Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 14,50 €
Produktdetails
  • Hersteller: FinanzBuch Verlag
  • Gesamtlaufzeit: 300 Min.
  • FSK: ohne Alterseinschränkung gemäß §14 JuSchG
  • Sprachen: Deutsch
  • EAN: 9783898791823
  • Artikelnr.: 20842026
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Jens Ehrhardt, Dr. phil., Soziologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am European University Institute in Fiesole/ Florenz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2007

Wie oft wird Xerxes noch besiegt?
Zack Snyder inszeniert mit der Comic-Verfilmung "300" ein Schlachtengemälde an der Grenze zur Groteske

Die "Schildkröte" ist eine Gefechtsformation aus einer Zeit, als noch mit "pilum" und "sternum", also mit spitzer Lanze und breiter Brust, gefochten wurde. Leserinnen und Leser der "Asterix"-Hefte werden das wissen, sie bringen damit eine wichtige Vorbildung für einen Film mit, der seinerseits auf einem Comic und auf klassischer Bildung beruht: "300" von Zack Snyder ist eine kongeniale Umsetzung der gleichnamigen Vorlage von Frank Miller. 300 Männer aus Sparta stellen sich gegen die Myriaden des Xerxes. Sie schlagen sich wacker, irgendwann aber ist die "Schildkröte" die letzte Zuflucht, der Anführer Leonidas wirft entschlossen den Schild von sich und erwartet den Hagel der Pfeile. Die Niederlage wendet aber das Blatt. Die Perser, die sich unbesiegbar wähnen, kommen über das Opfer der 300 nicht hinweg. Danach haben die Griechen die Oberhand. Sparta hat seine kriegerische Schuldigkeit getan.

Auch als Film ist "300" noch ein Comic. Die Bilder sind in keiner Sekunde realistisch, die Landschaft erscheint in jeder Sekunde sagenumwoben, die Schauspieler sind weitgehend unbekannt und in erster Linie nach ihrer Martialität ausgesucht. Sparta ist der verdrängte Teil des antiken Erbes - eine Kriegergesellschaft, die von den Felsklippen auf die Schädelstätte hinabblickt, in der die ausgesonderten Kinder liegen. Die Frauen blicken zu den Männern auf, die Männer blicken voll Anerkennung auf ihre Bauchmuskeln. Wer ein vollwertiger Bürger dieser Gesellschaft sein will, muss irgendwann im Leben dem Wolf begegnet sein. Er muss das Untier in eine enge Gasse gelockt haben, muss den schlechten Atem des Tiers gerochen haben und ihm dann das "pilum" nicht in das Brustbein, sondern direkt durch den Schlund in die Eingeweide gerammt haben. Dieser Initiationsritus, mit dem "300" beginnt, hat noch einige Nebenwirkungen. Wer barfuß im Schnee steht, während er auf den Wolf wartet, ist im Krieg nicht mehr auf Schuhwerk angewiesen.

Die Perser sind furchterregend, aber auch furchterregend dekadent. Xerxes unterscheidet sich von Leonidas dadurch, dass er nur unwillig einen Fuß auf den Boden setzt. Er thront meistens irgendwo ganz oben, auf einer Elefantenskulptur, die von Sklaven getragen wird, die sich im diplomatischen Ernstfall zur Treppe formieren: Dann schreitet er auf dem Rücken seiner Untertanen zu den übermenschlichen Griechen hinunter, der Weltbeherrscher mit dem Nasenring. Er ist angezogen wie einer, der seinen Zenit lange überschritten hat.

Seit Russell Crowe die knappen Wämser und seltsamen Waffen der Gladiatoren wieder in Mode gebracht hat, seit Brad Pitt die mythische Figur des Achilles durch penible Arbeit im Fitness-Studio neu "definiert" hat, ist die Antike zu einer angesagten Epoche geworden. Während die documenta sich fragt, ob die Moderne für die Kunst die neue Antike geworden ist, hat das amerikanische Kino der Antike einfach das Klassische ausgetrieben und steht jetzt vor einer mythischen Wunderwelt aus Referenz und Differenz, aus der sich alles heraus- und in die sich alles hineinlesen lässt.

"300" zeichnet sich dabei durch ein besonderes Ungleichgewicht zwischen Bedeutung und Beschwörung aus. Der Film ist im Grunde völlig sinnlos. Wer historisch-kritisch oder politisch-analytisch draufschaut, wird ein Sparta wiedererkennen, das als präfigurierte faschistische Gesellschaft schon Klischee war, bevor Zack Snyder und Frank Miller die Spartaner hinter einem Leitwolf aufreihten. Wer fragt, wie es sich mit der historischen Schlacht bei den Thermopylen verhielt, lässt dem Film eine Gerechtigkeit widerfahren, die er nicht sucht.

"300" möchte den Monumentalfilm alter Schule verschlanken und mit dem phantastischen Genre versöhnen, das in den letzten Jahren vor allem durch die Trilogie "Der Herr der Ringe" die Maßstäbe gesetzt hat. Zu diesem Kraftakt der Mythenbildung verhält sich "300" schon wieder subversiv. Auch hier gibt es ein missgebildetes Mischwesen, einen Gollum, der zwischen den Fronten steht und schließlich die falsche Entscheidung trifft. Wer sich in der Stunde der Sieger auf die Seite der Sieger schlägt, handelt politisch rational, während die Helden von Frank Miller und Zack Snyder sich an der Eingeweideschau orientieren, die sie an den Persern veranstalten.

Was das Publikum, das in den Vereinigten Staaten am Startwochenende von "300" für ein sensationelles Einspielergebnis gesorgt hat, genau umtreibt, wird die Demoskopen noch eine Weile beschäftigen. Eine Vermutung sollte aber doch in die Richtung gehen, dass dieser Film von der Last der Referenz gerade erlöst. Dies ist eine "creatio ex nihilo", die ihren Fluchtpunkt nicht im Nihilismus hat, sondern im erleichterten Lachen, das sich einstellt, wenn in allen viszeralen Details eine blutige Schlacht geschlagen wird, bei der in Wahrheit niemand stirbt (auch nicht symbolisch) und aus der kein propagandistischer Effekt zu schlagen ist. Ein amerikanischer Präsident, der sich so in die Kluft des Leonidas werfen würde, wie George W. Bush sich einmal eine "Top Gun"-Uniform angemaßt hat, wäre der Lächerlichkeit preisgegeben.

"300" ist ein Schlachtengemälde, das so haarscharf an der Grenze zur Groteske angesiedelt ist, dass es gerade noch an den physischen Ernst glauben lässt, der im Kino immer wieder auf so grandiose, aber auch leichtfertige Weise suspendiert wird. Von den Thermopylen, wie sie Zack Snyder und Frank Miller entworfen haben, führt kein Weg zurück in die Wirklichkeit (auch nicht nach Athen). Aber es gibt deutliche Hinweise darauf, wie ein Kino der Zukunft aussehen könnte, dessen wichtigstes Sinnesorgan der Bauch ist: außen maximal hart, innen das übliche Durcheinander.

BERT REBHANDL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr