Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2015Vom Schicksal nicht abgeworfen werden
Damian John Harpers Film "Los Ángeles" zeigt die Stadt als Projektionsfläche der Verprügelten
Der junge Mateo geht als Favorit in die Rodeo-Konkurrenz in einem südmexikanischen Dorf. Im Vorjahr hat er drei Stiere geschafft, dieses Mal soll er das mindestens wiederholen. Doch er vermasselt seinen Auftritt. Schon der erste Ritt endet mit einer üblen Verletzung, und nun geht Mateo auf Krücken. Das kommt ihm ganz gelegen, obwohl eigentlich alles vorbereitet war für seine große Fahrt über die Grenze. Er sollte nach Los Angeles fahren, um dort sein Glück zu machen. Los Ángeles, wie es auf Spanisch heißt, die Stadt der Engel, an die sich große Träume heften. Mateo wollte fahren, aber er kann nicht, denn er hat im Dorf noch etwas zu klären. Er hat eine Riesendummheit begangen, und nun steckt er so tief in Problemen, dass ein paar blaue Flecken und ein verrenktes Bein ihm nur recht sind. Den Abwurf hat er wohl auch selbst provoziert, doch das lässt Damian John Harper, der in dem Film "Los Ángeles" die Geschichte von Mateo und ein paar seiner Landsleute erzählt, wohlweislich im Ungewissen.
Der Fehler, mit dem alles anfing, war eigentlich eine Vorsichtsmaßnahme. Mateo hatte gehört, dass man sich drüben nur durchschlagen kann, wenn man sich einer Gang anschließt. Das macht man am besten schon vor der Abfahrt, denn diese Gruppierungen arbeiten grenzüberschreitend, sie fordern hier Gefolgschaft ein und liefern drüben dann Loyalität. Immer vorausgesetzt, man hält sich an die Regeln und wird nicht zum Verräter. Vor den Regeln kommen noch die Rituale, und mit einem wesentlichen beginnt der Film: Mateo lässt sich verprügeln. Er muss zeigen, dass er einstecken kann. Er ist jetzt einer von denen, dabei ist er doch ein guter Junge.
Über die sozialen Umstände, die in "Los Ángeles" erkennbar werden, konnte man in Teilen schon aus früheren Filmen etwas wissen, vor allem aus Christian Povedas Dokumentarfilm "La vida loca" (2008), in dem der Alltag in bestimmten Vierteln der Hauptstadt von El Salvador vollkommen von der Bandenkriminalität geprägt ist. Poveda bezahlte die gefährliche Nähe, die er zu seinen Protagonisten suchte und fand, mit dem Leben. Er wurde 2009 erschossen aufgefunden.
Damian John Harper kam über die Ethnologie nach Mexiko, und er hat in München Film studiert, wodurch sich die maßgeblich deutsche Finanzierung von "Los Ángeles" erklärt. Er wählt einen anderen Weg als Poveda. Sein Film ist eine Fiktion, allerdings so modellhaft, dass sie beinahe wie ein Versuch erscheinen kann, ein Gesellschaftspanorama im Kleinformat zu zeichnen. Mateo, sein kleiner Bruder, die Nachbarin Valentina auf der anderen Seite des Zauns, der Bandenführer Danny, der mit Mateos Schwester nachts im Mondschein wilde Lilien pflückt (während Mateo in der Kirche das Kollektengeld aus einer Vitrine raubt), der Vater von Mateo, der lange weg war, dazu noch eine Mutter, deren Sohn zu den Feiertagen nicht ins Dorf zurückgekommen ist - sie allen vertreten eine mögliche Position in dieser Konstellation.
Zwischen diesen Figuren bewegt sich die Kamera (Friede Clausz) mit jener Intuition, in der sich Wachsamkeit und Begehren nie unterscheiden lassen - es ist eine Beweglichkeit so nah an den Figuren, dass deren Blick mit dem des Films zusammenzufallen scheint, aber immer nur für Momente. Die Brüder Dardenne haben diesen zugleich empathischen und argwöhnischen Kamerablick in "Rosetta" berühmt gemacht. Der Amerikaner Harper orientiert sich in "Los Ángeles" daran, ohne daraus allerdings eine aufdringliche Stilistik werden zu lassen. Alles dient der geschmeidigen Erzählung eines dramatischen Konflikts, den Mateo am liebsten mit sich selbst ausmachen würde. Geschickt führt Harper die Erzählfäden so, dass am Ende zwei Figuren zufällig nebeneinander in einem Bus nach Norden zu sitzen kommen, die wie eine kleine Schicksalsgemeinschaft wirken. Das Schicksal ist die Gewalt, in "Los Ángeles" wartet kein neues Leben, sondern die Konsequenz des alten.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Damian John Harpers Film "Los Ángeles" zeigt die Stadt als Projektionsfläche der Verprügelten
Der junge Mateo geht als Favorit in die Rodeo-Konkurrenz in einem südmexikanischen Dorf. Im Vorjahr hat er drei Stiere geschafft, dieses Mal soll er das mindestens wiederholen. Doch er vermasselt seinen Auftritt. Schon der erste Ritt endet mit einer üblen Verletzung, und nun geht Mateo auf Krücken. Das kommt ihm ganz gelegen, obwohl eigentlich alles vorbereitet war für seine große Fahrt über die Grenze. Er sollte nach Los Angeles fahren, um dort sein Glück zu machen. Los Ángeles, wie es auf Spanisch heißt, die Stadt der Engel, an die sich große Träume heften. Mateo wollte fahren, aber er kann nicht, denn er hat im Dorf noch etwas zu klären. Er hat eine Riesendummheit begangen, und nun steckt er so tief in Problemen, dass ein paar blaue Flecken und ein verrenktes Bein ihm nur recht sind. Den Abwurf hat er wohl auch selbst provoziert, doch das lässt Damian John Harper, der in dem Film "Los Ángeles" die Geschichte von Mateo und ein paar seiner Landsleute erzählt, wohlweislich im Ungewissen.
Der Fehler, mit dem alles anfing, war eigentlich eine Vorsichtsmaßnahme. Mateo hatte gehört, dass man sich drüben nur durchschlagen kann, wenn man sich einer Gang anschließt. Das macht man am besten schon vor der Abfahrt, denn diese Gruppierungen arbeiten grenzüberschreitend, sie fordern hier Gefolgschaft ein und liefern drüben dann Loyalität. Immer vorausgesetzt, man hält sich an die Regeln und wird nicht zum Verräter. Vor den Regeln kommen noch die Rituale, und mit einem wesentlichen beginnt der Film: Mateo lässt sich verprügeln. Er muss zeigen, dass er einstecken kann. Er ist jetzt einer von denen, dabei ist er doch ein guter Junge.
Über die sozialen Umstände, die in "Los Ángeles" erkennbar werden, konnte man in Teilen schon aus früheren Filmen etwas wissen, vor allem aus Christian Povedas Dokumentarfilm "La vida loca" (2008), in dem der Alltag in bestimmten Vierteln der Hauptstadt von El Salvador vollkommen von der Bandenkriminalität geprägt ist. Poveda bezahlte die gefährliche Nähe, die er zu seinen Protagonisten suchte und fand, mit dem Leben. Er wurde 2009 erschossen aufgefunden.
Damian John Harper kam über die Ethnologie nach Mexiko, und er hat in München Film studiert, wodurch sich die maßgeblich deutsche Finanzierung von "Los Ángeles" erklärt. Er wählt einen anderen Weg als Poveda. Sein Film ist eine Fiktion, allerdings so modellhaft, dass sie beinahe wie ein Versuch erscheinen kann, ein Gesellschaftspanorama im Kleinformat zu zeichnen. Mateo, sein kleiner Bruder, die Nachbarin Valentina auf der anderen Seite des Zauns, der Bandenführer Danny, der mit Mateos Schwester nachts im Mondschein wilde Lilien pflückt (während Mateo in der Kirche das Kollektengeld aus einer Vitrine raubt), der Vater von Mateo, der lange weg war, dazu noch eine Mutter, deren Sohn zu den Feiertagen nicht ins Dorf zurückgekommen ist - sie allen vertreten eine mögliche Position in dieser Konstellation.
Zwischen diesen Figuren bewegt sich die Kamera (Friede Clausz) mit jener Intuition, in der sich Wachsamkeit und Begehren nie unterscheiden lassen - es ist eine Beweglichkeit so nah an den Figuren, dass deren Blick mit dem des Films zusammenzufallen scheint, aber immer nur für Momente. Die Brüder Dardenne haben diesen zugleich empathischen und argwöhnischen Kamerablick in "Rosetta" berühmt gemacht. Der Amerikaner Harper orientiert sich in "Los Ángeles" daran, ohne daraus allerdings eine aufdringliche Stilistik werden zu lassen. Alles dient der geschmeidigen Erzählung eines dramatischen Konflikts, den Mateo am liebsten mit sich selbst ausmachen würde. Geschickt führt Harper die Erzählfäden so, dass am Ende zwei Figuren zufällig nebeneinander in einem Bus nach Norden zu sitzen kommen, die wie eine kleine Schicksalsgemeinschaft wirken. Das Schicksal ist die Gewalt, in "Los Ángeles" wartet kein neues Leben, sondern die Konsequenz des alten.
BERT REBHANDL
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