Monsanto erforscht, produziert und verkauft gentechnisch verändertes Saatgut. Als Chemieproduzent für Saccharin und Koffein 1901 gegründet, gelangte Monsanto als Hersteller des im Vietnamkrieg exzessiv eingesetzten Herbizids Agent Orange zu trauriger Berühmtheit. Monsantos Hormon zur Steigerung der Milchleistung Posilac wird in den USA bei einem Drittel aller Milchkühe eingesetzt, in der EU und in Kanada ist es verboten. Monsanto ist mit Niederlassungen in 46 Ländern weltweiter Marktführer auf dem Gebiet der Biotechnologie. 90 Prozent der heute angebauten gentechnisch veränderten Organismen, unter anderem Soja, Raps, Mais und Baumwolle, sind Monsanto-Patente. Die Praktiken des Konzerns stehen weltweit in der Kritik der Betroffenen und Globalisierungsgegner.
"Sie wollen alles Saatgut kontrollieren und machen alle Lebensmittel zu ihrem Eigentum", sagt ein Bauer in MONSANTO, MIT GIFT UND GENEN. Besonders drastisch geschieht dies beim Baumwollanbau in Indien. Hier hat Monsanto fast alle Saatgutfirmen aufgekauft. Die Bauern können nur noch die viermal so teure, gentechnisch veränderte BT-Baumwollsaat von Monsanto beziehen. Die ist gegen einige Schädlinge resistent, dafür werden die Pflanzen jedoch von neuen, bisher unbekannten Krankheiten befallen. Um sich das Saatgut überhaupt leisten zu können, müssen die Bauern Kredite aufnehmen. Fällt die Ernte schlecht aus, sind sie pleite. Jedes Jahr begehen hunderte von ihnen deswegen Selbstmord. Die dortigen Agrarwissenschaftler sprechen von einer Katastrophe - und auch die ist eine indirekte Folge der vermeintlich so segensreichen grünen Gentechnik.
Auch den US-Sojaanbauern spielte der Konzern übel mit: Wie einer im Film es ausdrückte, "verbreitet Monsanto Angst und Schrecken unter den Farmern". Da es sich bei den Genpflanzen um patentiertes Saatgut - eine Art Kopierschutz - handelt, dürfen die Bauern nichts von der Ernte zurückbehalten, um es im nächsten Jahr auszusäen. Rüde werden sie von Monsanto deswegen mit Prozessen überzogen. Um ihre Felder zu kontrollieren, hat Monsanto sogar eigens eine "Gen-Polizei" geschaffen oder bietet gleich so genanntes Hybrid-Saatgut an, das nach der Ernte nicht erneut zur Aussaat verwendet werden kann. So werden jährliche Nachkäufe von Saatgut gesichert. Seine marktbeherrschende Position baute das Unternehmen seit 1999 mit Zukäufen für mehr als 13 Milliarden US-Dollar für Saatgutfirmen sowie bedeutende Patente auf gentechnische Methoden und Gene. Überall auf der Welt gibt es mittlerweile transgene Organismen von Monsanto. Aber noch nie hat ein agro-industrielles Patent so sehr die Gemüter erhitzt.
Der Dokumentarfilm stützt sich auf unveröffentlichte Dokumente und Stellungnahmen von Geschädigten, Wissenschaftlern, Vertretern von Bürgerinitiativen, Rechtsanwälten, Politikern sowie Vertretern der staatlichen Food and Drug Administration (FDA). Drei Jahre hat Regisseurin Marie-Monique Robin in Nord- und Südamerika sowie in Europa und Asien recherchiert, mit Bauern in Indien, Mexiko und Paraguay gesprochen, um die Geschichte des heute mächtigsten Samenherstellers der Welt zu rekonstruieren. Das von Werbekampagnen bediente Image des sauberen und umweltfreundlichen Konzerns der "Wissenschaft des Lebens" bekommt tiefe Risse. Dürfen Grundlebensmittel Ziel einer gnadenlos nach Monopol und Marktführerschaft strebenden Unternehmenspolitik sein?
"Sie wollen alles Saatgut kontrollieren und machen alle Lebensmittel zu ihrem Eigentum", sagt ein Bauer in MONSANTO, MIT GIFT UND GENEN. Besonders drastisch geschieht dies beim Baumwollanbau in Indien. Hier hat Monsanto fast alle Saatgutfirmen aufgekauft. Die Bauern können nur noch die viermal so teure, gentechnisch veränderte BT-Baumwollsaat von Monsanto beziehen. Die ist gegen einige Schädlinge resistent, dafür werden die Pflanzen jedoch von neuen, bisher unbekannten Krankheiten befallen. Um sich das Saatgut überhaupt leisten zu können, müssen die Bauern Kredite aufnehmen. Fällt die Ernte schlecht aus, sind sie pleite. Jedes Jahr begehen hunderte von ihnen deswegen Selbstmord. Die dortigen Agrarwissenschaftler sprechen von einer Katastrophe - und auch die ist eine indirekte Folge der vermeintlich so segensreichen grünen Gentechnik.
Auch den US-Sojaanbauern spielte der Konzern übel mit: Wie einer im Film es ausdrückte, "verbreitet Monsanto Angst und Schrecken unter den Farmern". Da es sich bei den Genpflanzen um patentiertes Saatgut - eine Art Kopierschutz - handelt, dürfen die Bauern nichts von der Ernte zurückbehalten, um es im nächsten Jahr auszusäen. Rüde werden sie von Monsanto deswegen mit Prozessen überzogen. Um ihre Felder zu kontrollieren, hat Monsanto sogar eigens eine "Gen-Polizei" geschaffen oder bietet gleich so genanntes Hybrid-Saatgut an, das nach der Ernte nicht erneut zur Aussaat verwendet werden kann. So werden jährliche Nachkäufe von Saatgut gesichert. Seine marktbeherrschende Position baute das Unternehmen seit 1999 mit Zukäufen für mehr als 13 Milliarden US-Dollar für Saatgutfirmen sowie bedeutende Patente auf gentechnische Methoden und Gene. Überall auf der Welt gibt es mittlerweile transgene Organismen von Monsanto. Aber noch nie hat ein agro-industrielles Patent so sehr die Gemüter erhitzt.
Der Dokumentarfilm stützt sich auf unveröffentlichte Dokumente und Stellungnahmen von Geschädigten, Wissenschaftlern, Vertretern von Bürgerinitiativen, Rechtsanwälten, Politikern sowie Vertretern der staatlichen Food and Drug Administration (FDA). Drei Jahre hat Regisseurin Marie-Monique Robin in Nord- und Südamerika sowie in Europa und Asien recherchiert, mit Bauern in Indien, Mexiko und Paraguay gesprochen, um die Geschichte des heute mächtigsten Samenherstellers der Welt zu rekonstruieren. Das von Werbekampagnen bediente Image des sauberen und umweltfreundlichen Konzerns der "Wissenschaft des Lebens" bekommt tiefe Risse. Dürfen Grundlebensmittel Ziel einer gnadenlos nach Monopol und Marktführerschaft strebenden Unternehmenspolitik sein?
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit SoundeffektenFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2009Wo Demokratie fehlt, hausen die Kraken
Ein bundesweites Festival erforscht in dreizehn Filmen die Ambivalenz der Macht
In Idaho können die Bürger ruhig schlafen. Der kleine Staat im Nordwesten der Vereinigten Staaten mit nur knapp einer Million Einwohnern wird von einem ehrenamtlichen Parlament regiert, das seine Aufgaben sehr ernst nimmt. Drei Monate im Jahr beraten die Abgeordneten und Senatoren über Gesetze, deren Folgen auf sie selbst zurückfallen, wenn sie auf ihre Farmen oder zu anderen Arbeitsplätzen zurückkehren. "Eine Regierung ist umso besser, je weniger man sie bemerkt", heißt es einmal in Frederick Wisemans dreieinhalb Stunden langem Dokumentarfilm "Gesetzgeber" (State Legislature), und doch müssen in den Ausschüssen und im Plenum Dutzende aktueller Probleme geregelt werden, vom Schutz der Privatsphäre bis zum Nichtrauchergesetz, die zur Sicherung eines funktionierenden Gemeinwesens notwendig sind.
Frederick Wiseman, der amerikanische Altmeister genauer und ausführlicher Langzeitbeobachtungen, bringt die Bürgernähe und die verantwortungsbewusste Sacharbeit dieser stets gut vorbereiteten und sachkundigen Männer und Frauen überzeugend nahe. Parteiengezänk und Rechthaberei um jeden Preis, wie sie etwa aus Thomas Schadts Film über die Arbeit des Schweriner Landesparlaments, "Demokratie im Schloss" vom Jahr 2000, unangenehm in Erinnerung ist, scheinen hier nicht üblich zu sein, und auch darum kommen offenbar viele Bürger gern einmal ins prächtige Kapitol des kleinen Boise, der Hauptstadt von Idaho.
Mit "Gesetzgeber" haben "dieGesellschafter.de", bekannt auch unter dem Namen "Aktion Mensch", in ihrer neuen Serie "ueber Macht: Kontrolle, Regeln, Selbstbestimmung" der Anarchie, dem Machtmissbrauch und der Verantwortungslosigkeit ein eindeutig positives Beispiel gegenübergestellt. An anderen Orten der Welt führen Faustrecht, offene und versteckte Kriminalität oder Korruption jede Gesetzgebung ad absurdum. In São Paulo etwa, wo selbst kugelsichere Wagen nicht vor Entführung schützen und wo die Kidnapper der Familie mit dem Video ein abgeschnittenes Ohr des Opfers übersenden, um keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen aufkommen zu lassen. "Manda Bala - Send a Bullet", so der Titel von Jason Kohns spannendem Film, zeigt das Schreckgespenst einer jeglichen Rechtsbegriffen entlaufenen Gesellschaft als harte Lebenswirklichkeit, in der die Gewissenlosesten sich ungestraft ihres Reichtums erfreuen können.
Nicht minder beeindrucken die Streiflichter, die von Marie-Monique Robin aus Frankreich auf das unheilvolle Wirken des amerikanischen Chemieunternehmens und Saatgutproduzenten Monsanto geworfen werden. Besser als die vordergründige Arte-Überschrift "Monsanto. Mit Gift und Genen" weist der Originaltitel "Le monde selon Monsanto" (Die Welt gemäß Monsanto) auf den globalen Herrschaftsanspruch des Produzenten von Unkrautvertilgungsmitteln sowie genverändertem Getreide und Mais hin. Zu den Betroffenen zählen indische Kleinbauern, die ihre Existenzgrundlage verlieren, mexikanische Campesinos, die sich zwar gegen das Saatgut, aber nicht gegen dessen Auswirkung auf ihren hochwertigen naturbelassenen Mais wehren können, und vielleicht eines Tages wir alle. Mit Greenpeace, Attac, der Aktion "Brot für die Welt" und dem entwicklungspolitischen Netzwerk "Inkota" haben die Gesellschafter bei diesem brillant recherchierten Film gleich vier Partner gefunden, die für eine nachhaltige Resonanz sorgen können.
Wie ein Krake scheinen gemeingefährliche und zerstörerische Machenschaften in jede Lücke der Demokratie auf der Welt vorzudringen, bringen Unglück über eine große Anzahl von Menschen und unterminieren da, wo niemand ihnen wehrt, die Grundlage jedes vernünftigen Handelns. In Russland zum Beispiel lockt ein Grundherr namens Mikhail Morosov verwirrte oder schutzlose junge Leute in seine Erziehungskolonie, wo sie, ohne Anspruch auf Widerspruch und Lohn, bei landwirtschaftlicher Tätigkeit bedingungslosen Gehorsam einüben. Morosov, der über gute Verbindungen zum russischen Geheimdienst sowie zur orthodoxen Kirche verfügt und Wladimir Putin zu seinen Bekannten zählt, spricht sich offen für die Wiederherstellung des russischen Imperiums aus. "Demokratie ist etwas für den Westen", doziert er und verlangt, das Fenster zum Westen wieder zu schließen, das allzu lange geöffnet gewesen sei. Nino Kirtadzes an aufschlussreichen Beobachtungen und Selbstentblößungen der Hauptperson reicher Film "Für Gott, Zar und Vaterland" zeigt einmal mehr, wohin Russland nach dem Willen seiner Oligarchen steuert: zurück ins autoritäre 19. Jahrhundert. Die aus Georgien stammende, in Frankreich ansässige Regisseurin verdient hohen Respekt für ihren Wagemut, ohne den sie diese drastischen Szenen nicht hätte aufnehmen können.
Gemessen an solchen horrenden Problemen, sei es das einträgliche Kidnapping in São Paulo, das monopolistische Gebaren eines Konzerns oder die antidemokratische Aufrüstung in Russland, sehen manche westeuropäischen Probleme klein und leicht regelbar aus. Das Filmemachen verlangt hier keine außergewöhnliche Courage, wenngleich nicht weniger Geschick. Daniella Marxer interessierte sich für den Alltag in einem Schweizer Berginternat, wo Söhnen und Töchtern aus begüterten, aber bei der Erziehung ihrer Kinder überforderten Familien beigebracht wird, gewisse Regeln des Zusammenlebens zu befolgen. Der deutsche Verleihtitel "Schule der Elite" anstelle der schlichten Ortsangabe "Zuoz" greift der Interpretation allerdings unzulässig vor, denn von zukünftigen Führungsansprüchen ist im Film keine Rede. Nur einmal dämmert es einem Zögling: "Wir sind reich, weil die anderen arm sind." Welche Konsequenzen er daraus ziehen wird, bleibt offen.
"Die dünnen Mädchen" schließlich, die Maria Teresa Camoglio im einzigen deutschen der insgesamt dreizehn Beiträge während deren Genesung in einer Klinik bei Lüneburg sensibel porträtiert, haben auf andere Weise Schwierigkeiten, sich ins bürgerliche Leben zu schicken. Wut, Protest gegen die Eltern, Abscheu oder Angst vor dem Erwachsenwerden könnten die Hauptmotive ihrer Magersucht sein. Einige von jungen Patientinnen gedrehte Videos lassen dies noch deutlicher werden. Auch dieser Beitrag tastet sich an eine Krisenstimmung unter Jugendlichen heran, für die die Gesellschaft offenbar täglich mehr Gründe liefert.
Einem nicht nur familieninternen Problem begegnet dagegen der Schauspielerin Sandrine Bonnaire mit dem bewegenden Porträt ihrer Schwester: "Ihr Name ist Sabine". In jungen Jahren ein begabtes, wenn auch etwas ungebärdiges Kind, kommt die autistische Veranlagung während der Pubertät voll zum Ausbruch. Noch verstehen es die Geschwister, es mit ihrer Liebe immer wieder zu beruhigen. Als aber die Gewaltausbrüche gegen die Mutter sich häufen, wird die inzwischen fast Dreißigjährige in eine psychiatrische Klinik gegeben, wo man sie mit Zwangsjacke und starken Pharmaka behandelt und binnen fünf Jahren ihre kreativen Fähigkeiten irreparabel zerstört. Dank der Schwester ist sie jetzt zwar besser aufgehoben, aber wieder und wieder versucht Sabine, aus ihrem inneren Gefängnis auszubrechen, um ins Freie zu gelangen, und sie wird dies lebenslang tun. Womöglich hat auch sie, bedingt durch ihre Anlagen, die Angst vor dem Erwachsenwerden in die Nähe des Wahnsinns geführt, und sie fürchtet nun nichts mehr als die Einsamkeit. "Sandrine, wirst du mich morgen wieder besuchen?", fragt sie immer wieder die genervte Schwester, und die sucht hinter der Kamera Schutz.
HANS-JÖRG ROTHER
Das Festival läuft bis 21. Januar im Berliner Zeughauskino und tourt dann durch weitere Städte.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein bundesweites Festival erforscht in dreizehn Filmen die Ambivalenz der Macht
In Idaho können die Bürger ruhig schlafen. Der kleine Staat im Nordwesten der Vereinigten Staaten mit nur knapp einer Million Einwohnern wird von einem ehrenamtlichen Parlament regiert, das seine Aufgaben sehr ernst nimmt. Drei Monate im Jahr beraten die Abgeordneten und Senatoren über Gesetze, deren Folgen auf sie selbst zurückfallen, wenn sie auf ihre Farmen oder zu anderen Arbeitsplätzen zurückkehren. "Eine Regierung ist umso besser, je weniger man sie bemerkt", heißt es einmal in Frederick Wisemans dreieinhalb Stunden langem Dokumentarfilm "Gesetzgeber" (State Legislature), und doch müssen in den Ausschüssen und im Plenum Dutzende aktueller Probleme geregelt werden, vom Schutz der Privatsphäre bis zum Nichtrauchergesetz, die zur Sicherung eines funktionierenden Gemeinwesens notwendig sind.
Frederick Wiseman, der amerikanische Altmeister genauer und ausführlicher Langzeitbeobachtungen, bringt die Bürgernähe und die verantwortungsbewusste Sacharbeit dieser stets gut vorbereiteten und sachkundigen Männer und Frauen überzeugend nahe. Parteiengezänk und Rechthaberei um jeden Preis, wie sie etwa aus Thomas Schadts Film über die Arbeit des Schweriner Landesparlaments, "Demokratie im Schloss" vom Jahr 2000, unangenehm in Erinnerung ist, scheinen hier nicht üblich zu sein, und auch darum kommen offenbar viele Bürger gern einmal ins prächtige Kapitol des kleinen Boise, der Hauptstadt von Idaho.
Mit "Gesetzgeber" haben "dieGesellschafter.de", bekannt auch unter dem Namen "Aktion Mensch", in ihrer neuen Serie "ueber Macht: Kontrolle, Regeln, Selbstbestimmung" der Anarchie, dem Machtmissbrauch und der Verantwortungslosigkeit ein eindeutig positives Beispiel gegenübergestellt. An anderen Orten der Welt führen Faustrecht, offene und versteckte Kriminalität oder Korruption jede Gesetzgebung ad absurdum. In São Paulo etwa, wo selbst kugelsichere Wagen nicht vor Entführung schützen und wo die Kidnapper der Familie mit dem Video ein abgeschnittenes Ohr des Opfers übersenden, um keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen aufkommen zu lassen. "Manda Bala - Send a Bullet", so der Titel von Jason Kohns spannendem Film, zeigt das Schreckgespenst einer jeglichen Rechtsbegriffen entlaufenen Gesellschaft als harte Lebenswirklichkeit, in der die Gewissenlosesten sich ungestraft ihres Reichtums erfreuen können.
Nicht minder beeindrucken die Streiflichter, die von Marie-Monique Robin aus Frankreich auf das unheilvolle Wirken des amerikanischen Chemieunternehmens und Saatgutproduzenten Monsanto geworfen werden. Besser als die vordergründige Arte-Überschrift "Monsanto. Mit Gift und Genen" weist der Originaltitel "Le monde selon Monsanto" (Die Welt gemäß Monsanto) auf den globalen Herrschaftsanspruch des Produzenten von Unkrautvertilgungsmitteln sowie genverändertem Getreide und Mais hin. Zu den Betroffenen zählen indische Kleinbauern, die ihre Existenzgrundlage verlieren, mexikanische Campesinos, die sich zwar gegen das Saatgut, aber nicht gegen dessen Auswirkung auf ihren hochwertigen naturbelassenen Mais wehren können, und vielleicht eines Tages wir alle. Mit Greenpeace, Attac, der Aktion "Brot für die Welt" und dem entwicklungspolitischen Netzwerk "Inkota" haben die Gesellschafter bei diesem brillant recherchierten Film gleich vier Partner gefunden, die für eine nachhaltige Resonanz sorgen können.
Wie ein Krake scheinen gemeingefährliche und zerstörerische Machenschaften in jede Lücke der Demokratie auf der Welt vorzudringen, bringen Unglück über eine große Anzahl von Menschen und unterminieren da, wo niemand ihnen wehrt, die Grundlage jedes vernünftigen Handelns. In Russland zum Beispiel lockt ein Grundherr namens Mikhail Morosov verwirrte oder schutzlose junge Leute in seine Erziehungskolonie, wo sie, ohne Anspruch auf Widerspruch und Lohn, bei landwirtschaftlicher Tätigkeit bedingungslosen Gehorsam einüben. Morosov, der über gute Verbindungen zum russischen Geheimdienst sowie zur orthodoxen Kirche verfügt und Wladimir Putin zu seinen Bekannten zählt, spricht sich offen für die Wiederherstellung des russischen Imperiums aus. "Demokratie ist etwas für den Westen", doziert er und verlangt, das Fenster zum Westen wieder zu schließen, das allzu lange geöffnet gewesen sei. Nino Kirtadzes an aufschlussreichen Beobachtungen und Selbstentblößungen der Hauptperson reicher Film "Für Gott, Zar und Vaterland" zeigt einmal mehr, wohin Russland nach dem Willen seiner Oligarchen steuert: zurück ins autoritäre 19. Jahrhundert. Die aus Georgien stammende, in Frankreich ansässige Regisseurin verdient hohen Respekt für ihren Wagemut, ohne den sie diese drastischen Szenen nicht hätte aufnehmen können.
Gemessen an solchen horrenden Problemen, sei es das einträgliche Kidnapping in São Paulo, das monopolistische Gebaren eines Konzerns oder die antidemokratische Aufrüstung in Russland, sehen manche westeuropäischen Probleme klein und leicht regelbar aus. Das Filmemachen verlangt hier keine außergewöhnliche Courage, wenngleich nicht weniger Geschick. Daniella Marxer interessierte sich für den Alltag in einem Schweizer Berginternat, wo Söhnen und Töchtern aus begüterten, aber bei der Erziehung ihrer Kinder überforderten Familien beigebracht wird, gewisse Regeln des Zusammenlebens zu befolgen. Der deutsche Verleihtitel "Schule der Elite" anstelle der schlichten Ortsangabe "Zuoz" greift der Interpretation allerdings unzulässig vor, denn von zukünftigen Führungsansprüchen ist im Film keine Rede. Nur einmal dämmert es einem Zögling: "Wir sind reich, weil die anderen arm sind." Welche Konsequenzen er daraus ziehen wird, bleibt offen.
"Die dünnen Mädchen" schließlich, die Maria Teresa Camoglio im einzigen deutschen der insgesamt dreizehn Beiträge während deren Genesung in einer Klinik bei Lüneburg sensibel porträtiert, haben auf andere Weise Schwierigkeiten, sich ins bürgerliche Leben zu schicken. Wut, Protest gegen die Eltern, Abscheu oder Angst vor dem Erwachsenwerden könnten die Hauptmotive ihrer Magersucht sein. Einige von jungen Patientinnen gedrehte Videos lassen dies noch deutlicher werden. Auch dieser Beitrag tastet sich an eine Krisenstimmung unter Jugendlichen heran, für die die Gesellschaft offenbar täglich mehr Gründe liefert.
Einem nicht nur familieninternen Problem begegnet dagegen der Schauspielerin Sandrine Bonnaire mit dem bewegenden Porträt ihrer Schwester: "Ihr Name ist Sabine". In jungen Jahren ein begabtes, wenn auch etwas ungebärdiges Kind, kommt die autistische Veranlagung während der Pubertät voll zum Ausbruch. Noch verstehen es die Geschwister, es mit ihrer Liebe immer wieder zu beruhigen. Als aber die Gewaltausbrüche gegen die Mutter sich häufen, wird die inzwischen fast Dreißigjährige in eine psychiatrische Klinik gegeben, wo man sie mit Zwangsjacke und starken Pharmaka behandelt und binnen fünf Jahren ihre kreativen Fähigkeiten irreparabel zerstört. Dank der Schwester ist sie jetzt zwar besser aufgehoben, aber wieder und wieder versucht Sabine, aus ihrem inneren Gefängnis auszubrechen, um ins Freie zu gelangen, und sie wird dies lebenslang tun. Womöglich hat auch sie, bedingt durch ihre Anlagen, die Angst vor dem Erwachsenwerden in die Nähe des Wahnsinns geführt, und sie fürchtet nun nichts mehr als die Einsamkeit. "Sandrine, wirst du mich morgen wieder besuchen?", fragt sie immer wieder die genervte Schwester, und die sucht hinter der Kamera Schutz.
HANS-JÖRG ROTHER
Das Festival läuft bis 21. Januar im Berliner Zeughauskino und tourt dann durch weitere Städte.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fazit: Diesen Film sollte wirklich JEDER gesehen haben. (Sein)"Beeindruckend direkter Film!"- taz"Die Regisseurin Marie Monique Robin hat in einem Film das rücksichtslose Handeln Monsantos aufgedeckt. Drei Jahre lang heftete sich Robin an die Fersen des Konzerns, sprach mit ehemaligen Mitarbeitern, suchte überall nach Informationen, interviewte betroffene Bauern und deckte Unglaubliches auf. Um solch einen Film zu drehen, braucht man sehr viel Mut. Marie Monique Robin hatte ihn."- greenpeace4kids.de Empfehlung der Begutachtungskommission des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg für den Einsatz im Unterricht: "Biologie, Fächerverbund Naturwissenschaftliches Arbeiten, Fächerverbund Materie - Natur - Technik, Chemie: Bei der DVD handelt es sich um ein Firmenportrait, das das sehr ambivalente Unternehmen Monsanto vorstellt. In einzelnen Sequenzen werden verschiedene Produkte, ihr Einsatzbereich und die Gefahren, die von ihnen ausgehen, beleuchtet Der Film schafft Gesprächsanlässe sowohl zu Aspekten der Umwelt- und Gesundheitsgefährdung durch Produkte der chemischen Industrie als auch zur Verflechtung von Politik und Wirtschaftsunternehmen. Obwohl es sich nicht um eine didaktisch aufbereitete DVD handelt, ist sie inhaltlich gut gemacht. Das Medium kann sowohl in den höheren Klassen der S I als auch in der Oberstufe besonders im projektorientierten Unterricht eingesetzt werden."