"Live by Night" spielt in den Wilden Zwanzigern, als die Prohibition den Alkoholfluss in den von Gangstern betriebenen Flüsterkneipen noch nicht ausgetrocknet hatte. Für jeden Mann mit Ehrgeiz und guten Nerven bot sich hier die Möglichkeit, zu Macht und Geld zu kommen. Joe
Coughlin, der Sohn des Bostoner Police Superintendents, hat schon vor langer Zeit seiner strengen Erziehung den Rücken gekehrt, um ein Gesetzloser zu werden. Doch auch unter Kriminellen gibt es Regeln, und Joe bricht eine wichtige: Er betrügt einen mächtigen Gangsterboss und stiehlt sein Geld und seine Braut. Die heiße Affäre endet tragisch und Joe landet auf einem Pfad der Rache, des Ehrgeizes, der Liebe und des Betruges, der ihn hinaus aus Boston führt und hinein in die feucht-heiße Unterwelt der Rum-Schmuggler von Tampa.
Coughlin, der Sohn des Bostoner Police Superintendents, hat schon vor langer Zeit seiner strengen Erziehung den Rücken gekehrt, um ein Gesetzloser zu werden. Doch auch unter Kriminellen gibt es Regeln, und Joe bricht eine wichtige: Er betrügt einen mächtigen Gangsterboss und stiehlt sein Geld und seine Braut. Die heiße Affäre endet tragisch und Joe landet auf einem Pfad der Rache, des Ehrgeizes, der Liebe und des Betruges, der ihn hinaus aus Boston führt und hinein in die feucht-heiße Unterwelt der Rum-Schmuggler von Tampa.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2017Aus den Trümmern der Geschichte
Ben Affleck verfilmt einen Roman von Dennis Lehane und sucht den Anschluss an die großen Mafiafilme. Asghar Farhadi erzählt von den Schwierigkeiten der iranischen Mittelschicht. Und bei Ang Lee kehrt ein gefeierter Heimkehrer aus dem Irakkrieg seinem Land den Rücken
Der Erste Weltkrieg musste schon für Vieles herhalten, zumal für den Zweiten und gelegentlich für ein ganzes (kurzes) Jahrhundert der Extreme. Er hat aber auch im Detail eine Menge angerichtet, nicht nur die Universalhistoriker kommen immer wieder auf diesen Wendepunkt in der Moderne zurück. Der irisch-amerikanische Gangster Joe Coughlin leitet seine Karriere auch aus den Schlachten des "Great War" her. "Ich zog als Soldat in den Krieg, und ich kam als Gesetzloser zurück." Dazu wabern in Grau die Archivbilder.
Joe Coughlin ist eine Figur aus einem Roman von Dennis Lehane, von dem man in Fanrezensionen gelegentlich lesen kann, dass er es mit Mario Puzos "The Godfather" aufnehmen könne. Der Schauspieler und Regisseur Ben Affleck mag sich etwas Ähnliches gedacht haben, vielleicht hat ihm aber auch diese Geburt eines Epos aus den Trümmern der Geschichte gefallen. Jedenfalls hat er es übernommen, "Live by Night" von Dennis Lehane zu verfilmen. Den Soldaten Coughlin streift er anfangs mit raunender Stimme, die restlichen zwei Stunden widmet er sich dann aber ausführlich dem Gesetzlosen.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam eine Zeit, in der alles ein wenig aus den Fugen war: das Geld, die Moral, die Mode. Die Männer trugen Anzüge, in die eigentlich nur "Heavies" richtig hineinpassten, schwere Jungs, ein anderes Wort für Verbrecher, die in diesen Tagen in der Regel organisiert vorgingen. Ben Affleck ist schon von seiner Statur her ein "Heavy", und nun lotet er so richtig aus, was damit alles gemeint sein könnte. Ein Mann wie ein Schrank, der sich aber elastisch bewegen muss, denn das Geschäft erfordert auch soziale Intelligenz. Besonders dann, wenn man sich als Ire mit den Italienern einlässt.
Es sind die Jahre der Prohibition. Alkohol gibt es nur in Hinterzimmern, dort aber in rauhen Mengen. Neue Märkte außerhalb der klassischen Immigrantenmetropolen an der Ostküste gibt es weiter im Süden. Florida hat den Vorteil größerer Nähe zu Kuba, von wo der Rum über das Meer kommt. Kuba hat auch noch den Vorteil schöner Frauen, die aber meistens den Nachteil einer dunklen Hautfarbe haben. Das organisierte Verbrechen in "Live by Night" ist rassistisch bis in die Knochen, nur Joe Coughlin ist in dieser Hinsicht liberal. Er findet seine Nemesis von einer überraschenden Seite. Ausgerechnet ein gefallenes und mit Christus wiederaufgerichtetes Mädchen (Elle Fanning spielt die Polizistentochter Loretta Figgis) mobilisiert die Menschen gegen ein Casino, dabei wäre das doch der ideale Ausweg für das Rumsyndikat. Nirgends lässt sich Geld besser waschen und dann vermehren als in einem Etablissement für das Glücksspiel.
Einer der besten Filme von Scorsese heißt auch so: "Casino". Es war einer der letzten dieser großen amerikanischen Männerfilme, in denen es um alle erdenklichen Legierungen aus Hybris und Integrität und Familie geht. Ben Affleck will mit "Live by Night" in diese Liga. Er sucht ein "Boardwalk Empire" auf den staubigen Straßen von Ybor, Tampa.
Das Problem von "Live by Night" hat vermutlich mit Ambitionen und Kompromissen zu tun. Der Film ist entweder zu kurz oder zu lang. Man könnte ihn sich zur Not als einen der ursprünglichen Gangsterfilme aus den dreißiger Jahren vorstellen, in dem eine kriminelle Karriere in eineinhalb Stunden ihren Bogen durchmaß. Oder aber Affleck hätte sich wirklich auf diesen Joe Coughlin eingelassen, der ja wegen einer offenen Rechnung nach Florida geht, die er dann doch allzu beiläufig einlöst. Zum Ende hin hinterlässt "Live by Night" schon beinahe den Eindruck, Ben Affleck wollte nur noch Haken unter seine Exzerpte machen.
Das Buch von Dennis Lehane hat ja noch eine Fortsetzung, nach Ben Afflecks seltsam eigenschaftsloser Verkörperung aber wird man das nicht mehr unbedingt im Kino sehen wollen. Nicht alles, was historisch anfängt, wird auch eine große Geschichte. Manches verläuft sich auch einfach, so wie der Film "Live by Night" in den Traditionen des Gangstergenres.
* * *.
Iran war damals, als George W. Bush rhetorisch gegen den Irak aufzurüsten begann, ein Teil der "Achse des Bösen". Inzwischen hat sich diese Achse verschoben, aber selbst wenn man Geopolitik nicht in Begriffen der Moral denkt, hat das Land seinen Außenseiterstatus nicht verloren. Dabei kann man die Sache auch ganz anders sehen. Im Kino gehört Iran eindeutig zu einer "Achse des Guten", nur wenige andere Länder (Rumänien, möglicherweise) verfügen über so viele herausragende Filmkünstler, auch noch nach dem Tod von Abbas Kiarostami. Ihnen ist es zu verdanken, dass man aus diesem isolierten Land eine ganze Menge mitkriegen kann, wenn man gewillt ist, sich auf spezielle Erzählweisen einzulassen.
Asghar Farhadi wurde 2012 mit "Nader und Simin - eine Trennung" einem breiteren Publikum bekannt, eine Ehegeschichte, die sich zu einem Sozialdrama ausweitete. Durchaus ähnlich verhält es sich nun auch mit "The Salesman". Der Titel verweist auf einen Klassiker des modernen Theaters. Man spielt Arthur Miller, auf einer Bühne in Teheran, und das Paar des Films ist auch das des Stücks. Eines Abends ist Rana früher zu Hause, jemand läutet an der Tür, sie öffnet - und geht unter die Dusche, in der Meinung, es wäre ihr Mann Emad. Es ist aber jemand anderer. Was in diesen Minuten geschieht, bevor Emad dann doch kommt und seine Frau mit einer Verletzung und völlig verstört vorfindet, das bedarf der Aufklärung. Aber ist überhaupt etwas passiert?
Die Etesamis sind neu in ihrer Wohnung, weil das Haus, in dem sie davor gelebt haben, einen Riss bekommen hat. Es steht noch, aber es kann jeden Moment einstürzen. Mit dem überstürzten Aufbruch beginnt der Film sehr eindrucksvoll, und von da an vermittelt Asghar Farhadi geschickt eine Stimmung der Unbehaustheit, die in Iran umso bedrückender sein kann, als dort die privaten Räumlichkeiten der einzige Ort sind, an dem man vor den vielfachen Kontrollregimes so halbwegs sicher ist. Farhadi ist aber keineswegs ein oppositioneller Filmemacher, einer, der wie Jafar Panahi die Zensur und die politische Unfreiheit angreifen würde. Sein Thema ist die soziale Frage, um die es auch in der Revolution von 1979 ging, bevor diese mit einer religiösen Agenda gekapert wurde.
Farhadi ist der Chronist einer iranischen Mittelschicht, die sich immer wieder in Situationen vorfindet, in denen sie auf die Armen stößt. In "Nader und Simin" war es ein zweideutiger Kontakt mit einer Bediensteten, in "The Salesman" ist es eine vollends mysteriöse Szene, die entfernt an die biblische Begegnung von David und Bathseba denken lässt. Nur mit dem Unterschied, dass der beteiligte Mann kein König ist, sondern ein herzkranker Greis.
Die Gewalt geht in "The Salesman" quer durch die Gesellschaft, sie beginnt mit dem Getuschel der Nachbarn und endet bei einer Form von Selbstjustiz in einer Sache, in der vielleicht gar nichts justitiabel ist. Anders als in "Nader und Simin" lässt Asghar Farhadi hier seine erzählerischen Absichten sehr deutlich aufscheinen. Er lässt sich nicht mehr so überzeugend von den Leidenschaften zu den Details leiten, wie es in der unvoreingenommenen Suchbewegung des früheren Films der Fall war. In "The Salesman" sind es eher die Strategien der Moderne, die ins Zentrum rücken: Brechung, Spiegelung, Ebenenwechsel. Abbas Kiarostami hat auf durchaus ähnliche Weise einen Ausweg aus dem Neorealismus gesucht und war irgendwann in der Toskana bei den Altertümern ("Copie Conforme") angelangt.
Asghar Farhadi hat zwischen "Nader und Simin" und "The Salesman" einen Film in Paris gedreht ("Le passé"), in seinem nächsten Projekt soll Penélope Cruz die Hauptrolle spielen. Das deutet auf eine Fortsetzung der Karriere im Exil hin, vielleicht aber auch nur auf einen Versuch, den Hierarchien der Geopolitik mit den originellen Allianzen der Kunst zu begegnen.
* * *.
Billy Lynn kommt auch aus einem Krieg nach Hause, aber er ist noch viel zu jung, um schon wissen zu können, auf welche Seite des Gesetzes er sich nun schlagen will. Er hat auch kaum Zeit, um es sich zu überlegen. Er wird nämlich herumgereicht. Billy Lynn ist ein Held. Er hat im Irak persönlich einen Feind ins Jenseits befördert und einen Kameraden aus der Gefahrenzone gebracht. Der Kamerad war da allerdings schon tödlich verwundet, aber das tut seiner Rolle keinen Abbruch. 24 Stunden dauert "Die irre Heldentour des Billy Lynn" von Ang Lee, im Film komprimiert auf knapp zwei Stunden. Zwischendurch sagt irgendjemand beiläufig, was es damit auf sich hat: "Just another normal day in America."
Normal, das heißt in Amerika oft das Gegenteil, also eher surreal. Eine Halbzeitshow bei einem Footballspiel in Texas ist sicher nicht normal, vor allem nicht, wenn Destiny's Child auftreten, mit einer gewissen Beyoncé Knowles, die dann auch noch Augen für die Jungs von der Einheit Bravo hat. Das R 'n' B-Trio hat sich 2005 getrennt, das ist zwar erst eine knappe Dekade her, macht die Geschichte von Billy Lynn, wie sie Ben Fountain zuerst in einem Roman erzählt hat, aber auch schon historisch. Die Kontroversen wegen des Irakkriegs sind weitgehend beendet, selbst Donald Trump bezeichnet ihn als "stupid", aber viele Rechnungen sind noch offen. Also hat es auch Sinn, noch einmal an diesen Moment zu erinnern, in dem der Patriotismus so offensichtlich zu einem Spektakel wurde, in dessen Innerem sich die Traumata verkapseln.
Im Werk von Ang Lee gibt es dazu eine interessante Parallele. Er war nämlich gerade mit einem Superhelden beschäftigt, als Amerika gegen Saddam Hussein ins Feld zog. Sein "Hulk" ist bis heute einer der eigenartigsten Blockbuster, und man kann nun fast gar nicht anders, als an das grüne Monster zu denken, wenn Billy Lynn inmitten der Stahlgewitter einer typisch amerikanischen Pausenshow steht und er nicht mehr weiß, was da gerade alles rund um ihn herum explodiert und abgefackelt wird. In diesem Moment müsste es eigentlich aus ihm herausbrechen, so grotesk somatisch wie bei dem verstrahlten Hulk. Aber Billy kehrt sich nach innen. Fast scheint es, als verfiele er in einen Heilschlaf, die Kameraden müssen ihn wecken, dabei steht er auf offener Bühne, und ganz Amerika sieht zu.
Das ist ein Moment, wie er für Ang Lee fast paradigmatisch genannt werden kann. Der aus Taiwan gebürtige, lange schon in New York lebende Regisseur hat ja eine Karriere, die gelegentlich vor allem aus losen Enden zu bestehen scheint: schwule Cowboys ("Brokeback Mountains"), fliegende Schwertkämpfer ("Tiger and Dragon"), ein Tiger in 3-D ("Life of Pi"), dazwischen "Sinn und Sinnlichkeit" und eben "Hulk". Im Zusammenhang wirkt das alles fast schon hemmungslos pragmatisch. Es gibt aber eben dieses Motiv, das in der "Irren Heldentour des Billy Lynn" deutlicher hervortritt als zuvor: Integrität und Spektakel. Es ist sicher zu kurz gedacht, die Unterhaltungsindustrie als die Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln zu begreifen. Aber das, was der Provinzmagnat Norm (Steve Martin) da mit der Pausenshow auf die Beine stellt, ist doch nicht weniger als ein Angriff auf alles - vor allem auf die Annahme, in diesem Amerika gebe es noch irgendetwas wie Gemeinsinn, den das Spektakel doch so aufwendig zelebriert.
Billy Lynn (großartig besetzt mit dem Newcomer Joe Alwyn) geht durch diesen Tag wie ein Fremder, der Amerika schließlich (auf eine sehr pointierte Weise) nur noch den Rücken zukehren kann. Sein Pech war, dass er einmal ins Bild kam. Sein Glück ist, dass er damit in einem "bigger picture" auftaucht. Es ist geprägt von der Perspektive des Skeptikers Ang Lee, die für das amerikanische Kino derzeit kostbarer ist denn je.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ben Affleck verfilmt einen Roman von Dennis Lehane und sucht den Anschluss an die großen Mafiafilme. Asghar Farhadi erzählt von den Schwierigkeiten der iranischen Mittelschicht. Und bei Ang Lee kehrt ein gefeierter Heimkehrer aus dem Irakkrieg seinem Land den Rücken
Der Erste Weltkrieg musste schon für Vieles herhalten, zumal für den Zweiten und gelegentlich für ein ganzes (kurzes) Jahrhundert der Extreme. Er hat aber auch im Detail eine Menge angerichtet, nicht nur die Universalhistoriker kommen immer wieder auf diesen Wendepunkt in der Moderne zurück. Der irisch-amerikanische Gangster Joe Coughlin leitet seine Karriere auch aus den Schlachten des "Great War" her. "Ich zog als Soldat in den Krieg, und ich kam als Gesetzloser zurück." Dazu wabern in Grau die Archivbilder.
Joe Coughlin ist eine Figur aus einem Roman von Dennis Lehane, von dem man in Fanrezensionen gelegentlich lesen kann, dass er es mit Mario Puzos "The Godfather" aufnehmen könne. Der Schauspieler und Regisseur Ben Affleck mag sich etwas Ähnliches gedacht haben, vielleicht hat ihm aber auch diese Geburt eines Epos aus den Trümmern der Geschichte gefallen. Jedenfalls hat er es übernommen, "Live by Night" von Dennis Lehane zu verfilmen. Den Soldaten Coughlin streift er anfangs mit raunender Stimme, die restlichen zwei Stunden widmet er sich dann aber ausführlich dem Gesetzlosen.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam eine Zeit, in der alles ein wenig aus den Fugen war: das Geld, die Moral, die Mode. Die Männer trugen Anzüge, in die eigentlich nur "Heavies" richtig hineinpassten, schwere Jungs, ein anderes Wort für Verbrecher, die in diesen Tagen in der Regel organisiert vorgingen. Ben Affleck ist schon von seiner Statur her ein "Heavy", und nun lotet er so richtig aus, was damit alles gemeint sein könnte. Ein Mann wie ein Schrank, der sich aber elastisch bewegen muss, denn das Geschäft erfordert auch soziale Intelligenz. Besonders dann, wenn man sich als Ire mit den Italienern einlässt.
Es sind die Jahre der Prohibition. Alkohol gibt es nur in Hinterzimmern, dort aber in rauhen Mengen. Neue Märkte außerhalb der klassischen Immigrantenmetropolen an der Ostküste gibt es weiter im Süden. Florida hat den Vorteil größerer Nähe zu Kuba, von wo der Rum über das Meer kommt. Kuba hat auch noch den Vorteil schöner Frauen, die aber meistens den Nachteil einer dunklen Hautfarbe haben. Das organisierte Verbrechen in "Live by Night" ist rassistisch bis in die Knochen, nur Joe Coughlin ist in dieser Hinsicht liberal. Er findet seine Nemesis von einer überraschenden Seite. Ausgerechnet ein gefallenes und mit Christus wiederaufgerichtetes Mädchen (Elle Fanning spielt die Polizistentochter Loretta Figgis) mobilisiert die Menschen gegen ein Casino, dabei wäre das doch der ideale Ausweg für das Rumsyndikat. Nirgends lässt sich Geld besser waschen und dann vermehren als in einem Etablissement für das Glücksspiel.
Einer der besten Filme von Scorsese heißt auch so: "Casino". Es war einer der letzten dieser großen amerikanischen Männerfilme, in denen es um alle erdenklichen Legierungen aus Hybris und Integrität und Familie geht. Ben Affleck will mit "Live by Night" in diese Liga. Er sucht ein "Boardwalk Empire" auf den staubigen Straßen von Ybor, Tampa.
Das Problem von "Live by Night" hat vermutlich mit Ambitionen und Kompromissen zu tun. Der Film ist entweder zu kurz oder zu lang. Man könnte ihn sich zur Not als einen der ursprünglichen Gangsterfilme aus den dreißiger Jahren vorstellen, in dem eine kriminelle Karriere in eineinhalb Stunden ihren Bogen durchmaß. Oder aber Affleck hätte sich wirklich auf diesen Joe Coughlin eingelassen, der ja wegen einer offenen Rechnung nach Florida geht, die er dann doch allzu beiläufig einlöst. Zum Ende hin hinterlässt "Live by Night" schon beinahe den Eindruck, Ben Affleck wollte nur noch Haken unter seine Exzerpte machen.
Das Buch von Dennis Lehane hat ja noch eine Fortsetzung, nach Ben Afflecks seltsam eigenschaftsloser Verkörperung aber wird man das nicht mehr unbedingt im Kino sehen wollen. Nicht alles, was historisch anfängt, wird auch eine große Geschichte. Manches verläuft sich auch einfach, so wie der Film "Live by Night" in den Traditionen des Gangstergenres.
* * *.
Iran war damals, als George W. Bush rhetorisch gegen den Irak aufzurüsten begann, ein Teil der "Achse des Bösen". Inzwischen hat sich diese Achse verschoben, aber selbst wenn man Geopolitik nicht in Begriffen der Moral denkt, hat das Land seinen Außenseiterstatus nicht verloren. Dabei kann man die Sache auch ganz anders sehen. Im Kino gehört Iran eindeutig zu einer "Achse des Guten", nur wenige andere Länder (Rumänien, möglicherweise) verfügen über so viele herausragende Filmkünstler, auch noch nach dem Tod von Abbas Kiarostami. Ihnen ist es zu verdanken, dass man aus diesem isolierten Land eine ganze Menge mitkriegen kann, wenn man gewillt ist, sich auf spezielle Erzählweisen einzulassen.
Asghar Farhadi wurde 2012 mit "Nader und Simin - eine Trennung" einem breiteren Publikum bekannt, eine Ehegeschichte, die sich zu einem Sozialdrama ausweitete. Durchaus ähnlich verhält es sich nun auch mit "The Salesman". Der Titel verweist auf einen Klassiker des modernen Theaters. Man spielt Arthur Miller, auf einer Bühne in Teheran, und das Paar des Films ist auch das des Stücks. Eines Abends ist Rana früher zu Hause, jemand läutet an der Tür, sie öffnet - und geht unter die Dusche, in der Meinung, es wäre ihr Mann Emad. Es ist aber jemand anderer. Was in diesen Minuten geschieht, bevor Emad dann doch kommt und seine Frau mit einer Verletzung und völlig verstört vorfindet, das bedarf der Aufklärung. Aber ist überhaupt etwas passiert?
Die Etesamis sind neu in ihrer Wohnung, weil das Haus, in dem sie davor gelebt haben, einen Riss bekommen hat. Es steht noch, aber es kann jeden Moment einstürzen. Mit dem überstürzten Aufbruch beginnt der Film sehr eindrucksvoll, und von da an vermittelt Asghar Farhadi geschickt eine Stimmung der Unbehaustheit, die in Iran umso bedrückender sein kann, als dort die privaten Räumlichkeiten der einzige Ort sind, an dem man vor den vielfachen Kontrollregimes so halbwegs sicher ist. Farhadi ist aber keineswegs ein oppositioneller Filmemacher, einer, der wie Jafar Panahi die Zensur und die politische Unfreiheit angreifen würde. Sein Thema ist die soziale Frage, um die es auch in der Revolution von 1979 ging, bevor diese mit einer religiösen Agenda gekapert wurde.
Farhadi ist der Chronist einer iranischen Mittelschicht, die sich immer wieder in Situationen vorfindet, in denen sie auf die Armen stößt. In "Nader und Simin" war es ein zweideutiger Kontakt mit einer Bediensteten, in "The Salesman" ist es eine vollends mysteriöse Szene, die entfernt an die biblische Begegnung von David und Bathseba denken lässt. Nur mit dem Unterschied, dass der beteiligte Mann kein König ist, sondern ein herzkranker Greis.
Die Gewalt geht in "The Salesman" quer durch die Gesellschaft, sie beginnt mit dem Getuschel der Nachbarn und endet bei einer Form von Selbstjustiz in einer Sache, in der vielleicht gar nichts justitiabel ist. Anders als in "Nader und Simin" lässt Asghar Farhadi hier seine erzählerischen Absichten sehr deutlich aufscheinen. Er lässt sich nicht mehr so überzeugend von den Leidenschaften zu den Details leiten, wie es in der unvoreingenommenen Suchbewegung des früheren Films der Fall war. In "The Salesman" sind es eher die Strategien der Moderne, die ins Zentrum rücken: Brechung, Spiegelung, Ebenenwechsel. Abbas Kiarostami hat auf durchaus ähnliche Weise einen Ausweg aus dem Neorealismus gesucht und war irgendwann in der Toskana bei den Altertümern ("Copie Conforme") angelangt.
Asghar Farhadi hat zwischen "Nader und Simin" und "The Salesman" einen Film in Paris gedreht ("Le passé"), in seinem nächsten Projekt soll Penélope Cruz die Hauptrolle spielen. Das deutet auf eine Fortsetzung der Karriere im Exil hin, vielleicht aber auch nur auf einen Versuch, den Hierarchien der Geopolitik mit den originellen Allianzen der Kunst zu begegnen.
* * *.
Billy Lynn kommt auch aus einem Krieg nach Hause, aber er ist noch viel zu jung, um schon wissen zu können, auf welche Seite des Gesetzes er sich nun schlagen will. Er hat auch kaum Zeit, um es sich zu überlegen. Er wird nämlich herumgereicht. Billy Lynn ist ein Held. Er hat im Irak persönlich einen Feind ins Jenseits befördert und einen Kameraden aus der Gefahrenzone gebracht. Der Kamerad war da allerdings schon tödlich verwundet, aber das tut seiner Rolle keinen Abbruch. 24 Stunden dauert "Die irre Heldentour des Billy Lynn" von Ang Lee, im Film komprimiert auf knapp zwei Stunden. Zwischendurch sagt irgendjemand beiläufig, was es damit auf sich hat: "Just another normal day in America."
Normal, das heißt in Amerika oft das Gegenteil, also eher surreal. Eine Halbzeitshow bei einem Footballspiel in Texas ist sicher nicht normal, vor allem nicht, wenn Destiny's Child auftreten, mit einer gewissen Beyoncé Knowles, die dann auch noch Augen für die Jungs von der Einheit Bravo hat. Das R 'n' B-Trio hat sich 2005 getrennt, das ist zwar erst eine knappe Dekade her, macht die Geschichte von Billy Lynn, wie sie Ben Fountain zuerst in einem Roman erzählt hat, aber auch schon historisch. Die Kontroversen wegen des Irakkriegs sind weitgehend beendet, selbst Donald Trump bezeichnet ihn als "stupid", aber viele Rechnungen sind noch offen. Also hat es auch Sinn, noch einmal an diesen Moment zu erinnern, in dem der Patriotismus so offensichtlich zu einem Spektakel wurde, in dessen Innerem sich die Traumata verkapseln.
Im Werk von Ang Lee gibt es dazu eine interessante Parallele. Er war nämlich gerade mit einem Superhelden beschäftigt, als Amerika gegen Saddam Hussein ins Feld zog. Sein "Hulk" ist bis heute einer der eigenartigsten Blockbuster, und man kann nun fast gar nicht anders, als an das grüne Monster zu denken, wenn Billy Lynn inmitten der Stahlgewitter einer typisch amerikanischen Pausenshow steht und er nicht mehr weiß, was da gerade alles rund um ihn herum explodiert und abgefackelt wird. In diesem Moment müsste es eigentlich aus ihm herausbrechen, so grotesk somatisch wie bei dem verstrahlten Hulk. Aber Billy kehrt sich nach innen. Fast scheint es, als verfiele er in einen Heilschlaf, die Kameraden müssen ihn wecken, dabei steht er auf offener Bühne, und ganz Amerika sieht zu.
Das ist ein Moment, wie er für Ang Lee fast paradigmatisch genannt werden kann. Der aus Taiwan gebürtige, lange schon in New York lebende Regisseur hat ja eine Karriere, die gelegentlich vor allem aus losen Enden zu bestehen scheint: schwule Cowboys ("Brokeback Mountains"), fliegende Schwertkämpfer ("Tiger and Dragon"), ein Tiger in 3-D ("Life of Pi"), dazwischen "Sinn und Sinnlichkeit" und eben "Hulk". Im Zusammenhang wirkt das alles fast schon hemmungslos pragmatisch. Es gibt aber eben dieses Motiv, das in der "Irren Heldentour des Billy Lynn" deutlicher hervortritt als zuvor: Integrität und Spektakel. Es ist sicher zu kurz gedacht, die Unterhaltungsindustrie als die Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln zu begreifen. Aber das, was der Provinzmagnat Norm (Steve Martin) da mit der Pausenshow auf die Beine stellt, ist doch nicht weniger als ein Angriff auf alles - vor allem auf die Annahme, in diesem Amerika gebe es noch irgendetwas wie Gemeinsinn, den das Spektakel doch so aufwendig zelebriert.
Billy Lynn (großartig besetzt mit dem Newcomer Joe Alwyn) geht durch diesen Tag wie ein Fremder, der Amerika schließlich (auf eine sehr pointierte Weise) nur noch den Rücken zukehren kann. Sein Pech war, dass er einmal ins Bild kam. Sein Glück ist, dass er damit in einem "bigger picture" auftaucht. Es ist geprägt von der Perspektive des Skeptikers Ang Lee, die für das amerikanische Kino derzeit kostbarer ist denn je.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main