Sy Parrish, Leiter der Fotoabteilung in einem Supermarkt, macht - wie jeden Tag - seinen Job. Doch heute ist ein besonderer Tag. Denn Nina Yorkin, eine treue Kundin, holt wieder einmal die fotografischen Beweise ihres glücklichen Familienlebens ab, die Sy wie immer mit besonderer Sorgfalt entwickelt hat. Die attraktive Mitdreißigerin ahnt nicht, dass der freundliche Mann hinter dem Ladentisch seit Jahren ihre Fotos heimlich vervielfältigt und bei sich daheim an der Wohnzimmerwand - akribisch aneinander gereiht - aufhängt. So weiß Sy so ziemlich alles über Nina, ihren sympathischen Sohn Jake und Ehemann Will. Als Sy eines Tages dahinter kommt, dass Will Yorkin seine Frau betrügt und damit sein Idealbild der Familie mit einem Mal zerstört ist, reift in ihm ein mörderischer Plan: Er beschließt, die betrogene Nina zu rächen ...
Bonusmaterial
- Audio-Kommentar von Mark Romanek und Robin Williams - Cinemax Featurette - Charlie Rose Show - Making-of: Anatomie einer SzeneFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2003Aus dem Entwicklerbad
Manieristisch: Mark Romaneks Film "One Hour Photo"
Je zwei Abzüge der Schnappschüsse vom Kindergeburtstag hat die Kundin an der Fototheke des Großmarkts bestellt. Sy Parrish macht drei: zwei für Nina Yorkin (Connie Nielsen), einen für sich. In seinem Junggesellen-Apartment hat Sy eine eigene Wand für die Fotos der Yorkins reserviert: Strandidyll, junge Liebe, Mutterschaft, das Baby, Urlaub, Freunde, Küche, Garten, Haus. Eine heile Kleinfamilienwelt, eine Geschichte vom Durchschnittsglück, an der Sy als unsichtbarer Vierter teilnimmt. Gern läßt er sich von dem kleinen Sohn der Yorkins "Onkel Sy" nennen. Bis er es eines Tages mit der Anteilnahme übertreibt.
Robin Williams ist Sy Parrish. Daß Williams neben den Lachnummern, mit denen er gewaltigen Erfolg hatte, auch ernstere Kinorollen zu spielen imstande ist, konnte man zuletzt in Christopher Nolans "Insomnia" sehen; der psychopathische Mörder und Schriftsteller, den er dort verkörperte, war eine Art wilderer Bruder von Sy. Der Fotothekenmann hat seinen Dämon dagegen im Entwicklergerät begraben; seine ganze Lust liegt im Auge, mit dem er die Filmabzüge der Yorkins und, durch den Sucher seiner Autofokus-Kamera, bald auch das Zerbrechen ihrer Ehe beobachtet. Als Sy, dessen kleine Betrügereien sich im Lauf der Zeit zu größeren Posten summiert haben, aus dem Großmarkt entlassen wird, richtet sich seine Aggression gegen Ninas fremdgehenden Ehemann. Da die Wirklichkeit ihrem Bild nicht mehr entspricht, macht er sich daran, sie gewaltsam zu retuschieren - erst auf der Fototapete, dann, im dramatischen Showdown, auch im Leben.
Mark Romanek, der Regisseur von "One Hour Photo", hat nach seinem Debüt mit "Static" (1985) fünfzehn Jahre lang Videoclips gedreht: für Madonna, R.E.M., die Nine Inch Nails und viele andere. Für seine Rückkehr zur Leinwand hat er sich, wie vor zwei Jahren Tarsem Singh mit "The Cell", das Schwierigste überhaupt vorgenommen - Starkino mit künstlerischen Mitteln, oder besser: Kunstkino mit Stars zu machen. Romanek wollte sofort in die Meisterliga aufsteigen, und vielleicht liegt es daran, daß sein Film, aller oberflächlichen Virtuosität zum Trotz, insgesamt so schülerhaft wirkt. "One Hour Photo" ist ein Kubrickfilm ohne Kubrick: eine Geschichte über den Wahnsinn des Blicks, der die Kraft fehlt, dem Wahnsinn ins Auge zu blicken.
Das fängt bei Robin Williams an, der hier viele seiner Manierismen aus früheren Filmen - die hängenden Schultern aus "Garp", die Verkniffenheit des "Bicentennial Man", die Bonhomie eines "Patch Adams" - hintereinander auflegt, als wisse er selbst nicht genau, welche Pose zu seinem Helden paßt, und hört bei den Schauplätzen auf, die immer ein wenig zu ausgedacht wirken. Daß das Fotolabor mit seiner Vermischung von Intimität und Öffentlichkeit einer der interessantesten filmischen Orte überhaupt ist, wissen wir spätestens seit der Schlußepisode in Altmans "Short Cuts", aber bei Romanek wirkt es seltsamerweise nicht bildmächtig genug, um die Flachheit der Figuren, die alle auf die zentrale Handlungsidee zugeschnitten sind, ausgleichen zu können. So ist dieser im Kleinen überaus virtuose Film an fast allen entscheidenden Stellen unscharf, wie ein Foto, das mit falsch eingestelltem Zoom aufgenommen wurde. Die Farben, die Räume, die Ausstattung sind perfekt, aber es fehlt der Funke, der das Drumherum in Bewegung bringt. Was sich Sy Parrish nie erlaubt hätte, ist seinem Regisseur passiert: Er hat den Film zu früh aus dem Entwicklerbad genommen.
ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manieristisch: Mark Romaneks Film "One Hour Photo"
Je zwei Abzüge der Schnappschüsse vom Kindergeburtstag hat die Kundin an der Fototheke des Großmarkts bestellt. Sy Parrish macht drei: zwei für Nina Yorkin (Connie Nielsen), einen für sich. In seinem Junggesellen-Apartment hat Sy eine eigene Wand für die Fotos der Yorkins reserviert: Strandidyll, junge Liebe, Mutterschaft, das Baby, Urlaub, Freunde, Küche, Garten, Haus. Eine heile Kleinfamilienwelt, eine Geschichte vom Durchschnittsglück, an der Sy als unsichtbarer Vierter teilnimmt. Gern läßt er sich von dem kleinen Sohn der Yorkins "Onkel Sy" nennen. Bis er es eines Tages mit der Anteilnahme übertreibt.
Robin Williams ist Sy Parrish. Daß Williams neben den Lachnummern, mit denen er gewaltigen Erfolg hatte, auch ernstere Kinorollen zu spielen imstande ist, konnte man zuletzt in Christopher Nolans "Insomnia" sehen; der psychopathische Mörder und Schriftsteller, den er dort verkörperte, war eine Art wilderer Bruder von Sy. Der Fotothekenmann hat seinen Dämon dagegen im Entwicklergerät begraben; seine ganze Lust liegt im Auge, mit dem er die Filmabzüge der Yorkins und, durch den Sucher seiner Autofokus-Kamera, bald auch das Zerbrechen ihrer Ehe beobachtet. Als Sy, dessen kleine Betrügereien sich im Lauf der Zeit zu größeren Posten summiert haben, aus dem Großmarkt entlassen wird, richtet sich seine Aggression gegen Ninas fremdgehenden Ehemann. Da die Wirklichkeit ihrem Bild nicht mehr entspricht, macht er sich daran, sie gewaltsam zu retuschieren - erst auf der Fototapete, dann, im dramatischen Showdown, auch im Leben.
Mark Romanek, der Regisseur von "One Hour Photo", hat nach seinem Debüt mit "Static" (1985) fünfzehn Jahre lang Videoclips gedreht: für Madonna, R.E.M., die Nine Inch Nails und viele andere. Für seine Rückkehr zur Leinwand hat er sich, wie vor zwei Jahren Tarsem Singh mit "The Cell", das Schwierigste überhaupt vorgenommen - Starkino mit künstlerischen Mitteln, oder besser: Kunstkino mit Stars zu machen. Romanek wollte sofort in die Meisterliga aufsteigen, und vielleicht liegt es daran, daß sein Film, aller oberflächlichen Virtuosität zum Trotz, insgesamt so schülerhaft wirkt. "One Hour Photo" ist ein Kubrickfilm ohne Kubrick: eine Geschichte über den Wahnsinn des Blicks, der die Kraft fehlt, dem Wahnsinn ins Auge zu blicken.
Das fängt bei Robin Williams an, der hier viele seiner Manierismen aus früheren Filmen - die hängenden Schultern aus "Garp", die Verkniffenheit des "Bicentennial Man", die Bonhomie eines "Patch Adams" - hintereinander auflegt, als wisse er selbst nicht genau, welche Pose zu seinem Helden paßt, und hört bei den Schauplätzen auf, die immer ein wenig zu ausgedacht wirken. Daß das Fotolabor mit seiner Vermischung von Intimität und Öffentlichkeit einer der interessantesten filmischen Orte überhaupt ist, wissen wir spätestens seit der Schlußepisode in Altmans "Short Cuts", aber bei Romanek wirkt es seltsamerweise nicht bildmächtig genug, um die Flachheit der Figuren, die alle auf die zentrale Handlungsidee zugeschnitten sind, ausgleichen zu können. So ist dieser im Kleinen überaus virtuose Film an fast allen entscheidenden Stellen unscharf, wie ein Foto, das mit falsch eingestelltem Zoom aufgenommen wurde. Die Farben, die Räume, die Ausstattung sind perfekt, aber es fehlt der Funke, der das Drumherum in Bewegung bringt. Was sich Sy Parrish nie erlaubt hätte, ist seinem Regisseur passiert: Er hat den Film zu früh aus dem Entwicklerbad genommen.
ANDREAS KILB
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