Es war einmal ...
Auf dem Weg zum Einkaufen ins nahe gelegene Polen setzt Sylvia ihre beiden aufsässigen Stiefkinder Lea (8) und Konstantin (7) auf einer Landstraße aus. Nach ihrer Rückkehr bringt es Silvia nicht über sich, ihrem Mann, dem Vater der Kinder, die Wahrheit über ihr Fernbleiben zu gestehen. Die Kinder treffen auf einen Polen, der Gaststätten mit Toilettenartikeln beliefert und verspricht, sie nach Hause zu bringen. Währenddessen macht sich der ahnungslose Vater mit der Stiefmutter auf die Suche nach den vermeintlich entführten Kindern.
Auf dem Weg zum Einkaufen ins nahe gelegene Polen setzt Sylvia ihre beiden aufsässigen Stiefkinder Lea (8) und Konstantin (7) auf einer Landstraße aus. Nach ihrer Rückkehr bringt es Silvia nicht über sich, ihrem Mann, dem Vater der Kinder, die Wahrheit über ihr Fernbleiben zu gestehen. Die Kinder treffen auf einen Polen, der Gaststätten mit Toilettenartikeln beliefert und verspricht, sie nach Hause zu bringen. Währenddessen macht sich der ahnungslose Vater mit der Stiefmutter auf die Suche nach den vermeintlich entführten Kindern.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Making Of - Animiertes DVD-MenüFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2003Mit der Wünschelrute durch die fremde Heimat
Im jungen deutschen Film ist manches mysteriös: "Milchwald" von Christoph Hochhäusler und "Wolfsburg" von Christian Petzold
Wer in diesen Tagen die Grenze zwischen Deutschland und Polen überschreitet, gelangt nicht einfach in ein Nachbarland, dessen Integration in den europäischen Überbau bald auch die letzten Geheimnisse jenseits der Oder lüften wird. Noch ist dieser Schritt nicht vollzogen, noch hat Polen symbolische Reserven, die Filmemacher auf die denkbar einfachste Weise erschließen können: Sie müssen nur die Kamera auf jene Dinge richten, die noch nicht in den freizügigen Warenverkehr aufgenommen sind. Manchmal sind es Relikte einer älteren Technologie, wie die Telefonzellen einer Festnetzverbindung am Rande eines alten Amphitheaters, das in Christoph Hochhäuslers Film "Milchwald" eine Rolle spielt; häufig ist es auch nur ein altmodischer Stil, ein Ambiente, das weder funktional noch rustikal ist, sondern Ausdruck einer Prosperität, die von feinen Unterschieden noch keinen Begriff hat, wie die Innenausstattung der Autobahnraststätten, die den Weg in den "Milchwald" säumen.
Das Forum zeigt diesen Film, der besonders dezidiert eine romantische Tendenz im jungen deutschen Kino aufnimmt, von der eine Andeutung schon in "Klassenfahrt" von Henner Winckler zu erkennen war (der ebenfalls nach Polen führte und vor einem Jahr im Forum Premiere hatte), von der aber vor allem Christian Petzolds "Wolfsburg" zutiefst geprägt ist, der dieses Jahr im Panorama gezeigt wird.
Der Geschichte von "Milchwald" liegt ausdrücklich ein Märchenmotiv zugrunde. Zwei Schulkinder werden von ihrer ungeduldigen Stiefmutter auf einer Landstraße in der deutsch-polnischen Grenzregion ausgesetzt. Die Frau folgt nur einem Impuls, sie kehrt bald um, um die Kinder zu suchen. Die sind allerdings mittlerweile, ganz wie Hänsel und Gretel, in einem Feld verschwunden - und bald darauf im tiefen Wald. Dann bricht die Dunkelheit herein.
Die nächtliche Begegnung der Kinder mit einem polnischen Mann, der seinen Kleinbus auf einer Forststraße geparkt hat, ist mit der Klarheit erzählt und inszeniert, die im Märchen selbst die merkwürdigsten Vorgänge völlig selbstverständlich erscheinen läßt. Es ist dieselbe Weise, in der Christoph Hochhäusler auch Polen insgesamt filmt: Er beschwört keine Bedeutung herauf, er nimmt zur Kenntnis. Die Verwunderung und der Eindruck einer zutiefst anderen Welt stellen sich von selbst ein, weil die Dinge gefilmt werden wie Sedimente historischer Verläufe.
Mit den Figuren geht Christoph Hochhäusler allerdings gänzlich anders um. Sie tragen die Last eines Konzepts, aus dem er sich in den Außenaufnahmen immer wieder befreit. Alles entscheidet sich an der Figur der Stiefmutter (Judith Engel), die über das Maß auch einer traurigen und verschüchterten Frau hinaus schweigen muß, damit die Auswege durch Sprache, durch Kommunikation so verschlossen bleiben, wie es der hermetische Raum des Märchens nun einmal erfordert. Die Dialoge der Eltern werden dadurch bleischwer, sie spielen Szenen einer Ehe, als müßten sie Bergman parodieren, und irgendwann sieht man einfach den "Milchwald" vor lauter Entfremdung nicht mehr. So verschenkt Christoph Hochhäusler seinen Sinn für das Unbekannte an eine sehr geläufige Auffassung von Beziehung, und die andere Seite seines Films, der Weg der Kinder durch Polen, bleibt damit so unvermittelt, wie das Ende der Geschichte auf eine falsche Weise offenbleiben muß.
Christian Petzold vollzieht in "Wolfsburg" ebenfalls die Schließung einer mythischen Welt - obwohl in dem Film keine territoriale Grenze überschritten wird. Es ist dies, nach der Befreiung eines Mädchens aus der Eigenzeit des Terrorismus in "Die innere Sicherheit", ein weiterer Schritt in die Richtung seines vorletzten Films "Toter Mann", in dem Nina Hoss eine junge Frau gespielt hat, die ein lange zurückliegendes Verbrechen rächen will. In "Wolfsburg" werden Schuld und Sühne räumlich wie zeitlich ganz eng aufeinander bezogen: Ein Autohändler überfährt ein Kind, begeht Fahrerflucht, unwillkürlich nähert er sich der Mutter des Todesopfers, um ein Geständnis abzulegen, für das es keine Worte braucht.
Petzold perfektioniert das modellhafte, unpersönliche Sprechen seiner Figuren hier so weit, daß diese nicht mehr wie Individuen erscheinen. Sie entstammen einer anderen Ordnung, in der "Wolfsburg" zu einem Ort wird, an dem Deutschland sich seiner profanen Gegenwart entledigt. In dem ebenso beherrschten wie beherrschenden Mutterkörper von Nina Hoss findet Petzold ein Gesetz, zu dessen Durchsetzung es keiner Exekutive - und schon gar keiner europäischen Bürokratie - bedarf. Es ist eines der Natur, und daß sich "Wolfsburg" ihm ohne weiteres überläßt, ist schon erstaunlich.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im jungen deutschen Film ist manches mysteriös: "Milchwald" von Christoph Hochhäusler und "Wolfsburg" von Christian Petzold
Wer in diesen Tagen die Grenze zwischen Deutschland und Polen überschreitet, gelangt nicht einfach in ein Nachbarland, dessen Integration in den europäischen Überbau bald auch die letzten Geheimnisse jenseits der Oder lüften wird. Noch ist dieser Schritt nicht vollzogen, noch hat Polen symbolische Reserven, die Filmemacher auf die denkbar einfachste Weise erschließen können: Sie müssen nur die Kamera auf jene Dinge richten, die noch nicht in den freizügigen Warenverkehr aufgenommen sind. Manchmal sind es Relikte einer älteren Technologie, wie die Telefonzellen einer Festnetzverbindung am Rande eines alten Amphitheaters, das in Christoph Hochhäuslers Film "Milchwald" eine Rolle spielt; häufig ist es auch nur ein altmodischer Stil, ein Ambiente, das weder funktional noch rustikal ist, sondern Ausdruck einer Prosperität, die von feinen Unterschieden noch keinen Begriff hat, wie die Innenausstattung der Autobahnraststätten, die den Weg in den "Milchwald" säumen.
Das Forum zeigt diesen Film, der besonders dezidiert eine romantische Tendenz im jungen deutschen Kino aufnimmt, von der eine Andeutung schon in "Klassenfahrt" von Henner Winckler zu erkennen war (der ebenfalls nach Polen führte und vor einem Jahr im Forum Premiere hatte), von der aber vor allem Christian Petzolds "Wolfsburg" zutiefst geprägt ist, der dieses Jahr im Panorama gezeigt wird.
Der Geschichte von "Milchwald" liegt ausdrücklich ein Märchenmotiv zugrunde. Zwei Schulkinder werden von ihrer ungeduldigen Stiefmutter auf einer Landstraße in der deutsch-polnischen Grenzregion ausgesetzt. Die Frau folgt nur einem Impuls, sie kehrt bald um, um die Kinder zu suchen. Die sind allerdings mittlerweile, ganz wie Hänsel und Gretel, in einem Feld verschwunden - und bald darauf im tiefen Wald. Dann bricht die Dunkelheit herein.
Die nächtliche Begegnung der Kinder mit einem polnischen Mann, der seinen Kleinbus auf einer Forststraße geparkt hat, ist mit der Klarheit erzählt und inszeniert, die im Märchen selbst die merkwürdigsten Vorgänge völlig selbstverständlich erscheinen läßt. Es ist dieselbe Weise, in der Christoph Hochhäusler auch Polen insgesamt filmt: Er beschwört keine Bedeutung herauf, er nimmt zur Kenntnis. Die Verwunderung und der Eindruck einer zutiefst anderen Welt stellen sich von selbst ein, weil die Dinge gefilmt werden wie Sedimente historischer Verläufe.
Mit den Figuren geht Christoph Hochhäusler allerdings gänzlich anders um. Sie tragen die Last eines Konzepts, aus dem er sich in den Außenaufnahmen immer wieder befreit. Alles entscheidet sich an der Figur der Stiefmutter (Judith Engel), die über das Maß auch einer traurigen und verschüchterten Frau hinaus schweigen muß, damit die Auswege durch Sprache, durch Kommunikation so verschlossen bleiben, wie es der hermetische Raum des Märchens nun einmal erfordert. Die Dialoge der Eltern werden dadurch bleischwer, sie spielen Szenen einer Ehe, als müßten sie Bergman parodieren, und irgendwann sieht man einfach den "Milchwald" vor lauter Entfremdung nicht mehr. So verschenkt Christoph Hochhäusler seinen Sinn für das Unbekannte an eine sehr geläufige Auffassung von Beziehung, und die andere Seite seines Films, der Weg der Kinder durch Polen, bleibt damit so unvermittelt, wie das Ende der Geschichte auf eine falsche Weise offenbleiben muß.
Christian Petzold vollzieht in "Wolfsburg" ebenfalls die Schließung einer mythischen Welt - obwohl in dem Film keine territoriale Grenze überschritten wird. Es ist dies, nach der Befreiung eines Mädchens aus der Eigenzeit des Terrorismus in "Die innere Sicherheit", ein weiterer Schritt in die Richtung seines vorletzten Films "Toter Mann", in dem Nina Hoss eine junge Frau gespielt hat, die ein lange zurückliegendes Verbrechen rächen will. In "Wolfsburg" werden Schuld und Sühne räumlich wie zeitlich ganz eng aufeinander bezogen: Ein Autohändler überfährt ein Kind, begeht Fahrerflucht, unwillkürlich nähert er sich der Mutter des Todesopfers, um ein Geständnis abzulegen, für das es keine Worte braucht.
Petzold perfektioniert das modellhafte, unpersönliche Sprechen seiner Figuren hier so weit, daß diese nicht mehr wie Individuen erscheinen. Sie entstammen einer anderen Ordnung, in der "Wolfsburg" zu einem Ort wird, an dem Deutschland sich seiner profanen Gegenwart entledigt. In dem ebenso beherrschten wie beherrschenden Mutterkörper von Nina Hoss findet Petzold ein Gesetz, zu dessen Durchsetzung es keiner Exekutive - und schon gar keiner europäischen Bürokratie - bedarf. Es ist eines der Natur, und daß sich "Wolfsburg" ihm ohne weiteres überläßt, ist schon erstaunlich.
BERT REBHANDL
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