Ein Sommer an der Ostsee. Es ist heiß und trocken, seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. In einem abgelegenen Ferienhaus zwischen Wald und Meer treffen vier junge Menschen aufeinander. Leon und Felix, Freunde seit Kindertagen, Nadja, die als Saisonkraft im Küstendorf jobbt, und Devid, der Rettungsschwimmer.
Es sind schwebende, wie aus der Welt gefallene Tage. Und so wie ein Funke genügt, um die ausgetrockneten Wälder um sie herum in Brand zu setzen, geschieht es den jungen Menschen mit ihren Gefühlen und Hoffnungen, mit der Liebe. Es gibt das Glück und die Sehnsucht, aber auch Eifersucht, Empfindlichkeiten, Spannungen. Dann schlagen die Flammen über.
Es sind schwebende, wie aus der Welt gefallene Tage. Und so wie ein Funke genügt, um die ausgetrockneten Wälder um sie herum in Brand zu setzen, geschieht es den jungen Menschen mit ihren Gefühlen und Hoffnungen, mit der Liebe. Es gibt das Glück und die Sehnsucht, aber auch Eifersucht, Empfindlichkeiten, Spannungen. Dann schlagen die Flammen über.
Bonusmaterial
Kino-Trailer Booklet InterviewsFrankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2023Die Liebenden im brennenden Wald
Christian Petzolds Film "Roter Himmel" fasst Apokalypse und Ferienidyll in ein Bild
Jeder große Regisseur, heißt es, erschafft sich seine eigene Welt. Und diese Welt erkennt man auf den ersten Blick. Bei Fellini haben alle Menschen und Dinge etwas Tanzendes, sodass das gesamte Geschehen ein paar Millimeter über dem Boden zu schweben scheint. Bei Steven Spielberg wird die Geschichte jedes Mal nach zwanzig Minuten sentimental. Einen Film von Ingmar Bergman erkennt man daran, dass die Stimmung sich verdüstert, sobald ein Mann und eine Frau (oder zwei Männer und zwei Frauen) aufeinandertreffen. Und bei Martin Scorsese sind die Szenen so geschnitten, wie Scorsese redet: rasant, messerscharf, ohne Atempause.
Aber woran merkt man eigentlich, dass man in einem Film von Christian Petzold sitzt? Vielleicht daran, dass auf den ersten Blick nichts besonders Aufregendes passiert - und auf den zweiten Blick auch nicht. Noch. Oft sind die Figuren zu Beginn unterwegs, im Auto, im Zug. In "Roter Himmel" zum Beispiel: zwei junge Männer in einem Mercedes auf der Landstraße. "Irgendwas stimmt nicht", sagt der eine, und der andere antwortet: "Ich hör' nichts." Aber dann bleibt der Wagen stehen, die beiden müssen zu Fuß weiter, und auf einmal ist Leon (Thomas Schubert) allein im Wald. Es dämmert, Wildschweine grunzen, dann dröhnt ein Flugzeug im Tiefflug über die Wipfel, und Leon gerät beinahe in Panik. Aber nur beinahe.
Ein zuckendes, flackerndes Glühen
Gleich darauf ist alles wieder in Ordnung, die Ferien an der Ostsee können beginnen - nur dass es Arbeitsferien sind. Denn Leon schreibt an einem Roman, seinem zweiten, den er hier abschließen will, und er hat dabei ein ungutes Gefühl. Das verstärkt seine Gereiztheit bei kleinen Störungen, die sich bald einstellen, weil sich Leon und sein Freund Felix das Ferienhaus von Felix' Mutter mit einem Pärchen teilen müssen, dessen Liebesstöhnen spätabends durch die Zimmerwand dringt und den genervten Autor ins Freie treibt. Dort ist es still. Nur die Stechmücken sirren.
Und dann ist da diese Frau. Sie trägt ein rotes gemustertes Kleid zu schulterlangen roten Haaren, sie kocht Kaffee und hängt die Wäsche auf, und Leon mustert jede ihrer Bewegungen. Sie heißt Nadja, und als sie Leon einlädt, mit ihr ans Meer zu gehen, lehnt er ab, obwohl er eigentlich mitwill. So füttert er seinen Frust.
Doch Nadjas Kleid ist nicht das einzige Rot in diesem Film. Weiter westlich, hört man, brennen die Wälder, die Autobahn und mehrere Straßen sind schon gesperrt, in den Strandhotels werden die Buchungen storniert. Zwar ist das Feuer, wie Felix sagt, noch dreißig Kilometer entfernt, und der Wind weht landeinwärts, sodass keine Gefahr besteht. Aber dann dreht sich der Wind, und eines Nachts, am vierten Tag, sehen die Gäste des Ferienhauses - Devid, der vierte, ist Bademeister am Strand - vom Dach aus, was auf sie zukommt. Der Horizont glüht wie bei einem Sonnenuntergang. Doch es ist ein zuckendes, flackerndes Glühen, der Widerschein eines Scheiterhaufens. Der Himmel lodert.
Woher Christian Petzold die Idee zu dieser Geschichte hat, muss man nicht fragen: Sie lag in der Luft. Die Frage ist vielmehr, wie es Petzold gelingt, die Katastrophe, die "Roter Himmel" schon im Titel trägt, so beiläufig in die Geschichte einzuflechten, dass man sie erst bemerkt, als sie die Figuren fast schon eingeholt hat. In einem amerikanischen Film wäre das Feuer ja gleich am Anfang, im Vorspann, zu sehen gewesen, und in einem französischen hätte es den Helden und die Heldin am Ende zusammengebracht, als Katalysator der Liebe.
Hier geschieht nichts dergleichen. Die Flammen fressen den Bildhintergrund, aber das eigentliche Drama, vorn im Bild, bleibt davon unberührt. Es ist die Tragödie eines Menschen, der sich durch die Wirklichkeit bewegt, ohne an ihr teilzuhaben. Denn Leon, der Nachwuchsschriftsteller, ist so sehr auf seinen Roman fixiert, dass er nicht merkt, dass Nadja (Paula Beer), der er das Manuskript zum Lesen gegeben hat, ihm eigentlich eine Liebeserklärung macht, als sie erklärt, er wisse selbst, dass es Bullshit sei. Auch sonst entgeht ihm so gut wie alles, was rings um ihn passiert - dass sein Freund Felix und der Bademeister ein Paar werden; oder dass sein Verleger (Matthias Brandt), der aus Berlin angereist ist, um gut gelaunt Leons Buch zu zerpflücken, ein schwerkranker Mann ist. Die Blase, in der Leon sich bewegt, zerplatzt erst, als zwei Polizisten vor dem Ferienhaus auftauchen, während er selbst Nadja seine Liebe zu gestehen versucht. Die wahren Liebenden, erfahren wir jetzt, sind tot. Sie verbrannten im Wald.
Wir haben es nicht gesehen. Aber wir haben so vieles andere gesehen, das auch zu der Geschichte gehört, dass der Überfluss der Bilder für eine eigene Erzählung reichen würde: wie Paula Beer und Matthias Brandt zusammen Heines Gedicht "Der Asra" rezitieren; wie nachts mit leuchtenden Schlägern Softball gespielt wird; wie ein einziger Lautsprecherwagen das Ostseeferienidyll in den Ausnahmezustand kippen lässt. Das Spiel mit den Vorder- und Hintergründen, den Haupt- und Nebensachen der Handlung, das Petzold seit dreißig Jahren im Kino spielt, ist hier so entspannt auf die Spitze getrieben, dass man an die Sommerfilme von Éric Rohmer denken könnte, wenn am Horizont nicht der rote Himmel leuchten würde, der Horror der Gegenwart.
Das Auge des sterbenden Tieres
Und dann, mitten im Bilderfluss, das eine, entscheidende Bild. Bei Petzold hat es oft mit Blicken zu tun, besonders dann, wenn dabei nur ein Auge zu sehen ist: das Auge von Nina Hoss, als sie in "Yella" aus dem Wasser gezogen wird; der Blick von Paula Beer in "Undine", als sie begreift, dass ihr Geliebter sie betrogen hat und sie ihn töten muss. Hier ist es das Auge eines Tieres, eines Frischlings, der im Wald seinen Brandwunden erliegt. In einem Film, der sonst auf jede Trickserei verzichtet, ist das ein Moment reiner Fiktion, denn natürlich musste kein Wildschwein für "Roter Himmel" sterben. Aber auch darin zeigt sich Petzolds Wirklichkeitssinn, denn im Spiegel dieses Todes erkennen wir, was Felix und Devid zugestoßen ist.
"Dort lagen sie, sie hielten sich umarmt. Aber statt zu weinen, dachte er an die Liebenden in Pompeji, ein Bild der Ausgrabungen." Es sind Leons Worte, die am Ende zusammenfassen, was wir gesehen haben, und zugleich darüber hinausschauen. Der Schriftsteller hat sein Romanprojekt beerdigt und ein anderes Buch geschrieben, das Buch dieses Films. Wenn wir mit seinen Augen auf die Geschichte zurückblicken, erkennen wir darin, was die filmischen Inszenierungen von Christian Petzold einzigartig macht. Es ist die Gewissheit, dass die ganze Welt ein Text ist, geschrieben in der Sprache der Dinge. Die Kamera muss nur lernen, ihn zu lesen, von den Liebenden in Pompeji bis zu den Liebenden des Waldbrands. Die letzte Wahrheit dieser Bilderschrift wird das Kino wahrscheinlich nie enträtseln. Aber in Petzolds Filmen kommen wir ihr näher als sonst. ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christian Petzolds Film "Roter Himmel" fasst Apokalypse und Ferienidyll in ein Bild
Jeder große Regisseur, heißt es, erschafft sich seine eigene Welt. Und diese Welt erkennt man auf den ersten Blick. Bei Fellini haben alle Menschen und Dinge etwas Tanzendes, sodass das gesamte Geschehen ein paar Millimeter über dem Boden zu schweben scheint. Bei Steven Spielberg wird die Geschichte jedes Mal nach zwanzig Minuten sentimental. Einen Film von Ingmar Bergman erkennt man daran, dass die Stimmung sich verdüstert, sobald ein Mann und eine Frau (oder zwei Männer und zwei Frauen) aufeinandertreffen. Und bei Martin Scorsese sind die Szenen so geschnitten, wie Scorsese redet: rasant, messerscharf, ohne Atempause.
Aber woran merkt man eigentlich, dass man in einem Film von Christian Petzold sitzt? Vielleicht daran, dass auf den ersten Blick nichts besonders Aufregendes passiert - und auf den zweiten Blick auch nicht. Noch. Oft sind die Figuren zu Beginn unterwegs, im Auto, im Zug. In "Roter Himmel" zum Beispiel: zwei junge Männer in einem Mercedes auf der Landstraße. "Irgendwas stimmt nicht", sagt der eine, und der andere antwortet: "Ich hör' nichts." Aber dann bleibt der Wagen stehen, die beiden müssen zu Fuß weiter, und auf einmal ist Leon (Thomas Schubert) allein im Wald. Es dämmert, Wildschweine grunzen, dann dröhnt ein Flugzeug im Tiefflug über die Wipfel, und Leon gerät beinahe in Panik. Aber nur beinahe.
Ein zuckendes, flackerndes Glühen
Gleich darauf ist alles wieder in Ordnung, die Ferien an der Ostsee können beginnen - nur dass es Arbeitsferien sind. Denn Leon schreibt an einem Roman, seinem zweiten, den er hier abschließen will, und er hat dabei ein ungutes Gefühl. Das verstärkt seine Gereiztheit bei kleinen Störungen, die sich bald einstellen, weil sich Leon und sein Freund Felix das Ferienhaus von Felix' Mutter mit einem Pärchen teilen müssen, dessen Liebesstöhnen spätabends durch die Zimmerwand dringt und den genervten Autor ins Freie treibt. Dort ist es still. Nur die Stechmücken sirren.
Und dann ist da diese Frau. Sie trägt ein rotes gemustertes Kleid zu schulterlangen roten Haaren, sie kocht Kaffee und hängt die Wäsche auf, und Leon mustert jede ihrer Bewegungen. Sie heißt Nadja, und als sie Leon einlädt, mit ihr ans Meer zu gehen, lehnt er ab, obwohl er eigentlich mitwill. So füttert er seinen Frust.
Doch Nadjas Kleid ist nicht das einzige Rot in diesem Film. Weiter westlich, hört man, brennen die Wälder, die Autobahn und mehrere Straßen sind schon gesperrt, in den Strandhotels werden die Buchungen storniert. Zwar ist das Feuer, wie Felix sagt, noch dreißig Kilometer entfernt, und der Wind weht landeinwärts, sodass keine Gefahr besteht. Aber dann dreht sich der Wind, und eines Nachts, am vierten Tag, sehen die Gäste des Ferienhauses - Devid, der vierte, ist Bademeister am Strand - vom Dach aus, was auf sie zukommt. Der Horizont glüht wie bei einem Sonnenuntergang. Doch es ist ein zuckendes, flackerndes Glühen, der Widerschein eines Scheiterhaufens. Der Himmel lodert.
Woher Christian Petzold die Idee zu dieser Geschichte hat, muss man nicht fragen: Sie lag in der Luft. Die Frage ist vielmehr, wie es Petzold gelingt, die Katastrophe, die "Roter Himmel" schon im Titel trägt, so beiläufig in die Geschichte einzuflechten, dass man sie erst bemerkt, als sie die Figuren fast schon eingeholt hat. In einem amerikanischen Film wäre das Feuer ja gleich am Anfang, im Vorspann, zu sehen gewesen, und in einem französischen hätte es den Helden und die Heldin am Ende zusammengebracht, als Katalysator der Liebe.
Hier geschieht nichts dergleichen. Die Flammen fressen den Bildhintergrund, aber das eigentliche Drama, vorn im Bild, bleibt davon unberührt. Es ist die Tragödie eines Menschen, der sich durch die Wirklichkeit bewegt, ohne an ihr teilzuhaben. Denn Leon, der Nachwuchsschriftsteller, ist so sehr auf seinen Roman fixiert, dass er nicht merkt, dass Nadja (Paula Beer), der er das Manuskript zum Lesen gegeben hat, ihm eigentlich eine Liebeserklärung macht, als sie erklärt, er wisse selbst, dass es Bullshit sei. Auch sonst entgeht ihm so gut wie alles, was rings um ihn passiert - dass sein Freund Felix und der Bademeister ein Paar werden; oder dass sein Verleger (Matthias Brandt), der aus Berlin angereist ist, um gut gelaunt Leons Buch zu zerpflücken, ein schwerkranker Mann ist. Die Blase, in der Leon sich bewegt, zerplatzt erst, als zwei Polizisten vor dem Ferienhaus auftauchen, während er selbst Nadja seine Liebe zu gestehen versucht. Die wahren Liebenden, erfahren wir jetzt, sind tot. Sie verbrannten im Wald.
Wir haben es nicht gesehen. Aber wir haben so vieles andere gesehen, das auch zu der Geschichte gehört, dass der Überfluss der Bilder für eine eigene Erzählung reichen würde: wie Paula Beer und Matthias Brandt zusammen Heines Gedicht "Der Asra" rezitieren; wie nachts mit leuchtenden Schlägern Softball gespielt wird; wie ein einziger Lautsprecherwagen das Ostseeferienidyll in den Ausnahmezustand kippen lässt. Das Spiel mit den Vorder- und Hintergründen, den Haupt- und Nebensachen der Handlung, das Petzold seit dreißig Jahren im Kino spielt, ist hier so entspannt auf die Spitze getrieben, dass man an die Sommerfilme von Éric Rohmer denken könnte, wenn am Horizont nicht der rote Himmel leuchten würde, der Horror der Gegenwart.
Das Auge des sterbenden Tieres
Und dann, mitten im Bilderfluss, das eine, entscheidende Bild. Bei Petzold hat es oft mit Blicken zu tun, besonders dann, wenn dabei nur ein Auge zu sehen ist: das Auge von Nina Hoss, als sie in "Yella" aus dem Wasser gezogen wird; der Blick von Paula Beer in "Undine", als sie begreift, dass ihr Geliebter sie betrogen hat und sie ihn töten muss. Hier ist es das Auge eines Tieres, eines Frischlings, der im Wald seinen Brandwunden erliegt. In einem Film, der sonst auf jede Trickserei verzichtet, ist das ein Moment reiner Fiktion, denn natürlich musste kein Wildschwein für "Roter Himmel" sterben. Aber auch darin zeigt sich Petzolds Wirklichkeitssinn, denn im Spiegel dieses Todes erkennen wir, was Felix und Devid zugestoßen ist.
"Dort lagen sie, sie hielten sich umarmt. Aber statt zu weinen, dachte er an die Liebenden in Pompeji, ein Bild der Ausgrabungen." Es sind Leons Worte, die am Ende zusammenfassen, was wir gesehen haben, und zugleich darüber hinausschauen. Der Schriftsteller hat sein Romanprojekt beerdigt und ein anderes Buch geschrieben, das Buch dieses Films. Wenn wir mit seinen Augen auf die Geschichte zurückblicken, erkennen wir darin, was die filmischen Inszenierungen von Christian Petzold einzigartig macht. Es ist die Gewissheit, dass die ganze Welt ein Text ist, geschrieben in der Sprache der Dinge. Die Kamera muss nur lernen, ihn zu lesen, von den Liebenden in Pompeji bis zu den Liebenden des Waldbrands. Die letzte Wahrheit dieser Bilderschrift wird das Kino wahrscheinlich nie enträtseln. Aber in Petzolds Filmen kommen wir ihr näher als sonst. ANDREAS KILB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main