Matt Berninger ist Leadsänger der sehr erfolgreichen Indie-Rockband »The Nationa«l: berühmt, begehrt und verdammt angesagt.Sein Bruder Tom ist Amateur-Horrorfilmer, findet Indie-Rock eine ziemliche Angeberei und würde in jedem Fall Heavy Metal vorziehen.Beide sind jedoch begeistert von der Idee, Tom könne die »High Violet«-Tour von »The National« begleiten und einen abgefahrenen Dokumentarfilm über die Band drehen. Eine Gelegenheit für die Brüder, sich mit ihrer Kreativität und ihren Ambitionen gegenseitig zu inspirieren. Wenn da nicht Toms gepflegtes Chaotentum wäre und das schleichende Gefühl, trotz Splatter-Ästhetik irgendwie im Schatten des Bruders zu stehen.Tom führt zwar in das Understatement der Band eine äußerst lustige Protzigkeit ein, doch er verliert sein eigentliches Vorhaben bald aus dem Blick, feiert die Nächte durch und versinkt im Chaos – was der Band gehörig auf die Nerven geht. Schließlich wird Tom gefeuert und muss versuchen, aus dem Durcheinander der letzten Monate so etwas wie einen Film zu machen…
Bonusmaterial
Audiokommentar von Matt und TomFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2014Der große Bruder mit der fröhlichen Familie
Tom und Matt drehen eine Doku, und es kommt der rührende Musikfilm "Mistaken for Strangers" dabei heraus
Bei manchen Künstlern tappt man leicht in die Thomas-Bernhard-Falle: Man schließt von ihren dunklen, miesepetrigen oder misanthropischen Werken auf ebensolche Urheber. Das gilt besonders für die Independent-Rockmusik: Nicht leicht, sich den Radiohead-Sänger Thom Yorke als glücklichen Menschen vorzustellen oder James Mercer von den Shins - und genau so ist es auch beim Sänger der Band The National, Matt Berninger. Den kann man in seinen Liedern schon mal "half awake in a fake empire" antreffen oder auch bei einem "secret meeting in the basement of my brain".
Wenn man über eine Band wie The National einen Tourfilm machen wollte, was würde man also anstellen, damit er nicht in diese Falle tappt? Man könnte zum Beispiel eine Gegenfigur einführen, etwa einen ulkigen Bruder des Sängers. Einen Bruder, der sich eigentlich mehr für Heavy Metal interessiert. Einen Bruder, der bislang nur zwei Amateur-Horrorfilme gedreht hat, und mit dieser Expertise nun auch den Tourfilm dreht, mit Handykamera. Der in der Eröffnungsszene gefragt wird, ob er eigentlich irgendeinen Plan für diesen Film habe, und noch keinen hat. Einen Bruder wie Tom Berninger.
Dieser Tom Berninger aus Cincinnati lebt noch im Elternhaus, hat etwas Speck angesetzt und offenbar noch nicht allzu viel auf die Beine gestellt im Leben - ein "Slacker", so zumindest stellt er sich hier dar. In der Idee, die Band seines großen Bruders auf der Tour zu ihrem Album "High Violet" um die Welt zu begleiten, liegt für ihn die Chance, an diese sehr nahe heranzukommen. Er nutzt sie allerdings nicht sofort, zum Beispiel nicht in einem Pariser Hotelzimmer unmittelbar vor dem Auftaktkonzert zur Tour. Tom Berninger könnte seinen Bruder, den Rockstar, jetzt alles Mögliche fragen - stattdessen ist er damit beschäftigt, sich selbst im Spiegel zu filmen oder auch nur seine Körperteile ("That doesn't even look like my arm, dude!").
Diese völlige Verkehrung des Interesses ist es, die den Film so lustig macht. Kommt Tom Berninger etwa in einen Plattenladen, fängt er ungefragt an, den anderen Kunden dort zu erzählen, er sei der Bruder des National-Sängers - was diese ziemlich ungerührt zur Kenntnis nehmen. Seinem Bruder geht er nach einer Weile ziemlich auf die Nerven, zum Beispiel wenn er biertrinkend mit einem Schwimmtier in dessen Pool herumlungert und zu den prominenten Nachbarn herübergrölt: "Yo, Moby!" Seine Aufgaben als Roadie, für die er eigentlich engagiert wurde, vernachlässigt Tom leider zusehends. Von den Bandmitgliedern möchte er etwa wissen, wer von den beiden Gitarristen der schnellere sei, und ob sie beim Auftritt ihre Geldbörse mit auf die Bühne nehmen.
"Mistaken for Strangers" ist eine gewitzte Parodie gewisser Musikfilme und Rock-Dokus - das sieht man auch ganz explizit an jenem Skelett-T-Shirt, das Tom Berninger manchmal trägt: Es ist ein bildliches Zitat aus Rob Reiners Komödie "This is Spinal Tap", einer "Mockumentary" über eine fiktive Heavy-Metal-Band aus dem Jahr 1984. Auch an die Nerds aus "Wayne's World" werden Erinnerungen wach.
Berningers Film nimmt dann allerdings noch eine andere Wendung. Als der untaugliche Roadie schließlich von der Tour gefeuert wird, beginnt eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit Toms Rolle des Nesthäkchens, für die er in die Familiengeschichte der Berningers eintaucht: Vater und Mutter werden interviewt, Kindheitserinnerungen wieder hervorgekramt, die Frage nach ungleicher Zuneigung und ungleichen Talenten aufgeworfen. Doch selbst in der Tragik des Zukurzgekommenen im Schatten des erfolgreichen Bruders hat Tom Berninger noch sehr viel Komisches an sich.
Die Meriten der Band The National sieht man in diesem Film nur beiläufig - aber auch so scheinen sie noch groß genug. Die Brudergeschichte wird dafür immer zentraler und schließlich auch sehr rührend, wenn nämlich schließlich der Jüngere beim Älteren ins Gästezimmer zieht, um dort den Film fertigzustellen, den der Zuschauer sieht - auch das ein Signal, nicht alles für die Wahrheit zu nehmen, was ihm hier vorgeführt wird.
Dass der Sänger Matt Berninger in diesem Film jedenfalls einiges von seiner Aura des grüblerischen Düstermanns einbüßt, hat er unlängst in einem Interview selbst festgestellt. Stattdessen sieht man ihn hier als fröhlichen Familienvater. Es ist, als hätte man zum ersten Mal eines jener Fotos von Thomas Bernhard entdeckt, die diesen sehr vergnügt auf einem Fahrrad zeigen.
JAN WIELE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tom und Matt drehen eine Doku, und es kommt der rührende Musikfilm "Mistaken for Strangers" dabei heraus
Bei manchen Künstlern tappt man leicht in die Thomas-Bernhard-Falle: Man schließt von ihren dunklen, miesepetrigen oder misanthropischen Werken auf ebensolche Urheber. Das gilt besonders für die Independent-Rockmusik: Nicht leicht, sich den Radiohead-Sänger Thom Yorke als glücklichen Menschen vorzustellen oder James Mercer von den Shins - und genau so ist es auch beim Sänger der Band The National, Matt Berninger. Den kann man in seinen Liedern schon mal "half awake in a fake empire" antreffen oder auch bei einem "secret meeting in the basement of my brain".
Wenn man über eine Band wie The National einen Tourfilm machen wollte, was würde man also anstellen, damit er nicht in diese Falle tappt? Man könnte zum Beispiel eine Gegenfigur einführen, etwa einen ulkigen Bruder des Sängers. Einen Bruder, der sich eigentlich mehr für Heavy Metal interessiert. Einen Bruder, der bislang nur zwei Amateur-Horrorfilme gedreht hat, und mit dieser Expertise nun auch den Tourfilm dreht, mit Handykamera. Der in der Eröffnungsszene gefragt wird, ob er eigentlich irgendeinen Plan für diesen Film habe, und noch keinen hat. Einen Bruder wie Tom Berninger.
Dieser Tom Berninger aus Cincinnati lebt noch im Elternhaus, hat etwas Speck angesetzt und offenbar noch nicht allzu viel auf die Beine gestellt im Leben - ein "Slacker", so zumindest stellt er sich hier dar. In der Idee, die Band seines großen Bruders auf der Tour zu ihrem Album "High Violet" um die Welt zu begleiten, liegt für ihn die Chance, an diese sehr nahe heranzukommen. Er nutzt sie allerdings nicht sofort, zum Beispiel nicht in einem Pariser Hotelzimmer unmittelbar vor dem Auftaktkonzert zur Tour. Tom Berninger könnte seinen Bruder, den Rockstar, jetzt alles Mögliche fragen - stattdessen ist er damit beschäftigt, sich selbst im Spiegel zu filmen oder auch nur seine Körperteile ("That doesn't even look like my arm, dude!").
Diese völlige Verkehrung des Interesses ist es, die den Film so lustig macht. Kommt Tom Berninger etwa in einen Plattenladen, fängt er ungefragt an, den anderen Kunden dort zu erzählen, er sei der Bruder des National-Sängers - was diese ziemlich ungerührt zur Kenntnis nehmen. Seinem Bruder geht er nach einer Weile ziemlich auf die Nerven, zum Beispiel wenn er biertrinkend mit einem Schwimmtier in dessen Pool herumlungert und zu den prominenten Nachbarn herübergrölt: "Yo, Moby!" Seine Aufgaben als Roadie, für die er eigentlich engagiert wurde, vernachlässigt Tom leider zusehends. Von den Bandmitgliedern möchte er etwa wissen, wer von den beiden Gitarristen der schnellere sei, und ob sie beim Auftritt ihre Geldbörse mit auf die Bühne nehmen.
"Mistaken for Strangers" ist eine gewitzte Parodie gewisser Musikfilme und Rock-Dokus - das sieht man auch ganz explizit an jenem Skelett-T-Shirt, das Tom Berninger manchmal trägt: Es ist ein bildliches Zitat aus Rob Reiners Komödie "This is Spinal Tap", einer "Mockumentary" über eine fiktive Heavy-Metal-Band aus dem Jahr 1984. Auch an die Nerds aus "Wayne's World" werden Erinnerungen wach.
Berningers Film nimmt dann allerdings noch eine andere Wendung. Als der untaugliche Roadie schließlich von der Tour gefeuert wird, beginnt eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit Toms Rolle des Nesthäkchens, für die er in die Familiengeschichte der Berningers eintaucht: Vater und Mutter werden interviewt, Kindheitserinnerungen wieder hervorgekramt, die Frage nach ungleicher Zuneigung und ungleichen Talenten aufgeworfen. Doch selbst in der Tragik des Zukurzgekommenen im Schatten des erfolgreichen Bruders hat Tom Berninger noch sehr viel Komisches an sich.
Die Meriten der Band The National sieht man in diesem Film nur beiläufig - aber auch so scheinen sie noch groß genug. Die Brudergeschichte wird dafür immer zentraler und schließlich auch sehr rührend, wenn nämlich schließlich der Jüngere beim Älteren ins Gästezimmer zieht, um dort den Film fertigzustellen, den der Zuschauer sieht - auch das ein Signal, nicht alles für die Wahrheit zu nehmen, was ihm hier vorgeführt wird.
Dass der Sänger Matt Berninger in diesem Film jedenfalls einiges von seiner Aura des grüblerischen Düstermanns einbüßt, hat er unlängst in einem Interview selbst festgestellt. Stattdessen sieht man ihn hier als fröhlichen Familienvater. Es ist, als hätte man zum ersten Mal eines jener Fotos von Thomas Bernhard entdeckt, die diesen sehr vergnügt auf einem Fahrrad zeigen.
JAN WIELE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main