Ein schrecklicher Reitunfall bringt das geordnete Leben der New Yorker Redakteurin Annie (Kristin Scott Thomas) und ihrer Familie aus dem Gleichgewicht. Die 14jährige Grace wird dabei schwer verletzt und trägt auch seelisch große Wunden davon. Ihr Pferd Pilgrim überlebt nur knapp, ist völlig verstört und läßt keinen Menschen mehr an sich heran. Annie weiß, daß ihre Tochter nur über das Pferd wieder Anschluß an ein normales Leben und ihre Familie finden kann. Deshalb entschließt sie sich, die Hilfe eines Pferdeflüsterers in Anspruch zu nehmen - jemand, der die verletzte Tierseele heilen kann - und stößt dabei auf Tom Booker (Robert Redford). Um den Einzelgänger zu treffen, macht sie sich mit Grace und Pilgrim auf die lange Reise von New York nach Montana, geleitet von der Hoffnung, daß Booker dem Pferd und damit ihrer Tochter helfen wird. Aber was sie dort erleben, verändert nicht nur das Leben ihrer Tochter...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.1998Schau einem schönen Pferd nicht zu tief in die Augen
Cowboy mit Nebenwirkungen: "Der Pferdeflüsterer" von und mit Robert Redford im Kino
Von allen Filmen Robert Redfords ist "Der Pferdeflüsterer" wohl jener, der dem Schauspieler und Regisseur vom Thema her am nächsten steht. Deshalb hat er mit seiner eigenen goldenen Regel gebrochen und führt diesmal nicht nur Regie und produziert, sondern ist auch Hauptdarsteller. Er ist allgegenwärtig - und doch nicht da: Robert Redford hat sich in seinem neuen Projekt auf eine spirituelle Reise begeben, von der er noch nicht in die profane Wirklichkeit des Films zurückgekehrt ist. Er wirkt leblos, bloß eine Hülle. Das wettergegerbte Gesicht ähnelt einer Maske, auch wenn das blonde Haar ihm wie eh und je in die Stirn fällt. Nur die Augen haben noch den alten Glanz, wenn er den Blick über die Prärien Montanas schweifen läßt. Redfords mangelnde Präsenz macht seine eigene Besetzung zur Schwäche gerade dieses Films.
Er erwarb schon, bevor der Autor den ersten Entwurf fertiggestellt hatte, die Rechte an dem Roman von Nicholas Evans, einem früher erfolglosen Drehbuchschreiber, den jemand boshaft den Mann nannte, der auszog, ein Buch zu schreiben, damit es anschließend verfilmt werden könnte. Wie sich nun herausstellt, war es ein Fehler, das Buch zu kaufen, ohne sein Ende zu kennen.
Beim Erzählen der Geschichte hält sich Redford zunächst sehr genau an die Romanvorlage. Die Personen sind im wesentlichen dieselben wie im Buch: Annie MacLean (Kristin Scott Thomas), ehrgeizige britische Chefredakteurin eines New Yorker Hochglanz-Magazins, hat nicht nur ihre Angestellten, sondern auch die eigene Familie voll im Griff - ihren Mann Robert (Sam Neill) und die vierzehnjährige Tochter Grace (Scarlett Johansson). Sie leben, umgeben von minimalistischem Chic, in einem Apartment in Manhattan und besitzen das obligatorische Wochenendhaus auf dem Land. Doch weder Annies Betriebsamkeit noch die äußere Perfektion können die Defizite des Familienlebens kaschieren.
Auf einem wintermorgendlichen Ausritt hat Grace einen schweren Unfall mit ihrem Pferd Pilgrim, bei dem Judith, ihre beste Freundin, ums Leben kommt. Grace muß ein Teil des Beins abgenommen werden, und Pilgrim ist so stark verletzt, daß die Tierärztin dazu rät, das Tier einschläfern zu lassen. Doch Annie spürt, daß die Wunden ihrer Tochter und die des Pferdes nur gemeinsam heilen können, und willigt nicht ein. Statt dessen begibt sie sich auf die Suche nach jemandem, der dem verstörten Pferd helfen kann, damit Pilgrim Grace eines Tages wieder erlaubt, ihn zu reiten. Schließlich stößt sie auf Tom Booker (Robert Redford), den man den "Pferdeflüsterer" nennt wegen seiner Fähigkeit, traumatisierte Pferde zu heilen. Als Booker sich weigert, nach New York zu kommen, packt sich Annie kurzentschlossen Pferd und Tochter und bringt Pilgrim eigenmächtig nach Montana, fährt einmal quer durch Amerika in der vagen Hoffnung, am Ende der Reise in Tom Booker die Lösung ihrer Probleme zu finden. Der Mann, der nicht "Menschen mit Pferdeproblemen, sondern Pferden mit Menschenproblemen" helfen will, enttäuscht sie natürlich nicht.
Gesprochen wird wenig - beredt sind vor allem die Blicke, die ausgetauscht und auch vermieden werden: Der Augenkontakt zwischen Mann und Frau, Mutter und Tochter, Mensch und Pferd bestimmt die Kameraführung. Das macht die deutsche Synchronisation allerdings auch nicht besser. Einzig die Märchenerzählerstimme Redfords scheint zu "stimmen". Wenn aber Annie im Krankenhaus mit wütenden Aktionismus ihren Schock und ihre Hilflosigkeit überspielen will und den Arzt sarkastisch fragt, welches Bein er ihrer Tochter denn abgenommen habe, wirkt ihr Ansinnen im Deutschen geradezu plausibel.
In den bewegendsten Momenten des Films ist Redford abwesend. Sie werden bestimmt von der wieder mal hinreißenden Kristin Scott Thomas, die der komplexen Figur der Annie Intelligenz, Beherrschung und Verletzlichkeit verleiht. Und für einige seiner Änderungen der Liebesgeschichte zwischen Annie und Tom Booker muß man Redford dankbar sein. Er erspart den Zuschauern die teilweise peinlichen Liebesszenen, mit denen das Buch gegen Ende seine Leser abstößt. Redford kehrt den Gentleman im Cowboy hervor, und zeigt stellvertretend für alle Liebesszenen einen einzigen Kuß und einen Tanz, der das - unerfüllt bleibende - Begehren besser zum Ausdruck bringt, als es jeder Vollzug der Sehnsucht vermöchte.
Wenn er an Redfords eigene Leidenschaften rührt, ist der Film bewegend: Bei Toms intensiver Arbeit mit dem verstörten Pilgrim kann man sich fast an die Legende von Orpheus erinnert fühlen, der mit den Tieren in ihren Sprache reden konnte. Wenn auch überpsychologisiert, vermag Redford das Tier doch als Vermittler zwischen dem Mensch und seinem Ursprung zu zeigen. Beeindruckend sind auch die Landschaftsaufnahmen von Robert Richardson, lichtdurchflutete Breitwand-Cinematographie. Das Porträt der Familie Booker entspricht ganz dem Klischee der einfachen, naturverbundenen, harmonischen Familie weitab von den korrumpierenden Einflüssen der modernen Welt, Lichtjahre entfernt von Fast food und High-Tech.
Mißglückt ist die Darstellung jener Beziehungen, die Redford selbst wohl auch am wenigsten interessierten: Das problematische, gespannte Verhältnis zwischen der vermeintlich starken, dominanten Annie und ihrer wütenden, trotzigen, völlig verunsicherten Tochter Grace hätte man sich ausführlicher gewünscht, ebenso das zwischen Annie und ihrem Mann Robert. Die Verwandlung der Großstadtpflanze Annie in ein Cowgirl, das auf einmal nur noch so leben will wie Tom, nachdem sie kurz zuvor auf der Unverzichtbarkeit des Stadtlebens beharrte, vollzieht sich zu glatt, zu reibungslos - die im Film implizite Begründung, daß jede Frau dorthin gehen würde, wo ein philosophierender Cowboy wie Tom Booker alias Robert Redford zu Hause ist, reicht nicht aus.
Redford ist älter geworden. Das ist keine Schande, und er sucht es auch nicht zu verbergen. Mit zunehmender Erfahrung ist aber auch seine Legende runzliger geworden. Seine Talente als Regisseur hat er zuletzt mit "Quiz Show" und "Aus der Mitte entspringt ein Fluß" bewiesen, in denen jedoch auch zu sehen war, daß es nicht zu seinen Stärken gehört, Gefühle zu inszenieren. Das Bild des sensiblen Rinderhirten, der Pferde heilen kann, bekommt einen Knacks, wenn er Pilgrim mit Gewalt zu verstehen geben will, was Grace erlitten hat - das Brechen des Pferdewillens ist fast zu realistisch für den Film, in dem der Cowboy sonst eher die Ruhe eines Zen-Buddhisten verströmt. Aber das Lasso wirft Redford mit unnachahmlicher Eleganz und Lässigkeit. FELICITAS VON LOVENBERG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Cowboy mit Nebenwirkungen: "Der Pferdeflüsterer" von und mit Robert Redford im Kino
Von allen Filmen Robert Redfords ist "Der Pferdeflüsterer" wohl jener, der dem Schauspieler und Regisseur vom Thema her am nächsten steht. Deshalb hat er mit seiner eigenen goldenen Regel gebrochen und führt diesmal nicht nur Regie und produziert, sondern ist auch Hauptdarsteller. Er ist allgegenwärtig - und doch nicht da: Robert Redford hat sich in seinem neuen Projekt auf eine spirituelle Reise begeben, von der er noch nicht in die profane Wirklichkeit des Films zurückgekehrt ist. Er wirkt leblos, bloß eine Hülle. Das wettergegerbte Gesicht ähnelt einer Maske, auch wenn das blonde Haar ihm wie eh und je in die Stirn fällt. Nur die Augen haben noch den alten Glanz, wenn er den Blick über die Prärien Montanas schweifen läßt. Redfords mangelnde Präsenz macht seine eigene Besetzung zur Schwäche gerade dieses Films.
Er erwarb schon, bevor der Autor den ersten Entwurf fertiggestellt hatte, die Rechte an dem Roman von Nicholas Evans, einem früher erfolglosen Drehbuchschreiber, den jemand boshaft den Mann nannte, der auszog, ein Buch zu schreiben, damit es anschließend verfilmt werden könnte. Wie sich nun herausstellt, war es ein Fehler, das Buch zu kaufen, ohne sein Ende zu kennen.
Beim Erzählen der Geschichte hält sich Redford zunächst sehr genau an die Romanvorlage. Die Personen sind im wesentlichen dieselben wie im Buch: Annie MacLean (Kristin Scott Thomas), ehrgeizige britische Chefredakteurin eines New Yorker Hochglanz-Magazins, hat nicht nur ihre Angestellten, sondern auch die eigene Familie voll im Griff - ihren Mann Robert (Sam Neill) und die vierzehnjährige Tochter Grace (Scarlett Johansson). Sie leben, umgeben von minimalistischem Chic, in einem Apartment in Manhattan und besitzen das obligatorische Wochenendhaus auf dem Land. Doch weder Annies Betriebsamkeit noch die äußere Perfektion können die Defizite des Familienlebens kaschieren.
Auf einem wintermorgendlichen Ausritt hat Grace einen schweren Unfall mit ihrem Pferd Pilgrim, bei dem Judith, ihre beste Freundin, ums Leben kommt. Grace muß ein Teil des Beins abgenommen werden, und Pilgrim ist so stark verletzt, daß die Tierärztin dazu rät, das Tier einschläfern zu lassen. Doch Annie spürt, daß die Wunden ihrer Tochter und die des Pferdes nur gemeinsam heilen können, und willigt nicht ein. Statt dessen begibt sie sich auf die Suche nach jemandem, der dem verstörten Pferd helfen kann, damit Pilgrim Grace eines Tages wieder erlaubt, ihn zu reiten. Schließlich stößt sie auf Tom Booker (Robert Redford), den man den "Pferdeflüsterer" nennt wegen seiner Fähigkeit, traumatisierte Pferde zu heilen. Als Booker sich weigert, nach New York zu kommen, packt sich Annie kurzentschlossen Pferd und Tochter und bringt Pilgrim eigenmächtig nach Montana, fährt einmal quer durch Amerika in der vagen Hoffnung, am Ende der Reise in Tom Booker die Lösung ihrer Probleme zu finden. Der Mann, der nicht "Menschen mit Pferdeproblemen, sondern Pferden mit Menschenproblemen" helfen will, enttäuscht sie natürlich nicht.
Gesprochen wird wenig - beredt sind vor allem die Blicke, die ausgetauscht und auch vermieden werden: Der Augenkontakt zwischen Mann und Frau, Mutter und Tochter, Mensch und Pferd bestimmt die Kameraführung. Das macht die deutsche Synchronisation allerdings auch nicht besser. Einzig die Märchenerzählerstimme Redfords scheint zu "stimmen". Wenn aber Annie im Krankenhaus mit wütenden Aktionismus ihren Schock und ihre Hilflosigkeit überspielen will und den Arzt sarkastisch fragt, welches Bein er ihrer Tochter denn abgenommen habe, wirkt ihr Ansinnen im Deutschen geradezu plausibel.
In den bewegendsten Momenten des Films ist Redford abwesend. Sie werden bestimmt von der wieder mal hinreißenden Kristin Scott Thomas, die der komplexen Figur der Annie Intelligenz, Beherrschung und Verletzlichkeit verleiht. Und für einige seiner Änderungen der Liebesgeschichte zwischen Annie und Tom Booker muß man Redford dankbar sein. Er erspart den Zuschauern die teilweise peinlichen Liebesszenen, mit denen das Buch gegen Ende seine Leser abstößt. Redford kehrt den Gentleman im Cowboy hervor, und zeigt stellvertretend für alle Liebesszenen einen einzigen Kuß und einen Tanz, der das - unerfüllt bleibende - Begehren besser zum Ausdruck bringt, als es jeder Vollzug der Sehnsucht vermöchte.
Wenn er an Redfords eigene Leidenschaften rührt, ist der Film bewegend: Bei Toms intensiver Arbeit mit dem verstörten Pilgrim kann man sich fast an die Legende von Orpheus erinnert fühlen, der mit den Tieren in ihren Sprache reden konnte. Wenn auch überpsychologisiert, vermag Redford das Tier doch als Vermittler zwischen dem Mensch und seinem Ursprung zu zeigen. Beeindruckend sind auch die Landschaftsaufnahmen von Robert Richardson, lichtdurchflutete Breitwand-Cinematographie. Das Porträt der Familie Booker entspricht ganz dem Klischee der einfachen, naturverbundenen, harmonischen Familie weitab von den korrumpierenden Einflüssen der modernen Welt, Lichtjahre entfernt von Fast food und High-Tech.
Mißglückt ist die Darstellung jener Beziehungen, die Redford selbst wohl auch am wenigsten interessierten: Das problematische, gespannte Verhältnis zwischen der vermeintlich starken, dominanten Annie und ihrer wütenden, trotzigen, völlig verunsicherten Tochter Grace hätte man sich ausführlicher gewünscht, ebenso das zwischen Annie und ihrem Mann Robert. Die Verwandlung der Großstadtpflanze Annie in ein Cowgirl, das auf einmal nur noch so leben will wie Tom, nachdem sie kurz zuvor auf der Unverzichtbarkeit des Stadtlebens beharrte, vollzieht sich zu glatt, zu reibungslos - die im Film implizite Begründung, daß jede Frau dorthin gehen würde, wo ein philosophierender Cowboy wie Tom Booker alias Robert Redford zu Hause ist, reicht nicht aus.
Redford ist älter geworden. Das ist keine Schande, und er sucht es auch nicht zu verbergen. Mit zunehmender Erfahrung ist aber auch seine Legende runzliger geworden. Seine Talente als Regisseur hat er zuletzt mit "Quiz Show" und "Aus der Mitte entspringt ein Fluß" bewiesen, in denen jedoch auch zu sehen war, daß es nicht zu seinen Stärken gehört, Gefühle zu inszenieren. Das Bild des sensiblen Rinderhirten, der Pferde heilen kann, bekommt einen Knacks, wenn er Pilgrim mit Gewalt zu verstehen geben will, was Grace erlitten hat - das Brechen des Pferdewillens ist fast zu realistisch für den Film, in dem der Cowboy sonst eher die Ruhe eines Zen-Buddhisten verströmt. Aber das Lasso wirft Redford mit unnachahmlicher Eleganz und Lässigkeit. FELICITAS VON LOVENBERG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main