Nach globaler Erwärmung und ökologischem Ungleichgewicht, trifft das heutige Japan die nächste Naturkatastrophe. Zunächst erlebt ein Fischerboot in der Tokyo Bay eine unheimliche Begegnung mit einer ominösen und gewaltigen Kreatur aus dem Meer. Das mysteriöse, saurierähnliche Monster Reiga ist aus dem Ozean evolviert und greift die Stadt Asakusa an.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2023Im Sturm des Auges
Im chinesischen Animationsfilm "Deep Sea" taucht Regisseur Tian Xiaopeng in einen tobenden Ozean aus Farben und Gefühlen
Wohl dem, der nach dieser infernalischen Überunterseefahrt noch hören und sehen kann. Der chinesische Regisseur und 3-D-Animator Tian Xiaopeng wirbelt die Welt des Animationsfilms mit seinem Werk "Deep Sea" (Shen Hai) gewaltig durcheinander. Bunt und laut - und dann vor allem wieder bunt geht es zu in diesem Film, der es dem Publikum nicht leicht macht; auch weil er so von sich berauscht ist, sich auf den eigenen Wellen davonträgt und den Zuschauer ebenso wie die Protagonistin allein auf hoher See zurücklässt.
Shenxiu (Wang Tingwen), ein ebenso schüchternes wie gutmütiges und tieftrauriges Mädchen, macht mit ihrem Vater, der Stiefmutter und ihrem jüngeren Halbbruder eine Kreuzfahrt, auf der sich alles um den kleinen Bruder, aber kaum je um sie dreht. Die leibliche Mutter ist fern, ein finales Geheimnis umgibt sie, der Kontakt über das Smartphone schwer, zuletzt gar unerwünscht.
Zu allem Überfluss hat Shenxiu auch noch Geburtstag. Doch niemanden interessiert's. Dann geht sie bei einem Sturm über Bord. Gelockt von einem Fabelwesen, genannt "Hyjings", einem schwarzblubbernden Blob voller Augen, der ein wenig nach länger nicht gereinigtem Duschabfluss aussieht, von dem Shenxiu jedoch überzeugt ist, er-sie-es könne sie zu ihrer Mutter führen. Zunächst aber führt es sie zu einer Art Kapitän Nemo der Kulinarik, zum Koch Nanhe (Su Xin), der mit seinem turbinenbetriebenen "Tiefseerestaurant" sowohl der Nautilus als auch Paul Bocuse Konkurrenz macht. Auch Nanhe leidet, nämlich unter den schlechten Bewertungen seiner geschuppten, wohlstandsverwahrlosten Kundschaft, die seine Experimentalküche verschmäht und dafür maximal einen von fünf Sternen auf einschlägigen Bewertungsportalen vergibt. Das stetig "Sag, wie findest du's" schreiende Smartphone macht auch vor phantastischen Welten nicht halt.
Praktisch, dass nun Shenxiu zusammen mit der Hyjings angespült wird - lässt sich doch aus Letzterer eine berauschende Nudelsuppe zubereiten, nach der sich Nanhes Kunden bald wie hypnotisiert verzehren. Shenxiu verspricht er, das Wuselwesen wieder freizulassen, sobald er fünf Sterne gesammelt hat.
Aufregend an "Deep Sea" ist, dass der Film voller Möglichkeiten steckt und man als Zuschauer erst nicht ahnt, wohin die Reise geht. Als das "Tiefseerestaurant", dessen Form und Inhalt sich stetig zu verändern scheinen, zum ersten Mal auftaucht, erinnert es stark an das sich auftürmende Badehaus aus Hayao Miyazakis "Chihiros Reise ins Zauberland". Die tierische Besatzung - Walrosse als Köche oder in knack-enger Badehose als Maschinisten sowie possierliche Otter als Kellner - und das Mädchen in der Anderswelt verstärken den Eindruck der ästhetisch-erzählerischen Verwandtschaft.
Doch damit hat es sich. In "Deep Sea" geht es um überwältigende Schauwerte (CG-Kamera: Cheng Mazhiyuan); wieder und wieder braut Xiaopeng Mahlströme aus Farben zusammen - mal körnig, wie aus buntem, besessenem Sand gestaltet, der wogt, wabert und fließt - und dann wieder glatt, glänzend und gleichzeitig organisch: Es kleckert, brodelt, blubbert, schmiert, klatscht, schmaddert, schlürft und schlotzt, dass sich die Planken biegen - während die Figuren blasser werden. Dabei wird der tricksterhafte Nanhe - rauchend und trinkend - mit einer solch übertriebenen Mimik ausgestattet, dass man fast den hastigen Gongschlag einer Peking-Oper zu hören meint.
Was ihn antreibt, bleibt hinter der Gummi-Gag-Maske verborgen. Shenxiu wiederum bleibt vor allem eines: traurig und eindimensional. Zu Beginn bricht einem ihr verzweifeltes "Mama, Mama, wo bist du" noch fast das Herz. Irgendwann wird man ungeduldig. An dieser entscheidenden Stelle fehlt es "Deep Sea" an erzählerischem Geschick, das heißt an Figuren, die mehr zu sagen haben. Denn die unwirsche Reaktion auf diese anhaltende Trauer antizipiert der Film: Im Trauermoment rückt (ausgerechnet) das "rote Phantom" an, ein gesichtsloser, zerstörerischer Koloss, der aussieht, als bestünde er aus bebendem Erdbeergelee. Zusammenhänge saufen im rasanten Wechsel von Ort und Zeit, Oberfläche und Tauchgang, Dialog und Gesangseinlage (Musik: Dou Peng) ab. Regimekritik, Konsumkritik, übergeordnete Gesellschaftskritik - für alles lassen sich Belege finden, die kommen und gehen wie vorgespulte Gezeiten.
Sein Geheimnis gibt der Film erst gegen Ende preis, da ist der Zuschauer schon allein durch den akustisch-optischen Bombast erschüttert, weniger durch die erratisch vor sich hin mäandernde Geschichte. Zwar gibt es eine Art Aha-Effekt, der alles in ein anderes Licht rückt und rätselhafte Szenen erklärt. Doch kommt man kaum umhin zu bemerken, dass man an dieser Stelle schwer betroffen sein sollte - es aber nicht ist. Dazu hätte es Momente des Innehaltens und des Loslassens gebraucht. Stattdessen wird das Publikum kontinuierlich gepackt und mitgerissen. Man ahnt nur: Irgendwo, ganz tief unten muss es diesen Punkt geben, an dem die See unendlich still und dunkel ist; und an dem das Erkennen mit einem Druck von 1000 Bar auf einem lastet. Dorthin hat sich auch Tian Xiaopeng nicht getraut. Schade. Er war auf gutem Kurs. AXEL WEIDEMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im chinesischen Animationsfilm "Deep Sea" taucht Regisseur Tian Xiaopeng in einen tobenden Ozean aus Farben und Gefühlen
Wohl dem, der nach dieser infernalischen Überunterseefahrt noch hören und sehen kann. Der chinesische Regisseur und 3-D-Animator Tian Xiaopeng wirbelt die Welt des Animationsfilms mit seinem Werk "Deep Sea" (Shen Hai) gewaltig durcheinander. Bunt und laut - und dann vor allem wieder bunt geht es zu in diesem Film, der es dem Publikum nicht leicht macht; auch weil er so von sich berauscht ist, sich auf den eigenen Wellen davonträgt und den Zuschauer ebenso wie die Protagonistin allein auf hoher See zurücklässt.
Shenxiu (Wang Tingwen), ein ebenso schüchternes wie gutmütiges und tieftrauriges Mädchen, macht mit ihrem Vater, der Stiefmutter und ihrem jüngeren Halbbruder eine Kreuzfahrt, auf der sich alles um den kleinen Bruder, aber kaum je um sie dreht. Die leibliche Mutter ist fern, ein finales Geheimnis umgibt sie, der Kontakt über das Smartphone schwer, zuletzt gar unerwünscht.
Zu allem Überfluss hat Shenxiu auch noch Geburtstag. Doch niemanden interessiert's. Dann geht sie bei einem Sturm über Bord. Gelockt von einem Fabelwesen, genannt "Hyjings", einem schwarzblubbernden Blob voller Augen, der ein wenig nach länger nicht gereinigtem Duschabfluss aussieht, von dem Shenxiu jedoch überzeugt ist, er-sie-es könne sie zu ihrer Mutter führen. Zunächst aber führt es sie zu einer Art Kapitän Nemo der Kulinarik, zum Koch Nanhe (Su Xin), der mit seinem turbinenbetriebenen "Tiefseerestaurant" sowohl der Nautilus als auch Paul Bocuse Konkurrenz macht. Auch Nanhe leidet, nämlich unter den schlechten Bewertungen seiner geschuppten, wohlstandsverwahrlosten Kundschaft, die seine Experimentalküche verschmäht und dafür maximal einen von fünf Sternen auf einschlägigen Bewertungsportalen vergibt. Das stetig "Sag, wie findest du's" schreiende Smartphone macht auch vor phantastischen Welten nicht halt.
Praktisch, dass nun Shenxiu zusammen mit der Hyjings angespült wird - lässt sich doch aus Letzterer eine berauschende Nudelsuppe zubereiten, nach der sich Nanhes Kunden bald wie hypnotisiert verzehren. Shenxiu verspricht er, das Wuselwesen wieder freizulassen, sobald er fünf Sterne gesammelt hat.
Aufregend an "Deep Sea" ist, dass der Film voller Möglichkeiten steckt und man als Zuschauer erst nicht ahnt, wohin die Reise geht. Als das "Tiefseerestaurant", dessen Form und Inhalt sich stetig zu verändern scheinen, zum ersten Mal auftaucht, erinnert es stark an das sich auftürmende Badehaus aus Hayao Miyazakis "Chihiros Reise ins Zauberland". Die tierische Besatzung - Walrosse als Köche oder in knack-enger Badehose als Maschinisten sowie possierliche Otter als Kellner - und das Mädchen in der Anderswelt verstärken den Eindruck der ästhetisch-erzählerischen Verwandtschaft.
Doch damit hat es sich. In "Deep Sea" geht es um überwältigende Schauwerte (CG-Kamera: Cheng Mazhiyuan); wieder und wieder braut Xiaopeng Mahlströme aus Farben zusammen - mal körnig, wie aus buntem, besessenem Sand gestaltet, der wogt, wabert und fließt - und dann wieder glatt, glänzend und gleichzeitig organisch: Es kleckert, brodelt, blubbert, schmiert, klatscht, schmaddert, schlürft und schlotzt, dass sich die Planken biegen - während die Figuren blasser werden. Dabei wird der tricksterhafte Nanhe - rauchend und trinkend - mit einer solch übertriebenen Mimik ausgestattet, dass man fast den hastigen Gongschlag einer Peking-Oper zu hören meint.
Was ihn antreibt, bleibt hinter der Gummi-Gag-Maske verborgen. Shenxiu wiederum bleibt vor allem eines: traurig und eindimensional. Zu Beginn bricht einem ihr verzweifeltes "Mama, Mama, wo bist du" noch fast das Herz. Irgendwann wird man ungeduldig. An dieser entscheidenden Stelle fehlt es "Deep Sea" an erzählerischem Geschick, das heißt an Figuren, die mehr zu sagen haben. Denn die unwirsche Reaktion auf diese anhaltende Trauer antizipiert der Film: Im Trauermoment rückt (ausgerechnet) das "rote Phantom" an, ein gesichtsloser, zerstörerischer Koloss, der aussieht, als bestünde er aus bebendem Erdbeergelee. Zusammenhänge saufen im rasanten Wechsel von Ort und Zeit, Oberfläche und Tauchgang, Dialog und Gesangseinlage (Musik: Dou Peng) ab. Regimekritik, Konsumkritik, übergeordnete Gesellschaftskritik - für alles lassen sich Belege finden, die kommen und gehen wie vorgespulte Gezeiten.
Sein Geheimnis gibt der Film erst gegen Ende preis, da ist der Zuschauer schon allein durch den akustisch-optischen Bombast erschüttert, weniger durch die erratisch vor sich hin mäandernde Geschichte. Zwar gibt es eine Art Aha-Effekt, der alles in ein anderes Licht rückt und rätselhafte Szenen erklärt. Doch kommt man kaum umhin zu bemerken, dass man an dieser Stelle schwer betroffen sein sollte - es aber nicht ist. Dazu hätte es Momente des Innehaltens und des Loslassens gebraucht. Stattdessen wird das Publikum kontinuierlich gepackt und mitgerissen. Man ahnt nur: Irgendwo, ganz tief unten muss es diesen Punkt geben, an dem die See unendlich still und dunkel ist; und an dem das Erkennen mit einem Druck von 1000 Bar auf einem lastet. Dorthin hat sich auch Tian Xiaopeng nicht getraut. Schade. Er war auf gutem Kurs. AXEL WEIDEMANN
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