Ein Vater flieht, um seinen kleinen Sohn Alton zu schützen und herauszufinden, was es mit den ungewöhnlichen Fähigkeiten des Jungen auf sich hat. Die Flucht vor religiösen Extremisten und der örtlichen Polizei eskaliert bald zu einer landesweiten Menschenjagd, an der auch die höchste Regierungsebene beteiligt ist. Letztlich muss der Vater alles riskieren, um Alton vor dem Schlimmsten zu bewahren und sein Schicksal zu erfüllen, das Auswirkungen auf die gesamte Welt haben könnte ... Ein Film, der in kein Genre passen will, denn trotz der übernatürlichen Elemente entwickelt sich die Story auf einer sehr intim-menschlichen Ebene.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2016Licht scheint in ein schwarzes Loch
Strand und Sumpf: Filme aus Tunesien und Amerika im Wettbewerb der Berlinale
Hedi soll heiraten. Die Braut ist hübsch. Die Mütter sind sich einig. Ein neuer Job in Hedis Heimatort Kairouan steht ebenfalls in Aussicht. Doch Hedi zögert. Sein alter Arbeitgeber, die Peugeot-Generalvertretung in Tunis, schickt ihn als Autoverkäufer in eine Küstenstadt. Hedi aber liegt, statt Kunden abzuklappern, lieber am Strand. Dort trifft er die Animateurin Rim. Zuerst will er nur mit ihr schlafen. Dann will er mit ihr leben. "Du kennst mich gar nicht", sagt er zu seiner Braut. Am Tag der Hochzeit ist er unauffindbar.
Mit dieser Nacherzählung ist der ästhetische Mehrwert von Mohamed Ben Attias "Hedi" beinahe ausgeschöpft, denn der Film begnügt sich mit dem Bebildern seiner Handlung. Nur einmal, als Hedi mit seinem Wagen am Rand der Wüste anhält, um nachzudenken, scheint auch die Kamera einen Moment innezuhalten. Wie ließe sich hier ein Bild finden, vor einer Salzpfanne an der Kante zum Nichts? Aber dann rastet die Logik des Drehbuchs, das eine exemplarische Geschichte über die jüngere Generation in Tunesien erzählen will, wieder ein. Hedi muss sich zwischen Tradition und Zukunft entscheiden, wie das ganze Land. Am Ende wählt er den sicheren Weg. Aber das muss nichts heißen. Symbolhafte Filme haben den Vorteil, dass man sich aus ihrer Symbolik leicht ein- und wieder ausklinken kann. Bei Ben Attia klinkt man sich öfter aus als ein, denn "Hedi" fehlt jene Dringlichkeit, welche die belgischen Brüder Dardenne, die den Film koproduziert haben, jeder ihrer Arbeiten fürs Kino einhauchen. Für einen Platz im Wettbewerbsprogramm der Berlinale hat es bei "Hedi" immerhin gereicht.
Der zweite Wettbewerbsbeitrag des zweiten Festivaltages, Jeff Nichols' "Midnight Special", ist eine Art Retro-Science-Fiction. Wo die Coen-Brüder in ihrem Eröffnungsfilm den fünfziger Jahren huldigen, haftet an "Midnight Special" der sehr spezielle Geruch der Siebziger: ihrer Trash-Ästhetik, ihrer zugleich rauhen und naiven, noch nicht vom digitalen Virus angekränkelten visuellen Effekte, ihrer unerwiderten Liebe zur Landschaft, ihrer alten Autos und Schießeisen. Es geht um ein Wunderkind, das von seinem eigenen Vater entführt wird und um das sich sowohl die Mitglieder einer religiösen Sekte als auch der amerikanische Staatssicherheitsapparat reißen, FBI, NSA, County-Polizei, U.S. Army, man weiß kaum, wie man die Uniformträger auseinanderhalten soll. Irgendetwas soll am 6. März mit dem Jungen passieren, was genau, kann keiner sagen, aber die Lichtfluten, die periodisch aus den Augen des Kleinen hervorbrechen, lassen das Schlimmste oder auch Beste erwarten, je nachdem, ob man die Sache aus endzeitlicher oder aus ordnungshüterischer Perspektive betrachtet.
Der Film gibt aber dann, schon lange, bevor in einem Sumpfgebiet in Florida das gefürchtete Ereignis eintritt, seinen Geist auf - nicht weil seine Effekte so altbacken und seine Verfolgungsjagden und Schießereien so lustlos wären (so viel Retro kann man ertragen) oder weil Kirsten Dunst, Sam Shepard und Adam Driver, die in Nebenrollen auftreten, diesmal an Ausstrahlung zu wünschen übrigließen, sondern weil die Story, die Jeff Nichols zu erzählen versucht, so viele Löcher an Logik und Plausibilität aufweist, dass sie im Grunde ein einziges schwarzes Loch ist. Der Film kann im Gesicht des Knaben gar nicht so viel Licht machen, wie er durch seinen eigenen Fortgang immer wieder verliert, und am Ende ist auch der futuristische Budenzauber, den er am Himmel über Florida entfacht, gänzlich für die Katz.
Der ungleiche Wettkampf hat also wieder einmal begonnen. Hier das arme, bodenständige, mit Herzblut genährte Autorenkino, dort der mehr oder minder üppig ausgestattete Industriefilm. Aber der Ausgang der Geschichte ist nicht so klar, wie es scheint. Während für Nichols' Film, der sichtlich am Markt vorbei gedreht wurde, die Berlinale die letzte Chance für einen großen Auftritt ist (schon nächste Woche kommt er ins Kino), könnte ein Preis auf dem Festival für "Hedi" das Ticket für den Weltmarkt sein. Die Filmfestivals spiegeln also nicht nur den Stand der Dinge im Kino, sie verändern ihn auch. Ihr Licht scheint nicht vergebens.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Strand und Sumpf: Filme aus Tunesien und Amerika im Wettbewerb der Berlinale
Hedi soll heiraten. Die Braut ist hübsch. Die Mütter sind sich einig. Ein neuer Job in Hedis Heimatort Kairouan steht ebenfalls in Aussicht. Doch Hedi zögert. Sein alter Arbeitgeber, die Peugeot-Generalvertretung in Tunis, schickt ihn als Autoverkäufer in eine Küstenstadt. Hedi aber liegt, statt Kunden abzuklappern, lieber am Strand. Dort trifft er die Animateurin Rim. Zuerst will er nur mit ihr schlafen. Dann will er mit ihr leben. "Du kennst mich gar nicht", sagt er zu seiner Braut. Am Tag der Hochzeit ist er unauffindbar.
Mit dieser Nacherzählung ist der ästhetische Mehrwert von Mohamed Ben Attias "Hedi" beinahe ausgeschöpft, denn der Film begnügt sich mit dem Bebildern seiner Handlung. Nur einmal, als Hedi mit seinem Wagen am Rand der Wüste anhält, um nachzudenken, scheint auch die Kamera einen Moment innezuhalten. Wie ließe sich hier ein Bild finden, vor einer Salzpfanne an der Kante zum Nichts? Aber dann rastet die Logik des Drehbuchs, das eine exemplarische Geschichte über die jüngere Generation in Tunesien erzählen will, wieder ein. Hedi muss sich zwischen Tradition und Zukunft entscheiden, wie das ganze Land. Am Ende wählt er den sicheren Weg. Aber das muss nichts heißen. Symbolhafte Filme haben den Vorteil, dass man sich aus ihrer Symbolik leicht ein- und wieder ausklinken kann. Bei Ben Attia klinkt man sich öfter aus als ein, denn "Hedi" fehlt jene Dringlichkeit, welche die belgischen Brüder Dardenne, die den Film koproduziert haben, jeder ihrer Arbeiten fürs Kino einhauchen. Für einen Platz im Wettbewerbsprogramm der Berlinale hat es bei "Hedi" immerhin gereicht.
Der zweite Wettbewerbsbeitrag des zweiten Festivaltages, Jeff Nichols' "Midnight Special", ist eine Art Retro-Science-Fiction. Wo die Coen-Brüder in ihrem Eröffnungsfilm den fünfziger Jahren huldigen, haftet an "Midnight Special" der sehr spezielle Geruch der Siebziger: ihrer Trash-Ästhetik, ihrer zugleich rauhen und naiven, noch nicht vom digitalen Virus angekränkelten visuellen Effekte, ihrer unerwiderten Liebe zur Landschaft, ihrer alten Autos und Schießeisen. Es geht um ein Wunderkind, das von seinem eigenen Vater entführt wird und um das sich sowohl die Mitglieder einer religiösen Sekte als auch der amerikanische Staatssicherheitsapparat reißen, FBI, NSA, County-Polizei, U.S. Army, man weiß kaum, wie man die Uniformträger auseinanderhalten soll. Irgendetwas soll am 6. März mit dem Jungen passieren, was genau, kann keiner sagen, aber die Lichtfluten, die periodisch aus den Augen des Kleinen hervorbrechen, lassen das Schlimmste oder auch Beste erwarten, je nachdem, ob man die Sache aus endzeitlicher oder aus ordnungshüterischer Perspektive betrachtet.
Der Film gibt aber dann, schon lange, bevor in einem Sumpfgebiet in Florida das gefürchtete Ereignis eintritt, seinen Geist auf - nicht weil seine Effekte so altbacken und seine Verfolgungsjagden und Schießereien so lustlos wären (so viel Retro kann man ertragen) oder weil Kirsten Dunst, Sam Shepard und Adam Driver, die in Nebenrollen auftreten, diesmal an Ausstrahlung zu wünschen übrigließen, sondern weil die Story, die Jeff Nichols zu erzählen versucht, so viele Löcher an Logik und Plausibilität aufweist, dass sie im Grunde ein einziges schwarzes Loch ist. Der Film kann im Gesicht des Knaben gar nicht so viel Licht machen, wie er durch seinen eigenen Fortgang immer wieder verliert, und am Ende ist auch der futuristische Budenzauber, den er am Himmel über Florida entfacht, gänzlich für die Katz.
Der ungleiche Wettkampf hat also wieder einmal begonnen. Hier das arme, bodenständige, mit Herzblut genährte Autorenkino, dort der mehr oder minder üppig ausgestattete Industriefilm. Aber der Ausgang der Geschichte ist nicht so klar, wie es scheint. Während für Nichols' Film, der sichtlich am Markt vorbei gedreht wurde, die Berlinale die letzte Chance für einen großen Auftritt ist (schon nächste Woche kommt er ins Kino), könnte ein Preis auf dem Festival für "Hedi" das Ticket für den Weltmarkt sein. Die Filmfestivals spiegeln also nicht nur den Stand der Dinge im Kino, sie verändern ihn auch. Ihr Licht scheint nicht vergebens.
ANDREAS KILB
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