1972, die Olympischen Spiele verzaubern München. Die Welt schwimmt auf einer Welle der Begeisterung. Nicht ganz, denn Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" nehmen elf israelische Sportler als Geiseln und fordern die Freilassung von 200 in Israel inhaftierten Palästinensern. Beim Befreiungsversuch sterben alle Athleten sowie fünf der Terroristen. Die Reaktion der Israelis lässt nicht lange auf sich warten: die Exekution aller an dem Massaker beteiligten Palästinenser. Noch während die Aktion auf Hochtouren läuft, stellt der beauftragte Mossad-Agent (Eric Bana) ihren Sinn mehr und mehr in Frage. Nach welchen Kriterien wurden die Ziele ausgewählt? Gehören sie auf die Todesliste, obwohl sie gar nicht am Attentat beteiligt waren? Das Unternehmen steht am Scheidepunkt.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Einführung von Steven Spielberg - München - Die Mission - Vorstellung des TeamsFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2006Weiß ist die Unschuld, rot das Blut
Steven Spielbergs "München" wird historische Fahrlässigkeit vorgeworfen, dabei scheitert er an filmischer Ungenauigkeit
Der Streit tobt seit Wochen, die Argumente sind ausgetauscht, das Ergebnis ist klar: Steven Spielberg hat mit "München" keine Dokumentation über die Racheaktion des israelischen Geheimdienstes gegen die Attentäter der Olympischen Spiele von München 1972 gedreht, die fiktiv und dennoch faktentreu wäre. Hatte wirklich irgend jemand gedacht, das sei sein Ziel gewesen? Die Quellen, aus denen sich das Drehbuch von Tony Kushner und Eric Roth vor allem nährt, sind fragwürdig, was sowohl für das Buch "Vengeance" von George Jonas als auch für den Mann gilt, der als Vorbild für die zentrale Filmfigur diente und dessen Identität Spielberg nicht preisgeben will. Weitere Recherchen fanden nicht statt. Man darf vermuten, daß das nicht an Unvermögen oder fehlendem Geld gelegen hat. Spielberg hatte offenkundig kein Interesse an einer historisch einwandfreien Rekonstruktion der Geschehnisse. Er ist Filmemacher, ein sentimentaler dazu, und er hat (spätestens seit "Schindlers Liste") eine Mission, die er nicht in jedem, aber in jedem zweiten Film zu erfüllen sucht: als guter Mann von Hollywood die Leinwand frei zu räumen für die Schwachen, für die Kinder, die Schwarzen, die Juden.
Über deren Schicksal hat er inzwischen, so scheint es und so will er es, die filmische Darstellungshoheit erreicht. Deshalb bekam er von ihrer Seite für diesen Film Schelte: Er relativiere das Unrecht, das damals in München geschehen sei, und setze legitime Gegenwehr mit Terror gleich. Ein absurder Vorwurf, den nur verstehen kann, wer Israel und seine Politik als Sonderfall der Geschichte begreift, den alles jenseits der bedingungslosen Zustimmung in seiner Existenz gefährde. Spielberg hat einen kleinen Blick zur Seite gewagt und dabei festgestellt, daß Gewalt auch in denen, die sie ausüben - selbst wenn sie Israelis sind -, verheerende Folgen haben kann. Seine Sorge gilt dem inneren Zustand der Juden in Israel, und seine Botschaft ist so schlicht wie seine Beobachtung über die Folgen des Tötens: Solange auf beiden Seiten das Morden nicht aufhört, wird ein Frieden im Nahen Osten unmöglich sein. In Hollywood, wo Moral bevorzugt in solchen Tautologien daherkommt, sollte das kein skandalöser Standpunkt sein. In Europa schon gar nicht. Und radikaler wird Spielberg an keiner Stelle. Wir können also, wenn "München" morgen in den deutschen Kinos anläuft, die ganze Kontroverse hinter uns lassen. Zu fragen bleibt allein - was macht Spielberg da, und wie ist der Film?
Lang vor allem, und er kommt einem noch länger vor. Dabei ist der Anfang überaus brillant in seinem Spannungsaufbau, wie man es von einem der begnadetsten Kinohandwerker unserer Tage erwarten darf. Eine Gruppe junger Männer klettert über einen hohen Zaun ins Olympische Dorf, als hätten sie irgendwo in München über die Sperrstunde hinaus gefeiert wie ein paar andere, denen sie begegnen. Einmal im Dorf, schälen sie sich blitzschnell aus ihren Klamotten, bis sie ganz in Schwarz vor uns stehen, ziehen aus ihren Sporttaschen Maschinenpistolen und Munition und stürmen das Gebäude, in dem das israelische Team schläft. Kurz darauf benutzt Spielberg zum ersten Mal Fernsehaufnahmen von damals, um sie zwischen seine Spielhandlung zu schneiden, und im Verlauf des Films greift er immer wieder auf diese zurück und vermixt sie mit gestellten Szenen, um den Fortgang der Geiselnahme zu zeigen und dramaturgisch auszubeuten - die Erschießung von erst einem, dann dem zweiten Sportler und schließlich das desaströse Ende auf dem Flughafen, als die restlichen Geiseln und fünf Attentäter getötet werden. Man kann das einen geschickten Umgang mit Dokumentarmaterial, man kann es aber eben auch Ausbeutung in einem Actionfilm nennen, der ohne dieses Material seine Spannung nicht halten kann.
Schauplatzwechsel, einer von vielen, nach Tel Aviv. Avner, gespielt von dem Australier Eric Bana, ein junger Mossad-Agent ohne jede Erfahrung, aber mit schwangerer Frau, wird zu Golda Meir (Lynn Cohen) geladen. Und dort, in einem Wohnzimmer mit Polstermöbeln und Teetischchen, und später, nachdem Avner mit zunächst unbestimmtem Racheauftrag wieder gegangen ist, an einem langen Konferenztisch spielt eine der besten Sequenzen des Films. Mit den höchsten Offizieren ihres Geheimdienstes und ihren engsten Vertrauten bespricht Golda Meir Israels Reaktion auf das Münchener Attentat. Sie versteht es nicht nur als Verbrechen, das gesühnt, sondern als Warnung, die mit stärkster Macht pariert werden muß - durch gezielte Ermordung der Beteiligten. Es wird viel von jüdischer Identität, von den Grundsätzen, auf denen die Staatsbildung fußte, gesprochen in diesen Minuten, und man hat den Eindruck, Spielberg inszeniere hier aus der historischen Erinnerung eine Art des Gesprächs und der Selbstbefragung, die eine zutiefst jüdische Tradition und Qualität war. In diesem Gespräch vertritt Golda Meir die Überzeugung, jede Zivilisation müsse unter bestimmten Umständen ihre zentralen Grundsätze beiseite schieben, und mit dem Ausgang der Diskussion - dem erteilten Tötungsauftrag - ist diese Qualität verloren. Es gibt noch zwei weitere Diskussionen ähnlicher Art, und vielleicht war es das, worum es Spielberg irgendwann mit diesem Film einmal ging: die Verluste an jüdischem Selbstverständnis in all dem Morden zu zeigen.
In "München" aber zeigt er etwas anderes. Avner wird als Anführer einer Gruppe von vier weiteren Rachevollstreckern rekrutiert. Politthriller wie dieser müssen nicht der historischen Wahrheit entsprechen, aber glaubwürdig sollten sie schon sein, und wer kann glauben, der Mossad wähle für eine so wichtige Aufgabe einen unerfahrenen und - wie sich zeigen wird - von Gewissensbissen geplagten werdenden Vater, dem die Hand zittert, wenn er zum ersten Mal morden soll? Der sich in Paris sehnsuchtsvoll immer wieder Einbauküchen anschaut, weil er viel lieber zu Hause wäre? Und dem Männer zur Seite gestellt werden wie der Bombenbauer, der eigentlich ein Bombenentschärfer ist und mit dem Sprengstoff hantiert, als übe er noch mit Knete? Eine Bande von Amateuren also, zu denen auch der melancholische deutsche Antiquitätenhändler gehört, den Hanns Zischler spielt, auf der Reise durch Europa im Auftrag des gefährlichsten Geheimdienstes der Welt?
Durch Europa heißt bei Spielberg: mit dem Fahrrad in Holland, unterm Eiffelturm in Paris, bei Regen in London. Den Sündenfall Avners beim ersten Mord zeigt eine zerbrochene Flasche an, aus der Milch fließt und sich mit dem Blut des Sterbenden mischt. Koschere Prinzipien gelten nichts mehr. Spielberg war nie der Subtilste, und auch hier sind seine Zeichen plakativ: Wir müssen aufhören mit dem Töten, damit wir nicht alles verlieren, was wir einmal waren. Außerdem ist er natürlich effektbewußt genug, um sich die dekorative weiß-rote Farbmischung auf blanken Kacheln nicht entgehen zu lassen.
Zwei Frauen spielen übrigens in "München" mit, eine verführerische Auftragsmörderin, die einen von Avners Männern erledigt und dafür ihrerseits mit einem Loch in der Brust nackt durchs Bild wanken muß. Und Avners Ehefrau, die am Anfang und am Ende beim Beischlaf zu sehen ist, und zwar am Ende in einer so grotesk geschmacklosen Parallelmontage von Sex und Terror, daß, wenn nicht an Spielbergs gutem Willen, so doch an seinem Menschenbild durchaus gezweifelt werden darf.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Steven Spielbergs "München" wird historische Fahrlässigkeit vorgeworfen, dabei scheitert er an filmischer Ungenauigkeit
Der Streit tobt seit Wochen, die Argumente sind ausgetauscht, das Ergebnis ist klar: Steven Spielberg hat mit "München" keine Dokumentation über die Racheaktion des israelischen Geheimdienstes gegen die Attentäter der Olympischen Spiele von München 1972 gedreht, die fiktiv und dennoch faktentreu wäre. Hatte wirklich irgend jemand gedacht, das sei sein Ziel gewesen? Die Quellen, aus denen sich das Drehbuch von Tony Kushner und Eric Roth vor allem nährt, sind fragwürdig, was sowohl für das Buch "Vengeance" von George Jonas als auch für den Mann gilt, der als Vorbild für die zentrale Filmfigur diente und dessen Identität Spielberg nicht preisgeben will. Weitere Recherchen fanden nicht statt. Man darf vermuten, daß das nicht an Unvermögen oder fehlendem Geld gelegen hat. Spielberg hatte offenkundig kein Interesse an einer historisch einwandfreien Rekonstruktion der Geschehnisse. Er ist Filmemacher, ein sentimentaler dazu, und er hat (spätestens seit "Schindlers Liste") eine Mission, die er nicht in jedem, aber in jedem zweiten Film zu erfüllen sucht: als guter Mann von Hollywood die Leinwand frei zu räumen für die Schwachen, für die Kinder, die Schwarzen, die Juden.
Über deren Schicksal hat er inzwischen, so scheint es und so will er es, die filmische Darstellungshoheit erreicht. Deshalb bekam er von ihrer Seite für diesen Film Schelte: Er relativiere das Unrecht, das damals in München geschehen sei, und setze legitime Gegenwehr mit Terror gleich. Ein absurder Vorwurf, den nur verstehen kann, wer Israel und seine Politik als Sonderfall der Geschichte begreift, den alles jenseits der bedingungslosen Zustimmung in seiner Existenz gefährde. Spielberg hat einen kleinen Blick zur Seite gewagt und dabei festgestellt, daß Gewalt auch in denen, die sie ausüben - selbst wenn sie Israelis sind -, verheerende Folgen haben kann. Seine Sorge gilt dem inneren Zustand der Juden in Israel, und seine Botschaft ist so schlicht wie seine Beobachtung über die Folgen des Tötens: Solange auf beiden Seiten das Morden nicht aufhört, wird ein Frieden im Nahen Osten unmöglich sein. In Hollywood, wo Moral bevorzugt in solchen Tautologien daherkommt, sollte das kein skandalöser Standpunkt sein. In Europa schon gar nicht. Und radikaler wird Spielberg an keiner Stelle. Wir können also, wenn "München" morgen in den deutschen Kinos anläuft, die ganze Kontroverse hinter uns lassen. Zu fragen bleibt allein - was macht Spielberg da, und wie ist der Film?
Lang vor allem, und er kommt einem noch länger vor. Dabei ist der Anfang überaus brillant in seinem Spannungsaufbau, wie man es von einem der begnadetsten Kinohandwerker unserer Tage erwarten darf. Eine Gruppe junger Männer klettert über einen hohen Zaun ins Olympische Dorf, als hätten sie irgendwo in München über die Sperrstunde hinaus gefeiert wie ein paar andere, denen sie begegnen. Einmal im Dorf, schälen sie sich blitzschnell aus ihren Klamotten, bis sie ganz in Schwarz vor uns stehen, ziehen aus ihren Sporttaschen Maschinenpistolen und Munition und stürmen das Gebäude, in dem das israelische Team schläft. Kurz darauf benutzt Spielberg zum ersten Mal Fernsehaufnahmen von damals, um sie zwischen seine Spielhandlung zu schneiden, und im Verlauf des Films greift er immer wieder auf diese zurück und vermixt sie mit gestellten Szenen, um den Fortgang der Geiselnahme zu zeigen und dramaturgisch auszubeuten - die Erschießung von erst einem, dann dem zweiten Sportler und schließlich das desaströse Ende auf dem Flughafen, als die restlichen Geiseln und fünf Attentäter getötet werden. Man kann das einen geschickten Umgang mit Dokumentarmaterial, man kann es aber eben auch Ausbeutung in einem Actionfilm nennen, der ohne dieses Material seine Spannung nicht halten kann.
Schauplatzwechsel, einer von vielen, nach Tel Aviv. Avner, gespielt von dem Australier Eric Bana, ein junger Mossad-Agent ohne jede Erfahrung, aber mit schwangerer Frau, wird zu Golda Meir (Lynn Cohen) geladen. Und dort, in einem Wohnzimmer mit Polstermöbeln und Teetischchen, und später, nachdem Avner mit zunächst unbestimmtem Racheauftrag wieder gegangen ist, an einem langen Konferenztisch spielt eine der besten Sequenzen des Films. Mit den höchsten Offizieren ihres Geheimdienstes und ihren engsten Vertrauten bespricht Golda Meir Israels Reaktion auf das Münchener Attentat. Sie versteht es nicht nur als Verbrechen, das gesühnt, sondern als Warnung, die mit stärkster Macht pariert werden muß - durch gezielte Ermordung der Beteiligten. Es wird viel von jüdischer Identität, von den Grundsätzen, auf denen die Staatsbildung fußte, gesprochen in diesen Minuten, und man hat den Eindruck, Spielberg inszeniere hier aus der historischen Erinnerung eine Art des Gesprächs und der Selbstbefragung, die eine zutiefst jüdische Tradition und Qualität war. In diesem Gespräch vertritt Golda Meir die Überzeugung, jede Zivilisation müsse unter bestimmten Umständen ihre zentralen Grundsätze beiseite schieben, und mit dem Ausgang der Diskussion - dem erteilten Tötungsauftrag - ist diese Qualität verloren. Es gibt noch zwei weitere Diskussionen ähnlicher Art, und vielleicht war es das, worum es Spielberg irgendwann mit diesem Film einmal ging: die Verluste an jüdischem Selbstverständnis in all dem Morden zu zeigen.
In "München" aber zeigt er etwas anderes. Avner wird als Anführer einer Gruppe von vier weiteren Rachevollstreckern rekrutiert. Politthriller wie dieser müssen nicht der historischen Wahrheit entsprechen, aber glaubwürdig sollten sie schon sein, und wer kann glauben, der Mossad wähle für eine so wichtige Aufgabe einen unerfahrenen und - wie sich zeigen wird - von Gewissensbissen geplagten werdenden Vater, dem die Hand zittert, wenn er zum ersten Mal morden soll? Der sich in Paris sehnsuchtsvoll immer wieder Einbauküchen anschaut, weil er viel lieber zu Hause wäre? Und dem Männer zur Seite gestellt werden wie der Bombenbauer, der eigentlich ein Bombenentschärfer ist und mit dem Sprengstoff hantiert, als übe er noch mit Knete? Eine Bande von Amateuren also, zu denen auch der melancholische deutsche Antiquitätenhändler gehört, den Hanns Zischler spielt, auf der Reise durch Europa im Auftrag des gefährlichsten Geheimdienstes der Welt?
Durch Europa heißt bei Spielberg: mit dem Fahrrad in Holland, unterm Eiffelturm in Paris, bei Regen in London. Den Sündenfall Avners beim ersten Mord zeigt eine zerbrochene Flasche an, aus der Milch fließt und sich mit dem Blut des Sterbenden mischt. Koschere Prinzipien gelten nichts mehr. Spielberg war nie der Subtilste, und auch hier sind seine Zeichen plakativ: Wir müssen aufhören mit dem Töten, damit wir nicht alles verlieren, was wir einmal waren. Außerdem ist er natürlich effektbewußt genug, um sich die dekorative weiß-rote Farbmischung auf blanken Kacheln nicht entgehen zu lassen.
Zwei Frauen spielen übrigens in "München" mit, eine verführerische Auftragsmörderin, die einen von Avners Männern erledigt und dafür ihrerseits mit einem Loch in der Brust nackt durchs Bild wanken muß. Und Avners Ehefrau, die am Anfang und am Ende beim Beischlaf zu sehen ist, und zwar am Ende in einer so grotesk geschmacklosen Parallelmontage von Sex und Terror, daß, wenn nicht an Spielbergs gutem Willen, so doch an seinem Menschenbild durchaus gezweifelt werden darf.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main