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In den 80er Jahren war die Affäre der damals 36-jährigen Gracie (Julianne Moore) und des 13-jährigen Joe (Charles Melton) ein handfester Skandal und ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Mehr als 20 Jahre später führen die Beiden ein scheinbar perfektes Vorstadtleben mit netter Nachbarschaft, gepflegtem Garten und drei fast erwachsenen Kindern. Doch ihr häusliches Glück wird gestört, als die berühmte und beliebte Hollywood-Schauspielerin Elizabeth (Natalie Portman) ankommt, um vor Ort für ihre bevorstehende Hauptrolle in einem Film über Gracie zu recherchieren. Während Elizabeth sich…mehr

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Produktbeschreibung
In den 80er Jahren war die Affäre der damals 36-jährigen Gracie (Julianne Moore) und des 13-jährigen Joe (Charles Melton) ein handfester Skandal und ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Mehr als 20 Jahre später führen die Beiden ein scheinbar perfektes Vorstadtleben mit netter Nachbarschaft, gepflegtem Garten und drei fast erwachsenen Kindern. Doch ihr häusliches Glück wird gestört, als die berühmte und beliebte Hollywood-Schauspielerin Elizabeth (Natalie Portman) ankommt, um vor Ort für ihre bevorstehende Hauptrolle in einem Film über Gracie zu recherchieren. Während Elizabeth sich in das Alltagsleben von Gracie und Joe einschleicht, kommen die schmerzlichen Fakten der damaligen Ereignisse ans Licht und lassen verschüttete Gefühle wieder aufleben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2024

Eine Lüge hält kein Leben lang

Endspiel der falschen Gefühle: Todd Haynes inszeniert in seinem Film "May December" das Duell zweier großer Schauspielerinnen.

Am Anfang sieht man, zu einer kleinen, bösartigen Klaviermusik, Schmetterlinge mit goldgelben Flügeln auf Pflanzenstielen sitzen. Es sind Monarchfalter, die in Nordamerika weit verbreitet sind. In jüngster Zeit ist ihre Population stark zurückgegangen. Zahlreiche Privatinitiativen bemühen sich um ihre Aufzucht und ihren Schutz.

Dann fährt ein Mietwagen vor einer Hauseinfahrt vor. Die Schauspielerin Elizabeth ist nach Savannah, Georgia, gekommen, um sich auf eine Filmrolle vorzubereiten. Die Frau, die sie darstellen soll, lebt in einer kleinen Gemeinde auf einem Küstenstreifen vor der Stadt. Als Elizabeth sie zum ersten Mal besucht, bereitet Gracie mit ihrem Mann Joe gerade eine Grillparty vor. Das Haus am Wasser, in dem die beiden wohnen, steht isoliert in der Landschaft. Elizabeth hat vom Eingang ein Paket mitgebracht. Sie wisse schon, was darin sei, sagt Gracie, als sie sie begrüßt. "Was denn?" - "S-h-i-t." Früher, sagt Gracie, seien solche Pakete noch viel häufiger gewesen. Und: "Gucken Sie nicht so schockiert!"

Die beiden Szenen zu Beginn von Todd Haynes' Film "May December" setzen den Ton der Geschichte. Es ist Mai, die Natur steht in Blüte, die Falter schlüpfen aus den Raupen, aber etwas stimmt nicht. Im Mittelstandsidyll von Gracie und Joe Atherton-Yoo trifft, nicht unerwartet, eine Sendung Fäkalien ein. Dazu kommt, dass die Generationenfolge im Hause Atherton-Yoo offenbar durcheinandergeraten ist, denn Joe sieht aus, als wäre er Gracies Sohn. Als er in den Kühlschrank greift, um sich ein Bier zu holen, weist ihn seine Frau zurecht: "Das ist das zweite." Als Gracie dann selbst in den Kühlschrank schaut, zoomt die Kamera auf sie zu, als läge darin eine Bombe. Aber ach, es sind nur die Hotdogs. Und Elizabeth, die Schauspielerin, schaut zu.

Im Sommer 1996 wurde die vierunddreißigjährige Grundschullehrerin Mary Kay LeTourneau aus Seattle bei einer Affäre mit einem zwölfjährigen Schüler ertappt. Während des folgenden Gerichtsverfahrens gebar sie ein Kind aus der Beziehung. Im Gefängnis, wo LeTourneau eine siebenjährige Haftstrafe wegen Verführung Minderjähriger angetreten hatte, bekam sie ein weiteres Kind von ihrem Schüler. Nach LeTourneaus Entlassung heirateten die beiden. Der Fall ging durch alle amerikanischen Medien. 2019, ein Jahr vor LeTourneaus Krebstod, trennte sich das Paar. Kurz darauf ging "May December" in die Vorproduktion.

Todd Haynes und die Drehbuchautorin Samy Burch haben die Geschichte von Mary Kay LeTourneau vorsichtig retuschiert. Der Film spielt an der Ost- statt an der Westküste, Gracie und ihr Mann Joe haben nicht zwei, sondern drei Kinder, Joe ist koreanischer statt samoanischer Herkunft, und das Paar hat sich nicht im Unterricht, sondern in einer Zoohandlung kennengelernt. Sonst aber ist alles wie in dem historischen Fall: der Altersunterschied, die soziale Isolation, die Wunden, die das Geschehen in zwei Familien geschlagen hat. Denn auch Gracie war, wie LeTourneau, schon einmal verheiratet. Zwei ihrer Kinder aus erster Ehe bekommen in diesem Mai ihren Highschool-Abschluss, zusammen mit den Zwillingen, die Gracie in der Haft geboren hat. Die Abschlussfeier ist der Fluchtpunkt des Films. Man sieht sie kommen wie ein Gewitter, das über der falschen Idylle von Tybee Island aufzieht.

Die entscheidende dramaturgische Zutat in "May December" ist die Schauspielerin Elizabeth. Sie bringt, wie der Detektiv im Kriminalfilm, die Dinge in Bewegung, indem sie sie befragt. Aber Elizabeth ist keine Wahrheitssucherin. Natalie Portman spielt sie als alternden Fernsehstar, der die skandalumwitterte Rolle für einen Karrieresprung ins Kino nutzen will. Dabei ist sich der Gast aus Hollywood für keine Manipulation zu fein. Bei einem Auftritt vor Schülern inszeniert sie sich als Femme fatale, und den naiven Joe zieht sie mit allen verfügbaren Tricks zu sich ins Bett. In der Welt der Streamingserien, aus der sie kommt, wäre sie die Teufelin des Geschehens. Aber bei Todd Haynes gelten andere Regeln.

Seit dreißig Jahren erzählt Haynes im Kino von Außenseitern, die das Glücksversprechen der Gesellschaft auf die Probe stellen: Popmusikern, Homosexuellen, Paaren mit unterschiedlicher Hautfarbe, Frauen, die keine Hausfrauen sein wollen. Dabei ist sein Kamerablick stets auf der Seite seiner Heldinnen. "May December" hätte ein weiterer Film in dieser Reihe sein können. Aber er ist es nicht geworden, obwohl Julianne Moore, Haynes' Lieblingsschauspielerin, die Zentralfigur der Gracie spielt. Irgendwann in der Entwicklung des Stoffs muss sich der Regisseur entschlossen haben, die Rolle des Opfers diesmal ausfallen zu lassen. Stattdessen machte er aus der Geschichte einen Zweikampf, bei dem keiner gewinnt, auch die Wahrheit nicht und nicht die Gerechtigkeit - nur das Kino.

Denn was sich Moore und Portman vor Haynes' Kamera liefern, ist das weibliche Äquivalent eines Westernduells, das hier mit Blicken statt mit Waffen ausgetragen wird. Sie umkreisen sich. Sie belauern sich. Sie belügen sich. Die eine schminkt die andere, als wäre sie eine Puppe. Diese wiederum liest den Liebesbrief der anderen mit deren Stimme vor. Und einmal, zwischen den Spiegeln eines Kleidergeschäfts, erscheinen beide wie Facetten einer einzigen Person. Als Vorbild für diese und andere Szenen nennt Haynes Ingmar Bergmans "Persona", aber von Bergmans Existenzialismus ist "May December" weit entfernt. Hier regiert ein anderer, böserer Blick, der die Lebenslügen beider Hauptfiguren aneinander zerschellen lässt. Elizabeth wird ihre Karriere nicht durch die Gracie-Rolle retten, weil sie schon vor dem Original als Schauspielerin versagt. Und Gracie ist längst nicht mehr die leidenschaftlich Liebende, die für ihre Passion ins Gefängnis ging, sondern eine berechnende Strippenzieherin ihres Ehe- und Familienlebens.

Zur analytischen Kälte seiner Erzählung passt, dass Haynes auch deren Form aus anderswo gefundenen Einzelteilen zusammengesetzt hat. Das Klaviermotiv, das die entscheidenden Szenen begleitet, nahm er aus Michel Legrands Score zu Joseph Loseys Filmklassiker "The Go-Between", die Bildästhetik aus den Seifenopern von Netflix und Amazon. "May December" ist eine als Fernsehschnulze verkleidete Abrechnung mit der amerikanischen Bilderindustrie und ihren Konsumenten, ihren Klischees, ihren Zynismen und Illusionen. Am Ende kehren Gracie und Elizabeth jede für sich in ihre Welt zurück, ohne zu ahnen, dass sie gerade vor der Kamera in Stücke gefallen ist.

Den Rest Zärtlichkeit, auf den er auch in diesem Film nicht verzichten will, hat sich Haynes für eine einzige Figur aufgehoben. Dem von seiner Vaterrolle heillos überforderten Joe, der gegen den Willen seiner Ehefrau Monarchfalter-Raupen in Käfigen aufzieht, gelingt es endlich, ein paar Schmetterlinge zu züchten. Einen von ihnen trägt er vorsichtig ins Freie und lässt ihn fliegen. Er blickt ihm nach, bis er über den Wellen des Atlantiks verschwindet. Und einen Augenblick lang wird es in "May December", diesem Endspiel des amerikanischen Traums, tatsächlich Frühling. ANDREAS KILB

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