Anna Maria (Maria Hofstätter) ist mit Leib und Seele Katholikin. Sie rutscht auf Knien betend durch die Wohnung, ihr Haus hat mehr Kruzifixe als eine Kirche und zur Strafe für fremde Sünden peitscht sie sich gern mal aus. Selbst mit ins Bett nimmt Anna Maria ihren Jesus. Ihren Urlaub verbringt sie damit, eine Wandermuttergottes-Statue von Haus zu Haus zu bringen, um Einwanderer vom christlichen Paradies zu überzeugen. Und Österreich wieder katholisch zu machen.
Eines Tages kehrt ihr Ehemann Nabil (Nabil Saleh), ein im Rollstuhl sitzender Moslem, nach Jahren der Abwesenheit aus Ägypten zurück. Ein Kleinkrieg um Ehe und Religion beginnt. Während Nabil Kruzifixe und Papst-Ikonen von den Wänden pflückt und seine Rechte als Ehemann einfordert, besprüht Anna Maria ihn mit Weihwasser. Ihr Glauben wird auf eine harte Probe gestellt. Denn die Sehnsucht nach körperlicher Nähe bringt Anna Maria und ihre fanatische Mission doch an ihre Grenzen.
Eines Tages kehrt ihr Ehemann Nabil (Nabil Saleh), ein im Rollstuhl sitzender Moslem, nach Jahren der Abwesenheit aus Ägypten zurück. Ein Kleinkrieg um Ehe und Religion beginnt. Während Nabil Kruzifixe und Papst-Ikonen von den Wänden pflückt und seine Rechte als Ehemann einfordert, besprüht Anna Maria ihn mit Weihwasser. Ihr Glauben wird auf eine harte Probe gestellt. Denn die Sehnsucht nach körperlicher Nähe bringt Anna Maria und ihre fanatische Mission doch an ihre Grenzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2013Wer glaubt, wird selig?
"Paradies: Glaube" von Ulrich Seidl seziert eine Frau
Anna zieht ihr Kleid aus, legt den BH ab, kniet sich vor ein Kruzifix und beginnt, sich zu geißeln. Immer wieder lässt sie die Peitsche auf den nackten Rücken niedersausen, betet einen Rosenkranz nach dem anderen dabei und ist offenbar ganz bei sich. Bei sich und bei Jesus, der vor ihr am Kreuz hängt und der in ihrem Leben der Mann ist, dem sie dienen will. Dass es noch einen anderen gibt, einen, mit dem sie verheiratet ist, der querschnittsgelähmt nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt und, wenn er betet, Allah anruft, erfahren wir erst sehr viel später. Anna dachte, sie sei ihn los. Doch eines Tages sitzt er in seinem Rollstuhl in ihrer Küche und fordert, was ein Ehemann von seiner Frau in bestimmten Kreisen in Wien offenbar immer noch von seiner Frau zu fordern gewohnt ist. Selbst wenn er aus Ägypten kommt.
In Ulrich Seidls "Paradies"-Trilogie bildet "Glaube" den Mittelteil. Wir sind Anna Maria bereits im ersten Teil, "Paradies: Liebe" (F.A.Z. vom 3. Januar), begegnet, als sie für ihre Schwester Teresa, die auf dem Weg nach Kenia war, Tochter und Kater in Obhut nahm. Der Kater taucht in "Glaube" auf, Annas Nichte aber ist offenbar schon im Diätcamp, wo wir ihr im abschließenden Segment "Hoffnung" wiederbegegnen werden. "Glaube" gehört ganz Anna, ihren Geißelungen, ihren Gebetskreisen und ihrer Mission, in ihrem Urlaub mit einer Wander-Maria durch die Sozialbauten am Rande Wiens zu tingeln, um Österreich wieder katholisch zu machen - so kommt sie zu einem "in Sünde" lebenden Paar, einem Mann in Unterhosen, der nichts wegwerfen kann, und einer osteuropäischen Prostituierten, die eine Menge trinkt. Ihnen allen verkündet sie die Liebe Jesu, doch bei fast niemandem findet sie wirklich Gehör.
Maria Hofstätter spielt diese Anna Maria mit allem, was sie hat, an körperlicher Härte und der Fähigkeit zur Hingabe, und doch kann sie sich dem letztlich verachtenden Blick des Regisseurs auf diese fundamental Gläubige, deren Gottesliebe ebenso eine Angst- wie eine Sehnsuchtsbewegung ist, nicht entziehen. Wir schütteln den Kopf, wenn wir ihr dabei zusehen, wie sie auf Knien durch ihre Wohnung rutscht oder eines Nachts das Kruzifix vom Haken und mit unter die Bettdecke nimmt, wir lachen sie aus, wenn sie im Park, angezogen von orgiastischen Geräuschen, eine Gruppensexparty beobachtet und flieht, wir stehen so weit über ihr und neben ihr wie der Regisseur, der unsere Blicke leitet.
Von Anfang an zeigt er nur Entblößte. Teresa begann ihren Urlaub in "Paradies: Liebe", nachdem wir sie mit einer Gruppe Behinderter gesehen hatten, die Autoscooter fahren - sie ist ihre Betreuerin. Anna beginnt ihren Urlaub, nachdem wir sie im Krankenhaus beobachtet haben, wie sie dicke Männer in CT-Röhren schob und schwere Brüste in einen Mammographieapparat quetschte - sie ist Röntgenassistentin. Seidl ist immer nah dran am Ausbeutungskino, und in "Glaube" ist er mittendrin. Sein Blick ist letztlich ein pornographischer. Nur ab und zu blitzt hier ein Bild auf, das auf einen anderen Film verweist, einen, den Seidl hätte drehen können und nicht wollte. Etwa nach der Sexszene im Park, wenn Anna in Panik zur Bushaltestelle läuft, während ein Gewitter aufzieht und sich schwarze Wolken im Nachthimmel türmen - da erzählt uns ein Bild von einer komplexen Verzweiflung und Verwirrung, aus der auch Jesus keinen Ausweg bietet. Sonst aber erzählen Seidls Bilder vor allem von einer verklemmten Frau mit welker Haut.
Die "Paradies"-Trilogie ist Trilogie nur aus Not, ursprünglich sollte das Material in einem Film gebündelt sein. Wer alle drei Filme hintereinander sehen kann, sollte das tun - sie verändern sich, wenn man die Dauer spürt und die Reihenfolge einhält. Nach "Paradies: Liebe" gesehen, mag der Teil "Glaube" eine größere Dringlichkeit entfalten als ein weiterer Versuch einer Frau, mit diesem Leben, den eigenen Sehnsüchten, den Männern und der Zeit klarzukommen. Was aber bleibt, ist auch dann der Blick von Seidl, den jede Frau und fast jeder Mann fürchten müssen.
VERENA LUEKEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Paradies: Glaube" von Ulrich Seidl seziert eine Frau
Anna zieht ihr Kleid aus, legt den BH ab, kniet sich vor ein Kruzifix und beginnt, sich zu geißeln. Immer wieder lässt sie die Peitsche auf den nackten Rücken niedersausen, betet einen Rosenkranz nach dem anderen dabei und ist offenbar ganz bei sich. Bei sich und bei Jesus, der vor ihr am Kreuz hängt und der in ihrem Leben der Mann ist, dem sie dienen will. Dass es noch einen anderen gibt, einen, mit dem sie verheiratet ist, der querschnittsgelähmt nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt und, wenn er betet, Allah anruft, erfahren wir erst sehr viel später. Anna dachte, sie sei ihn los. Doch eines Tages sitzt er in seinem Rollstuhl in ihrer Küche und fordert, was ein Ehemann von seiner Frau in bestimmten Kreisen in Wien offenbar immer noch von seiner Frau zu fordern gewohnt ist. Selbst wenn er aus Ägypten kommt.
In Ulrich Seidls "Paradies"-Trilogie bildet "Glaube" den Mittelteil. Wir sind Anna Maria bereits im ersten Teil, "Paradies: Liebe" (F.A.Z. vom 3. Januar), begegnet, als sie für ihre Schwester Teresa, die auf dem Weg nach Kenia war, Tochter und Kater in Obhut nahm. Der Kater taucht in "Glaube" auf, Annas Nichte aber ist offenbar schon im Diätcamp, wo wir ihr im abschließenden Segment "Hoffnung" wiederbegegnen werden. "Glaube" gehört ganz Anna, ihren Geißelungen, ihren Gebetskreisen und ihrer Mission, in ihrem Urlaub mit einer Wander-Maria durch die Sozialbauten am Rande Wiens zu tingeln, um Österreich wieder katholisch zu machen - so kommt sie zu einem "in Sünde" lebenden Paar, einem Mann in Unterhosen, der nichts wegwerfen kann, und einer osteuropäischen Prostituierten, die eine Menge trinkt. Ihnen allen verkündet sie die Liebe Jesu, doch bei fast niemandem findet sie wirklich Gehör.
Maria Hofstätter spielt diese Anna Maria mit allem, was sie hat, an körperlicher Härte und der Fähigkeit zur Hingabe, und doch kann sie sich dem letztlich verachtenden Blick des Regisseurs auf diese fundamental Gläubige, deren Gottesliebe ebenso eine Angst- wie eine Sehnsuchtsbewegung ist, nicht entziehen. Wir schütteln den Kopf, wenn wir ihr dabei zusehen, wie sie auf Knien durch ihre Wohnung rutscht oder eines Nachts das Kruzifix vom Haken und mit unter die Bettdecke nimmt, wir lachen sie aus, wenn sie im Park, angezogen von orgiastischen Geräuschen, eine Gruppensexparty beobachtet und flieht, wir stehen so weit über ihr und neben ihr wie der Regisseur, der unsere Blicke leitet.
Von Anfang an zeigt er nur Entblößte. Teresa begann ihren Urlaub in "Paradies: Liebe", nachdem wir sie mit einer Gruppe Behinderter gesehen hatten, die Autoscooter fahren - sie ist ihre Betreuerin. Anna beginnt ihren Urlaub, nachdem wir sie im Krankenhaus beobachtet haben, wie sie dicke Männer in CT-Röhren schob und schwere Brüste in einen Mammographieapparat quetschte - sie ist Röntgenassistentin. Seidl ist immer nah dran am Ausbeutungskino, und in "Glaube" ist er mittendrin. Sein Blick ist letztlich ein pornographischer. Nur ab und zu blitzt hier ein Bild auf, das auf einen anderen Film verweist, einen, den Seidl hätte drehen können und nicht wollte. Etwa nach der Sexszene im Park, wenn Anna in Panik zur Bushaltestelle läuft, während ein Gewitter aufzieht und sich schwarze Wolken im Nachthimmel türmen - da erzählt uns ein Bild von einer komplexen Verzweiflung und Verwirrung, aus der auch Jesus keinen Ausweg bietet. Sonst aber erzählen Seidls Bilder vor allem von einer verklemmten Frau mit welker Haut.
Die "Paradies"-Trilogie ist Trilogie nur aus Not, ursprünglich sollte das Material in einem Film gebündelt sein. Wer alle drei Filme hintereinander sehen kann, sollte das tun - sie verändern sich, wenn man die Dauer spürt und die Reihenfolge einhält. Nach "Paradies: Liebe" gesehen, mag der Teil "Glaube" eine größere Dringlichkeit entfalten als ein weiterer Versuch einer Frau, mit diesem Leben, den eigenen Sehnsüchten, den Männern und der Zeit klarzukommen. Was aber bleibt, ist auch dann der Blick von Seidl, den jede Frau und fast jeder Mann fürchten müssen.
VERENA LUEKEN
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