Hans de Beers Bilderbücher vom kleinen Eisbären erreichten Rekordauflagen und zählen heute schon fast zur Kinderzimmer-Grundausstattung. Auch die gleichnamigen Hörspielkassetten sind längst Bestseller - und für viele Kinder sind die fünfminütigen Kurzfilme des liebenswerten Polartiers der absolute Höhepunkt jeder "Sendung mit der Maus". Jetzt gibt es die gesammelten Geschichten auf einer Videokassette! Wie der kleine Eisbär Lars seine Freundin Lena Schnehase kennenlernte, wie er höchstpersönlich das Ei ausbrütete, aus dem dann seine Freundin Pieps schlüpfte, wie sich Lars zum ersten Mal jenseits der Schneegrenze wagte und dort den abenteuerlustigen Brauni Braunbär kennenlernte. In detailverliebten Bildern, mit leisem Humor und vor allem sehr viel Spannung erzählt dieses Video von Lars' aufregendem Ausflug in die Polarstation, wie er einem Fischer ins Netz ging, wie Lars sich im Eislabyrinth verirrte, wie er die Bekanntschaft von Orca dem Reisewal machte, wie es ihn auf einer abgetriebenen Eisscholle zu einer tropischen Insel verschlug, wie er Pieps das Fliegen beizubringen versuchte und wie er sich zum ersten mal verliebte... Kurtzgeschichten: - Die Eisscholle, - Der Schneesturm, - Das Ei, - Die Polarstation, - Das Netz, - Die Falle, - Der Auftrag, - Der Tierfänger, - Die Eishöhle, - Das Labyrinth, - Der Wetterballon, - Das Boot, - Das Fass, - Das Buch, - Die Wabe, - Die Blume, - Der Teddy, - Weißbär, - Das Konzert, - Der Wettkampf, - Das Lagerfeuer, - Die Polarnacht, - Die Streiche, - Bauchschmerz, - Liebesgeschichte, - Der Schlittenhund
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2001Der Pinguin als Stimmungskanone
Odyssee im Zickzackkurs: Der Kinderkinofilm vom "Kleinen Eisbären"
Zunächst sind die Lemminge sehr zu loben, auch wenn sie nur Nebenrollen spielen. Verdrossen zockeln die braunen Burschen auf die Klippe zu und begleiten sich selbst mit einem quengelnden Sprechgesang: "Nichts finden wir wunderbar. Alles ist schlechter, als es gestern war. Nichts finden wir wund. . ." Da stürzt auch schon der erste kopfüber hinunter, die anderen purzeln hinterher; sie werden aber aufgefangen. Wie wichtig ist es doch, daß es mehr gibt als Gut und Böse in einem Kinderfilm! Nämlich auch das Mittelmäßige, die schlechte Laune oder sogar die Depression. Das verleiht einem zu Niedlichkeit neigenden Zeichentrickfilm wie dem vom "Kleinen Eisbären" ein angenehmes, natürlich niemals zu stark nach unten ziehendes Gewicht und mischt etwas Alltagsgrau in das viele Kuschelweiß. Die Lemminge sind trotz ihrer seelischen Labilität eine Art Erdung für den kleinen Lars - wie auch für den kleinen Zuschauer.
Jedes Kindergartenkind kennt ihn und jeder "Maus"-Gucker: Lars ist der nette junge Eisbär von nebenan; lebhaft, tapsig und manchmal auch ein wenig ängstlich, so daß man mit ihm zusammen lernen kann, mutiger zu werden. Die Bilderbücher über ihn werden seit Jahren bestens verkauft, denn man macht mit ihnen nichts falsch. Das gleiche gilt für die Plüschtiere, Tassen und Radiergummis. Nun kommt mit dem Kinofilm mehr von alledem auf uns zu: mehr Tassen, mehr Plüsch, mehr Eis und mehr Bär. Und mehr Gelegenheit, nichts falsch zu machen. Mit ein paar Kindern und einem Eimer Popcorn im Kino zu sitzen und diesen Film anzuschauen kann an einem verregneten Herbstnachmittag das einzig Richtige sein.
Schon in den Büchern konnte man die Leere genießen, mit der Hans de Beer, der Erfinder des "kleinen Eisbären", seinen kleinen Helden umgab. Man blätterte durch eine stille, pastellfarben angehauchte Schneewelt, in der sich ein kleiner wollweißer Wuschel von einem Eisbärenkind bewegte. Eisflächen, Schneefelder, Gletscher, Meer und Himmel beherrschen nun auch weite Strecken des Animationsfilms. Immer wieder sehen wir Lars oder einen seiner Gefährten als kleine hoppelnde Silhouetten die weiße Landschaft diagonal durchqueren. Das Kinoformat bringt die endlose arktische Weite erst richtig zur Geltung und läßt sie nicht mehr nur heimelig, sondern auch majestätisch wirken. Hinzu kommen rasante Kamerafahrten durch Gletscherschluchten, unter Wasser oder in der Luft über dem Packeis, immer aus dem Blickwinkel eines der Tiere und in einer Geschwindigkeit, die noch Zeit zur Bewunderung des künstlichen Naturschauspiels läßt.
Was allerdings bei den Landschaften und Hintergründen angenehm auffällt, enttäuscht bei der Gestaltung der Figuren: Daß Eisbärengesichter so leer sein können! Lars ist nun mal fortan nicht mehr nur ein einfacher kleiner Bilderbucheisbär aus Holland, sondern ein von den Vermarktern so genannter character, dessen Physiognomie in möglichst vielen Ländern funktionieren soll. Sobald eine Figur zum character befördert wird, hat sie keinen mehr. Nun war der kleine Eisbär auch bislang schon nicht gerade unverwechselbar - man hat das bei ausgeprägten Persönlichkeiten wie Pu dem Bären schon schmerzhafter erlebt.
Den überwiegend deutschen und niederländischen Produzenten scheint der Verlust zumindest bewußt zu sein, denn sie tun ihr möglichstes, ihn durch Dialoge, Stimmen, Geräuschkulissen und Nebenhandlungen wettzumachen. Um den weißen Fleck Lars und seine schlichte Geschichte herum bewegt sich ein unterhaltsames, munteres Ensemble aus running gags, kleinen Dramen und schrägen, liebenswerten Gestalten wie etwa der Gruppe der Lemminge und ihrem Retter Caruso, einer wahren Stimmungskanone von einem Pinguin.
Auch die Geschichte ist auf Mehrfachverwertung hin konzipiert. Der etwa eineinhalbstündige Film läßt sich bequem in drei Teile fürs Fernsehen zerstückeln. Man bemerkt die Sollbruchstellen, ist aber dankbar, daß sich dennoch ein längerer Handlungsfaden durch den Film zieht - anders als bei "Pippi Langstrumpf" oder "Pettersson und Findus", die nur aus aneinandergereihten Episoden bestehen. Zweimal wird es spannend: zuerst, als Lars auf seiner Eisscholle fortgetrieben wird und in südlichere Gefilde kommt, wo die Scholle zu schmelzen beginnt und er beinahe ertrinkt. Ganz allein rudert das Bärenkind in weitausholenden glasgrünen Wogen. Im Saal verstummt das Popcorn-Knurpsen, das sonst eine beständige Geräuschkulisse abgibt.
Noch einmal wird es ganz still, zum klassischen Showdown am Schluß, als es darum geht, das riesige dunkle Fischfangschiff gegen ein Riff zu lenken, damit es manövrierunfähig wird und all die Fisch- und Robbenschwärme wieder aus seinem Bauch entläßt. Die Szene ist so bedrohlich für den kleinen Eisbären, daß erstens der Spaßvogel Caruso immer wieder zwischengeschaltet wird, damit die Kinder ihre Spannung herauslachen können. Zweitens merkt vor Aufregung kaum eines, wie unlogisch die Geschichte mit dem unheimlichen Schiff ist, die doch eigentlich das dramaturgische Gerüst des Filmes abgeben soll. "Wer steuert denn das Schiff?" fragt dann doch ein Junge. So werden die Erwachsenen auf dem Heimweg noch etwas zu erläutern haben, was besser ist als ein allzu ökologisch korrekter Schluß, in dem alles erklärt wird, aber doch nichts stimmt.
Wer steuert denn das Schiff? Das wüßten auch wir gerne in bezug auf die Gesamtkonzeption des Films, der einem merkwürdigen Zickzackkurs folgt. Da ist die wenig überzeugende Rahmengeschichte, die begleitet wird von einer Reihe geistreicher und psychologisch schlüssiger Randerzählungen. Da sind die stereotyp gezeichneten Hauptfiguren, umringt von originellen und liebenswerten Gesellen, die in wunderbaren Choreographien auftreten. Da ist schließlich die gelungene Stimmenauswahl und -regie, die mit einem enttäuschenden Soundtrack kontrastiert. Zwar sind die Produzenten mächtig stolz darauf, einen neuen Hit der "No Angels" mit dabei zu haben, aber dann verstecken sie ihn als Begleitmusik im Nachspann. Im Film wird das Schiff von einer gesichtslosen Macht vorangetrieben, die nur auf Profit aus ist und auf Lebensräume keine Rücksicht nimmt. Bei der Produktion des "Kleinen Eisbären" hat man offenbar gegen eine solche Haltung angekämpft und mal gewonnen, mal verloren. Nur so konnte ein unterhaltsamer Film entstehen, der nicht aus einem Guß, aber sympathisch ist.
MONIKA OSBERGHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Odyssee im Zickzackkurs: Der Kinderkinofilm vom "Kleinen Eisbären"
Zunächst sind die Lemminge sehr zu loben, auch wenn sie nur Nebenrollen spielen. Verdrossen zockeln die braunen Burschen auf die Klippe zu und begleiten sich selbst mit einem quengelnden Sprechgesang: "Nichts finden wir wunderbar. Alles ist schlechter, als es gestern war. Nichts finden wir wund. . ." Da stürzt auch schon der erste kopfüber hinunter, die anderen purzeln hinterher; sie werden aber aufgefangen. Wie wichtig ist es doch, daß es mehr gibt als Gut und Böse in einem Kinderfilm! Nämlich auch das Mittelmäßige, die schlechte Laune oder sogar die Depression. Das verleiht einem zu Niedlichkeit neigenden Zeichentrickfilm wie dem vom "Kleinen Eisbären" ein angenehmes, natürlich niemals zu stark nach unten ziehendes Gewicht und mischt etwas Alltagsgrau in das viele Kuschelweiß. Die Lemminge sind trotz ihrer seelischen Labilität eine Art Erdung für den kleinen Lars - wie auch für den kleinen Zuschauer.
Jedes Kindergartenkind kennt ihn und jeder "Maus"-Gucker: Lars ist der nette junge Eisbär von nebenan; lebhaft, tapsig und manchmal auch ein wenig ängstlich, so daß man mit ihm zusammen lernen kann, mutiger zu werden. Die Bilderbücher über ihn werden seit Jahren bestens verkauft, denn man macht mit ihnen nichts falsch. Das gleiche gilt für die Plüschtiere, Tassen und Radiergummis. Nun kommt mit dem Kinofilm mehr von alledem auf uns zu: mehr Tassen, mehr Plüsch, mehr Eis und mehr Bär. Und mehr Gelegenheit, nichts falsch zu machen. Mit ein paar Kindern und einem Eimer Popcorn im Kino zu sitzen und diesen Film anzuschauen kann an einem verregneten Herbstnachmittag das einzig Richtige sein.
Schon in den Büchern konnte man die Leere genießen, mit der Hans de Beer, der Erfinder des "kleinen Eisbären", seinen kleinen Helden umgab. Man blätterte durch eine stille, pastellfarben angehauchte Schneewelt, in der sich ein kleiner wollweißer Wuschel von einem Eisbärenkind bewegte. Eisflächen, Schneefelder, Gletscher, Meer und Himmel beherrschen nun auch weite Strecken des Animationsfilms. Immer wieder sehen wir Lars oder einen seiner Gefährten als kleine hoppelnde Silhouetten die weiße Landschaft diagonal durchqueren. Das Kinoformat bringt die endlose arktische Weite erst richtig zur Geltung und läßt sie nicht mehr nur heimelig, sondern auch majestätisch wirken. Hinzu kommen rasante Kamerafahrten durch Gletscherschluchten, unter Wasser oder in der Luft über dem Packeis, immer aus dem Blickwinkel eines der Tiere und in einer Geschwindigkeit, die noch Zeit zur Bewunderung des künstlichen Naturschauspiels läßt.
Was allerdings bei den Landschaften und Hintergründen angenehm auffällt, enttäuscht bei der Gestaltung der Figuren: Daß Eisbärengesichter so leer sein können! Lars ist nun mal fortan nicht mehr nur ein einfacher kleiner Bilderbucheisbär aus Holland, sondern ein von den Vermarktern so genannter character, dessen Physiognomie in möglichst vielen Ländern funktionieren soll. Sobald eine Figur zum character befördert wird, hat sie keinen mehr. Nun war der kleine Eisbär auch bislang schon nicht gerade unverwechselbar - man hat das bei ausgeprägten Persönlichkeiten wie Pu dem Bären schon schmerzhafter erlebt.
Den überwiegend deutschen und niederländischen Produzenten scheint der Verlust zumindest bewußt zu sein, denn sie tun ihr möglichstes, ihn durch Dialoge, Stimmen, Geräuschkulissen und Nebenhandlungen wettzumachen. Um den weißen Fleck Lars und seine schlichte Geschichte herum bewegt sich ein unterhaltsames, munteres Ensemble aus running gags, kleinen Dramen und schrägen, liebenswerten Gestalten wie etwa der Gruppe der Lemminge und ihrem Retter Caruso, einer wahren Stimmungskanone von einem Pinguin.
Auch die Geschichte ist auf Mehrfachverwertung hin konzipiert. Der etwa eineinhalbstündige Film läßt sich bequem in drei Teile fürs Fernsehen zerstückeln. Man bemerkt die Sollbruchstellen, ist aber dankbar, daß sich dennoch ein längerer Handlungsfaden durch den Film zieht - anders als bei "Pippi Langstrumpf" oder "Pettersson und Findus", die nur aus aneinandergereihten Episoden bestehen. Zweimal wird es spannend: zuerst, als Lars auf seiner Eisscholle fortgetrieben wird und in südlichere Gefilde kommt, wo die Scholle zu schmelzen beginnt und er beinahe ertrinkt. Ganz allein rudert das Bärenkind in weitausholenden glasgrünen Wogen. Im Saal verstummt das Popcorn-Knurpsen, das sonst eine beständige Geräuschkulisse abgibt.
Noch einmal wird es ganz still, zum klassischen Showdown am Schluß, als es darum geht, das riesige dunkle Fischfangschiff gegen ein Riff zu lenken, damit es manövrierunfähig wird und all die Fisch- und Robbenschwärme wieder aus seinem Bauch entläßt. Die Szene ist so bedrohlich für den kleinen Eisbären, daß erstens der Spaßvogel Caruso immer wieder zwischengeschaltet wird, damit die Kinder ihre Spannung herauslachen können. Zweitens merkt vor Aufregung kaum eines, wie unlogisch die Geschichte mit dem unheimlichen Schiff ist, die doch eigentlich das dramaturgische Gerüst des Filmes abgeben soll. "Wer steuert denn das Schiff?" fragt dann doch ein Junge. So werden die Erwachsenen auf dem Heimweg noch etwas zu erläutern haben, was besser ist als ein allzu ökologisch korrekter Schluß, in dem alles erklärt wird, aber doch nichts stimmt.
Wer steuert denn das Schiff? Das wüßten auch wir gerne in bezug auf die Gesamtkonzeption des Films, der einem merkwürdigen Zickzackkurs folgt. Da ist die wenig überzeugende Rahmengeschichte, die begleitet wird von einer Reihe geistreicher und psychologisch schlüssiger Randerzählungen. Da sind die stereotyp gezeichneten Hauptfiguren, umringt von originellen und liebenswerten Gesellen, die in wunderbaren Choreographien auftreten. Da ist schließlich die gelungene Stimmenauswahl und -regie, die mit einem enttäuschenden Soundtrack kontrastiert. Zwar sind die Produzenten mächtig stolz darauf, einen neuen Hit der "No Angels" mit dabei zu haben, aber dann verstecken sie ihn als Begleitmusik im Nachspann. Im Film wird das Schiff von einer gesichtslosen Macht vorangetrieben, die nur auf Profit aus ist und auf Lebensräume keine Rücksicht nimmt. Bei der Produktion des "Kleinen Eisbären" hat man offenbar gegen eine solche Haltung angekämpft und mal gewonnen, mal verloren. Nur so konnte ein unterhaltsamer Film entstehen, der nicht aus einem Guß, aber sympathisch ist.
MONIKA OSBERGHAUS
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