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Episoden: 59. Wie man sich bettet 60. Erziehungsprinzipien 61. Hilfe! 62. So fern der Morgen vom Abend ... 63. Gegenwind
Bonusmaterial
- Lindenstraße Privat mit Sybille Waury

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Produktbeschreibung
Episoden:
59. Wie man sich bettet
60. Erziehungsprinzipien
61. Hilfe!
62. So fern der Morgen vom Abend ...
63. Gegenwind

Bonusmaterial

- Lindenstraße Privat mit Sybille Waury
Autorenporträt
Hans W. Geißendörfer ist Produzent, Regisseur, und Kopf der "Lindenstraße".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.1999

Wenn die Betrogenen erwachen
Befreiung von der Verdammnis: Ungarns Filmkunst im Spannungsfeld von Armut und Nostalgie

BUDAPEST, im März

Ein eigenartiges Kunstprodukt ist gegenwärtig in den Studios von Mafilm in Arbeit und wartet auf weitere Finanzierung. Schon der Torso, von dem Béla Tarr seinen Gästen einige Teile vorführt, läßt ahnen, daß der Regisseur nach grundsätzlicher Verständigung über die Situation der osteuropäischen Menschheit - und nicht allein dieser - sucht. Sah man in Tarrs vorangegangenem, siebeneinhalbstündigem Werk "Satanstango" nur eine Handvoll Männer in stundenlangem, beharrlichem Marsch durch die nebelverhangene Tiefebene zu einer Stadt hinziehen, wo sie sich eine Wendung ihres Lebens versprachen, so läßt der ungarische Grübler der Leinwand nun eine mit Knüppeln bewaffnete, unübersehbar große Menge grimmig blickender Gestalten in die Großstadt eindringen. Sie zertrümmern das erstbeste Krankenhaus, dessen katastrophaler Zustand ihre Wut noch zu steigern scheint. Das spärliche Mobiliar geht zu Bruch, und in ihrem Zorn machen sie auch vor den hilflosen, verlassenen Kranken in den Betten nicht halt. Dann aber steht die Menge gebannt vor einem nackten, alten Mann, und sein wehrloser Blick veranlaßt sie, innezuhalten und beschämt den Weg zurück anzutreten.

Etwas muß vorgefallen sein oder hat sich verfestigt in der ostmitteleuropäischen Situation, daß die Armut in Tarrs melancholischen Schwarzweißbildern immer bedrohlicher aussieht. Eine apokalyptische Grundstimmung erfüllte bereits seine vor der Wende geschaffenen Filme, am deutlichsten "Verdammnis" aus dem Jahr 1987, neu jedoch ist das Verlangen nach Befreiung - um nicht zu sagen Erlösung. "Werckmeisters Harmonie" lautet - im Original - der eigenartige neue Titel, der mit einer höchst sinnbildhaften Episode in Zusammenhang steht: Lars Rudolph als wunderlicher Gast demonstriert einem Kneipenwirt und den Trinkbrüdern den ewigen Lauf der Gestirne. Für einen Moment können sie Sonne, Mond oder Erde sein und sich in vorgezeichneten elliptischen Bahnen harmonisch umeinander drehen. Natürlich spielt dazu klagend ein Bandoneon.

"Die Melancholie des Widerstands" heißt im Deutschen der Roman von László Krasnahorkai, auf den sich die Handlung stützt. Der von Tarr gewählte Filmtitel erinnert jedoch auch an den deutschen Filmexpressionismus. 1920 machte der Film "Algol" des Regisseurs Hans Werckmeister von sich reden, das Filmmuseum München hat das Kinostück vor einiger Zeit restauriert: ein bedeutungsvoll konstruiertes Drama um einen braven Bergmann (Emil Jannings), der durch das überirdische Geschenk einer unerschöpflichen Kraftmaschine zum Herrn und Tyrannen der Welt avanciert, bis er am Schluß, von der Wut der enttäuschten Massen bedrängt und von Reue gepackt, das Perpetuum mobile zerschlägt. Die marschierende Menge in Tarrs Film scheint den Aufstand der Massen unter Werckmeisters Regie fortzusetzen, doch während diese auf der Schwelle zwischen Wilhelminischem Zeitalter und Weimarer Republik noch zur Idyllik redlicher Arbeit glaubte zurückkehren zu können, bleibt Tarrs niedergedrückten Gestalten allein der Weg ins dumpfe Abwarten.

Geldmangel hat die Arbeit an diesem auf zweieinhalb Stunden bemessenen Weltanschauungsfilm, dessen Bildkraft sich schon bei der Teilbesichtigung aufdrängt, zum Stocken gebracht. Jener Notstand, dessen mentale Folgen Tarr bannen will, droht nun das Projekt selbst zu überwältigen. Trotz der bescheidenen Stützung, die der ungarische Staat der nationalen Filmkunst gewährt und die in einer Vielzahl meist wenig bedeutungsvoller Arbeiten zersplittert (mehr als dreißig Spielfilme entstanden im vergangenen Jahr), wundert dieser Zwischenfall wenig. Ganze Stadtviertel in Budapest sehen aus, als wären sie für Außenaufnahmen Béla Tarrs zugerichtet, und auch oder gerade in der City (der "Belváros") könnte man aus den meist recht aktiv gestimmten Bettlern und den flinken Taschendieben im Nu eine willige Statistenschar für Elendsszenen rekrutieren. Gewiß, nicht alle sind Einheimische, viele ungebetene Gäste aus dem Osten und Südosten haben sich eingefunden. Aber Tarrs Werk unterscheidet von der übrigen ungarischen Kinematographie ja gerade, daß sein Horizont den nationalen weit übersteigt.

Den wunden Nerv des Landes hat dagegen wieder einmal der Satiriker Péter Timár bloßgelegt. Er katapultiert einen begeisterten Fußballfan mit Spitznamen Tutti aus seiner Tätigkeit bei der Müllabfuhr in den November 1953 zurück, als die ungarische Nationalmannschaft die englische sensationell "6:3" - so auch der Filmtitel - besiegte. Die Reise in die glorreiche Vergangenheit endet für Tutti, den Károly Eperjes im Traumtanz durch düstere Läden und Wirtshäuser, Friseurstuben, Bäder und Spitäler wirbeln läßt, beinahe tödlich, denn allein sein Vorwissen um die Ereignisse, erst recht sein unbekümmertes Auftreten machen ihn Stasi und Spitzeln verdächtig. Ein probateres Mittel gegen die nostalgische Sehnsucht nach vergangenen "besseren Zeiten" hätte sich Timár, einer der wenigen im Kino erfolgreichen Regisseure, kaum ausdenken können, denn jener Sieg im Stadion kam einer nationalen Selbstbefreiung gleich, einem Erwachen aus der von Rákosi über das Land verhängten Angst. Welcher Ungar möchte heute nicht, daß die Heimat wieder einmal im Glanzlicht der Welt dastehen würde, statt als einer von mehreren ehemaligen Ostblockstaaten nur noch wenig Beachtung zu finden, seitdem die heroischen Wendezeiten vorbei sind? Aber die Sehnsucht wird eines Besseren belehrt, und allein die unermüdliche Spiellust Timárs und seiner Darsteller schenkt dem Vergnügen an der Wiederbegegnung mit dem Gestern die Dauer.

Nicht immer will der Film den Zeitgeist zur Vernunft bringen, manchmal möchte er ihn lieber galoppieren lassen. Miklós Jancsó, der Dienstälteste von Magyar Cinema, versammelt eine ebenso lustige wie hemmungslose Ganovengesellschaft ausgerechnet am Gedenktag für Lajos Kossuth. Die Totengräber haben das Sagen und sind arge Raubmörder, könnten die locker aneinandergereihten Spielszenen besagen. In der opulenten Tiefe seiner Bilder leuchten noch einmal die Vorzüge von Jancsós Lebenswerk im Geiste einer nicht immer wohlgelittenen Avantgarde auf, nur ist daraus die Kraft des Konstruktiven gewichen. Als müde alte Männer bezieht er sich und seinen ständigen Autoren Gyula Hernádi in die Allegorie ein, deren Ironie der Zynismus streift. "Es lohnt sich nicht, für die Menschen Programme zu entwerfen", versicherte der enttäuschte Sozialist kürzlich, als er "Gottes Laterne in Budapest" dem Forum-Publikum der Berlinale vorstellte. Aber gerade in der höchst eigenwilligen, dem Ton von Freiheit und Brüderlichkeit hingegebenen programmatischen Utopie am Horizont von Leid und Manipulation hatte die Sprengkraft seines OEuvres gelegen.

Die meisten jüngeren Regisseure fragen heute nicht viel nach der Vorbildwirkung von Jancsó, Makk, Fábri oder Máriássy, die in den fünfziger und sechziger Jahren den Grundstein für das ungarische Filmwunder jener Zeit legten. Hollywood so ähnlich wie möglich zu sein, lautet die Devise, doch das Publikum zieht das Original der Kopie vor. Mehr ins Gewicht fallen darum einige Filme der inzwischen mittleren Generation, die sich ebenfalls nicht zum Gefangenen der Vergangenheit machen wollen. Wie um ein Zeichen zu setzen, inszenierte András Salamon eine komplikationsreiche Liebesgeschichte zwischen einem großstädtischen Polizisten und einer chinesischen Immigrantin, die Grund hat, diesen Berufsstand zu fürchten. "Beinahe Liebe", so könnte man den Titel übersetzen. Keine heftige Leidenschaft, eher eine aus der Einsamkeit erwachsende Sympathie läßt beide Menschen gegen viele Vorurteile der Umwelt zusammenstehen, und Salamon verfügt über genügend Erfahrung als Dokumentarfilmer, um den Szenen des gegenseitigen Eindringens in ein fremdes Milieu berührende Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Wie nahe das ungarische Kino dem westeuropäischen sein kann, beweist noch ein weiterer neuer Film. "Ein Winter hinter Gottes Rücken" nennt Can Togay seine impressiven Szenen um einen halbwüchsigen Jungen, der in einem abgelegenen Dorf zum Filmkompilateur avanciert, nachdem die regelmäßige Belieferung mit neuen Werken eingestellt ist und nur liegengebliebene Rollen zur Verfügung stehen. Die Welt ist aus den Fugen, könnte der sonderbare Zusammenschnitt von Teilen aus "Panzerkreuzer Potemkin", "Das Cabinet des Dr. Caligari", "Die Nibelungen" und "Die Spielregel" besagen, und sie ist es tatsächlich, beweisen die aufbrechenden Leidenschaften an diesem Ort, der von der Wende im Land erst durch einen Reisenden erfährt. Mit bewundernswertem Feingefühl versteht es Togay, seine Figuren in ihrer Eigenart und stets so zu skizzieren, daß für jeden ein staunender Blick übrigbleibt. Die fast antiquierte Liebe eines ganzen Dorfes zum Kino erinnert an italienische Filme, an deren oft traurigem Ende - wie hier - der Glaube an die bleibende Kraft der Bilder tröstend entläßt. HANS-JÖRG ROTHER

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