Sommer in einem türkischen Dorf. Lale und ihre vier Schwestern wachsen nach dem Tod der Eltern bei ihrem Onkel auf. Als sie nach der Schule beim unschuldigen Herumtollen mit ein paar Jungs im Meer beobachtet werden, lösen sie einen Skandal aus. Ihr als schamlos wahrgenommenes Verhalten hat dramatische Folgen: Das Haus der Familie wird zum Gefängnis, Benimmunterricht ersetzt die Schule und Ehen werden arrangiert. Doch die fünf Schwestern - allesamt von großem Freiheitsdrang erfüllt - beginnen, sich gegen die ihnen auferlegten Grenzen aufzulehnen.
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Interview mit Regisseurin Deniz Gamze Ergüven KurzfilmFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2016Ein trauriger Fall: Der Film "Mustang" greift in die Klischeekiste
Gut ist nicht alles, was gut aussieht, das gilt im Kino wie im Alltag. Aber auch das Gutgemeinte ist nicht immer gut. Nicht jeder Film, der das Richtige zeigt, zeigt es auch richtig. Das ist leicht gesagt und schwer zu beweisen. Vor dreißig Jahren gab es ein politisches Kino, das immer recht hatte, weil es links von den herrschenden Kräften stand. Heute gibt es ein soziologisch-moralisches Kino, vor allem aus dem arabischen Raum, das bei uns offene Türen einrennt, weil es die wichtigen Themen der Zeit anspricht: die Rolle der Frau, der Zerfall der Familie, der Kampf zwischen Moderne und Tradition. Aber im Kino bleibt die Moral eine Frage der Einstellung, nicht der Geschichte.
"Mustang" ist der erste Spielfilm der türkisch-französischen Regisseurin Deniz Gamze Ergüven. Einem Debütfilm kann man manches verzeihen, beispielsweise dass er, wie hier, keine einheitliche Bildgestaltung findet, dass die Episoden, hier eine Hochzeit in der Nordtürkei, dort ein Fußballspiel in Trabzon oder ein Ausflug in eine nahe Kleinstadt, wie aneinandergeklebt wirken, dass das, was vor der Kamera wild und lebendig wirken soll, auf der Leinwand oft einen Stich ins Aufgeregte bekommt. Ein Debüt ist ein Sprung ins Dunkle, ein Griff ins Risiko, man darf es nicht mit der künstlerischen Elle der Profis messen.
Was man dem Film aber nicht verzeihen kann, ist die Art, wie er seine Moral, die über jeden Verdacht erhaben ist, mit dem Holzhammer predigt. Das beginnt schon mit den ersten Szenen, in denen fünf hübsche, selbstbewusste Mädchen zu sehen sind, die mit den Jungen ihrer Schule in der Brandung des Schwarzen Meeres spielen; dann folgt, als Strafe für den "Exzess", ein Verhör im Haus der Großmutter, die die fünf Schwestern aufgezogen hat und nun, unterstützt von einem Onkel der fünf, mit ihrer Kasernierung und Zwangsverheiratung beginnt. Eine böse Nachbarin hat die Mädchen verraten; sie trägt ein "kackbraunes" Kleid, wie es heißt, eine Burka. Auch sonst weiß der Film immer ganz genau, wer die Guten und die Bösen sind: hier der Onkel, seine Helfershelfer, die verängstigte Oma, dort die Schwestern, ihre Freunde und der Fahrer eines Gemüselastwagens, der den beiden jüngsten Mädchen am Ende zur Flucht nach Istanbul verhilft, wo eine liebevolle, der Provinz entkommene Lehrerin auf sie wartet.
Am allerwenigsten kann man "Mustang" verzeihen, dass er das Drama, das in seiner Geschichte steckt, durch die Art, wie er sie erzählt, Lügen straft. Der Film ist fast durchgängig mit Weichzeichner gedreht; im Haus ergötzt sich die Kamera an den halb verhüllten Körpern der Mädchen, statt zu zeigen, welchen Preis sie für ihre Intimität zahlen. Als Ece, die Drittälteste, in ihrer Verzweiflung den schnellen Sex in einem Auto sucht, zeigt Deniz Gamze Ergüven den rhythmisch wackelnden Wagen von außen. Das ist keine billige Pointe, es ist ästhetischer Verrat an den Figuren, und es hilft wenig, dass der Onkel sich nicht nur als Kerkermeister, sondern auch als Heuchler und Vergewaltiger entpuppt. So wird er zum Popanz, den jeder hassen kann und niemand begreifen muss.
"Mustang", ein trauriger Fall von einem Film. Weil er das Gute will. Weil er so gut hätte sein können. Weil er es nicht ist.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gut ist nicht alles, was gut aussieht, das gilt im Kino wie im Alltag. Aber auch das Gutgemeinte ist nicht immer gut. Nicht jeder Film, der das Richtige zeigt, zeigt es auch richtig. Das ist leicht gesagt und schwer zu beweisen. Vor dreißig Jahren gab es ein politisches Kino, das immer recht hatte, weil es links von den herrschenden Kräften stand. Heute gibt es ein soziologisch-moralisches Kino, vor allem aus dem arabischen Raum, das bei uns offene Türen einrennt, weil es die wichtigen Themen der Zeit anspricht: die Rolle der Frau, der Zerfall der Familie, der Kampf zwischen Moderne und Tradition. Aber im Kino bleibt die Moral eine Frage der Einstellung, nicht der Geschichte.
"Mustang" ist der erste Spielfilm der türkisch-französischen Regisseurin Deniz Gamze Ergüven. Einem Debütfilm kann man manches verzeihen, beispielsweise dass er, wie hier, keine einheitliche Bildgestaltung findet, dass die Episoden, hier eine Hochzeit in der Nordtürkei, dort ein Fußballspiel in Trabzon oder ein Ausflug in eine nahe Kleinstadt, wie aneinandergeklebt wirken, dass das, was vor der Kamera wild und lebendig wirken soll, auf der Leinwand oft einen Stich ins Aufgeregte bekommt. Ein Debüt ist ein Sprung ins Dunkle, ein Griff ins Risiko, man darf es nicht mit der künstlerischen Elle der Profis messen.
Was man dem Film aber nicht verzeihen kann, ist die Art, wie er seine Moral, die über jeden Verdacht erhaben ist, mit dem Holzhammer predigt. Das beginnt schon mit den ersten Szenen, in denen fünf hübsche, selbstbewusste Mädchen zu sehen sind, die mit den Jungen ihrer Schule in der Brandung des Schwarzen Meeres spielen; dann folgt, als Strafe für den "Exzess", ein Verhör im Haus der Großmutter, die die fünf Schwestern aufgezogen hat und nun, unterstützt von einem Onkel der fünf, mit ihrer Kasernierung und Zwangsverheiratung beginnt. Eine böse Nachbarin hat die Mädchen verraten; sie trägt ein "kackbraunes" Kleid, wie es heißt, eine Burka. Auch sonst weiß der Film immer ganz genau, wer die Guten und die Bösen sind: hier der Onkel, seine Helfershelfer, die verängstigte Oma, dort die Schwestern, ihre Freunde und der Fahrer eines Gemüselastwagens, der den beiden jüngsten Mädchen am Ende zur Flucht nach Istanbul verhilft, wo eine liebevolle, der Provinz entkommene Lehrerin auf sie wartet.
Am allerwenigsten kann man "Mustang" verzeihen, dass er das Drama, das in seiner Geschichte steckt, durch die Art, wie er sie erzählt, Lügen straft. Der Film ist fast durchgängig mit Weichzeichner gedreht; im Haus ergötzt sich die Kamera an den halb verhüllten Körpern der Mädchen, statt zu zeigen, welchen Preis sie für ihre Intimität zahlen. Als Ece, die Drittälteste, in ihrer Verzweiflung den schnellen Sex in einem Auto sucht, zeigt Deniz Gamze Ergüven den rhythmisch wackelnden Wagen von außen. Das ist keine billige Pointe, es ist ästhetischer Verrat an den Figuren, und es hilft wenig, dass der Onkel sich nicht nur als Kerkermeister, sondern auch als Heuchler und Vergewaltiger entpuppt. So wird er zum Popanz, den jeder hassen kann und niemand begreifen muss.
"Mustang", ein trauriger Fall von einem Film. Weil er das Gute will. Weil er so gut hätte sein können. Weil er es nicht ist.
ANDREAS KILB
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