht, ihn zu verhaften. Später taucht derselbe Mann noch zweimal auf und redet auf Lukas ein, doch dann verschwindet er ebenso plötzlich aus dem Bild, wie er gekommen ist. So wie mit dieser Figur geht es einem mit dem ganzen Film: Etwas baut sich auf, doch bevor es richtig Kontur gewinnt, ist es zerstoben. Der Schuß, der am Ende fällt, löst keinen Schock aus, sondern Erleichterung darüber, daß der zähe Quark endlich vorbei ist.
Tsintsadzes weibliche Hauptfigur heißt Isabella, die Heldin von Daphne Charizanis Debütfilm "Madrid" heißt Isabel. Auch sie ist auf jene Art undurchschaubar, die man mit Unverständlichkeit verwechseln kann, wenn man die Maßstäbe des normalen Lebens zugrunde legt. Isabel, Kind spanischer Eltern, arbeitet als Angestellte in einem deutschen Supermarkt, wo sie täglich die Kolleginnen zur Ordnung rufen muß, aber die Piepsstimme, mit der die Schauspielerin Kathrin Angerer diese Rolle spricht, reicht kaum von der Fleisch- bis zur Käsetheke. Daphne Charizani, die Regisseurin von "Madrid", ist in Thessaloniki geboren, und vielleicht hätte es ihrem Filmdebüt geholfen, wenn sie es etwas näher an ihrer eigenen Lebenswirklichkeit angesiedelt hätte. Aber wer weiß das schon? Die Jury des Hessischen Filmpreises fand "Madrid" jedenfalls auszeichnungswürdig, während "Schußangst" die Goldene Muschel von San Sebastián und den Goldenen Prometheus von Tiflis gewann. Und irgendwann wird es auch einen Rödelheimer Filmpreis geben, und vor dem Film, der ihn bekommen wird, fürchten wir uns schon jetzt.
ANDREAS KILB
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