Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2023Zwischen Abziehbild und eigener Vision
Die Kinofilme "Baghead" und "The Queen Mary" spielen mit den Traditionen des Horrorgenres
Ausschlagen oder antreten? Bei den meisten Erbschaften ist halbwegs klar, wie man sich am besten dazu verhalten sollte. Für eine junge Frau namens Iris aber ist die Sache diffiziler. Sie ist aus England nach Berlin gekommen, wo ihr Vater zuletzt gelebt hat. Geld hat er nicht hinterlassen, aber eine Immobilie. Ein seltsames Gebäude, das einmal als Pub fungierte, obwohl es eher nach ehemaliger Fabrik aussieht. Iris wird von einem Notar in Empfang genommen, der auffällig rasch mit den Formalitäten zu einem Ende kommen möchte. Sie soll doch am besten gleich hier unterschreiben, dann würde er sich um den Rest kümmern. Nämlich das Gebäude verscherbeln, alle weiteren Unannehmlichkeiten wären damit vom Tisch. Iris aber ist gerade an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie eine neue Herausforderung gebrauchen kann. Sie ist ein bisschen orientierungslos, nun hat sie unvermutet einen Fixpunkt. Also schlägt sie das Erbe nicht aus, sondern tritt es an. Die Unterschrift muss sie auf einem sehr alten Stück Papier leisten, ein weiteres Indiz dafür, dass es mit dem Pub die eine oder andere interessante Bewandtnis haben könnte.
Iris macht schließlich eine Entdeckung, die das ganze merkwürdige Getue des Notars in einem neuen Licht erscheinen lässt. Er wollte sie vielleicht nur vor Unheil bewahren. Denn im Keller des Pubs klafft ein Loch im Gemäuer. Und aus dem Dunkel, das sich dahinter auftut, kommt eine Gestalt, die aus guten Gründen ihren Kopf verhüllt. Mit einem Leinensack. "Baghead" heißt diese Kreatur, und ebenso heißt auch der Horrorfilm von Alberto Corredor, in dem Iris nun Schritt für Schritt das Nähere zu ihrem schockierenden Gast aus einer Unterwelt herausfinden muss. Sehr viel mehr sollte man nicht verraten, auch wenn die meisten Überraschungen weitgehend aus den Logiken zu erschließen sind, denen das Horrorkino gehorcht. Wenn irgendwo weit unter der Erdoberfläche eine Schwelle zu einer anderen Welt offen steht, dann liegt der Gedanke nahe, dass diese etwas mit den Toten zu tun haben könnte. Und tatsächlich gehört "Baghead" in eine lange Reihe von Kontaktphantasien, wie dieses Jahr auch schon der australische "Talk to Me" - dort ist es eine Skulptur, ein Requisit, das es ermöglicht, mit Verstorbenen in Verbindung zu treten. In "Baghead" ist die dämonische Figur zugleich ein Medium. In beiden Fällen gibt es genaue Regeln für die Séance, in beiden Fällen ist die Anziehungskraft der anderen Seite bedrohlich und gefährlich, und damit unwiderstehlich.
Gedreht wurde "Baghead" 2021 in Potsdam-Babelsberg, in jenen Studios, von denen zuletzt mehrfach zu lesen war, dass dort die Aufträge ausgeblieben waren. Die Produktionszusammenhänge des Films von Alberto Corredor erhellen ein wenig, wie heute so etwas wie Filmindustrie aussieht. Der Regisseur arbeitete auf Grundlage eines eigenen fünfzehnminütigen Kurzfilms, mit dem er seine Idee 2017 schon einmal unter die Leute brachte. Für die abendfüllende Fassung tat sich eine amerikanische Firma mit dem französischen Studiocanal zusammen, die auch eine deutsche Abteilung hat - die frühere Kinowelt, bekannt aus der New-Economy-Blase zu Beginn der Nullerjahre. Babelsberg trat selbst in der Produzentenrolle auf, namhafte deutsche Filmförderungsinstanzen schossen substanziell zu. "Baghead" entstammt also einer Lieferkette, in der unterschiedlichste Motivationen zusammenkommen - von deutscher Seite damals sicher in erster Linie, den Standort Babelsberg durch die Covid-Phase zu bringen.
Für die Filmgeschichte wird es keinen großen Unterschied machen, ob "Baghead" existiert oder nicht. Doch Corredor versteht es durchaus, in den Grenzen seines Investitionsvehikels immer wieder Momente auftauchen zu lassen, in denen auch schöpferischer Überschuss entsteht. Das Horrorkino liegt ja stark mit sich selbst im Streit, mit einer Tradition, die alles schon gesehen hat und mit abgebrühtem Publikum rechnen muss. "Baghead" besetzt genau die Schwelle zwischen Abziehbild und eigener Vision.
Bei Gary Shores "The Queen Mary" könnte man schon über die korrekte Genrebezeichnung ausführlich debattieren. Seemannsgarn wäre ein guter Ausgangspunkt, man müsste nur von da irgendwie zu David Lynch kommen, der offensichtlich als Vorbild fungierte, und dem wir die vielleicht verwirrendsten Erzählfäden im modernen Kino verdanken. Der Filmtitel bezieht sich auf das Schiff gleichen Namens, das in den Dreißigerjahren gebaut wurde und lange Zeit als Inbegriff transatlantischer Mondänität galt. Nun liegt die Queen Mary schon lange in Kalifornien vor Anker, sie läuft nicht mehr aus, sie steht nur noch Touristen offen. Um dem Interesse ein bisschen nachzuhelfen, wird auch eine Spuk-Führung angeboten, die auf alle die unheimlichen Dinge verweist, die an Bord im Lauf der Jahre zu verzeichnen waren. Gary Shore und seine Drehbuchpartner Stephen Oliver und Tom Vaughan bekommen damit Gelegenheit, ein bisschen mit den Zeitebenen zu spielen. Zwischen einer Halloween-Nacht 1938 auf See und einer Schiffsbegehung in unserer Gegenwart entspinnen sich allerlei grässliche Korrespondenzen, auch der Zweite Weltkrieg leuchtet schrecklich-düster herüber in eine Welt, in der das Meer nur noch für Extremsegler wirklich eine Elementarmacht ist.
"The Queen Mary" nimmt dabei die Inspiration durch Jahrmarktseffekte sehr ernst. Shore schickt das Publikum auf eine Geisterbahnfahrt, die schon bald so labyrinthisch ist, dass man sich am besten nicht mehr nach einem Ausgang umsieht, sondern einfach das Groteske und das Grässliche auf sich wirken lässt. Der Film zieht so viele Register, dass der Vorwurf der Beliebigkeit naheliegt. Aber es ist tatsächlich der Schiffskörper, der alles zusammenhält - eine schwimmende Welt, die hinter jedem Bullauge und am Ende eines jeden Kabinengangs eine böse Überraschung gewärtigen lässt.
In dem Berlin, in dem die Finanzströme des Weltkinos "Baghead" auftauchen ließen, gibt es außer dem klingenden Namen der Stadt keinerlei Anhaltspunkt in einer konkreten Wirklichkeit. In der Herkunftsgeschichte des Monsters tauchen dann eher pflichtschuldig ein paar Aspekte aus der deutschen Vergangenheit auf. "Baghead" bleibt aber letztlich ein Zufallsprodukt, in dem von Berlin vor allem die Rede ist, weil damit den Förderkriterien entsprochen ist. Im Vergleich dazu ist "The Queen Mary" auf eine fast schon provozierende Weise aus einer einzigen, sehr spezifischen Idee entstanden: ein berühmtes Schiff nach Kräften heimzusuchen mit Obsessionen und Albtraumfragmenten, und sich von dem Genius loci überwältigen zu lassen. In den bisherigen Reaktionen wird "The Queen Mary" als misslungen gewertet, "a mess", ein hoffnungsloses Durcheinander. Gerade in der Unverfrorenheit, mit der Shore den Horror als Show ausweist, und in dem er sich dem Varieté und der Gaukelei annähert, findet er aber zu einem sehr originellen Duktus. Ein Horrorfilm im strengen Sinn ist "The Queen Mary" wohl nicht, eher eine Reminiszenz an die alten Schausteller-Gewerbe, bei denen das Kino in seinen Anfängen Unterschlupf fand. Bis es sich eben zu dem Glamour aufschwang, für den auch die Queen Mary stand. Ein goldenes Zeitalter, das heute nur noch im Modus der Verwünschung erreichbar ist. BERT REBHANDL
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Die Kinofilme "Baghead" und "The Queen Mary" spielen mit den Traditionen des Horrorgenres
Ausschlagen oder antreten? Bei den meisten Erbschaften ist halbwegs klar, wie man sich am besten dazu verhalten sollte. Für eine junge Frau namens Iris aber ist die Sache diffiziler. Sie ist aus England nach Berlin gekommen, wo ihr Vater zuletzt gelebt hat. Geld hat er nicht hinterlassen, aber eine Immobilie. Ein seltsames Gebäude, das einmal als Pub fungierte, obwohl es eher nach ehemaliger Fabrik aussieht. Iris wird von einem Notar in Empfang genommen, der auffällig rasch mit den Formalitäten zu einem Ende kommen möchte. Sie soll doch am besten gleich hier unterschreiben, dann würde er sich um den Rest kümmern. Nämlich das Gebäude verscherbeln, alle weiteren Unannehmlichkeiten wären damit vom Tisch. Iris aber ist gerade an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie eine neue Herausforderung gebrauchen kann. Sie ist ein bisschen orientierungslos, nun hat sie unvermutet einen Fixpunkt. Also schlägt sie das Erbe nicht aus, sondern tritt es an. Die Unterschrift muss sie auf einem sehr alten Stück Papier leisten, ein weiteres Indiz dafür, dass es mit dem Pub die eine oder andere interessante Bewandtnis haben könnte.
Iris macht schließlich eine Entdeckung, die das ganze merkwürdige Getue des Notars in einem neuen Licht erscheinen lässt. Er wollte sie vielleicht nur vor Unheil bewahren. Denn im Keller des Pubs klafft ein Loch im Gemäuer. Und aus dem Dunkel, das sich dahinter auftut, kommt eine Gestalt, die aus guten Gründen ihren Kopf verhüllt. Mit einem Leinensack. "Baghead" heißt diese Kreatur, und ebenso heißt auch der Horrorfilm von Alberto Corredor, in dem Iris nun Schritt für Schritt das Nähere zu ihrem schockierenden Gast aus einer Unterwelt herausfinden muss. Sehr viel mehr sollte man nicht verraten, auch wenn die meisten Überraschungen weitgehend aus den Logiken zu erschließen sind, denen das Horrorkino gehorcht. Wenn irgendwo weit unter der Erdoberfläche eine Schwelle zu einer anderen Welt offen steht, dann liegt der Gedanke nahe, dass diese etwas mit den Toten zu tun haben könnte. Und tatsächlich gehört "Baghead" in eine lange Reihe von Kontaktphantasien, wie dieses Jahr auch schon der australische "Talk to Me" - dort ist es eine Skulptur, ein Requisit, das es ermöglicht, mit Verstorbenen in Verbindung zu treten. In "Baghead" ist die dämonische Figur zugleich ein Medium. In beiden Fällen gibt es genaue Regeln für die Séance, in beiden Fällen ist die Anziehungskraft der anderen Seite bedrohlich und gefährlich, und damit unwiderstehlich.
Gedreht wurde "Baghead" 2021 in Potsdam-Babelsberg, in jenen Studios, von denen zuletzt mehrfach zu lesen war, dass dort die Aufträge ausgeblieben waren. Die Produktionszusammenhänge des Films von Alberto Corredor erhellen ein wenig, wie heute so etwas wie Filmindustrie aussieht. Der Regisseur arbeitete auf Grundlage eines eigenen fünfzehnminütigen Kurzfilms, mit dem er seine Idee 2017 schon einmal unter die Leute brachte. Für die abendfüllende Fassung tat sich eine amerikanische Firma mit dem französischen Studiocanal zusammen, die auch eine deutsche Abteilung hat - die frühere Kinowelt, bekannt aus der New-Economy-Blase zu Beginn der Nullerjahre. Babelsberg trat selbst in der Produzentenrolle auf, namhafte deutsche Filmförderungsinstanzen schossen substanziell zu. "Baghead" entstammt also einer Lieferkette, in der unterschiedlichste Motivationen zusammenkommen - von deutscher Seite damals sicher in erster Linie, den Standort Babelsberg durch die Covid-Phase zu bringen.
Für die Filmgeschichte wird es keinen großen Unterschied machen, ob "Baghead" existiert oder nicht. Doch Corredor versteht es durchaus, in den Grenzen seines Investitionsvehikels immer wieder Momente auftauchen zu lassen, in denen auch schöpferischer Überschuss entsteht. Das Horrorkino liegt ja stark mit sich selbst im Streit, mit einer Tradition, die alles schon gesehen hat und mit abgebrühtem Publikum rechnen muss. "Baghead" besetzt genau die Schwelle zwischen Abziehbild und eigener Vision.
Bei Gary Shores "The Queen Mary" könnte man schon über die korrekte Genrebezeichnung ausführlich debattieren. Seemannsgarn wäre ein guter Ausgangspunkt, man müsste nur von da irgendwie zu David Lynch kommen, der offensichtlich als Vorbild fungierte, und dem wir die vielleicht verwirrendsten Erzählfäden im modernen Kino verdanken. Der Filmtitel bezieht sich auf das Schiff gleichen Namens, das in den Dreißigerjahren gebaut wurde und lange Zeit als Inbegriff transatlantischer Mondänität galt. Nun liegt die Queen Mary schon lange in Kalifornien vor Anker, sie läuft nicht mehr aus, sie steht nur noch Touristen offen. Um dem Interesse ein bisschen nachzuhelfen, wird auch eine Spuk-Führung angeboten, die auf alle die unheimlichen Dinge verweist, die an Bord im Lauf der Jahre zu verzeichnen waren. Gary Shore und seine Drehbuchpartner Stephen Oliver und Tom Vaughan bekommen damit Gelegenheit, ein bisschen mit den Zeitebenen zu spielen. Zwischen einer Halloween-Nacht 1938 auf See und einer Schiffsbegehung in unserer Gegenwart entspinnen sich allerlei grässliche Korrespondenzen, auch der Zweite Weltkrieg leuchtet schrecklich-düster herüber in eine Welt, in der das Meer nur noch für Extremsegler wirklich eine Elementarmacht ist.
"The Queen Mary" nimmt dabei die Inspiration durch Jahrmarktseffekte sehr ernst. Shore schickt das Publikum auf eine Geisterbahnfahrt, die schon bald so labyrinthisch ist, dass man sich am besten nicht mehr nach einem Ausgang umsieht, sondern einfach das Groteske und das Grässliche auf sich wirken lässt. Der Film zieht so viele Register, dass der Vorwurf der Beliebigkeit naheliegt. Aber es ist tatsächlich der Schiffskörper, der alles zusammenhält - eine schwimmende Welt, die hinter jedem Bullauge und am Ende eines jeden Kabinengangs eine böse Überraschung gewärtigen lässt.
In dem Berlin, in dem die Finanzströme des Weltkinos "Baghead" auftauchen ließen, gibt es außer dem klingenden Namen der Stadt keinerlei Anhaltspunkt in einer konkreten Wirklichkeit. In der Herkunftsgeschichte des Monsters tauchen dann eher pflichtschuldig ein paar Aspekte aus der deutschen Vergangenheit auf. "Baghead" bleibt aber letztlich ein Zufallsprodukt, in dem von Berlin vor allem die Rede ist, weil damit den Förderkriterien entsprochen ist. Im Vergleich dazu ist "The Queen Mary" auf eine fast schon provozierende Weise aus einer einzigen, sehr spezifischen Idee entstanden: ein berühmtes Schiff nach Kräften heimzusuchen mit Obsessionen und Albtraumfragmenten, und sich von dem Genius loci überwältigen zu lassen. In den bisherigen Reaktionen wird "The Queen Mary" als misslungen gewertet, "a mess", ein hoffnungsloses Durcheinander. Gerade in der Unverfrorenheit, mit der Shore den Horror als Show ausweist, und in dem er sich dem Varieté und der Gaukelei annähert, findet er aber zu einem sehr originellen Duktus. Ein Horrorfilm im strengen Sinn ist "The Queen Mary" wohl nicht, eher eine Reminiszenz an die alten Schausteller-Gewerbe, bei denen das Kino in seinen Anfängen Unterschlupf fand. Bis es sich eben zu dem Glamour aufschwang, für den auch die Queen Mary stand. Ein goldenes Zeitalter, das heute nur noch im Modus der Verwünschung erreichbar ist. BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main