In einer abgelegenen Bergregion irgendwo in Lateinamerika absolviert ein aus Teenagern bestehender Rebellentrupp militärische Übungen, während sie im AuMrag einer Guerillagruppe, die nur als "die Organisation" bekannt ist, eine Lösegeld für eine Gefangene erpresst und die zwangsrekrutierte Milchkuh Shakira bewacht. Ein Angriff aus dem Hinterhalt treibt die Gruppe in den Dschungel, ihr komplexes Beziehungsgeflecht zerreißt und die Aggression innerhalb der Gruppe beginnt zuzunehmen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2020Affenkino und Menschentheater
Von wegen Naturvolk: Der kolumbianische Film "Monos" entdeckt eine Wildnis.
Mit Gummibärchen ist es so: Sie sollen hart genug sein, dass sie ihre Form behalten, sie müssen aber auch ausreichend weich sein, damit man sie zerbeißen kann. Für eine moderne Fabrik ist das kein Problem, wie inzwischen vor allem Generationen von Zahnärzten bestätigen können. Dass Gummibärchen, jedenfalls eine bekannte Marke, aus Bonn kommen, aus der Geburtsstadt von Beethoven, ist ein kurioser Zusammenhang, aus dem nichts weiter hervorgeht. In dem kolumbianischen Film "Monos" tauchen die Gummibärchen und Beethoven an einer Stelle auf, in der ein Fernsehgerät irgendwo am Rand des Dschungels eine Sendung über Deutschland zeigt. Es ist ein rarer, und offenkundig ironischer, Verweis auf eine Gesellschaft, von der die Kinder in dieser Geschichte wenig zu wissen scheinen. Das deutet schon ihr Name an: "Monos" sind "Affen", der Film erzählt von einer Affenbande und lässt mit dem Titel erkennen, dass er vielleicht so etwas wie eine Gegenposition zu der behaglichen Stimmung der Reportage über Bonn einnehmen möchte. Also der Kulturdokumentation eine Naturdokumentation gegenüberzustellen, eine Geschichte über Menschenwesen im Zustand der Unschuld oder der Verwilderung.
"Monos" von Alejandro Landes war 2019 ein Hit auf verschiedenen Festivals. Die Premiere hatte er in Sundance, wo man für ästhetisch hochwertige Problemfilme immer etwas übrig hat. Nun ist "Monos" einer der ersten Titel, die in Deutschland nach der Corona-Pause einen offiziellen Filmstart haben, wenngleich die Einsatzmöglichkeiten quer durch die Republik noch höchst unterschiedlich sind. Ein Problemfilm ist "Monos", weil er offensichtlich von Kindersoldaten erzählt, und ein Hang zum Ästhetischen ist dabei tatsächlich nicht zu übersehen: Je weniger Fragen man konkret stellt, je mehr man sich den Farben und Tönen und Brüchen, den wilden Ritten durch reißende Flüsse und den imposanten Panoramen der Berge überlässt, desto eher wird man von "Monos" gefesselt werden.
Irgendwo in den Höhen eines namenlosen Landes bewachen die jungen Leute eine Geisel, die immer nur als "Doctora" angesprochen wird. Eine weiße Frau in der Gewalt einer Organisation, die sich zumeist nur durch einen "Boten" zu erkennen gibt. Dieser Mann, kleinwüchsig, aber hart bis in die letzte Muskelfaser, versorgt die Gruppe mit Aufträgen und Koordinaten, er sorgt für Disziplin und Drill, und er achtet darauf, dass niemand verhungert. Zu Beginn bringt er eine Kuh vorbei, sie trägt den Namen Shakira, von ihrer Milch sollen die "Affen" leben. Das mit den Namen ist wichtig, denn sie sind am ehesten so etwas wie ein Kulturzeichen, sie zeugen von Wissen über eine Welt da draußen, unter den Wolken, denn "Monos" beginnt in einer Welt, die dem Himmel näher ist als den Tälern.
Die Namen der Figuren sind alle so etwas wie Traumreste aus einer Realität, zu der es nur einen sehr losen Bezug gibt: den Boten, ein Funkgerät. Die Doctora spricht Englisch, niemand versteht sie. Das attraktivste Mädchen wird Lady genannt, dem Anführer Wolf wird erlaubt, mit ihr eine Beziehung einzugehen. Ein anderes Mädchen, eigentlich noch ein Kind, heißt aus Gründen, die nicht erklärt werden, "Schwedin", bei "Perro" hat der Verleih auf eine Übersetzung verzichtet: "Hund" wäre aber angemessen gewesen. "Boom-Boom" und "Schlumpf" bleiben Randfiguren, so richtig fassbar wird ohnehin niemand in "Monos", auch "Rambo" nicht, der oder die dem Klischee ganz und gar nicht entspricht, das sich mit Erinnerungen an Sylvester Stallone in der Rolle des legendären Vietnamveteranen verbindet. "Rambo" wird von einer jungen Frau gespielt und lässt den unbeholfenen Machismo ins Leere laufen, mit dem die Anführer in "Monos" sich zu behaupten versuchen.
"Wir sind jetzt unsere eigene Organisation", heißt es schließlich nach einem Zwischenfall, der die "Affen" dazu veranlasst, die Verbindung zu der Welt des Boten zu kappen. Der Film wechselt dabei auch den Schauplatz, nach den kalten, klaren Bergen, in denen rätselhafte Monumente alles noch ein bisschen erhabener machen, taucht er in den Dschungel. Julianne Nicholson, die Darstellerin der Doctora, macht dabei einiges mit, selten hat man die Gewalt der Natur so bedrängend dargestellt gesehen. Alejandro Landes ließ sich von berühmten Parabeln der Filmgeschichte inspirieren, insgesamt steht "Monos" - jedenfalls der Ambition nach - Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" sogar noch näher als "Herr der Fliegen", der nächstliegenden Assoziation. Die Jugendlichen sind allesamt perfekt gecastet und auf dem Stand heutiger Dissidenzmode geschminkt und hergerichtet: Der Zufallsstamm oder die Waisenfamilie, die die "Monos" ausmachen, ist zugleich aus der modernen Welt ausgestoßen wie auch auf eine unbehagliche Weise deren Vorhut.
Alejandro Landes lässt zwar durchaus auch konkrete Bezüge auf die Geschichte Kolumbiens zu. Der Darsteller des Boten ist, so heißt es, ein ehemaliger Kämpfer der Farc, der Rebellenorganisation, mit der die Regierung in Bogotá erst vor einigen Jahren einen bis heute brüchigen Waffenstillstand schließen konnte. Aber die lange Geschichte von Guerrilla-Gruppen in aller Welt dient in "Monos" eher als ein allgemeiner Hintergrund, um dann vor allem die Extreme ausloten zu können, zu denen der Weg in den - deutlich metaphorischen - Dschungel führt. Dass die "Affen" ausgerechnet unter den Exkrementen von Shakira Pilze finden, ist das deutlichste Indiz dafür, dass es in "Monos" vor allem um eine Bewusstseinserfahrung geht und nicht um einen Kommentar zu Politik oder Geschichte. Als Trip aber ist "Monos" faszinierend, gerade auch mit einer Psychedelik, in der sogar Gummibärchen Zivilisationszeichen werden können.
BERT REBHANDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von wegen Naturvolk: Der kolumbianische Film "Monos" entdeckt eine Wildnis.
Mit Gummibärchen ist es so: Sie sollen hart genug sein, dass sie ihre Form behalten, sie müssen aber auch ausreichend weich sein, damit man sie zerbeißen kann. Für eine moderne Fabrik ist das kein Problem, wie inzwischen vor allem Generationen von Zahnärzten bestätigen können. Dass Gummibärchen, jedenfalls eine bekannte Marke, aus Bonn kommen, aus der Geburtsstadt von Beethoven, ist ein kurioser Zusammenhang, aus dem nichts weiter hervorgeht. In dem kolumbianischen Film "Monos" tauchen die Gummibärchen und Beethoven an einer Stelle auf, in der ein Fernsehgerät irgendwo am Rand des Dschungels eine Sendung über Deutschland zeigt. Es ist ein rarer, und offenkundig ironischer, Verweis auf eine Gesellschaft, von der die Kinder in dieser Geschichte wenig zu wissen scheinen. Das deutet schon ihr Name an: "Monos" sind "Affen", der Film erzählt von einer Affenbande und lässt mit dem Titel erkennen, dass er vielleicht so etwas wie eine Gegenposition zu der behaglichen Stimmung der Reportage über Bonn einnehmen möchte. Also der Kulturdokumentation eine Naturdokumentation gegenüberzustellen, eine Geschichte über Menschenwesen im Zustand der Unschuld oder der Verwilderung.
"Monos" von Alejandro Landes war 2019 ein Hit auf verschiedenen Festivals. Die Premiere hatte er in Sundance, wo man für ästhetisch hochwertige Problemfilme immer etwas übrig hat. Nun ist "Monos" einer der ersten Titel, die in Deutschland nach der Corona-Pause einen offiziellen Filmstart haben, wenngleich die Einsatzmöglichkeiten quer durch die Republik noch höchst unterschiedlich sind. Ein Problemfilm ist "Monos", weil er offensichtlich von Kindersoldaten erzählt, und ein Hang zum Ästhetischen ist dabei tatsächlich nicht zu übersehen: Je weniger Fragen man konkret stellt, je mehr man sich den Farben und Tönen und Brüchen, den wilden Ritten durch reißende Flüsse und den imposanten Panoramen der Berge überlässt, desto eher wird man von "Monos" gefesselt werden.
Irgendwo in den Höhen eines namenlosen Landes bewachen die jungen Leute eine Geisel, die immer nur als "Doctora" angesprochen wird. Eine weiße Frau in der Gewalt einer Organisation, die sich zumeist nur durch einen "Boten" zu erkennen gibt. Dieser Mann, kleinwüchsig, aber hart bis in die letzte Muskelfaser, versorgt die Gruppe mit Aufträgen und Koordinaten, er sorgt für Disziplin und Drill, und er achtet darauf, dass niemand verhungert. Zu Beginn bringt er eine Kuh vorbei, sie trägt den Namen Shakira, von ihrer Milch sollen die "Affen" leben. Das mit den Namen ist wichtig, denn sie sind am ehesten so etwas wie ein Kulturzeichen, sie zeugen von Wissen über eine Welt da draußen, unter den Wolken, denn "Monos" beginnt in einer Welt, die dem Himmel näher ist als den Tälern.
Die Namen der Figuren sind alle so etwas wie Traumreste aus einer Realität, zu der es nur einen sehr losen Bezug gibt: den Boten, ein Funkgerät. Die Doctora spricht Englisch, niemand versteht sie. Das attraktivste Mädchen wird Lady genannt, dem Anführer Wolf wird erlaubt, mit ihr eine Beziehung einzugehen. Ein anderes Mädchen, eigentlich noch ein Kind, heißt aus Gründen, die nicht erklärt werden, "Schwedin", bei "Perro" hat der Verleih auf eine Übersetzung verzichtet: "Hund" wäre aber angemessen gewesen. "Boom-Boom" und "Schlumpf" bleiben Randfiguren, so richtig fassbar wird ohnehin niemand in "Monos", auch "Rambo" nicht, der oder die dem Klischee ganz und gar nicht entspricht, das sich mit Erinnerungen an Sylvester Stallone in der Rolle des legendären Vietnamveteranen verbindet. "Rambo" wird von einer jungen Frau gespielt und lässt den unbeholfenen Machismo ins Leere laufen, mit dem die Anführer in "Monos" sich zu behaupten versuchen.
"Wir sind jetzt unsere eigene Organisation", heißt es schließlich nach einem Zwischenfall, der die "Affen" dazu veranlasst, die Verbindung zu der Welt des Boten zu kappen. Der Film wechselt dabei auch den Schauplatz, nach den kalten, klaren Bergen, in denen rätselhafte Monumente alles noch ein bisschen erhabener machen, taucht er in den Dschungel. Julianne Nicholson, die Darstellerin der Doctora, macht dabei einiges mit, selten hat man die Gewalt der Natur so bedrängend dargestellt gesehen. Alejandro Landes ließ sich von berühmten Parabeln der Filmgeschichte inspirieren, insgesamt steht "Monos" - jedenfalls der Ambition nach - Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" sogar noch näher als "Herr der Fliegen", der nächstliegenden Assoziation. Die Jugendlichen sind allesamt perfekt gecastet und auf dem Stand heutiger Dissidenzmode geschminkt und hergerichtet: Der Zufallsstamm oder die Waisenfamilie, die die "Monos" ausmachen, ist zugleich aus der modernen Welt ausgestoßen wie auch auf eine unbehagliche Weise deren Vorhut.
Alejandro Landes lässt zwar durchaus auch konkrete Bezüge auf die Geschichte Kolumbiens zu. Der Darsteller des Boten ist, so heißt es, ein ehemaliger Kämpfer der Farc, der Rebellenorganisation, mit der die Regierung in Bogotá erst vor einigen Jahren einen bis heute brüchigen Waffenstillstand schließen konnte. Aber die lange Geschichte von Guerrilla-Gruppen in aller Welt dient in "Monos" eher als ein allgemeiner Hintergrund, um dann vor allem die Extreme ausloten zu können, zu denen der Weg in den - deutlich metaphorischen - Dschungel führt. Dass die "Affen" ausgerechnet unter den Exkrementen von Shakira Pilze finden, ist das deutlichste Indiz dafür, dass es in "Monos" vor allem um eine Bewusstseinserfahrung geht und nicht um einen Kommentar zu Politik oder Geschichte. Als Trip aber ist "Monos" faszinierend, gerade auch mit einer Psychedelik, in der sogar Gummibärchen Zivilisationszeichen werden können.
BERT REBHANDL
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