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4 MEISTERWERKE AUS DEN SECHZIGERN von einem der wichtigsten europäischen Regisseure ("Mama Roma", "120 Tage von Sodom", etc.) inkl. der Dokumentation "Der sanfte Radikale" und mehrseitigem Booklet mit vielen Hintergrundtexten sowie Interviews (die Jon Halliday-Gespräche)
Bonusmaterial
Beil.: Booklet

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Produktbeschreibung
4 MEISTERWERKE AUS DEN SECHZIGERN von einem der wichtigsten europäischen Regisseure ("Mama Roma", "120 Tage von Sodom", etc.) inkl. der Dokumentation "Der sanfte Radikale" und mehrseitigem Booklet mit vielen Hintergrundtexten sowie Interviews (die Jon Halliday-Gespräche)

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Beil.: Booklet
Autorenporträt
Pier Paolo Pasolini, geboren 1922 in Bologna, war Schriftsteller, Filmregisseur und Kritiker. Er lebte in Casarsa (Friaul), verlor wegen obszöner Handlungen in der Öffentlichkeit seine Stelle als Lehrer und zog 1950 nach Rom. Er wurde 1975 ermordet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2014

Ein Liebesdebakel

Wie kann man einen Künstler lieben und sich weder für sein Werk noch für seine Politik interessieren? Abel Ferraras Film "Pasolini" macht es vor.

VENEDIG, 4. September

Spätestens nach einer Stunde glaubt man dem Piranhagesicht von Willem Dafoe definitiv kein Wort mehr, wenn er Interviewantworten und Texte von Pier Paolo Pasolini aufsagt. Man denkt: Ja, du hast eine der schönsten Männerstimmen im Gegenwartskino, einen einschmeichelnd schlanken Bass, selbst dein Schnaufen klingt bedeutungsvoll, aber das ist doch alles nicht wahr. Obwohl der Schauspieler die getönte Sonnenbrille mit Würde trägt, obwohl das schwarzgefärbte Haar ihm steht - es hilft nichts, die Rolle bleibt so, wie der Film sie will, unspielbar. Dafür kann Dafoe nichts. Sein Regisseur Abel Ferrara sattelt ihm eine schreckliche Last auf, indem er dauernd behauptet: So wie diese straffe Knittermaske sieht man aus, wenn man genial ist.

Blödsinn. Leute, die aussehen wie das, was sie sein sollen, sind viel seltener, als sich das Filme über berühmte Menschen einreden. Man nennt sie Models oder Schauspieler, ihr Broterwerb ist kein ehrenrühriger. Aber wie konnte Ferrara glauben, Pasolini habe zu dieser Schar gehört? Nur weil er schön war? Der Film beginnt mit einem Gespräch, in dem ein Journalist den Helden fragt, ob er sich als Dichter, Schauspieler, Regisseur oder was sonst sehe, und jener antwortet: In meinem Pass steht einfach "Autor".

Also geht es doch nicht ums Gesicht, sondern um Texte? Wir sehen die Schreibmaschine, die Kamera guckt immer wieder mal nach, ob sie noch da ist und genug Aura hat, schließlich wird sie nach dem Tod des Helden zu seinen Hinterlassenschaften gehören, die der Film sachte streift, um sich zu verabschieden. Aber was Dafoe an dieser Schreibmaschine macht, ist eben nicht schreiben im Sinne von "etwas erschaffen, an dem ein Publikum lesend, also vereinzelt, teilnimmt", sondern tippen - etwas Mechanisches, das zu beobachten übrigens grauenhaft öde ist.

Damit wir trotzdem erfahren, was da geschrieben wird, wendet der Regisseur zweierlei gleichermaßen treuherzige Methoden an: Er lässt Dafoe, erstens, aus dem Off sprechen, damit wir uns aufs Hörbuch zum Film freuen. Zweitens aber werden einige Denkbilder Pasolinis nachinszeniert, mit Schauspielern, als Filmchen im Film. Vor diesem zweiten Trick hätte Ferrara eigentlich auch durch Pasolini selbst gewarnt sein müssen - das, was jener schrieb, einfach in Bildern nachzuerzählen tut so, als hätte Pasolini nie die Worte geschrieben: "Das Erzählen ist tot. Wir trauern. Was ich hier schreibe, ist keine Erzählung, sondern ein Gleichnis. Seine Bedeutung ist exakt die der Beziehung eines Autors zu der Form, die er erzeugt."

Das Zitat wird einmal von Dafoe auf Englisch, einmal von einer anderen Figur auf Italienisch vorgetragen. Wie kommt es, dass Ferrara es missachtet? Wie kommt es, dass er dem Mann nicht zuhört, dessen Tod er darstellt wie Mel Gibson die Leiden Jesu, nämlich als Körperkontaktleiden eines Übermenschen an der menschlichen Niedrigkeit?

Im Eingangsinterview behauptet Pasolini, überhaupt alles sei politisch - mag sein, mag auch falsch sein, aber Ferraras Film ist wohl der unpolitischste, der sich über Pasolini überhaupt machen ließ. Es gab in Italien "damals" offenbar nur ein paar undeutliche politische Morde, ein paar in Zeitlupe heruntergescrollte Zeitungsspalten, ein bisschen dicke Luft. Über Kommunisten wird kurz gespottet; es scheint welche im Osten zu geben. Macht nichts, man kann sich für die politischen Ansichten eines Künstlers ja weniger interessieren als für die ästhetischen. Aber dann darf man doch nicht auch noch seine Ästhetik vollständig ignorieren!

Wie kann man so vernagelt sein, die feine Gesellschaft, über die aus dem Off die wunderbare Volker-Lechtenbrink-Schmusestimme des Hauptdarstellers einige hochpräzise Beobachtungen zum Besten gibt, in der Aufnahme, die sie zuerst präsentiert, ausgerechnet von oben zu filmen, also in einer Einstellung, die über sie moralisiert, sich über sie erhebt, statt diesen Menschen in die von Besitzerstolz verhärteten Gesichter zu schauen, wie Pasolini es wollte?

Jeder Gedanke des Mannes, den Ferrara liebt, wird hier mit solcher Kaltschnäuzigkeit dementiert, dass man ins Jammern geraten will, was der Film wenigstens vermeidet und nur ein paar Frauen zuschiebt, die am Ende über den Dahingerafften klagen dürfen. Aber ist es nicht ein Rätsel, wie man einen Künstler lieben kann und sich für die Parameter seiner Werkgestalt so wenig interessieren? Des Rätsels Lösung liegt im Wort "lieben". Ferrara ist es um den Mann zu tun, nicht um den Künstler.

Der Mann ist zwar, das sagt der Film andauernd, ein Genie, aber das heißt nur, dass seine Männlichkeit eben nicht in Machismo und Muskeln sitzt, sondern in einer ganz besonders sensiblen Disposition, im Empfinden und Ahnen. Deshalb rückt Ferrara dem Menschen, dessen Denken er so fern steht, dauernd so zudringlich auf den Leib: das Genie unter der Dusche. Das Genie im Bademantel. Das Genie hebt ein Baby hoch und knuddelt es. Das Genie fährt im Auto durch die Nacht und liest einen Stricher auf, der dann erst mal rührend zum Essen eingeladen und ausgefragt wird, denn ein Sensibler wie Ferraras Pasolini will nicht einfach Sex, er will den anderen Menschen spüren (man müsste das, so unbeholfen wird es schließlich in einer der tapsigen Softsex-Szenen des Films präsentiert, mit drei "ü" schreiben: spüüüren). Dazu passen die Opernmusik, die Kondolenzkarten-Typographie der Titelsequenz, die nackten Männerstatuen vor melancholischem Himmel.

Auch furchtbar: Was sich dieser Film unter Homosexualität vorstellt, ist so freudlos und stumpf wie seine Genie-Prämisse - man muss nicht explizit werden, um Sexuelles ernster zu nehmen, als es sich hier im fahrigen Vorbeischmuddeln ereignet. Wird die Rechnung aufgehen? Wird Italien die Liebe erwidern, die dieser Kitsch einem seiner größten Söhne anträgt? Und die Jury? Man hat schon lustigeres Scheitern mit Preisen belohnt.

DIETMAR DATH

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