Als Tom aus den Ästen eines brennenden Baums in Jessicas Leben springt, reagiert sie erschrocken und fasziniert zugleich auf seine rauhe, intensive Art, hinter der sich ein dunkler Schmerz zu verbergen scheint. Den kleinen verwilderten Wald am Stadtrand hat Tom zu seiner geheimen Zuflucht gemacht. Nun wird der Wald zu einer Welt, in der sich Jessica und Tom in einer Liebe ohne Kompromisse entdecken.Dom Rotheroes Spielfilmdebüt My Brother Tom erzählt in rauhen und zärtlichen Bildern von einer bedingungslosen Liebe, die Grenzen überschreitet und an Grenzen stößt - kein Märchen von verliebten Königskindern, sondern ein Film über Nähe, Schmerz, Hingabe, Einsamkeit und Sehnsucht. Die Kamera führte Robby Müller, der langjährige Kameramann von Wim Wenders, Jim Jarmusch und Lars von Trier, in den Hauptrollen beeindrucken die Newcomer Jenna Harrison und Ben Whishaw. My Brother Tom wurde u.a. ausgezeichnet mit den Publikumspreisen beim Britspotting Festival Berlin und in Angers 2002 und dem British Independent Film Award (Ben Whishaw: Most Promising Newcomer 2001).
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Ausführliches Booklet - TrailerFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2000Engel, die die Knarre ziehen
In der Ruinenlandschaft der russischen Filmindustrie blüht der Gangster-Thriller
MOSKAU, im August
Endlich ist es dem Moskauer Filmfestival gelungen, dank Zuspruch der neuen Regierung seinen bisher eher nominellen A-Status auch dadurch zu bekräftigen, daß das Ereignis jährlich statt im Zweijahresrhythmus stattfinden soll. Rußland scheint seinem Ziel, als international anerkanntes Vollmitglied in der Gemeinde der führenden Filmnationen dazustehen, nähergerückt zu sein. Zwar waren von den Filmen des Wettbewerbs einige zuvor in Cannes zu sehen gewesen, und den Hauptpreisträger, Krzysztof Zanussis "Leben als eine unheilbare, sexuell übertragene Krankheit", hält niemand für ein Meisterwerk. Doch die stilistische Bandbreite der Beiträge und ihr durchgehend solides künstlerisches Niveau belegten eindeutig die Annäherung des Gastgeberlandes an den internationalen "Mainstream", wie die Kritik befand.
Die damit verbundene Anbiederung an den internationalen Kommerz ist freilich auch Quelle für Frustrationen. Wie in früheren Jahren wurden vor Beginn mit großem Pomp westliche Stars angekündigt, diesmal Nicole Kidman, Courtney Love und Quentin Tarantino, die dann aber doch nicht erschienen. In Publikumsfilmen mit künstlerischem Anspruch wie Lungins "Hochzeit" oder Panfilows "Romanow"-Bilderbogen vermarktet Rußland als Farce oder Melodram seine exotische Kultur. Die staatlich getragene russische Filmindustrie ist tot, was durch die vielbetrauerte Liquidierung der Kinobehörde Goskino unlängst nur formalisiert wurde. Zugleich hält sich die Nomenklatur aus Sowjetzeiten zäh. Als Regisseur Lungin die Organisatoren dafür tadelte, daß sie die Presse in drei Klassen geteilt hatten, das gewöhnliche Volk vom Festival eher fernhielt, als es in die Kinos zu locken, und den größten Aufwand für Bankette und Auftritte der Prominenz trieb, mußte er sich unflätige Beschimpfungen gefallen lassen.
Dennoch sind die Meldungen vom Niedergang der russischen Kultur im allgemeinen und der Filmkunst im besonderen übertrieben. Zwar ist die "hohe" Kunst verarmt und einflußlos geworden, zumal niemand mehr Zeit hat, über den Sinn des Daseins nachzudenken. Doch dafür ist eine vitale Massenkultur entstanden. Statt existentieller Dramen produziert die darbende russische Filmindustrie Krimis und Gangsterfilme, von denen die neuesten Exemplare im Rahmenprogramm des Festivals im Moskauer Haus der Filmschaffenden präsentiert wurden. Das Land, in dem Gewalt immer schon eine so zentrale Rolle spielt und welches seine Untertanen vorzugsweise mit klassischem Ballett hiervon abzulenken suchte, entwickelt endlich seine eigene Mythologie der Gewalt. Dabei bleiben Mafiafilme die Ausnahme, die in offener Polemik gegen die moralisch didaktische Tradition das Böse ästhetisieren, indem sie in Bildern von rassigen Raubtierphysiognomien, glänzenden Limousinen und arrangierten Leichen schwelgen wie Alexander Atanesjans "24 Stunden". Der Standard-Thriller ist das bewährte Kinomärchen über die heutige Wirklichkeit, das dem einfachen Mann ein phantasmagorisches Vokabular an die Hand gibt, welches ihm hilft, im täglichen Daseinskampf seine Vorstellungen von Gut und Böse zu formulieren.
Traditionsverlust und Generationenbruch finden ihre archetypische Veranschaulichung im Motiv der verwaisten Heranwachsenden, das schon in der revolutionären Literatur der frühen Sowjetepoche grassierte. Die Helden des Thrillers "Der Scheck" von Boris Giller und Alexander Borodjanski sind zwei Halbbrüder, verlassene Söhne einer reichen Mutter, in deren Schicksal das Lebensgefühl einer ganzen Epoche im nachpaternalistischen Rußland zum Ausdruck kommt. Als athletischer Provinzbibliothekar und brilletragendes Computergenie verkörpern die beiden zudem Rußlands schlummerndes geistiges Potential. Da der junge Kybernetiker dringend eine Herzoperation im Ausland benötigt, hat der Onkel und einziger Protektor bei einem unsauberen staatlichen Waffengeschäft einen Scheck von Millionenwert beiseite gebracht, bei dessen Suche ihn Mafiakiller töten. Auf der Jagd nach dem kostbaren Papier muß das Duo Kämpfe mit Gangstern, gekauften Polizisten und mafiosen Geheimdienstlern bestehen, hinter denen sich wiederum eine böse Frau verbirgt: Die um des Geldes willen zur Mafia übergelaufene Polizistengattin ist nur eine Chiffre für die verräterische Mutter Heimat. Doch nach diversen komisch-brutalen Abenteuern und nachdem die gefallenen Männer - der korrupte Milizionär und der willensschwache Vater des kranken Kindes - ihre Schuld mit dem Heldentod gesühnt haben, ist die stiefmütterliche Macht gebrochen, und die guten Söhne triumphieren.
Das Paradebeispiel für die antierotische Stoßrichtung ist der zweite Film mit dem Titel "Brat" ("Bruder") von Alexej Balabanow, der noch schneller als der erste zu einem Kultfilm für die russische Jugend geworden ist, zumal der Regisseur versucht hat, Hollywood mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen. Um einen ermordeten Freund zu rächen und dessen in Amerika Hockey spielendem Bruder zu seinem Recht zu verhelfen, absolvieren die Helden eine Reihe von mit witzigen Repliken gewürzten Autojagden und Schießereien und lehren schließlich einen mafiosen Amerikaner, was russische Wehrhaftigkeit und Kameradschaft heißt.
Doch die Thrillerschablone verherrlicht kollektive Ideale, die von der russischen Sowjetnostalgie künden. Statt des amerikanischen Einzelkämpfers treten die positiven Russen als Bruderpaar auf, denen bei aller persönlichen Exzentrik oder amourösen Eskapaden die militärische Kameradschaft über alles geht. Daß die Helden ihre hochtechnisierten Verfolger in Moskau mit Schießgerät aus dem Zweiten Weltkrieg, ja dem russischen Bürgerkrieg besiegen, vergegenwärtigt nicht nur den Kriegszustand der Gesellschaft, sondern besiegelt die Überlegenheit der altmodischen Werte auch waffentechnisch. Die auffälligste Besonderheit ist jedoch, daß die Helden ihre Tötungsmission mit philosophischem Fatalismus erfüllen, untermalt von fallendem Herbstlaub und wehmütiger Musik, während ihre amerikanischen und sonstigen Gegenspieler sich durch hektische Geschäftigkeit auszeichnen. Als zwänge der Übermut der Heiden die friedliebenden Christen zum bewaffneten Widerstand, zitiert der im normalen Leben lyrisch verträumte Danila ein sowjetisches Kindergedicht über die Liebe zur Heimat und zu allen Menschen, als er zur letzten Abrechnung mit den amerikanischen Gangstern schreitet.
Wo die Erotik größeres Gewicht erhält und der Thriller zugleich Liebesschnulze ist, bleibt das Stammesprinzip in der Regel gewahrt. In dem Film "Die Guten und die Bösen" von Anatoli Artamonow und Dmitri Fix ziehen ein junger Mann und ein Mädchen, die sich seit der Kindheit lieben, aus ihrem Provinznest nach Moskau, um jeder für sich im Brutalkapitalismus Karriere zu machen. Mit den Klischeeberufen Fotomodell und Boxprofi versinnbildlichen die beiden die Situation einer Mehrheit ihrer Landsleute, die nur mit ihrem Körper Geld verdienen können. In ihrer Naivität werden sie beinahe Opfer hauptstädtischer Bösewichter, doch nachdem sie ihre Liebe wiederentdeckt haben, machen sie den Gangstern den Garaus und kehren als Mann und Frau in ihr Heimatkaff zurück.
Auf dem Humus der Thrillerproduktion gedeihen indes auch Filme, welche von diesem Prinzip abweichen und sich obendrein in die Sphäre echter Kunst aufschwingen. Ein Beispiel ist Wladimir Alenikows "Krieg der Prinzessin", eine Romeo-und-Julia-Geschichte in einer Moskauer Vorstadt im Jahr 2005. Mit der karikierenden beziehungsweise verniedlichenden Ästhetik und dem stark perspektivischen Bildaufbau von Comics imaginiert Alenikow eine antiutopische Ruinenlandschaft, wo die sich selbst überlassenen Kinder trunksüchtiger Eltern sich zu Banden formieren und ihre Zeit mit Drogenexperimenten und Überfällen totschlagen. Das "Prinzessin" genannte Engelchen aus dem russischen und der armenische Junge aus dem kaukasischen Viertel drücken ihre gegenseitige Liebe aus durch Diebstahl, Waffenbeschaffung und, stellvertretend für Amors Pfeil, Schießposen aus Computerspielen. Natürlich wird der Junge vom Kinderklan der Prinzessin erstochen, bevor beide aus der Normalhölle entfliehen können, und von der unerfüllbaren Liebesutopie bleibt nur eine Computeranimation.
Doch selbst die Fertigstellung des Filmes erscheint utopisch, weil sich Alenikow mit seinem Sponsor und Mitproduzenten überworfen hat - eine verbreitete Komplikation in der russischen Filmbranche. Während der frühere Partner an einer eigenen Version des Projektes arbeitet, konnte der Regisseur in Moskau nur eine Arbeitskopie seines Werkes vorführen, mit unkorrigiertem Licht, fehlenden Fotomontagen und ohne originale Musik. Wenn es zu keiner Einigung kommt, dürfte das kostbare Halbfabrikat in den schleppenden Mühlen der russischen Justiz untergehen.
KERSTIN HOLM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der Ruinenlandschaft der russischen Filmindustrie blüht der Gangster-Thriller
MOSKAU, im August
Endlich ist es dem Moskauer Filmfestival gelungen, dank Zuspruch der neuen Regierung seinen bisher eher nominellen A-Status auch dadurch zu bekräftigen, daß das Ereignis jährlich statt im Zweijahresrhythmus stattfinden soll. Rußland scheint seinem Ziel, als international anerkanntes Vollmitglied in der Gemeinde der führenden Filmnationen dazustehen, nähergerückt zu sein. Zwar waren von den Filmen des Wettbewerbs einige zuvor in Cannes zu sehen gewesen, und den Hauptpreisträger, Krzysztof Zanussis "Leben als eine unheilbare, sexuell übertragene Krankheit", hält niemand für ein Meisterwerk. Doch die stilistische Bandbreite der Beiträge und ihr durchgehend solides künstlerisches Niveau belegten eindeutig die Annäherung des Gastgeberlandes an den internationalen "Mainstream", wie die Kritik befand.
Die damit verbundene Anbiederung an den internationalen Kommerz ist freilich auch Quelle für Frustrationen. Wie in früheren Jahren wurden vor Beginn mit großem Pomp westliche Stars angekündigt, diesmal Nicole Kidman, Courtney Love und Quentin Tarantino, die dann aber doch nicht erschienen. In Publikumsfilmen mit künstlerischem Anspruch wie Lungins "Hochzeit" oder Panfilows "Romanow"-Bilderbogen vermarktet Rußland als Farce oder Melodram seine exotische Kultur. Die staatlich getragene russische Filmindustrie ist tot, was durch die vielbetrauerte Liquidierung der Kinobehörde Goskino unlängst nur formalisiert wurde. Zugleich hält sich die Nomenklatur aus Sowjetzeiten zäh. Als Regisseur Lungin die Organisatoren dafür tadelte, daß sie die Presse in drei Klassen geteilt hatten, das gewöhnliche Volk vom Festival eher fernhielt, als es in die Kinos zu locken, und den größten Aufwand für Bankette und Auftritte der Prominenz trieb, mußte er sich unflätige Beschimpfungen gefallen lassen.
Dennoch sind die Meldungen vom Niedergang der russischen Kultur im allgemeinen und der Filmkunst im besonderen übertrieben. Zwar ist die "hohe" Kunst verarmt und einflußlos geworden, zumal niemand mehr Zeit hat, über den Sinn des Daseins nachzudenken. Doch dafür ist eine vitale Massenkultur entstanden. Statt existentieller Dramen produziert die darbende russische Filmindustrie Krimis und Gangsterfilme, von denen die neuesten Exemplare im Rahmenprogramm des Festivals im Moskauer Haus der Filmschaffenden präsentiert wurden. Das Land, in dem Gewalt immer schon eine so zentrale Rolle spielt und welches seine Untertanen vorzugsweise mit klassischem Ballett hiervon abzulenken suchte, entwickelt endlich seine eigene Mythologie der Gewalt. Dabei bleiben Mafiafilme die Ausnahme, die in offener Polemik gegen die moralisch didaktische Tradition das Böse ästhetisieren, indem sie in Bildern von rassigen Raubtierphysiognomien, glänzenden Limousinen und arrangierten Leichen schwelgen wie Alexander Atanesjans "24 Stunden". Der Standard-Thriller ist das bewährte Kinomärchen über die heutige Wirklichkeit, das dem einfachen Mann ein phantasmagorisches Vokabular an die Hand gibt, welches ihm hilft, im täglichen Daseinskampf seine Vorstellungen von Gut und Böse zu formulieren.
Traditionsverlust und Generationenbruch finden ihre archetypische Veranschaulichung im Motiv der verwaisten Heranwachsenden, das schon in der revolutionären Literatur der frühen Sowjetepoche grassierte. Die Helden des Thrillers "Der Scheck" von Boris Giller und Alexander Borodjanski sind zwei Halbbrüder, verlassene Söhne einer reichen Mutter, in deren Schicksal das Lebensgefühl einer ganzen Epoche im nachpaternalistischen Rußland zum Ausdruck kommt. Als athletischer Provinzbibliothekar und brilletragendes Computergenie verkörpern die beiden zudem Rußlands schlummerndes geistiges Potential. Da der junge Kybernetiker dringend eine Herzoperation im Ausland benötigt, hat der Onkel und einziger Protektor bei einem unsauberen staatlichen Waffengeschäft einen Scheck von Millionenwert beiseite gebracht, bei dessen Suche ihn Mafiakiller töten. Auf der Jagd nach dem kostbaren Papier muß das Duo Kämpfe mit Gangstern, gekauften Polizisten und mafiosen Geheimdienstlern bestehen, hinter denen sich wiederum eine böse Frau verbirgt: Die um des Geldes willen zur Mafia übergelaufene Polizistengattin ist nur eine Chiffre für die verräterische Mutter Heimat. Doch nach diversen komisch-brutalen Abenteuern und nachdem die gefallenen Männer - der korrupte Milizionär und der willensschwache Vater des kranken Kindes - ihre Schuld mit dem Heldentod gesühnt haben, ist die stiefmütterliche Macht gebrochen, und die guten Söhne triumphieren.
Das Paradebeispiel für die antierotische Stoßrichtung ist der zweite Film mit dem Titel "Brat" ("Bruder") von Alexej Balabanow, der noch schneller als der erste zu einem Kultfilm für die russische Jugend geworden ist, zumal der Regisseur versucht hat, Hollywood mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen. Um einen ermordeten Freund zu rächen und dessen in Amerika Hockey spielendem Bruder zu seinem Recht zu verhelfen, absolvieren die Helden eine Reihe von mit witzigen Repliken gewürzten Autojagden und Schießereien und lehren schließlich einen mafiosen Amerikaner, was russische Wehrhaftigkeit und Kameradschaft heißt.
Doch die Thrillerschablone verherrlicht kollektive Ideale, die von der russischen Sowjetnostalgie künden. Statt des amerikanischen Einzelkämpfers treten die positiven Russen als Bruderpaar auf, denen bei aller persönlichen Exzentrik oder amourösen Eskapaden die militärische Kameradschaft über alles geht. Daß die Helden ihre hochtechnisierten Verfolger in Moskau mit Schießgerät aus dem Zweiten Weltkrieg, ja dem russischen Bürgerkrieg besiegen, vergegenwärtigt nicht nur den Kriegszustand der Gesellschaft, sondern besiegelt die Überlegenheit der altmodischen Werte auch waffentechnisch. Die auffälligste Besonderheit ist jedoch, daß die Helden ihre Tötungsmission mit philosophischem Fatalismus erfüllen, untermalt von fallendem Herbstlaub und wehmütiger Musik, während ihre amerikanischen und sonstigen Gegenspieler sich durch hektische Geschäftigkeit auszeichnen. Als zwänge der Übermut der Heiden die friedliebenden Christen zum bewaffneten Widerstand, zitiert der im normalen Leben lyrisch verträumte Danila ein sowjetisches Kindergedicht über die Liebe zur Heimat und zu allen Menschen, als er zur letzten Abrechnung mit den amerikanischen Gangstern schreitet.
Wo die Erotik größeres Gewicht erhält und der Thriller zugleich Liebesschnulze ist, bleibt das Stammesprinzip in der Regel gewahrt. In dem Film "Die Guten und die Bösen" von Anatoli Artamonow und Dmitri Fix ziehen ein junger Mann und ein Mädchen, die sich seit der Kindheit lieben, aus ihrem Provinznest nach Moskau, um jeder für sich im Brutalkapitalismus Karriere zu machen. Mit den Klischeeberufen Fotomodell und Boxprofi versinnbildlichen die beiden die Situation einer Mehrheit ihrer Landsleute, die nur mit ihrem Körper Geld verdienen können. In ihrer Naivität werden sie beinahe Opfer hauptstädtischer Bösewichter, doch nachdem sie ihre Liebe wiederentdeckt haben, machen sie den Gangstern den Garaus und kehren als Mann und Frau in ihr Heimatkaff zurück.
Auf dem Humus der Thrillerproduktion gedeihen indes auch Filme, welche von diesem Prinzip abweichen und sich obendrein in die Sphäre echter Kunst aufschwingen. Ein Beispiel ist Wladimir Alenikows "Krieg der Prinzessin", eine Romeo-und-Julia-Geschichte in einer Moskauer Vorstadt im Jahr 2005. Mit der karikierenden beziehungsweise verniedlichenden Ästhetik und dem stark perspektivischen Bildaufbau von Comics imaginiert Alenikow eine antiutopische Ruinenlandschaft, wo die sich selbst überlassenen Kinder trunksüchtiger Eltern sich zu Banden formieren und ihre Zeit mit Drogenexperimenten und Überfällen totschlagen. Das "Prinzessin" genannte Engelchen aus dem russischen und der armenische Junge aus dem kaukasischen Viertel drücken ihre gegenseitige Liebe aus durch Diebstahl, Waffenbeschaffung und, stellvertretend für Amors Pfeil, Schießposen aus Computerspielen. Natürlich wird der Junge vom Kinderklan der Prinzessin erstochen, bevor beide aus der Normalhölle entfliehen können, und von der unerfüllbaren Liebesutopie bleibt nur eine Computeranimation.
Doch selbst die Fertigstellung des Filmes erscheint utopisch, weil sich Alenikow mit seinem Sponsor und Mitproduzenten überworfen hat - eine verbreitete Komplikation in der russischen Filmbranche. Während der frühere Partner an einer eigenen Version des Projektes arbeitet, konnte der Regisseur in Moskau nur eine Arbeitskopie seines Werkes vorführen, mit unkorrigiertem Licht, fehlenden Fotomontagen und ohne originale Musik. Wenn es zu keiner Einigung kommt, dürfte das kostbare Halbfabrikat in den schleppenden Mühlen der russischen Justiz untergehen.
KERSTIN HOLM
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