Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2007Schlaumeiereien im Schützengraben
Verloren zwischen Safran und Sepia: "Mathilde - Eine große Liebe" von Jean-Pierre Jeunet / Von Dominik Graf
Jean-Pierre Jeunet: "Mathilde - Eine große Liebe".
Warner Home Video. 2 DVDs. 128 Minuten. Extras: Audiokommentar, Dokumentationen, nicht verwendete Szenen, Trailer.
"Man muss das Licht filmen. Denn das Licht ist die Luft der Zeit." Dieses in Stein gemeißelte Wort zum Kino an und für sich gab der große Jean Eustache in den Siebzigern von sich. Man kann sich diesen Satz sozusagen faustdick hinter die Ohren schreiben. Vornehmlich für Kostümfilme. Das Problem ist nur, dass die schöne neue digitalisierte Filmwelt das Licht und die Luft gar nicht mehr so wundervoll abbildet, wie es das Film-Positiv kann. Nur der photochemische Entwicklungsprozess bringt die Farben wirklich zum Leuchten, die Luft zum Brennen, das Licht zum Strahlen. Im modernen Digitalfilmbild (meistens direkt vom Negativ) erscheint alles weniger physisch, weniger materiell, weniger sinnlich. Noch schlimmer wird es, wenn man digitale Effekte aus dem Computer für den Film benötigt, wenn also die Bilder zusätzlich nochmal durch eine mehrfache Weichspül-Behandlung gehen müssen.
Jeunet muss das irgendwie auch gemerkt haben und färbte vielleicht deshalb seinen Film letztendlich komplett in Gelb ein, denn sein Safran-Look wirkt auf mich eher wie eine Verzweiflungstat. Angeblich wollte er damit das Sepia alter Schwarzweiß-Fotos imitieren. Und vielleicht hat das ja in der Kinokopie noch halbwegs funktioniert - auf der DVD sieht es eher aus wie das Delirium eines vollgedopten Tour-de-France-Fahrers im Gelben Trikot.
Man kommt ja auch ganz schön rum in Frankreich in diesem Film: Korsika, die Dordogne, die Schlachtfelder der Somme, die Bretagne. Und Jeunet baute Teile des Paris von 1920 digital noch mal liebevoll neu auf. Faszinierend ist, auf der Zusatz-DVD zu sehen, wie die einzelnen Schichten der Totale eines Place de l'Opéra voll von Verkehr jeder Art entstanden. Aber Jeunets Paris sieht trotzdem eher so aus, wie sich heutige Politikergehirne und Erlebnis-Stadtplaner solche Weltstädte gerne vorstellen: Architektonisch beeindruckend, ab und an auch noch ein wenig gemütlich-pittoresk, vielleicht so ähnlich wie eine historische Musical-Kulisse mit Eiffelturm - "dieses verfluchte Stahlskelett!", nannte ihn Maupassant. Und vor allem anderen sieht es picobello sauber aus. Les Halles zum Beispiel, wo Jodie Fosters tolle Episode beginnt, sind geradezu grotesk clean. Man sieht keinen Abfall, keinen Dreck, kein Fett auf dem Boden und auch kein gelebtes hartes Leben in den Gesichtern der Komparsen. Man sieht zwar förmlich die rührende Bemühung Jeunets, den verbrecherischen Abriss der Markthallen 1971 durch ihre Wiederauferstehung in seinem Film ein wenig wettzumachen. Aber es bleibt sterile Touristenfassade. Und der Gare d'Orsay besteht natürlich aus seiner tollen Stahlkonstruktion und aus Lokqualm - wirkt aber ansonsten so, als hätte ihn der Deutsche-Bahn-Chef Mehdorn just vorher mit der Zunge blankgeleckt. Ganz Paris 1920 ohne Freiflächen, Ruinen, Trümmer, ohne bauliche Unregelmäßigkeiten, ohne verschobene Bordsteinniveaus, ohne Gras, das aus den Steinen bricht. Tom Tykwer wies für das eklatante Schmutz-Problem im "Parfum" ja in den Schlusstiteln einen sogenannten "Dirt-Manager" aus. Aber Dreck im Film, optischer "Schmutz", Körnigkeit etc., ganz genauso wie realer Dreck in der Dekoration, das ist eine schwierige Sache. Letztlich ist das Ganze wohl eher eine Frage der schmutzigen Mentalität des Regisseurs.
Jeunet klotzt sowieso gleich von Anfang an mit allen Neutronen-Waffen, die das moderne Kino-Erlebnis so unvergesslich machen: Dolby-SR-Getöse und die Kamera als Flugwaffe eingesetzt, indiskret auf die Emotionen der Schauspieler zurasend wie ein Torpedo, das auf mögliche Gefühlswärme im Bild sofort reagiert; dazu pausenlose Digitalexplosionen in Schützengräben und erzählerische Schlaumeiereien aus dem Off. Was soll man sagen? Das ist halt magischer Realismus à la française im 21. Jahrhundert. Der einzige wahre "Dreck", das einzig Authentische, Kaputte, das einzig Nicht-Prätentiöse in diesem Film - das ist das phantastische Labyrinth des Stoffs: "Un long dimanche de fiançailles" vom Romanautor Sébastien Japrisot (unter anderem "Ein tödlicher Sommer"). Und für Sekunden sieht man Leben auch in einigen Schauspielergesichtern aufleuchten. Bei André Dussolier, bei Denis Lavant, Dominique Pinon, bei Jodie Foster natürlich und manchmal sogar bei Audrey Tautou. Sie wirken dann in einem solchen Film manchmal wie Eingeborene, die aus einem echten, dunklen und schon weit versunkenen Frankreich vor eine moderne Kolonialherren-Kamera gezerrt wurden.
Einmal gibt es aber doch einen großartigen Moment in der erzählerischen Mechanistik von Jeunet: Als die einsame Mathilde sich erlaubt, abends im Bett vom Masseur ihres poliogelähmten Körpers zu träumen - da sagt die weibliche Erzählerstimme, dass Mathilde sich nämlich von ihrem geliebten Verlobten keine erotischen Vorstellungen mehr machen konnte seit dem Tag, an dem er als verschollen gemeldet wurde. Und dann sagt die Erzählerin: "Das ist eben so." Ein schön gelassener Satz in einem französischen Film, der ansonsten mit seinen Instrumenten rasselt wie ein aufgezogener automatischer Affe.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verloren zwischen Safran und Sepia: "Mathilde - Eine große Liebe" von Jean-Pierre Jeunet / Von Dominik Graf
Jean-Pierre Jeunet: "Mathilde - Eine große Liebe".
Warner Home Video. 2 DVDs. 128 Minuten. Extras: Audiokommentar, Dokumentationen, nicht verwendete Szenen, Trailer.
"Man muss das Licht filmen. Denn das Licht ist die Luft der Zeit." Dieses in Stein gemeißelte Wort zum Kino an und für sich gab der große Jean Eustache in den Siebzigern von sich. Man kann sich diesen Satz sozusagen faustdick hinter die Ohren schreiben. Vornehmlich für Kostümfilme. Das Problem ist nur, dass die schöne neue digitalisierte Filmwelt das Licht und die Luft gar nicht mehr so wundervoll abbildet, wie es das Film-Positiv kann. Nur der photochemische Entwicklungsprozess bringt die Farben wirklich zum Leuchten, die Luft zum Brennen, das Licht zum Strahlen. Im modernen Digitalfilmbild (meistens direkt vom Negativ) erscheint alles weniger physisch, weniger materiell, weniger sinnlich. Noch schlimmer wird es, wenn man digitale Effekte aus dem Computer für den Film benötigt, wenn also die Bilder zusätzlich nochmal durch eine mehrfache Weichspül-Behandlung gehen müssen.
Jeunet muss das irgendwie auch gemerkt haben und färbte vielleicht deshalb seinen Film letztendlich komplett in Gelb ein, denn sein Safran-Look wirkt auf mich eher wie eine Verzweiflungstat. Angeblich wollte er damit das Sepia alter Schwarzweiß-Fotos imitieren. Und vielleicht hat das ja in der Kinokopie noch halbwegs funktioniert - auf der DVD sieht es eher aus wie das Delirium eines vollgedopten Tour-de-France-Fahrers im Gelben Trikot.
Man kommt ja auch ganz schön rum in Frankreich in diesem Film: Korsika, die Dordogne, die Schlachtfelder der Somme, die Bretagne. Und Jeunet baute Teile des Paris von 1920 digital noch mal liebevoll neu auf. Faszinierend ist, auf der Zusatz-DVD zu sehen, wie die einzelnen Schichten der Totale eines Place de l'Opéra voll von Verkehr jeder Art entstanden. Aber Jeunets Paris sieht trotzdem eher so aus, wie sich heutige Politikergehirne und Erlebnis-Stadtplaner solche Weltstädte gerne vorstellen: Architektonisch beeindruckend, ab und an auch noch ein wenig gemütlich-pittoresk, vielleicht so ähnlich wie eine historische Musical-Kulisse mit Eiffelturm - "dieses verfluchte Stahlskelett!", nannte ihn Maupassant. Und vor allem anderen sieht es picobello sauber aus. Les Halles zum Beispiel, wo Jodie Fosters tolle Episode beginnt, sind geradezu grotesk clean. Man sieht keinen Abfall, keinen Dreck, kein Fett auf dem Boden und auch kein gelebtes hartes Leben in den Gesichtern der Komparsen. Man sieht zwar förmlich die rührende Bemühung Jeunets, den verbrecherischen Abriss der Markthallen 1971 durch ihre Wiederauferstehung in seinem Film ein wenig wettzumachen. Aber es bleibt sterile Touristenfassade. Und der Gare d'Orsay besteht natürlich aus seiner tollen Stahlkonstruktion und aus Lokqualm - wirkt aber ansonsten so, als hätte ihn der Deutsche-Bahn-Chef Mehdorn just vorher mit der Zunge blankgeleckt. Ganz Paris 1920 ohne Freiflächen, Ruinen, Trümmer, ohne bauliche Unregelmäßigkeiten, ohne verschobene Bordsteinniveaus, ohne Gras, das aus den Steinen bricht. Tom Tykwer wies für das eklatante Schmutz-Problem im "Parfum" ja in den Schlusstiteln einen sogenannten "Dirt-Manager" aus. Aber Dreck im Film, optischer "Schmutz", Körnigkeit etc., ganz genauso wie realer Dreck in der Dekoration, das ist eine schwierige Sache. Letztlich ist das Ganze wohl eher eine Frage der schmutzigen Mentalität des Regisseurs.
Jeunet klotzt sowieso gleich von Anfang an mit allen Neutronen-Waffen, die das moderne Kino-Erlebnis so unvergesslich machen: Dolby-SR-Getöse und die Kamera als Flugwaffe eingesetzt, indiskret auf die Emotionen der Schauspieler zurasend wie ein Torpedo, das auf mögliche Gefühlswärme im Bild sofort reagiert; dazu pausenlose Digitalexplosionen in Schützengräben und erzählerische Schlaumeiereien aus dem Off. Was soll man sagen? Das ist halt magischer Realismus à la française im 21. Jahrhundert. Der einzige wahre "Dreck", das einzig Authentische, Kaputte, das einzig Nicht-Prätentiöse in diesem Film - das ist das phantastische Labyrinth des Stoffs: "Un long dimanche de fiançailles" vom Romanautor Sébastien Japrisot (unter anderem "Ein tödlicher Sommer"). Und für Sekunden sieht man Leben auch in einigen Schauspielergesichtern aufleuchten. Bei André Dussolier, bei Denis Lavant, Dominique Pinon, bei Jodie Foster natürlich und manchmal sogar bei Audrey Tautou. Sie wirken dann in einem solchen Film manchmal wie Eingeborene, die aus einem echten, dunklen und schon weit versunkenen Frankreich vor eine moderne Kolonialherren-Kamera gezerrt wurden.
Einmal gibt es aber doch einen großartigen Moment in der erzählerischen Mechanistik von Jeunet: Als die einsame Mathilde sich erlaubt, abends im Bett vom Masseur ihres poliogelähmten Körpers zu träumen - da sagt die weibliche Erzählerstimme, dass Mathilde sich nämlich von ihrem geliebten Verlobten keine erotischen Vorstellungen mehr machen konnte seit dem Tag, an dem er als verschollen gemeldet wurde. Und dann sagt die Erzählerin: "Das ist eben so." Ein schön gelassener Satz in einem französischen Film, der ansonsten mit seinen Instrumenten rasselt wie ein aufgezogener automatischer Affe.
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