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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2024

Mobbende Massen
ELTVILLE Sommerliche Johannespassion mit Masaaki Suzuki in Kloster Eberbach

Bachs Johannespassion mitten im Sommer, dargeboten von Gästen aus Japan? Schon im Orchestervorspiel zum Eingangschor spürte man, dass bei Masaaki Suzukis Konzert beim Rheingau Musik Festival ein Könner am Pult stand. Auf historischen Instrumenten schuf das von ihm 1990 gegründete Bach Collegium Japan eine gischtende Brandung aus Trauer, Wut und leidenschaftlicher Liebe. Fernab der für die Aufführung von Passionen üblichen Jahreszeit und solchermaßen vollends aus der liturgischen Bindung genommen, ließ sich das Werk auch rein weltlich betrachten. Etwa, wie von rein egoistischen Motiven getriebene Massen einen Menschen zu Tode mobben, der nicht bereit ist, seine Überzeugungen zu verleugnen.

In der Basilika von Kloster Eberbach wurde dieser Mensch verkörpert durch Christian Immler. Sein schlichtes, mit enormer Körperspannung vorgebrachtes "Ich bin's" ließ erstarren, im nächsten Moment wurde man wieder bewegt. Über den gesamten Abend hinweg schien Immler genau zu wissen, was er sang, ohne sich gefühlsmäßig darin zu verlieren. Mit distanzierter Würde vermittelte er überzeugend, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist, wobei sein Bassbariton auch in himmlisch zarten Höhen die Vergangenheit im Tölzer Knabenchor anklingen ließ.

Suzuki wurde 1954 in eine Minderheit japanischer evangelischer Christen hineingeboren, in der die Bindung an die Religion und ihre Musik ganz besonders eng war. Zum Studium ging er an die Wiege der historisch informierten Aufführungspraxis, zu Ton Koopman nach Amsterdam. Mit seinem Chor und Orchester umfassenden Ensemble hat er eine Gesamteinspielung von Bachs Kantaten vorgelegt.

Die gute Schulung des Chores zeigte sich in plastisch herausgemeißelten Themenköpfen oder dem Wechsel von scharf abphrasierten zu schwingenden Motiven. Die bittere Ironie und das Heuchlerische, das in manchen Chorsätzen liegt, sind für Nichtmuttersprachler wohl kaum zu vermitteln. Dafür gelangen die ahnungslosen Einwürfe "Wohin? Wohin?" zur Bassarie "Eilt, ihr angefocht'nen Seelen" aufs Herrlichste. Ein echter Gänsehautmoment war der Choral unter der Bassarie "Mein theurer Heiland".

Nicht alle von Bach auskomponierten Affekte schienen gänzlich gelungen, so Geißeln und Weinen, aber alle Gesangssolisten überzeugten mit aufrichtigem Einsatz. Mit Ausnahme des viel beschäftigten Evangelisten Benjamin Bruns sangen sie auch im Chor mit. Alexander Chance verstärkte darin den Bass und gab am Bühnenrand den Altus. Wunderbar abstrakt gelang ihm die Arie "Es ist vollbracht". Zur atmosphärischen Untermalung hatte der Cellist Emmanuel Balssa zur Gambe gegriffen. Geradezu außerirdisch gestalteten Flöten, Krummhörner und Kontrafagott den Zustand nach dem Erdbeben. Klangschön und weitgehend intonationssicher agierte die Sopranistin Carolyn Sampson mitunter hart am Rande opernhafter Theatralik. Der Tenor Shimon Yoshida schien ein wenig zu sehr von abendländischer Gefühlsseligkeit inspiriert, während er stimmlich mit bruchlosen Schwelltönen überzeugte. "Wir mussten das Tempo immer wieder zurücknehmen, damit die Akustik unser knackiges Müsli nicht zu Brei macht", sagte Immler nach dem Konzert. Der Nachhall des Schlusschorals sorgte für eine tiefe innere Ruhe. DORIS KÖSTERKE

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