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Hanekes Filmtechnik der emotionalen Vergletscherung setzt Kontrapunkte zur Traumfabrik Hollywood. Es zählen Armut, Kargheit, Einfachheit und Sachlichkeit.Mit der Haneke-Doku: 24 WIRKLICHKEITEN IN DER SEKUNDE von Nina Kusturica und Eva Testor. Dieses Dokumentarfilmporträt beleuchtet über einen Zeitraum von mehreren Jahren die Wirklichkeit, in der Michael Haneke lebt und arbeitet. Motivsuche, Kinopremiere, öffentliche Auftritte, Publikumsgespräche, Radiointerviews, Setsituationen, Schneideraum. Die wenigen Gespräche finden fast nebenbei, im Auto, Zug, Flugzeug statt. Die Aufgabe liegt in der…mehr

  • Anzahl: 4 DVDs
Produktbeschreibung
Hanekes Filmtechnik der emotionalen Vergletscherung setzt Kontrapunkte zur Traumfabrik Hollywood. Es zählen Armut, Kargheit, Einfachheit und Sachlichkeit.Mit der Haneke-Doku: 24 WIRKLICHKEITEN IN DER SEKUNDE von Nina Kusturica und Eva Testor. Dieses Dokumentarfilmporträt beleuchtet über einen Zeitraum von mehreren Jahren die Wirklichkeit, in der Michael Haneke lebt und arbeitet. Motivsuche, Kinopremiere, öffentliche Auftritte, Publikumsgespräche, Radiointerviews, Setsituationen, Schneideraum. Die wenigen Gespräche finden fast nebenbei, im Auto, Zug, Flugzeug statt. Die Aufgabe liegt in der genauen Beobachtung verschiedenster Situationen, wodurch ein besessener Filmemacher hervortritt. Im Gegensatz zu zahlreichen Interviews, die Haneke im Laufe seiner Karriere schon gegeben hat, konzentriert sich 24 WIRKLICHKEITEN nicht primär auf seine sprachlich eloquente Seite, sondern vielmehr auf seine handwerkliche. "Ich sage immer, Film ist 24-mal die Lüge in der Sekunde im Dienste der Wahrheit oder im Dienste des Versuchs, die Wahrheit zu ergründen ... " Michael Haneke

Bonusmaterial

DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Biographien Crew - Kapitel- / Szenenanwahl - Making Of - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Filmographien
Autorenporträt
Michael Haneke, geboren 1942, Studium der Philosophie, Psychologie und Theaterwissenschaft in Wien. 1967 - 1970 Redakteur und Fernsehspieldramaturg beim Südwestfunk (ARD) Seit 1970 freischaffender Regisseur und Drehbuchautor. Theaterproduktionen in Stuttgart, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München, Berlin und Wien. Zahlreiche seiner Filme wurden international ausgezeichnet, u.a. Funny Games, Die Klavierspielerin, Code unbekannt, Wolfszeit, Caché. "Das weiße Band" ist offizieller deutscher Kandidat im Rennen um den OSCAR 2010 in der Kategorie "Bester nicht-englischsprachiger Film".

Ulrich Mühe, geboren 1953 in Grimma, war ein sehr beliebter Theater- und Filmschauspieler. Seinen größten Erfolg feierte er mit der Hauptrolle als Stasihauptmann Wiesler in dem Oscar prämierten Film "Das Leben der Anderen", für die er 2006 mit dem Deutschen und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Ulrich Mühe verstarb 2007 nach schwerer Krankheit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2004

Die Feuerpredigt
Weltuntergang: Warum der Haneke-Film "Wolfzeit" scheitert

Der Junge geht auf das Feuer zu, das auf den nächtlichen Gleisen brennt. Er legt Tannenzweige darauf, die sich lodernd entzünden. Dann beginnt er sich auszuziehen. Ein Mann schaut von weitem zu, erst neugierig, dann verstört. Der Junge, jetzt nackt, nähert sich dem prasselnden Feuer und breitet die Arme aus. Der Mann beginnt zu rennen. Er erreicht den Jungen, kurz bevor dieser sich in die Flamme stürzen kann, und nimmt ihn in seine Arme. Sie setzen sich auf das Gleis. Sie bilden eine Pietà. Sie bilden das Bild dieses Films.

Der Junge heißt Ben oder Benny. So hieß schon die Hauptfigur in "Bennys Video", Michael Hanekes Film von 1992, und auch der Junge in "Der siebente Kontinent", Hanekes Kinodebüt aus dem Jahr 1987. Bennys Schwester hieß damals Evi, in "Wolfzeit" heißt sie Eva. Er verwende immer die gleichen Namen, hat Haneke einmal erklärt, weil er stets von den gleichen Menschen erzähle, Mann, Frau, Junge, Mädchen, Eltern und Kinder. Die Menschheit als Miniatur, als Kleinfamilie. Bis zu "Bennys Video" hat Haneke von Familien erzählt, die sich selbst zerstören; seither zeigt er Gemeinschaften, die durch äußere Gewalt zugrunde gehen, durch ziellosen Sadismus - wie in "Funny Games" (1997) - oder durch eine vage zivilisatorische Katastrophe, wie nun in "Wolfzeit".

Eine Familie unterwegs aus der Stadt in ihr Landhaus. Der Vater, die Mutter und die beiden Kinder steigen aus dem Wagen, beginnen Vorräte auszuladen, öffnen die Tür und blicken in eine Gewehrmündung. Drinnen hat sich eine andere Kleinfamilie verschanzt, Flüchtlinge offenbar, Vertriebene, die in ihrer Not zu allem entschlossen sind. Die Hausbesitzer bieten Verhandlungen an, Teilung der Vorräte, da fällt ein Schuß. Der Familienvater ist tot, die Mutter (Isabelle Huppert) flieht mit den Kindern Eva und Ben ins Ungewisse, zunächst in ein Dorf, dann, da ihr dort jegliche Hilfe verweigert wird, ins offene Land, auf der Suche nach einem Weg zurück in jene Welt der Regeln und Gesetze, die ringsherum zusammengebrochen ist.

Das ist die Ausgangssituation: der Ausnahmezustand. Es ist der Zustand, auf den alle Filme Michael Hanekes zwangsläufig zusteuern. Manche erreichen ihn, indem sie eine unerwartete Bluttat inszenieren - oder besser: sie außerhalb des Bildausschnitts suggerieren, denn Haneke ist ein Purist der visuellen Gewaltlosigkeit -, andere setzen ihn als gegeben voraus wie "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" (1994) oder "Code inconnu" (2000), zwei labyrinthische Szenenmosaike aus Hanekes Heimatstadt Wien und seiner neuen Wahlheimat Paris. Mit diesen beiden Filmen hat Hanekes neues Werk mehr gemein, als ihm lieb sein kann. Denn "Wolfzeit" ist einerseits die Geschichte einer Familie - Mutter, Tochter, Sohn - und andererseits die Beschwörung einer Welt. Diese beiden Sphären, sozusagen die Innen- und die Außenansicht der Dinge, hat Haneke in seinen bisherigen Filmen immer auseinandergehalten. In "Wolfzeit" bringt er sie zusammen. Das bekommt beiden nicht gut.

Stockfinstere Nacht. Eine Scheune. Ben, Eva und ihre Mutter Anne versuchen hier der Kälte zu trotzen, da, plötzlich, ist der Junge verschwunden. Als Anne, die mit ihrem Feuerzeug ein paar trockene Stengel angezündet hat, um Licht zu machen, in die Dunkelheit läuft und ihre Tochter allein zurückläßt, brennt der Heustadel nieder. Es ist der erste Brand dieses Films und der eindrucksvollste. Die Apokalypse, von der "Wolfzeit" handelt, findet hier auf ein paar Quadratmetern statt, in einem Nichts an Raum. Ebendiesen Raum versucht der Film im weiteren Verlauf immer wieder zurückzugewinnen, ohne daß es ihm gelänge. Denn Haneke mag sich nicht einrichten im filmisch Bekannten und Gewohnten, sosehr sein Sujet auch nach einem festen Rahmen verlangt. Er will eine Geschichte erzählen und auch wieder nicht. An diesem Widerspruch zerbricht sein Film, auch wenn er auf einem Niveau scheitert, das ihn immer noch weit über den Durchschnitt europäischer Kinoproduktionen erhebt.

Ein älterer Junge (Hakim Taleb), ein Herumtreiber ohne Namen, stößt zu der Frau mit den beiden Kindern. Gemeinsam laufen sie durch eine Unglückslandschaft im Zeichen des Bürgerkriegs: Züge mit Bewaffneten, verendete Tiere, menschliche Leichen am Wegesrand. Das Wasser, scheint es, ist vergiftet, später wird man von Versorgungsengpässen hören, Rationierungen, Appellen der Behörden. Aber der Schrecken wird nie konkret, er bleibt ein Gewebe düsterer Andeutungen.

Vor zwanzig Jahren, in den späten Kalmen des Kalten Kriegs, hätte das genügt, aber nach allem, was wir inzwischen im Fernsehen gesehen haben oder uns vorstellen können, ist es zuwenig. So weit entrückt ist uns der Ausnahmezustand nicht mehr, daß wir ihn nicht genauer kennenlernen wollen. Haneke aber verweigert jede präzise Auskunft, er läßt eine Frau sagen, sie habe "im elften Arrondissement" gewohnt, ohne daß aus diesem Hinweis irgend etwas folgt, so wie er bewaffnete Wasserverkäufer zu Pferde zeigt, ohne zu erklären, woher das giftfreie Futter für ihre Tiere stammt. Im Kino ist man bereit, an die unwahrscheinlichsten Situationen zu glauben, solange sie sich glaubwürdig entwickeln; aber Hanekes Feldversuch tritt so mutwillig auf der Stelle, daß seine Glaubwürdigkeit rasch zerrinnt.

Sie kommen an einen stillgelegten Bahnhof. Drinnen hat sich ein Kollektiv aus Überlebenden eingerichtet: Koslowski (Olivier Gourmet) gibt die Befehle, Lise (Béatrice Dalle) und Thomas Brandt (Patrice Chéreau) rebellieren in regelmäßigen Abständen, die übrigen fügen sich. Hier könnte die Geschichte Wurzeln schlagen, Charaktere entwickeln, Konstellationen bilden. Aber auch auf diesen Schauplatz läßt Haneke sich nicht ein, er skizziert ein paar Figuren, dann wendet er sich wieder ab. Eine Flüchtlingskarawane trifft ein, Wasservorräte werden verteilt, Pferde geschlachtet, kleine und große Roheiten begangen, ohne daß all dies dem Geschehen eine neue Richtung gäbe. Es ist die reine Genremalerei, eine Idyllik des Untergangs, die sich auf ihren szenischen Einfällen ausruht, statt die Bilder in Bewegung zu halten.

"Wolfzeit", diese steife filmische Allegorie, ist auch ein Abgesang auf die Schauspielerei. Isabelle Huppert, Béatrice Dalle, Patrice Chéreau, Olivier Gourmet sind wie immer großartig, aber man sieht es kaum. Ihr Spiel geht unter im Planspiel des Regisseurs. Irgendwann hat man so gut wie vergessen, daß dies eigentlich Annes Geschichte ist, ihr Blick, ihre Stimme verschwinden im Einerlei exemplarischer Szenen. Wäre "Wolfzeit" eine Dokumentation, müßte man nach ihrem Wahrheitsgehalt fragen; da es jedoch ein Spielfilm ist, hängt alles davon ab, wieviel Wirklichkeit seine Bilder eröffnen. Hanekes Film aber ist viel zu sehr damit beschäftigt, sich gegen die Realität abzuschließen, als daß er mit ihr in Kontakt kommen könnte. Erst Bennys Feuerprobe bringt die Geschichte wieder in Gang, aber ehe man richtig begreift, was passiert ist, ist "Wolfzeit" schon zu Ende.

Viele Jahre lang war dies Michael Hanekes Wunschprojekt. Während er vergeblich um die Finanzierung von "Wolfzeit" rang, drehte er "Funny Games", "Die Klavierspielerin", "Code inconnu" und die Kafka-Adaption "Das Schloß" - Filme, die ihn zu einem der großen Regisseure Europas gemacht haben. Daran ändert auch "Wolfzeit" nichts. Selbst wenn es traurig mitanzusehen ist, wie eine filmische Idee einen so langen Anlauf nimmt, um dann mitten im Sprung zu erstarren.

ANDREAS KILB

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