Sie heißt Grazia und ist wie das Meer: abgründig, voller Höhen und Tiefen, einmal sanft, ein Wärmestrom der Zärtlichkeit, dann wieder aggressiv, stürmisch wild. In jedem Fall zu unberechenbar, zu kompliziert für die Bewohner von Lampedusa, einer Insel im Süden Siziliens, wo man sich eben so durchs Leben schlägt. Die Männer fahren zur See, die Frauen arbeiten in der Fischfabrik. Droben auf den Klippen erproben sich die Jungen in Revierkämpfen oder bei der Vogeljagd. Und abends geht es dann, fein geschniegelt und gebügelt, in die Via Roma zum Flanieren, zum alten Spiel zwischen ragazzi und ragazze. Eigentlich wäre alles in Ordnung...
...wäre da nicht diese Grazia, Mutter eines pubertierenden Mädchens
und von zwei aufmüpfigen Buben. Der Dorfgemeinschaft sind die sinnliche Unbefangenheit der jungen Frau und ihre wechselhaften Launen ein ständiger, irritierender Dorn im Auge. Die meisten halten Grazia schlicht und einfach für verrückt. Pietro, ihr Ehemann, fühlt sich mehr und mehr unter Druck gesetzt, bis er schließlich einverstanden ist, seine Frau zu einer Behandlung nach Mailand zu schicken. Aber Grazia läuft davon. Und Pasquale, ihr 13jähriger Sohn, wird - allein gegen alle - Mittel und Wege finden, seine über alles geliebte Mutter zu beschützen...
Lampedusa, angesiedelt auf der Insel gleichen Namens, dem südlichsten Punkt Europas, ist dramatisches italienisches Kino, erzählt mit der Vitalität und der Leichtigkeit eines Märchens. Feinfühlig, verführerisch sinnlich, aber auch in unbeschönigender Härte beschreibt Emanuele Crialese das Leben in einem Fischerdorf und die Seelenlandschaften einer Frau, die sich den Spielregeln dieser isolierten Gemeinschaft nicht fügen will. Verwurzelt in der Tradition des neorealistischen Kinos, fesselt der Film durch seine ebenso originäre wie moderne Sprache, die nicht erklärt, sondern der Macht der Bilder vertraut, dem flirrenden Licht, der ausgeprägten Körpersprache seiner Darsteller. Betörend, faszinierend und bizarr: Valeria Golina als Grazia. Die Unterwasseraufnahmen von Kameramann Fabio Zamarion sind von bezaubernder Schönheit, von atmosphärischer Wucht.
...wäre da nicht diese Grazia, Mutter eines pubertierenden Mädchens
und von zwei aufmüpfigen Buben. Der Dorfgemeinschaft sind die sinnliche Unbefangenheit der jungen Frau und ihre wechselhaften Launen ein ständiger, irritierender Dorn im Auge. Die meisten halten Grazia schlicht und einfach für verrückt. Pietro, ihr Ehemann, fühlt sich mehr und mehr unter Druck gesetzt, bis er schließlich einverstanden ist, seine Frau zu einer Behandlung nach Mailand zu schicken. Aber Grazia läuft davon. Und Pasquale, ihr 13jähriger Sohn, wird - allein gegen alle - Mittel und Wege finden, seine über alles geliebte Mutter zu beschützen...
Lampedusa, angesiedelt auf der Insel gleichen Namens, dem südlichsten Punkt Europas, ist dramatisches italienisches Kino, erzählt mit der Vitalität und der Leichtigkeit eines Märchens. Feinfühlig, verführerisch sinnlich, aber auch in unbeschönigender Härte beschreibt Emanuele Crialese das Leben in einem Fischerdorf und die Seelenlandschaften einer Frau, die sich den Spielregeln dieser isolierten Gemeinschaft nicht fügen will. Verwurzelt in der Tradition des neorealistischen Kinos, fesselt der Film durch seine ebenso originäre wie moderne Sprache, die nicht erklärt, sondern der Macht der Bilder vertraut, dem flirrenden Licht, der ausgeprägten Körpersprache seiner Darsteller. Betörend, faszinierend und bizarr: Valeria Golina als Grazia. Die Unterwasseraufnahmen von Kameramann Fabio Zamarion sind von bezaubernder Schönheit, von atmosphärischer Wucht.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Making Of - InterviewsFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2003Der Atem, die Felsen
Emanuele Crialeses Film "Lampedusa"
Der deutsche Verleih hat etwas gutgemacht an diesem Film, indem er ihn "Lampedusa" nannte. Dadurch erinnert die Geschichte, die Emanuele Crialese auf einem öden Felseneiland vor der sizilianischen Küste spielen läßt, noch mehr an jene andere Geschichte, die Roberto Rossellini mit Ingrid Bergman vor mehr als fünfzig Jahren auf einem anderen öden Eiland vor Sizilien inszeniert hat, an "Stromboli" von 1949. Es geht, wie bei Rossellini, um eine schöne und einsame Frau, die sich unter den Einheimischen fremd fühlt; aber nicht, weil Grazia (Valeria Golino) nicht hier geboren wäre, sondern weil sie innerlich nicht dazugehört. Die Krämpfe und depressiven Schübe, in die Grazia von Zeit zu Zeit verfällt, sind nur die Außenseite einer tiefen Andersartigkeit, für die Crialese leider kein wirklich überzeugendes Bild findet.
So überläßt er sich den Reizen der Örtlichkeit, dem Licht, den Farben des Südens und der Ausstrahlung der vielen Laiendarsteller, die er auf den Straßen der Insel gefunden hat. Hier hat "Lampedusa" seine stärksten Momente, die fast immer von starken Kontrasten leben: Fischer, die mit ihrem ärmlichen Fang in den Hafen zurückkehren, und ausländische Touristen, die zu einer Segeltour auslaufen; die Tristesse zerbröckelnder Bauruinen und die Wildheit der Dorfjungen, die zwischen den Mauern spielen und einander jagen; die Einsamkeit einer Felsenhöhle über dem Meer und das Gewimmel der Menschen am Strand beim Fest von San Bartolo; brennende Scheiterhaufen und nächtliche Fluten, Feuer und Wasser, Tod und Wiedergeburt. Wie damals bei Rossellini entzieht sich auch bei Crialese die Heldin ihrem Schicksal durch Flucht, aber weil Grazia die Kinder, die Ingrid Bergman ihrem italienischen Ehemann erst gebären sollte, schon fast großgezogen hat, verschiebt sich auch das Schwergewicht der Geschichte, sie wird vom Liebes- zum Familiendrama und verliert dadurch ein Stück ihrer tragischen Schärfe.
"Lampedusa", der auf italienisch "Respiro" heißt, "Der Atem", ist ein schöner, aber kein ganz genauer Film, mehr eine Übung in zeitgemäßer Italianità als ein packendes Drama, doch für die Insel, auf der er entstand und die bisher nur als Nachname des Autors des von Visconti verfilmten "Leoparden" bekannt war, markiert er einen historischen Einschnitt: Er setzt sie auf die Landkarte der Kinematographie. Und auch Valeria Golino, die seit "Rain Man" viel zu selten auf der Leinwand zu sehen war, ist durch "Lampedusa" (und "Frida") endlich wieder im Kino präsent - diesmal hoffentlich für länger.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Emanuele Crialeses Film "Lampedusa"
Der deutsche Verleih hat etwas gutgemacht an diesem Film, indem er ihn "Lampedusa" nannte. Dadurch erinnert die Geschichte, die Emanuele Crialese auf einem öden Felseneiland vor der sizilianischen Küste spielen läßt, noch mehr an jene andere Geschichte, die Roberto Rossellini mit Ingrid Bergman vor mehr als fünfzig Jahren auf einem anderen öden Eiland vor Sizilien inszeniert hat, an "Stromboli" von 1949. Es geht, wie bei Rossellini, um eine schöne und einsame Frau, die sich unter den Einheimischen fremd fühlt; aber nicht, weil Grazia (Valeria Golino) nicht hier geboren wäre, sondern weil sie innerlich nicht dazugehört. Die Krämpfe und depressiven Schübe, in die Grazia von Zeit zu Zeit verfällt, sind nur die Außenseite einer tiefen Andersartigkeit, für die Crialese leider kein wirklich überzeugendes Bild findet.
So überläßt er sich den Reizen der Örtlichkeit, dem Licht, den Farben des Südens und der Ausstrahlung der vielen Laiendarsteller, die er auf den Straßen der Insel gefunden hat. Hier hat "Lampedusa" seine stärksten Momente, die fast immer von starken Kontrasten leben: Fischer, die mit ihrem ärmlichen Fang in den Hafen zurückkehren, und ausländische Touristen, die zu einer Segeltour auslaufen; die Tristesse zerbröckelnder Bauruinen und die Wildheit der Dorfjungen, die zwischen den Mauern spielen und einander jagen; die Einsamkeit einer Felsenhöhle über dem Meer und das Gewimmel der Menschen am Strand beim Fest von San Bartolo; brennende Scheiterhaufen und nächtliche Fluten, Feuer und Wasser, Tod und Wiedergeburt. Wie damals bei Rossellini entzieht sich auch bei Crialese die Heldin ihrem Schicksal durch Flucht, aber weil Grazia die Kinder, die Ingrid Bergman ihrem italienischen Ehemann erst gebären sollte, schon fast großgezogen hat, verschiebt sich auch das Schwergewicht der Geschichte, sie wird vom Liebes- zum Familiendrama und verliert dadurch ein Stück ihrer tragischen Schärfe.
"Lampedusa", der auf italienisch "Respiro" heißt, "Der Atem", ist ein schöner, aber kein ganz genauer Film, mehr eine Übung in zeitgemäßer Italianità als ein packendes Drama, doch für die Insel, auf der er entstand und die bisher nur als Nachname des Autors des von Visconti verfilmten "Leoparden" bekannt war, markiert er einen historischen Einschnitt: Er setzt sie auf die Landkarte der Kinematographie. Und auch Valeria Golino, die seit "Rain Man" viel zu selten auf der Leinwand zu sehen war, ist durch "Lampedusa" (und "Frida") endlich wieder im Kino präsent - diesmal hoffentlich für länger.
ANDREAS KILB
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