1995 - BAFTA Awards:
Bester britischer Film des Jahres
Krankenschwester Juliet, Buchhalter David und Journalist Alex suchen für ihre WG einen neuen Mitbewohner. Sie entscheiden sich für den mysteriösen Hugo, den sie am nächsten Tag tot auffinden. Seine Hinterlassenschaft: eine Schublade mit Drogen und ein Koffer voll Geld. Nach langem Hin und Her beschließen sie, das Geld zu behalten und die Leiche zu vergraben.
Bester britischer Film des Jahres
Krankenschwester Juliet, Buchhalter David und Journalist Alex suchen für ihre WG einen neuen Mitbewohner. Sie entscheiden sich für den mysteriösen Hugo, den sie am nächsten Tag tot auffinden. Seine Hinterlassenschaft: eine Schublade mit Drogen und ein Koffer voll Geld. Nach langem Hin und Her beschließen sie, das Geld zu behalten und die Leiche zu vergraben.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - FilmographienFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.1995Wenn das Leben porös wird
Die Kunst der Leichenfledderei im System der Wohngemeinschaft: Danny Boyles schwarzer Film "Kleine Morde unter Freunden"
"Eine britische Komödie, höllisch schwarz", nennt der Verleih den in Schottland produzierten Film "Kleine Morde unter Freunden" des britischen Regisseurs Danny Boyle. Man kann es so sehen. "Shallow Grave", so der treffendere Originaltitel, wäre dann ein frivoles Lustspiel um den losen Umgang mit Leichen, ganz in der Tradition literarischer und filmischer Vorgänger wie Robert Louis Stevensons "The Wrong Box" und Alfred Hitchcocks "The Trouble with Harry" - ein zumindest in moralischer Hinsicht "seichtes" Grab würde hier ausgehoben. Tatsächlich folgt der Film anfangs eine ganze Weile der in Sachen heimlicher Leichenbeseitigung klassischen Frage "Wohin mit dem Kerl?".
Der Kerl ist in diesem Fall das neue Mitglied einer Wohngemeinschaft. Gestern erst haben ihn Juliet, die Ärztin, David, der Buchhalter, und Alex, der Journalist, als Mitbewohner ihrer innenarchitektonisch einwandfreien Mittelstands-WG akzeptiert, heute schon liegt er drogentot im Bett und unter ihm ein Koffer voller Bargeld ungeklärter Herkunft. Die drei Freunde nehmen das Geld und entledigen sich, um alle Spuren zu verwischen, des Toten mit einer Energie, die einen Polizisten auf tiefere Verstrickung schließen lassen müßte. Jeder kann etwas aus seiner Berufserfahrung beisteuern: Der Journalist liefert schlaue Sprüche ("Wir müssen zuerst seine Zähne ziehen"), der Buchhalter die nötige Sorgfalt beim Zerlegen der Leiche, die Ärztin Möglichkeiten zur Teilentsorgung im Krankenhaus.
Die komischen Signale sind zumindest im ersten Drittel des Filmes deutlich gesetzt; etwa wenn dessen Helden auf der Suche nach geeignetem Scharr-, Schneid-und Grabwerkzeug in patenter Heimwerkermanier laut disputierend einen Baumarkt durchstreifen; oder wenn Juliet (Kerry Fox) den nach erfolgter Zerstückelung apathisch vor sich hin starrenden David im schwammigen Betroffenheitsjargon fragt, ob er "darüber reden" wolle. Aber schon bald wird deutlich, daß das Interesse des Regisseurs wie auch des Drehbuchautors John Hodge weniger der makabren Leichenfledderei als der psychologischen Feinzeichnung der Charaktere gilt.
Mit dem brutalen Akt am toten Leib des Mitbewohners hat die Gewalt Einzug im Leben der drei Täter gehalten. Der Film verfolgt nun, wie sie sich dort breitmacht. Dient ihnen das erprobte Wissen um die Zerstörbarkeit des menschlichen Körpers zunächst als lebenssteigernder Kraftquell, so wendet sich die neugewonnene Energie bald schon gegen die Komplizen - dieses Thema hat sich "Kleine Morde unter Freunden" bei den Gangsterdramen des film noir abgeguckt. Als David, der in seiner peniblen, skrupulösen Art ganz dem Stereotyp des Buchhalters entspricht, während einer Feier einen anderen Gast ungewohnt selbstgewiß anfährt und ihn zu zerstückeln droht, glauben Juliet und Alex, er sei nun "bis ans Äußerste seiner Männlichkeit gegangen".
Sie sollen sich geirrt haben. Gemäß der durch und durch britischen Überzeugung, daß der Normale der verkappt Perverse, der Ausgeflippte hingegen nur ein kostümierter Spießer ist, gewinnt David schnell Oberhand über den flotten Alex (Ewan McGregor). Mit dem gefüllten Geldkoffer zieht er sich auf den Dachboden über der gemeinsamen Wohnung zurück und bohrt Gucklöcher in symmetrischer Anordnung in dessen Dielen. Dieser Bildeinfall zählt zu den beeindruckendsten des visuell durchdachten Filmes: Während die dunklen Punkte an der Wohnungsdecke ein unheilvolles Muster über den Köpfen der Mitbewohner bilden, durchbohrt eine Armada lichter Speerspitzen Davids dämmriges Versteck. Beide Parteien führen auf diese Weise ein porös gewordenes Leben: umstellt von imaginären Gefahren oder unter ständige mißtrauische Beobachtung gestellt.
Der Täter mit Gewissen erweist sich als der gefährlichste, weil er einerseits unberechenbar ist und andererseits seine Unberechenbarkeit mit notfalls tödlicher Konsequenz betreibt. Auch kennt er kein Doppelleben - hat er die durch sein Gewissen gesteckte Grenze erst überschritten, gibt es kein Zurück mehr; sein Kodex zerfällt ihm zu Sägemehl. Anders als Juliet und Alex kann David sein Gewissen nicht durch exzessives Shopping beruhigen. Nach dem "Mord" an einer Leiche ist der tatsächliche Mord für ihn nicht nur denkbar geworden, sondern ein konstitutiver Teil seines Denkens. Zwei Unterweltgestalten, die auf der Suche nach dem Geld des Verstorbenen in die schottische WG einbrechen, fallen David daher umstandslos zum Opfer.
Christopher Eccleston, ein bisher kaum bekannter Schauspieler, interpretiert die Figur des David mit einer Zurückhaltung, die Abgründe lieber ahnen läßt, als sie bildkräftig klaffen zu lassen. Überhaupt zeichnet sich der mit geringem Budget produzierte Film durch solide Schauspielleistungen und eine verhaltene Dramaturgie aus, die auf Schockeffekte verzichten kann. Daß "Kleine Morde unter Freunden" dennoch einen zwiespältigen Eindruck hinterläßt, hat seinen Grund wohl in einem Drehbuch, das sein gewichtiges Thema - Schuld und Sühne - mit leichter Hand aufgreifen möchte. So wird nicht die Satire mit tieferer Bedeutung angereichert (was möglich wäre), sondern allzuoft die ernste Sache durch Scherze verwässert. Daran vermag dann auch eine angestrengt komödiantische Pointe nichts mehr zu ändern. STEFFEN JACOBS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Kunst der Leichenfledderei im System der Wohngemeinschaft: Danny Boyles schwarzer Film "Kleine Morde unter Freunden"
"Eine britische Komödie, höllisch schwarz", nennt der Verleih den in Schottland produzierten Film "Kleine Morde unter Freunden" des britischen Regisseurs Danny Boyle. Man kann es so sehen. "Shallow Grave", so der treffendere Originaltitel, wäre dann ein frivoles Lustspiel um den losen Umgang mit Leichen, ganz in der Tradition literarischer und filmischer Vorgänger wie Robert Louis Stevensons "The Wrong Box" und Alfred Hitchcocks "The Trouble with Harry" - ein zumindest in moralischer Hinsicht "seichtes" Grab würde hier ausgehoben. Tatsächlich folgt der Film anfangs eine ganze Weile der in Sachen heimlicher Leichenbeseitigung klassischen Frage "Wohin mit dem Kerl?".
Der Kerl ist in diesem Fall das neue Mitglied einer Wohngemeinschaft. Gestern erst haben ihn Juliet, die Ärztin, David, der Buchhalter, und Alex, der Journalist, als Mitbewohner ihrer innenarchitektonisch einwandfreien Mittelstands-WG akzeptiert, heute schon liegt er drogentot im Bett und unter ihm ein Koffer voller Bargeld ungeklärter Herkunft. Die drei Freunde nehmen das Geld und entledigen sich, um alle Spuren zu verwischen, des Toten mit einer Energie, die einen Polizisten auf tiefere Verstrickung schließen lassen müßte. Jeder kann etwas aus seiner Berufserfahrung beisteuern: Der Journalist liefert schlaue Sprüche ("Wir müssen zuerst seine Zähne ziehen"), der Buchhalter die nötige Sorgfalt beim Zerlegen der Leiche, die Ärztin Möglichkeiten zur Teilentsorgung im Krankenhaus.
Die komischen Signale sind zumindest im ersten Drittel des Filmes deutlich gesetzt; etwa wenn dessen Helden auf der Suche nach geeignetem Scharr-, Schneid-und Grabwerkzeug in patenter Heimwerkermanier laut disputierend einen Baumarkt durchstreifen; oder wenn Juliet (Kerry Fox) den nach erfolgter Zerstückelung apathisch vor sich hin starrenden David im schwammigen Betroffenheitsjargon fragt, ob er "darüber reden" wolle. Aber schon bald wird deutlich, daß das Interesse des Regisseurs wie auch des Drehbuchautors John Hodge weniger der makabren Leichenfledderei als der psychologischen Feinzeichnung der Charaktere gilt.
Mit dem brutalen Akt am toten Leib des Mitbewohners hat die Gewalt Einzug im Leben der drei Täter gehalten. Der Film verfolgt nun, wie sie sich dort breitmacht. Dient ihnen das erprobte Wissen um die Zerstörbarkeit des menschlichen Körpers zunächst als lebenssteigernder Kraftquell, so wendet sich die neugewonnene Energie bald schon gegen die Komplizen - dieses Thema hat sich "Kleine Morde unter Freunden" bei den Gangsterdramen des film noir abgeguckt. Als David, der in seiner peniblen, skrupulösen Art ganz dem Stereotyp des Buchhalters entspricht, während einer Feier einen anderen Gast ungewohnt selbstgewiß anfährt und ihn zu zerstückeln droht, glauben Juliet und Alex, er sei nun "bis ans Äußerste seiner Männlichkeit gegangen".
Sie sollen sich geirrt haben. Gemäß der durch und durch britischen Überzeugung, daß der Normale der verkappt Perverse, der Ausgeflippte hingegen nur ein kostümierter Spießer ist, gewinnt David schnell Oberhand über den flotten Alex (Ewan McGregor). Mit dem gefüllten Geldkoffer zieht er sich auf den Dachboden über der gemeinsamen Wohnung zurück und bohrt Gucklöcher in symmetrischer Anordnung in dessen Dielen. Dieser Bildeinfall zählt zu den beeindruckendsten des visuell durchdachten Filmes: Während die dunklen Punkte an der Wohnungsdecke ein unheilvolles Muster über den Köpfen der Mitbewohner bilden, durchbohrt eine Armada lichter Speerspitzen Davids dämmriges Versteck. Beide Parteien führen auf diese Weise ein porös gewordenes Leben: umstellt von imaginären Gefahren oder unter ständige mißtrauische Beobachtung gestellt.
Der Täter mit Gewissen erweist sich als der gefährlichste, weil er einerseits unberechenbar ist und andererseits seine Unberechenbarkeit mit notfalls tödlicher Konsequenz betreibt. Auch kennt er kein Doppelleben - hat er die durch sein Gewissen gesteckte Grenze erst überschritten, gibt es kein Zurück mehr; sein Kodex zerfällt ihm zu Sägemehl. Anders als Juliet und Alex kann David sein Gewissen nicht durch exzessives Shopping beruhigen. Nach dem "Mord" an einer Leiche ist der tatsächliche Mord für ihn nicht nur denkbar geworden, sondern ein konstitutiver Teil seines Denkens. Zwei Unterweltgestalten, die auf der Suche nach dem Geld des Verstorbenen in die schottische WG einbrechen, fallen David daher umstandslos zum Opfer.
Christopher Eccleston, ein bisher kaum bekannter Schauspieler, interpretiert die Figur des David mit einer Zurückhaltung, die Abgründe lieber ahnen läßt, als sie bildkräftig klaffen zu lassen. Überhaupt zeichnet sich der mit geringem Budget produzierte Film durch solide Schauspielleistungen und eine verhaltene Dramaturgie aus, die auf Schockeffekte verzichten kann. Daß "Kleine Morde unter Freunden" dennoch einen zwiespältigen Eindruck hinterläßt, hat seinen Grund wohl in einem Drehbuch, das sein gewichtiges Thema - Schuld und Sühne - mit leichter Hand aufgreifen möchte. So wird nicht die Satire mit tieferer Bedeutung angereichert (was möglich wäre), sondern allzuoft die ernste Sache durch Scherze verwässert. Daran vermag dann auch eine angestrengt komödiantische Pointe nichts mehr zu ändern. STEFFEN JACOBS
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