Im Nordosten Schwedens, in der Stadt Vittula, träumen die beiden Freunde Matti (Niklas Ulfvarson, Max Enderfors) und Niila (Tommy Vallikari, Andreas af Enehjelm) in den 1960er Jahren von der großen weiten Welt. Von Südschweden, Stockholm, Paris und China. Als eines Tages eine Beatles-Single in ihr Leben platzt, verspüren sie die atemberaubende Verheißung der Freiheit - Rock´n Roll. Doch Musik gilt in Vittula als der Inbegriff der Unmännlichkeit. Matti und Niila bleiben jedoch hartnäckig und bekommen mit dem südschwedischen Musiklehrer Greger (Björn Kjellman) einen cleveren Verbündeten...
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kinotrailer - Kapitel- / Szenenanwahl - Animiertes DVD-Menü - DVD-Menü mit Soundeffekten - Ausführliches BookletFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2006Schwedischer Grenzlandfilm: "Populärmusik aus Vittula"
Wenn Matti und Niila die Gitarre zupfen und den Violinbogen schwingen, haben sie es geschafft. Vergessen sind die Demütigungen der Väter, der dumpfe Geist der Siedlung am nordöstlichen Rand Schwedens, wo der Fortschritt nur zögernd Einzug hält. Vor allem Niila hatte viel zu leiden. Einmal zwang ihn sein Vater, einen großen Haufen Holz zu hacken, nur um damit die Gitarre des Jungen zu verbrennen. Niila ist viel geschlagen worden, bis er eines Tages zurückschlug. Die Mutter (seit langem sieht man wieder einmal die aus Kaurismäki-Filmen bekannte Kati Outlinen) schaute streng, stumm und machtlos zu.
Aber nun sind die Beatles in Vittula, womit Pajalla nahe der finnischen Grenze gemeint ist, angekommen. Ein couragierter Musiklehrer aus Stockholm hat der Jugendband an der Schule den nötigen Freiraum verschafft. Die Alten wollen sich auch nicht dem Zug der Zeit verweigern und dulden die wilden Liverpool-Imitatoren als Unterhaltung bei ihren alkoholgesättigten Vereinstreffen. Niila kann trotzdem nicht vergessen und geht eines Tages auf und davon. Das ist beinahe alles, was der schwedische Film "Populärmusik aus Vittula", frei nach dem gleichnamigen Roman von Mikael Niemi, erzählt. Um so reicher ist er an ausschmückenden Details und urwüchsigen Nebenfiguren wie dem Großvater, der in den Sechzigern, als die beiden Freunde noch Kinder sind, auf den Kommunismus schwört, obwohl er weiß: "Das Leben ist Kälte und Schmerz" - oder gerade deshalb.
Das bleibt jedoch ebenso Folklore wie die Figur des unglücklichen Hausierers, der die pubertierenden Jungen vergeblich zu verführen sucht, oder wie eine reife Dame vom Tanzboden, der dies mit Niila besser gelingt. Es passiert eine Menge in dem in seiner Heimat sehr erfolgreichen dritten Spielfilm von Reza Bagher. So ist das Leben, scheint er immer wieder zu sagen, und er meint das zum Glück nicht allzu ernst. Der von schwedischen Kritikern gezogene Vergleich mit Ingmar Bergmans Alterswerk "Fanny und Alexander" indes schmeichelt Baghers Kinoerzählung gewaltig, geht doch der protestantische Geist, der Bergmans Figuren noch in der kräftig genossenen Sünde ausfüllt, Baghers Kinoerzählung völlig ab.
Aus Iran, das er 1975 im Alter von siebzehn Jahren verließ, hat der Regisseur den Zorn auf alle Spielarten des religiösen Fundamentalismus mitgebracht. Jarmo Mäkinen in der Rolle von Niilas Vater, dessen Schatten den Sohn wohl bis an sein Lebensende verfolgen wird, hat es nicht leicht, gegen dieses Verdikt anzuspielen. Anziehender, weil problemlos, sind die zu Typen geronnenen Nachbarn in dieser zwischen Wald und Wiese wie verloren hingestreuten Siedlung. Einwohner von Pavala haben den Nebenfiguren zu Farbe und Opulenz verholfen. Warme Sympathie ziehen Max Enderfoos und Andreas Af Enehiel als am Ende doch zertrennliches Freundespaar auf sich. Ohne sie wäre der Kinospaß nur Folklore und Unterhaltung geworden. Die rätselhafte Rahmenhandlung, in der der gealterte Niila (oder jemand anders?) im Hochgebirge die Asche eines Freundes über den Schnee streut und beim Versuch, eine Eisenplatte zu küssen, mit der Zunge kleben bleibt, stammt vielleicht aus einem anderen Film.
HANS-JÖRG ROTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn Matti und Niila die Gitarre zupfen und den Violinbogen schwingen, haben sie es geschafft. Vergessen sind die Demütigungen der Väter, der dumpfe Geist der Siedlung am nordöstlichen Rand Schwedens, wo der Fortschritt nur zögernd Einzug hält. Vor allem Niila hatte viel zu leiden. Einmal zwang ihn sein Vater, einen großen Haufen Holz zu hacken, nur um damit die Gitarre des Jungen zu verbrennen. Niila ist viel geschlagen worden, bis er eines Tages zurückschlug. Die Mutter (seit langem sieht man wieder einmal die aus Kaurismäki-Filmen bekannte Kati Outlinen) schaute streng, stumm und machtlos zu.
Aber nun sind die Beatles in Vittula, womit Pajalla nahe der finnischen Grenze gemeint ist, angekommen. Ein couragierter Musiklehrer aus Stockholm hat der Jugendband an der Schule den nötigen Freiraum verschafft. Die Alten wollen sich auch nicht dem Zug der Zeit verweigern und dulden die wilden Liverpool-Imitatoren als Unterhaltung bei ihren alkoholgesättigten Vereinstreffen. Niila kann trotzdem nicht vergessen und geht eines Tages auf und davon. Das ist beinahe alles, was der schwedische Film "Populärmusik aus Vittula", frei nach dem gleichnamigen Roman von Mikael Niemi, erzählt. Um so reicher ist er an ausschmückenden Details und urwüchsigen Nebenfiguren wie dem Großvater, der in den Sechzigern, als die beiden Freunde noch Kinder sind, auf den Kommunismus schwört, obwohl er weiß: "Das Leben ist Kälte und Schmerz" - oder gerade deshalb.
Das bleibt jedoch ebenso Folklore wie die Figur des unglücklichen Hausierers, der die pubertierenden Jungen vergeblich zu verführen sucht, oder wie eine reife Dame vom Tanzboden, der dies mit Niila besser gelingt. Es passiert eine Menge in dem in seiner Heimat sehr erfolgreichen dritten Spielfilm von Reza Bagher. So ist das Leben, scheint er immer wieder zu sagen, und er meint das zum Glück nicht allzu ernst. Der von schwedischen Kritikern gezogene Vergleich mit Ingmar Bergmans Alterswerk "Fanny und Alexander" indes schmeichelt Baghers Kinoerzählung gewaltig, geht doch der protestantische Geist, der Bergmans Figuren noch in der kräftig genossenen Sünde ausfüllt, Baghers Kinoerzählung völlig ab.
Aus Iran, das er 1975 im Alter von siebzehn Jahren verließ, hat der Regisseur den Zorn auf alle Spielarten des religiösen Fundamentalismus mitgebracht. Jarmo Mäkinen in der Rolle von Niilas Vater, dessen Schatten den Sohn wohl bis an sein Lebensende verfolgen wird, hat es nicht leicht, gegen dieses Verdikt anzuspielen. Anziehender, weil problemlos, sind die zu Typen geronnenen Nachbarn in dieser zwischen Wald und Wiese wie verloren hingestreuten Siedlung. Einwohner von Pavala haben den Nebenfiguren zu Farbe und Opulenz verholfen. Warme Sympathie ziehen Max Enderfoos und Andreas Af Enehiel als am Ende doch zertrennliches Freundespaar auf sich. Ohne sie wäre der Kinospaß nur Folklore und Unterhaltung geworden. Die rätselhafte Rahmenhandlung, in der der gealterte Niila (oder jemand anders?) im Hochgebirge die Asche eines Freundes über den Schnee streut und beim Versuch, eine Eisenplatte zu küssen, mit der Zunge kleben bleibt, stammt vielleicht aus einem anderen Film.
HANS-JÖRG ROTHER
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