Es ist ein heißer Sommer im Jahr 1990 in einem Dorf in Thüringen. Die bald 19-jährige Maria lebt mit ihrem Freund Johannes auf dem Hof seiner Eltern und verliert sich lieber in Büchern, als ihren Schulabschluss zu machen. Die Spannung des Umbruchs liegt in der Luft, als sie zufällig Henner, dem Bauer des benachbarten Hofes, begegnet. Eine Berührung reicht aus, um eine überwältigende Leidenschaft zwischen Maria und dem doppelt so alten, eigenwillig charismatischen Mann zu entfachen. In einer Atmosphäre, die von Möglichkeiten vibriert, entsteht im Geheimen eine alles verzehrende Liebe voller Sehnsucht und Begehren.
Bonusmaterial
Interviews mit Cast und Crew Pandora-Trailershow WendecoverFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2023Im Liebesreich der Verlorenheit
Emily Atefs Film "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" schildert eine tragische Leidenschaft im Jahr der deutschen Wiedervereinigung.
Diesen Film durchzieht die unbestimmte Ahnung eines Verlusts. Sie lastet schwer auf den Bauernhöfen, den Feldern, den Hügeln im Abendlicht, den weiten Himmeln Thüringens, zu denen die Kamera immer wieder aufschaut. Sie schreibt sich in die Gebärden der Menschen ein, ob bei der Heuernte, am Essenstisch oder in den Augenblicken, in denen sie mit sich allein sind. Am deutlichsten zeigt sie sich im Gesicht Marias, der Heldin der Geschichte.
Maria ist neunzehn, und sie lebt als Gast bei der Familie, die den Brendel-Hof betreibt, eins von zwei Anwesen abseits der Dörfer, zwischen den Feldern. Ihre Mutter, eine arbeitslose, verlassene, von den politischen Ereignissen verwirrte Frau - es ist der Sommer von 1990, der Sommer vor der Wiedervereinigung -, sieht sie ebenso selten, wie sie noch in die Schule geht, in der sich, wie sie sagt, selbst viele Lehrer nicht mehr blicken lassen. Stattdessen geht sie in die Schule des Lebens, erst mit Johannes, ihrem Freund, dem Sohn ihrer Gastgeber, dann ohne ihn.
Der zweite Hof im Grünen gehört einem Mann namens Henner, von dem es heißt, er verstehe etwas von Pferden "und von Weibern". Henner ist vierzig, genauso alt wie das Land, das gerade verschwindet, aber das weiß Maria nicht, als sie eines Tages durch das hohe Gras vor seine Einfahrt läuft, als seine Hunde sie anfallen und Henner sie zurückruft, bevor er sie an den Schultern fasst und wie prüfend über ihre Brust streicht. Sie weiß nichts über ihn, als sie ihm Tage später, bei der nächsten Begegnung, in sein Haus folgt, in dem die Zeit hinter den knarrenden Türen stillzustehen scheint, und das Glas Schnaps zurückweist, das er ihr anbietet. Dann geht sie in sein Schlafzimmer und öffnet ihr Kleid, und er zieht sie aus.
Daniela Kriens Roman "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" von 2011, aus dem diese Geschichte stammt, ist in der Ich-Form geschrieben, er beglaubigt alles, was er behauptet, durch den Blick seiner Hauptfigur. Emily Atefs elf Jahre später entstandene Verfilmung lehnt sich eng an diese Perspektive an, ohne sie ganz durchhalten zu können, weil manches, was Maria entgeht, dennoch ins Bild muss, etwa jener Verwandtschaftsbesuch, bei dem der in den Westen gegangene, als Unternehmensberater erfolgreiche jüngere Bruder dem älteren, auf dem Brendel-Hof gebliebenen Bruder eine rosige Zukunft ausmalt: "Was ihr hier macht, das nennt man bei uns biodynamische Landwirtschaft." Aber meistens bleibt der Film ganz nah bei Maria, deren Desinteresse an allem, was jenseits der Hügelkuppen geschieht, etwas aufgesetzt wirkt, was nicht zuletzt daran liegt, dass Emily Atef das Alter ihrer Heldin - im Buch ist sie fünfzehn - an das ihrer Darstellerin Marlene Burow anpassen musste. Deshalb gibt es in "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" fast nichts von dem zu hören und zu sehen, was im Sommer 1990 durch die Nachrichten ging, nichts von Treuhand, Einigungsvertrag, Sozialunion und so fort.
Und doch ist alles da. Alles, was kommt, und, mehr noch, alles, was verschwindet. Es steckt in den Mauern der Höfe, hinter den Gardinen, in den Küchen und Wohnstuben, und als Maria sich mit Henner einlässt, betritt sie dieses Reich der Verlorenheit. Nicht dass der raue und verschlossene Mann die DDR repräsentierte; im Gegenteil, er ist ihr Opfer. Aber in seinem Eigenbrötlertum steht er eben doch für eine Gesellschaft, die nur als eingeschlossene existieren konnte. Die Geschichte, die er Maria über sich erzählt, passt dazu: spätes Kind einer vergewaltigten, traumatisierten SS-Soldatenwitwe, Erbe einer aussterbenden Bauerndynastie. Dass der gebrochene Mann und die aufblühende junge Frau keine Chance haben, steht eigentlich von Anfang an fest. Aber in ihren Umarmungen zerren sie das Glück herbei, das ihnen nicht zugedacht ist. Unter dem Vorwand, ihre Mutter zu besuchen, zieht sie für ein paar Tage zu ihm. Dann bekommt sie Fieber. Er wäscht sie und liest ihr Gedichte von Trakl vor. In den dunklen Versen ist der Tod schon bei ihnen, bevor er, ganz am Ende, auch ins Bild rückt.
Und hier gelangt der Film an seine Grenze. Denn zur Geschichte der Liebe, die es nicht geben darf, gehört, jedenfalls im Kino, auch die Erzählung ihres Scheiterns. Aber dafür bietet Daniela Kriens Roman kein Material. Die neue Welt, die in jenem Sommer heraufdämmert, wird nicht zur Bühne für Maria und Henner, es bleibt bei einem kurzen Ausflug nach Bayern, den der Mann entnervt abbricht. Die Amour fou erreicht nie jenen Grad der Verrücktheit, der erst entsteht, wenn sein Ausnahmezustand in Kontakt mit dem Normalzustand aller anderen kommt. Deshalb erzeugt auch der Mechanismus von Trennung, Leiden und Wiedersehen, der alle Liebesgeschichten antreibt, diesmal keine dramatische Energie. Die Liebe bleibt eine Ahnung wie ihr Verlust.
Emily Atef, die deutsche Regisseurin mit französisch-iranischen Wurzeln, hat schon in "Drei Tage in Quiberon" und zuletzt in "Mehr denn je" von Frauen erzählt, die um ihr Recht kämpfen, auf Abwege zu gehen, mal in ein exzessives Leben, mal in einen selbstbestimmten Tod. Dabei war die Besetzung der Hauptrolle jedes Mal die wichtigste Regieentscheidung, und so könnte man auch diesmal sagen, "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" sei der Film von Marlene Burow, die aus der Geschichte des Mädchens Maria eine jener Begegnungen macht, die es nur im Kino gibt. Aber ebenso wichtig ist Felix Kramer als Henner, gerade weil er nicht die geringste Anstrengung unternimmt, seiner Figur einen romantischen Anstrich zu geben. Die Grobheit, die er ausstrahlt, ist so echt wie die Zartheit, die nur seine Geliebte wahrnimmt. Wir sehen ihn zugleich mit ihren und unseren Augen, und schon deshalb ist klar, wie die Liebe enden muss.
"Was danach kam, daran erinnere ich mich kaum." Ihre Beine, die die Kamera in Großaufnahme zeigt, tragen Maria aus der Geschichte fort. Wir aber erinnern uns an das, was kam: die Landschaften, die nicht blühten, die geknickten Biographien, die schwelende Wut. Von all dem vermittelt der Film nur eine Ahnung. Aber manchmal reichen die Ahnungen des Kinos tiefer als die Wahrheiten des Fernsehens. Die einen vergisst man, die anderen gehen einem nach. ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Emily Atefs Film "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" schildert eine tragische Leidenschaft im Jahr der deutschen Wiedervereinigung.
Diesen Film durchzieht die unbestimmte Ahnung eines Verlusts. Sie lastet schwer auf den Bauernhöfen, den Feldern, den Hügeln im Abendlicht, den weiten Himmeln Thüringens, zu denen die Kamera immer wieder aufschaut. Sie schreibt sich in die Gebärden der Menschen ein, ob bei der Heuernte, am Essenstisch oder in den Augenblicken, in denen sie mit sich allein sind. Am deutlichsten zeigt sie sich im Gesicht Marias, der Heldin der Geschichte.
Maria ist neunzehn, und sie lebt als Gast bei der Familie, die den Brendel-Hof betreibt, eins von zwei Anwesen abseits der Dörfer, zwischen den Feldern. Ihre Mutter, eine arbeitslose, verlassene, von den politischen Ereignissen verwirrte Frau - es ist der Sommer von 1990, der Sommer vor der Wiedervereinigung -, sieht sie ebenso selten, wie sie noch in die Schule geht, in der sich, wie sie sagt, selbst viele Lehrer nicht mehr blicken lassen. Stattdessen geht sie in die Schule des Lebens, erst mit Johannes, ihrem Freund, dem Sohn ihrer Gastgeber, dann ohne ihn.
Der zweite Hof im Grünen gehört einem Mann namens Henner, von dem es heißt, er verstehe etwas von Pferden "und von Weibern". Henner ist vierzig, genauso alt wie das Land, das gerade verschwindet, aber das weiß Maria nicht, als sie eines Tages durch das hohe Gras vor seine Einfahrt läuft, als seine Hunde sie anfallen und Henner sie zurückruft, bevor er sie an den Schultern fasst und wie prüfend über ihre Brust streicht. Sie weiß nichts über ihn, als sie ihm Tage später, bei der nächsten Begegnung, in sein Haus folgt, in dem die Zeit hinter den knarrenden Türen stillzustehen scheint, und das Glas Schnaps zurückweist, das er ihr anbietet. Dann geht sie in sein Schlafzimmer und öffnet ihr Kleid, und er zieht sie aus.
Daniela Kriens Roman "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" von 2011, aus dem diese Geschichte stammt, ist in der Ich-Form geschrieben, er beglaubigt alles, was er behauptet, durch den Blick seiner Hauptfigur. Emily Atefs elf Jahre später entstandene Verfilmung lehnt sich eng an diese Perspektive an, ohne sie ganz durchhalten zu können, weil manches, was Maria entgeht, dennoch ins Bild muss, etwa jener Verwandtschaftsbesuch, bei dem der in den Westen gegangene, als Unternehmensberater erfolgreiche jüngere Bruder dem älteren, auf dem Brendel-Hof gebliebenen Bruder eine rosige Zukunft ausmalt: "Was ihr hier macht, das nennt man bei uns biodynamische Landwirtschaft." Aber meistens bleibt der Film ganz nah bei Maria, deren Desinteresse an allem, was jenseits der Hügelkuppen geschieht, etwas aufgesetzt wirkt, was nicht zuletzt daran liegt, dass Emily Atef das Alter ihrer Heldin - im Buch ist sie fünfzehn - an das ihrer Darstellerin Marlene Burow anpassen musste. Deshalb gibt es in "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" fast nichts von dem zu hören und zu sehen, was im Sommer 1990 durch die Nachrichten ging, nichts von Treuhand, Einigungsvertrag, Sozialunion und so fort.
Und doch ist alles da. Alles, was kommt, und, mehr noch, alles, was verschwindet. Es steckt in den Mauern der Höfe, hinter den Gardinen, in den Küchen und Wohnstuben, und als Maria sich mit Henner einlässt, betritt sie dieses Reich der Verlorenheit. Nicht dass der raue und verschlossene Mann die DDR repräsentierte; im Gegenteil, er ist ihr Opfer. Aber in seinem Eigenbrötlertum steht er eben doch für eine Gesellschaft, die nur als eingeschlossene existieren konnte. Die Geschichte, die er Maria über sich erzählt, passt dazu: spätes Kind einer vergewaltigten, traumatisierten SS-Soldatenwitwe, Erbe einer aussterbenden Bauerndynastie. Dass der gebrochene Mann und die aufblühende junge Frau keine Chance haben, steht eigentlich von Anfang an fest. Aber in ihren Umarmungen zerren sie das Glück herbei, das ihnen nicht zugedacht ist. Unter dem Vorwand, ihre Mutter zu besuchen, zieht sie für ein paar Tage zu ihm. Dann bekommt sie Fieber. Er wäscht sie und liest ihr Gedichte von Trakl vor. In den dunklen Versen ist der Tod schon bei ihnen, bevor er, ganz am Ende, auch ins Bild rückt.
Und hier gelangt der Film an seine Grenze. Denn zur Geschichte der Liebe, die es nicht geben darf, gehört, jedenfalls im Kino, auch die Erzählung ihres Scheiterns. Aber dafür bietet Daniela Kriens Roman kein Material. Die neue Welt, die in jenem Sommer heraufdämmert, wird nicht zur Bühne für Maria und Henner, es bleibt bei einem kurzen Ausflug nach Bayern, den der Mann entnervt abbricht. Die Amour fou erreicht nie jenen Grad der Verrücktheit, der erst entsteht, wenn sein Ausnahmezustand in Kontakt mit dem Normalzustand aller anderen kommt. Deshalb erzeugt auch der Mechanismus von Trennung, Leiden und Wiedersehen, der alle Liebesgeschichten antreibt, diesmal keine dramatische Energie. Die Liebe bleibt eine Ahnung wie ihr Verlust.
Emily Atef, die deutsche Regisseurin mit französisch-iranischen Wurzeln, hat schon in "Drei Tage in Quiberon" und zuletzt in "Mehr denn je" von Frauen erzählt, die um ihr Recht kämpfen, auf Abwege zu gehen, mal in ein exzessives Leben, mal in einen selbstbestimmten Tod. Dabei war die Besetzung der Hauptrolle jedes Mal die wichtigste Regieentscheidung, und so könnte man auch diesmal sagen, "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" sei der Film von Marlene Burow, die aus der Geschichte des Mädchens Maria eine jener Begegnungen macht, die es nur im Kino gibt. Aber ebenso wichtig ist Felix Kramer als Henner, gerade weil er nicht die geringste Anstrengung unternimmt, seiner Figur einen romantischen Anstrich zu geben. Die Grobheit, die er ausstrahlt, ist so echt wie die Zartheit, die nur seine Geliebte wahrnimmt. Wir sehen ihn zugleich mit ihren und unseren Augen, und schon deshalb ist klar, wie die Liebe enden muss.
"Was danach kam, daran erinnere ich mich kaum." Ihre Beine, die die Kamera in Großaufnahme zeigt, tragen Maria aus der Geschichte fort. Wir aber erinnern uns an das, was kam: die Landschaften, die nicht blühten, die geknickten Biographien, die schwelende Wut. Von all dem vermittelt der Film nur eine Ahnung. Aber manchmal reichen die Ahnungen des Kinos tiefer als die Wahrheiten des Fernsehens. Die einen vergisst man, die anderen gehen einem nach. ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main