Von hunderten weißen Kerzen erleuchtet, strahlt es aus dem "Rossini", dem allabendlichen Treffpunkt der Münchner Medien- und Schickeriaszene. Dort treffen sich Machoregisseur Zigeuner (Götz George), der nervöse Produzent Reiter (Heiner Lauterbach) , Möchtegern-Autor Kriegnitz (Jan Josef Liefers) und diverse Damen, die sich im verblassten Ruhm und den Schmeicheleien ihrer Verehrer sonnen, zum Fegefeuer der Eitelkeiten. Uncoole Finanziers von der Sparkasse werden von der strahlenden Society nur geduldet. Bedient werden alle mit Enthusiasmus vom Ristorante-Besitzer Rossini (Mario Adorf). Sehnsüchtig durchs Fenster schaut Schneewittchen (Veronica Ferres), bis sie sich nach drinnen wagt und allen Männern den Kopf verdreht.
Bonusmaterial
Featurette Interviews Blick hinter die Kulissen DarstellerinfosFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.1997Im Fegefeuer der Eitelkeiten
Größe des Lächerlichen: Helmut Dietls "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief"
Wer sich hinter wem verbirgt, ist nicht entscheidend. Auf Haltung und Verhalten der Menschen kommt es an, wie sie einander belauern und sich selbst etwas vormachen, wie sie die Fasson verlieren und sich wieder fangen.
Die Figuren in Helmut Dietls typisch Münchner und doch weit über München hinausgreifendem Film sind nicht in erster Linie ersonnen, mit Schadenfreude entschlüsselt zu werden. Freilich gibt es da am Rande Schwabings jenes italienische Restaurant "Romagna Antica", das dem Regisseur, wie die von Wahrheit kräftig getränkte Legende besagt, zur zweiten Heimat geworden sein soll, allabendlich. Und das Quartett der Filmemacher Eichinger und Dietl, der Schriftsteller Süskind und Wondratschek sucht dort im Blickpunkt der Adabeis seine Trümpfe so auszuspielen, daß daraus wenigstens für einen Abend Triumphe werden. Doch bei aller Lust zur Selbststilisierung ist Helmut Dietl vollkommen bewußt, daß die eigene Biographie als Filmthema nur so lange taugt, solange die persönlichen Erfahrungen Motivation des Erzählens bleiben, nicht dessen Motiv. Die "Münchner Geschichten" um den Schwerenöter Tscharli sind so entstanden, danach die Fernsehserien "Der ganz normale Wahnsinn", "Monaco Franze" und "Kir Royal", die Dietls Anspruch befestigten, als Gesellschaftskritiker ein Spötter von beobachtungsscharf hohen Graden und zugleich ein Menschenfreund zu sein.
"Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" also nun: Schon der Titel seines neuen Films, der zweiten Kinoarbeit nach "Schtonk!", macht die Sittengeschichte unübersehbar, auf die das Ganze und seine virtuos ineinander verzahnten Teile zielen, ein Jahrzehnt nach "Kir Royal" dort einsetzend, wo die Fernsehsatire als Form nicht länger genügte. Dietl nennt den Film, für den er und Patrick Süskind sich in zweimal zwölf Monden und ungezählten Anläufen das jetzt so selbstverständlich erscheinende Drehbuch abgerungen haben, eine "Melodramödie", weil es Drama und Melodram, Tragödie und Komödie fugenlos verbindet.
Der Unterhaltungskünstler Dietl bringt die Genrebegriffe außer Tritt. Selbst wenn im "Rossini", dem nach seinem Wirt benannten Lokal, das auch dem Film den Titel leiht, manch derbes Wort fällt und Zoten nicht nur gestreift werden, macht sich niemals das schenkelklatschende Krakeelen der Klamotte breit. Selbst wenn es um sexuelle Lüste geht, die den Figuren die Besinnung rauben, ist der Film kein Lustspiel im vordergründig gelächteranimierenden Sinne. Selbst wenn Schmerz und Qual unterm Schorf der Konvention oder dessen, was dafür gehalten wird, heftig hervorbrechen, gehen sie nicht ihrer Pose verlustig. "Rossini", der Film, wird so zur exquisiten comédie humaine,als Widerschein einer Gesellschaft, deren Eitelkeiten das üppig verwendete Kerzenlicht golden und zugleich lachhaft illuminiert, deren Verzweiflung im Dunkel zu ahnen ist, aber kaum Schatten wirft auf Schimmern und Funkeln ringsum.
"Ein verregneter Abend im Sommer. Es ist zwischen neun und zehn Uhr. Die meisten Tische des Lokals sind besetzt. Geschäftig eilen die Kellner hin und her, neuankommende Gäste werden vom Wirt, Paolo Rossini, an ihre Tische geführt, wobei sie andere Gäste begrüßen - die meisten kennen sich offenbar untereinander -, immer wieder stehen welche auf, um sich kurz an einen anderen Tisch zu setzen und ein paar Worte zu wechseln. Die Atmosphäre ist laut, locker und familiär, beinahe so, als handle es sich hier um eine geschlossene Gesellschaft." Was der Beginn des Drehbuchs nicht festhalten kann, ist das scheinbar Unschlüssige der Kamera, die hierhin und dorthin sich wendet und Bilder wie im Vorüberhuschen einfängt. Der Zuschauer gleicht dem Gast, der sich das erste Mal in einem ihm noch unvertrauten Lokal umtut, dessen Stammgäste allesamt Selbstdarsteller sind - nur daß kein Beobachter auszumachen imstande ist, was ihnen wichtiger ist: die Pose als Lebenszweck und Lüge, oder das panische Bestreben, das wahre Ich zu verbergen.
Wie von ungefähr schälen sich Paarungen heraus, bekommen die Figuren Kontur und biographischen Halt. Da ist etwa der Produzent (Heiner Lauterbach), dem einzig die erstrebte Bestsellerverfilmung aus der finanziellen Bedrängnis helfen könnte. Da ist der Autor (Joachim Król), ein Kauz und Sonderling, der sich bis über die neurotische Grenze hinaus als völlig unzugänglich und für ein Leben jenseits des Phantasierten unzulänglich erweist - seine Bibliothek füllt raumhoch nur ein einziges Werk: sein Bestseller "Loreley". Da ist der Regisseur (Götz George), dem momentan, müde und krank und ausgebrannt, wie er sich fühlt, nur das Insistieren auf seinen Allüren bleibt, sich die Wäsche und die Post ins Lokal wie in sein zweites Zuhause schicken zu lassen, dort Wohnzimmer zu simulieren und Büro. Da ist die enthemmte Schöne (Gudrun Landgrebe), um deren Gunst der Produzent und ein mit glutvoller Lyrik jonglierender Dichter (Jan Josef Liefers) handfest buhlen, den Schönheitschirurgen (Armin Rohde) nicht zu vergessen, der alle Narben retuschieren kann, nur nicht die seiner verschmähten Seele. Da ist die verkommene Journalistin (Hannelore Hoger), die auf Neuigkeiten und ihren täglichen Orgasmus als Wächter gegen die Migräne lauert. Und da sind die in Haßliebe ineinander verschlungenen Schauspielerinnen, ganz Aggression und Enttäuschung die eine (Meret Becker), ganz Unschuld und Berechnung die andere (Veronika Ferres), die beide um jeden Preis, selbst den Verlust ihrer Würde, nach der Hauptrolle eines Films gieren, von dem keiner weiß, ob er je gemacht werden kann.
Bei Robert Altmans "Short Cuts" mochten Dietl und Süskind studiert haben, wie aus Erzählsplittern sich allmählich ein schlüssiges Bild fügt. Der Film "Rossini" aber spitzt diese Kunst noch entschieden zu: indem er zum überwiegenden Teil an einem einzigen Abend, an einem einzigen Ort und obendrein im Licht Hunderter von Kerzen spielt, das äußerste Präzision bei den Brennweiten verlangt, um der Preisgabe der Schärfentiefe zu begegnen. Was der Regisseur und sein Kameramann Gernot Roll, der ständig zu rotieren und allgegenwärtig zu sein scheint, fast zwei Stunden lang an prächtig und edel gesättigten Farben und romantischem Licht, an räumlicher Staffelung und choreographischer Bewegung hervorzaubern, muß im Kino seinesgleichen suchen. Wo die Figuren sich wie auf einer Bühne in Szene setzen, sollten sie auch wie im Theater agieren: ständig selbst dann an ihren Tischen oder beim Umhergehen im Blick der Kamera, wenn sie vordergründig gar nicht an der Reihe sind. Daß der Film deshalb weitgehend chronologisch inszeniert werden mußte, kommt der Präsenz der ausnahmslos überzeugenden und hervorragend geführten Schauspieler sichtlich zugute.
Der formalen Brillanz entsprechen Esprit und Pointierung des Geschehens. Die Misanthropie des Bestsellerautors, die ihn ins Hinterzimmer flüchten läßt, wo er sich Weißbrotkügelchen als Schutz gegen den schnöden Lärm der Welt ins Ohr stopft, versteigt sich zu höchstem Aberwitz: "Ich will nichts erleben! Ich bin Schriftsteller!" Die unversehens körperlichen Avancen der bis dahin streng platonisch umschmeichelten Kellnerin Serafina aus den Abruzzen (Martina Gedeck) versetzen ihn in Panik, die nur noch von den einer Vergewaltigung gleichenden Attacken der Journalistin gesteigert werden kann. Dietl interessiert allein der Mensch in seinem Widerspruch. Der Wirt Rossini (Mario Adorf), in seinem Reich der König und doch von den anderen behandelt wie ein Lakai, geriert sich als Frauenverächter. Im dezent beleuchteten Schrank aber verwahrt er Kitschmadonna und Schminke - und wenn ihn ein blondes Geschöpf namens Schneewittchen mit Unschuldsmiene bezirzt, fällt er auf die Märchen willig herein.
Schneewittchens wahres Gesicht ist für den Zuschauer der größte Schock - und für Veronika Ferres, indem sie Stimmungen an- und ausknipst, wie es die Rolle gebietet, die ideale Gelegenheit, von ihrem Image als "Superweib" Abstand zu nehmen. Ähnlich wird jede Figur irgendwann in die Konfrontation mit der Wahrheit getrieben - der kein Risiko im Geschäft wie in der Liebe scheuende Produzent, indem er sich jäh von allen Freunden verlassen wähnt; der Regisseur, gleichfalls von Schneewittchens Liebreiz geblendet und elend ausgeschmiert, indem er, als beschwöre Dietl selber den Akt der Katharsis, den Preis seiner Kunst benennt: "Magengeschwüre werd' ich kriegen, hundertfünfzig Zigaretten am Tag werd' ich rauchen, Nesselfieber werd' ich haben, jucken wird's mich überall . . ." In solchen Augenblicken gewinnt das Lächerliche Größe.
Die aufreizend Rotgekleidete kostet der Widerspruch ihres Lebens am Ende dasselbe. Beides gleichzeitig, wie von ihr ersehnt, war einfach nicht zu kriegen: "Lust bis zur Besinnungslosigkeit . . . und Ruhe, Leidenschaft bis zum Wahnsinn . . . und Frieden, harmonische Freundschaft . . . und verzehrende Liebe. Der Weg "barfuß über glühende Kohlen . . . und über Wiesen im Morgentau" ist für diese stets nur fordernde, ihr Verlangen bis zur Verachtung auslebende Valerie, die Gudrun Landgrebe meistert wie lange keine Rolle mehr, ein Forttreiben ins Ausweglose, den Selbstmord.
Dietl schont nichts und niemanden. Die Bestsellerpoesie wird verhöhnt - "der Mondschein verwirrte die Täler weit und breit, über die glatten Fluten des Rheins warf die samtene Nacht den zitternden Flügelschlag ihres Schattens" -, der Loreley-Mythos nötigt die nach der heiligen Hure Suchenden aus dem Filmbusineß, Adjektiv-Girlanden ohne Ende zu winden, und was dem Lyriker entfleucht, ist purer Weihrauch, mutwillig erhitzt: ". . . du willst die Lust im Absoluten, der Himmel soll dich peitschen, und Dämonen sollen bluten". Allein Selbstironie ziert eine Koketterie, wie Dietl sie schätzt und zum Wesen seiner Kunst macht, die über eine unendliche Vielfalt der Beobachtungen das einfältige Amüsement bannt.
Der grandiose Film "Rossini", ein Reflex auf die lärmige, lustversessene Gesellschaft der neunziger Jahre, blitzt nur so vor Selbstironie und weiß sich damit auf der Hut vor der Larmoyanz bloß einer Nabelschau. Am Ende ist eines langen, gewittrigen Abends Reise ins Morgengrauen nur ein Ausschnitt gewesen aus dem Spiel, das sich Leben nennt und Siegen wie Niederlagen die Waage hält: "Der alte Mief. Alles geht schief. Und die mörderische Frage, wer mit wem schlief, löst sich in Wohlgefallen auf." Der Lyriker aus dem Off hat das letzte Wort. HANS-DIETER SEIDEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Größe des Lächerlichen: Helmut Dietls "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief"
Wer sich hinter wem verbirgt, ist nicht entscheidend. Auf Haltung und Verhalten der Menschen kommt es an, wie sie einander belauern und sich selbst etwas vormachen, wie sie die Fasson verlieren und sich wieder fangen.
Die Figuren in Helmut Dietls typisch Münchner und doch weit über München hinausgreifendem Film sind nicht in erster Linie ersonnen, mit Schadenfreude entschlüsselt zu werden. Freilich gibt es da am Rande Schwabings jenes italienische Restaurant "Romagna Antica", das dem Regisseur, wie die von Wahrheit kräftig getränkte Legende besagt, zur zweiten Heimat geworden sein soll, allabendlich. Und das Quartett der Filmemacher Eichinger und Dietl, der Schriftsteller Süskind und Wondratschek sucht dort im Blickpunkt der Adabeis seine Trümpfe so auszuspielen, daß daraus wenigstens für einen Abend Triumphe werden. Doch bei aller Lust zur Selbststilisierung ist Helmut Dietl vollkommen bewußt, daß die eigene Biographie als Filmthema nur so lange taugt, solange die persönlichen Erfahrungen Motivation des Erzählens bleiben, nicht dessen Motiv. Die "Münchner Geschichten" um den Schwerenöter Tscharli sind so entstanden, danach die Fernsehserien "Der ganz normale Wahnsinn", "Monaco Franze" und "Kir Royal", die Dietls Anspruch befestigten, als Gesellschaftskritiker ein Spötter von beobachtungsscharf hohen Graden und zugleich ein Menschenfreund zu sein.
"Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" also nun: Schon der Titel seines neuen Films, der zweiten Kinoarbeit nach "Schtonk!", macht die Sittengeschichte unübersehbar, auf die das Ganze und seine virtuos ineinander verzahnten Teile zielen, ein Jahrzehnt nach "Kir Royal" dort einsetzend, wo die Fernsehsatire als Form nicht länger genügte. Dietl nennt den Film, für den er und Patrick Süskind sich in zweimal zwölf Monden und ungezählten Anläufen das jetzt so selbstverständlich erscheinende Drehbuch abgerungen haben, eine "Melodramödie", weil es Drama und Melodram, Tragödie und Komödie fugenlos verbindet.
Der Unterhaltungskünstler Dietl bringt die Genrebegriffe außer Tritt. Selbst wenn im "Rossini", dem nach seinem Wirt benannten Lokal, das auch dem Film den Titel leiht, manch derbes Wort fällt und Zoten nicht nur gestreift werden, macht sich niemals das schenkelklatschende Krakeelen der Klamotte breit. Selbst wenn es um sexuelle Lüste geht, die den Figuren die Besinnung rauben, ist der Film kein Lustspiel im vordergründig gelächteranimierenden Sinne. Selbst wenn Schmerz und Qual unterm Schorf der Konvention oder dessen, was dafür gehalten wird, heftig hervorbrechen, gehen sie nicht ihrer Pose verlustig. "Rossini", der Film, wird so zur exquisiten comédie humaine,als Widerschein einer Gesellschaft, deren Eitelkeiten das üppig verwendete Kerzenlicht golden und zugleich lachhaft illuminiert, deren Verzweiflung im Dunkel zu ahnen ist, aber kaum Schatten wirft auf Schimmern und Funkeln ringsum.
"Ein verregneter Abend im Sommer. Es ist zwischen neun und zehn Uhr. Die meisten Tische des Lokals sind besetzt. Geschäftig eilen die Kellner hin und her, neuankommende Gäste werden vom Wirt, Paolo Rossini, an ihre Tische geführt, wobei sie andere Gäste begrüßen - die meisten kennen sich offenbar untereinander -, immer wieder stehen welche auf, um sich kurz an einen anderen Tisch zu setzen und ein paar Worte zu wechseln. Die Atmosphäre ist laut, locker und familiär, beinahe so, als handle es sich hier um eine geschlossene Gesellschaft." Was der Beginn des Drehbuchs nicht festhalten kann, ist das scheinbar Unschlüssige der Kamera, die hierhin und dorthin sich wendet und Bilder wie im Vorüberhuschen einfängt. Der Zuschauer gleicht dem Gast, der sich das erste Mal in einem ihm noch unvertrauten Lokal umtut, dessen Stammgäste allesamt Selbstdarsteller sind - nur daß kein Beobachter auszumachen imstande ist, was ihnen wichtiger ist: die Pose als Lebenszweck und Lüge, oder das panische Bestreben, das wahre Ich zu verbergen.
Wie von ungefähr schälen sich Paarungen heraus, bekommen die Figuren Kontur und biographischen Halt. Da ist etwa der Produzent (Heiner Lauterbach), dem einzig die erstrebte Bestsellerverfilmung aus der finanziellen Bedrängnis helfen könnte. Da ist der Autor (Joachim Król), ein Kauz und Sonderling, der sich bis über die neurotische Grenze hinaus als völlig unzugänglich und für ein Leben jenseits des Phantasierten unzulänglich erweist - seine Bibliothek füllt raumhoch nur ein einziges Werk: sein Bestseller "Loreley". Da ist der Regisseur (Götz George), dem momentan, müde und krank und ausgebrannt, wie er sich fühlt, nur das Insistieren auf seinen Allüren bleibt, sich die Wäsche und die Post ins Lokal wie in sein zweites Zuhause schicken zu lassen, dort Wohnzimmer zu simulieren und Büro. Da ist die enthemmte Schöne (Gudrun Landgrebe), um deren Gunst der Produzent und ein mit glutvoller Lyrik jonglierender Dichter (Jan Josef Liefers) handfest buhlen, den Schönheitschirurgen (Armin Rohde) nicht zu vergessen, der alle Narben retuschieren kann, nur nicht die seiner verschmähten Seele. Da ist die verkommene Journalistin (Hannelore Hoger), die auf Neuigkeiten und ihren täglichen Orgasmus als Wächter gegen die Migräne lauert. Und da sind die in Haßliebe ineinander verschlungenen Schauspielerinnen, ganz Aggression und Enttäuschung die eine (Meret Becker), ganz Unschuld und Berechnung die andere (Veronika Ferres), die beide um jeden Preis, selbst den Verlust ihrer Würde, nach der Hauptrolle eines Films gieren, von dem keiner weiß, ob er je gemacht werden kann.
Bei Robert Altmans "Short Cuts" mochten Dietl und Süskind studiert haben, wie aus Erzählsplittern sich allmählich ein schlüssiges Bild fügt. Der Film "Rossini" aber spitzt diese Kunst noch entschieden zu: indem er zum überwiegenden Teil an einem einzigen Abend, an einem einzigen Ort und obendrein im Licht Hunderter von Kerzen spielt, das äußerste Präzision bei den Brennweiten verlangt, um der Preisgabe der Schärfentiefe zu begegnen. Was der Regisseur und sein Kameramann Gernot Roll, der ständig zu rotieren und allgegenwärtig zu sein scheint, fast zwei Stunden lang an prächtig und edel gesättigten Farben und romantischem Licht, an räumlicher Staffelung und choreographischer Bewegung hervorzaubern, muß im Kino seinesgleichen suchen. Wo die Figuren sich wie auf einer Bühne in Szene setzen, sollten sie auch wie im Theater agieren: ständig selbst dann an ihren Tischen oder beim Umhergehen im Blick der Kamera, wenn sie vordergründig gar nicht an der Reihe sind. Daß der Film deshalb weitgehend chronologisch inszeniert werden mußte, kommt der Präsenz der ausnahmslos überzeugenden und hervorragend geführten Schauspieler sichtlich zugute.
Der formalen Brillanz entsprechen Esprit und Pointierung des Geschehens. Die Misanthropie des Bestsellerautors, die ihn ins Hinterzimmer flüchten läßt, wo er sich Weißbrotkügelchen als Schutz gegen den schnöden Lärm der Welt ins Ohr stopft, versteigt sich zu höchstem Aberwitz: "Ich will nichts erleben! Ich bin Schriftsteller!" Die unversehens körperlichen Avancen der bis dahin streng platonisch umschmeichelten Kellnerin Serafina aus den Abruzzen (Martina Gedeck) versetzen ihn in Panik, die nur noch von den einer Vergewaltigung gleichenden Attacken der Journalistin gesteigert werden kann. Dietl interessiert allein der Mensch in seinem Widerspruch. Der Wirt Rossini (Mario Adorf), in seinem Reich der König und doch von den anderen behandelt wie ein Lakai, geriert sich als Frauenverächter. Im dezent beleuchteten Schrank aber verwahrt er Kitschmadonna und Schminke - und wenn ihn ein blondes Geschöpf namens Schneewittchen mit Unschuldsmiene bezirzt, fällt er auf die Märchen willig herein.
Schneewittchens wahres Gesicht ist für den Zuschauer der größte Schock - und für Veronika Ferres, indem sie Stimmungen an- und ausknipst, wie es die Rolle gebietet, die ideale Gelegenheit, von ihrem Image als "Superweib" Abstand zu nehmen. Ähnlich wird jede Figur irgendwann in die Konfrontation mit der Wahrheit getrieben - der kein Risiko im Geschäft wie in der Liebe scheuende Produzent, indem er sich jäh von allen Freunden verlassen wähnt; der Regisseur, gleichfalls von Schneewittchens Liebreiz geblendet und elend ausgeschmiert, indem er, als beschwöre Dietl selber den Akt der Katharsis, den Preis seiner Kunst benennt: "Magengeschwüre werd' ich kriegen, hundertfünfzig Zigaretten am Tag werd' ich rauchen, Nesselfieber werd' ich haben, jucken wird's mich überall . . ." In solchen Augenblicken gewinnt das Lächerliche Größe.
Die aufreizend Rotgekleidete kostet der Widerspruch ihres Lebens am Ende dasselbe. Beides gleichzeitig, wie von ihr ersehnt, war einfach nicht zu kriegen: "Lust bis zur Besinnungslosigkeit . . . und Ruhe, Leidenschaft bis zum Wahnsinn . . . und Frieden, harmonische Freundschaft . . . und verzehrende Liebe. Der Weg "barfuß über glühende Kohlen . . . und über Wiesen im Morgentau" ist für diese stets nur fordernde, ihr Verlangen bis zur Verachtung auslebende Valerie, die Gudrun Landgrebe meistert wie lange keine Rolle mehr, ein Forttreiben ins Ausweglose, den Selbstmord.
Dietl schont nichts und niemanden. Die Bestsellerpoesie wird verhöhnt - "der Mondschein verwirrte die Täler weit und breit, über die glatten Fluten des Rheins warf die samtene Nacht den zitternden Flügelschlag ihres Schattens" -, der Loreley-Mythos nötigt die nach der heiligen Hure Suchenden aus dem Filmbusineß, Adjektiv-Girlanden ohne Ende zu winden, und was dem Lyriker entfleucht, ist purer Weihrauch, mutwillig erhitzt: ". . . du willst die Lust im Absoluten, der Himmel soll dich peitschen, und Dämonen sollen bluten". Allein Selbstironie ziert eine Koketterie, wie Dietl sie schätzt und zum Wesen seiner Kunst macht, die über eine unendliche Vielfalt der Beobachtungen das einfältige Amüsement bannt.
Der grandiose Film "Rossini", ein Reflex auf die lärmige, lustversessene Gesellschaft der neunziger Jahre, blitzt nur so vor Selbstironie und weiß sich damit auf der Hut vor der Larmoyanz bloß einer Nabelschau. Am Ende ist eines langen, gewittrigen Abends Reise ins Morgengrauen nur ein Ausschnitt gewesen aus dem Spiel, das sich Leben nennt und Siegen wie Niederlagen die Waage hält: "Der alte Mief. Alles geht schief. Und die mörderische Frage, wer mit wem schlief, löst sich in Wohlgefallen auf." Der Lyriker aus dem Off hat das letzte Wort. HANS-DIETER SEIDEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main