Russische Matrosen leiden unter der Willkür ihres Kapitäns. Als jedoch einige, als Exempel, erschossen werden sollen, leisten sie offenen Widerstand. Ein Zündfunke zur Revolution.
Russland 1905: Auf der "Potemkin" bricht eine Meuterei aus, da die Matrosen die menschenunwürdige Behandlung, die ihnen die Offiziere zukommen lassen, nicht mehr über sich ergehen lassen wollen. Unter der Führung des Matrosen Wakulintschuk gelingt der Aufstand, jedoch wird der Revolutionsführer ermordet. Die Nachricht von der Meuterei verbreitet sich wie ein Lauffeuer unter der Bevölkerung von Odessa. Die Menschen strömen in den Hafen, um die Besatzung der "Potemkin" zu unterstützen. Sie versammeln sich auf der monumentalen Hafentreppe, die direkt zum Meer hinunter führt. Diese Treppe wird zum Schauplatz des grausamen Gegenschlags des Zaren-Regimes und ging als berühmte "Treppenszene von Odessa" in die Filmgeschichte ein.
Russland 1905: Auf der "Potemkin" bricht eine Meuterei aus, da die Matrosen die menschenunwürdige Behandlung, die ihnen die Offiziere zukommen lassen, nicht mehr über sich ergehen lassen wollen. Unter der Führung des Matrosen Wakulintschuk gelingt der Aufstand, jedoch wird der Revolutionsführer ermordet. Die Nachricht von der Meuterei verbreitet sich wie ein Lauffeuer unter der Bevölkerung von Odessa. Die Menschen strömen in den Hafen, um die Besatzung der "Potemkin" zu unterstützen. Sie versammeln sich auf der monumentalen Hafentreppe, die direkt zum Meer hinunter führt. Diese Treppe wird zum Schauplatz des grausamen Gegenschlags des Zaren-Regimes und ging als berühmte "Treppenszene von Odessa" in die Filmgeschichte ein.
Bonusmaterial
DVD-Ausstattung / Bonusmaterial: - Kapitel- / Szenenanwahl - Biografie und Filmografie des Regisseurs Sergej Eisenstein - Bildergalerie - Betrachtung von Prof. Peter Rabenalt "Die musikalsiche Salve eines Panzerkreuzers"Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2005Ein krankhafter Hang zu Knochen und Skeletten
Masse und Materie: Zur Aufführung der restaurierten Fassung von Sergei Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin", den sogar Albert Einstein bewunderte / Von Enno Patalas
Andere haben Schiller zum Jubilieren dieses Jahr oder Einstein, wir haben Eisenstein, seinen "Panzerkreuzer Potemkin". Vor achtzig Jahren hat er ihn gedreht, einen Auftragsfilm zur Erinnerung an die russische Revolution von 1905, die sich zum hundertsten Mal jährt. Dies ist also das Jubiläum eines Jubiläumsfilms.
Apropos Einstein - in seinem Aufsatz "Die vierte Dimension" zitiert Eisenstein aus der "Speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie": ". . . daß unsere gewohnte Welt ein vierdimensionales zeiträumliches Kontinuum ist" - die Basis der Welterfahrung des Kinos, die Eisenstein so radikal artikulierte wie keiner vor und wenige nach ihm. Raum war für ihn nicht filmischer Darstellung vorgegebene Realität, sondern stellt sich her erst in der Bewegung.
Den Aufsatz schrieb er Ende 1929. Kurz darauf, in Berlin, müssen sie sich getroffen haben. "Herrn Eisenstein, dem phantasiebegabten Künstler, A. Einstein 1930" steht auf einem Foto, das bis zu Eisensteins Tod 1948 sein Moskauer Arbeitszimmer schmückte. Im selben Jahr sah Einstein in der sowjetischen Handelsvertretung, wo sein russischer Schwiegersohn arbeitete, den "Potemkin". Ein Freund beschrieb dem Regisseur seine Reaktion: "Er stimmte zu, ereiferte sich, füllte den Vorführsaal mit lautem Gebrüll - schade, daß Sie nicht da waren." Ein Jubiläumsfilm, zur Feier einer Revolution zwanzig Jahre zuvor, in Auftrag gegeben von deren inzwischen erfolgreichen Veteranen. Nicht direkt dem Geist der Oktoberrevolution entsprungen, sondern aus der Zeit der Neuen Ökonomischen Politik, der spekulativen Rückkehr zur Marktwirtschaft. Nach Eisensteins erstem Film "Streik", einem Stück "Agitprop-Guignol", schreibt der Filmwissenschaftler Bordwell, sei dieser zweite eine Hymne. Jedenfalls ist er mehr Expressionismus als Konstruktivismus.
"Und plötzlich", sagt ein Titel am Anfang der berühmten Treppensequenz, der, schreibt Eisenstein, "unmittelbar abgelöst wird von einem hin und her pendelnden Kopf in drei Dimensionen, ,ruckartig' montiert aus drei kurzen ,zellenartigen' Teilen", ein Sprengeffekt, wie er ihn er in der Pionierfähnrichsschule gelernt habe, als sie das Minenwesen durchnahmen.
Dann erst sieht man, was die Explosion bewirkt hat: das Militär, das die Treppe herabmarschiert und in die Menge schießt. Als die deutschen Bearbeiter des Films Eisenstein baten, das umstellen zu dürfen, um dem Gesetz der Kausalität zu seinem Recht zu verhelfen, gab der sich generös: Die Deutschen kennen unseren Puschkin nicht. "Und plötzlich" ist ein Zitat aus dessen Versepos "Der eherne Reiter": "Und plötzlich, Hals über Kopf/ stürzte er los: es schien/ ihm, daß des schrecklichen Zaren/ in plötzlichem Zorn entflammtes/ Gesicht sich langsam ihm zuwendete." Erst Effekt, dann Ursache.
Ein anderes, ebenfalls anonymes Zitat, war - und ist jetzt erstmals wieder - der Handlung des ersten Akts vorangestellt: "Der Geist der Revolution schwebte über dem russischen Lande. Irgendein gewaltiger und geheimnisvoller Prozeß vollzog sich in zahllosen Herzen: die Individualität, die eben erst sich selbst erkannt hatte, ging in der Masse auf und die Masse in dem großen Elan." Das war von Trotzki, in den Zwanzigern aktiver Verfechter der permanenten, der Weltrevolution. Später, nach seiner Verbannung, wurden die Trotzki- durch Lenin-Sätze ersetzt, die sogar namentlich gezeichnet wurden und der Generallinie entsprechend von einer Version zur anderen wechselten wie Kalendersprüche.
Davor im Film, in dessen ersten Einstellungen, sieht man Meereswellen, gegen eine Mole brandend. Sie nehmen die Fortsetzung des Trotzki-Textes vorweg: Die Masse "stürmte vorwärts wie eine vom Zyklon gepeitschte Meereswelle". Blind, sagt Trotzki, "darin lag ihre Schwäche - darin lag auch ihre Stärke".
Der einzelne geht auf in der Masse, die Masse in einem großen, blinden Elan. Anders als die stalinistischen Historienfilme zwölf Jahre später erscheint Geschichte nicht als ein determinierterer Prozeß, rational nachvollzogen von einem filmischen Mastermind. Mehr als am literatur-inspirierten Erzählkino D. W. Griffiths knüpfte Eisenstein an am Slapstick Mack Sennetts. Seine zuerst auf dem Theater praktizierte, aber schon auf dessen Überwindung gerichtete Methode der "Montage von Attraktionen" leitete sich her vom Zirkus und von der Music-hall - und der Commedia dell'Arte.
Die Darsteller des Potemkin waren trainierte "Biomechaniker" aus der Meyerhold-Schule, wirkliche Akrobaten, und akrobatische Leistungen vollbringen auch Kamera und Schnitt. Aleksandr Ljowschin hat erzählt, wie er in einer Einstellung einen der Matrosen spielte, die den Schiffsarzt über die Reling schwingen, und in der nächsten den Arzt, wie er ins Meer fällt. Er konnte nicht anders, als beim Sturz einen Salto zu schlagen, den Eisenstein wieder herausschneiden mußte. Kein Wunder, daß zu den ersten glühenden Bewunderern des Films Hollywoods dare devil Douglas Fairbanks gehörte.
Ljowschin, den Eisenstein vom Proletkulttheater mitgebracht hatte, Moskauer Meister im Tauchen und Kurzstreckenschwimmen, war einer seiner "eisernen Fünf", die mehrere Hauptfiguren verkörperten und außerdem die Komparsen auf der Treppe von Odessa dirigierten - mehrere Hundertschaften, die kreuz und quer und durcheinanderlaufen mußten.
Ljowschin erzählt auch, wie Eisenstein ihnen erklärt habe, in Myrons Diskuswerfer entsprächen die einzelnen Gliedmaßen Bewegungsphasen, die in Wirklichkeit nie gleichzeitig zu sehen seien - so erwecke die Statue den Eindruck von Bewegung. Dies zur Begründung, weshalb er das Bild des wütend einen Teller zerschmeißenden jungen Matrosen am Ende des ersten Akts in eine Abfolge von mehreren Einstellungen zerlegte, wodurch die Darstellung des Vorgangs mehr Zeit in Anspruch nimmt als der reale Vorgang. Überhaupt wimmelt der Film von Sprüngen und von "falschen Anschlüssen", die der Kontinuität von Zeit, Raum und Handlung zuwiderlaufen.
Eisenstein wollte, daß seine Bilder an Tast- und Hörsinn ebenso appellierten wie ans Auge. Er war überzeugt, der Mensch habe einst "mit den Händen gedacht", das müsse er wieder lernen. Taktile Qualität verleiht den Dingen im "Potemkin" Eduard Tissés Photographie, aber auch der Schnitt macht seiner Kamera Hände, etwa, wenn bei gleichbleibender Perspektive die Brennweite wechselt und einen Schauplatz schnell ranholt und wieder zurückstellt. Der Melodie seiner Schwenks und Schnitte wollte Eisenstein als akustischen Kontrapunkt Musik und Geräusch beigeben - was erstmals 1926 mit Edmund Meisels für den Film komponierter Musik passierte, einer "Geräuschmusik", vermischt mit Ostinato-Effekten und Liederzitaten.
Der eigentliche Held des Films, meinten die Zeitgenossen, sei die Masse.
Besser sagt man "das Schiff" und "das Ufer". Eisenstein filmt Materie wie Menschen und zeigt Menschen als Materie. Berühmt ist das Beispiel von den drei steinernen Löwen: einer schläft, einer liegt wach, einer sitzt aufrecht; schnell hintereinander montiert, werden sie zu einem sich aufrichtenden Löwen: der Stein schreit auf. Das Bild eines Rettungsrings, unberührt an seinem Platz, verspottet den ins Meer geworfenen Offizier.
Die Potemkin - das Geschwaderpanzerschiff "Fürst von Taurien" - ähnelt Gulliver bei den Zwergen. Zwerge sind die Offiziere, die dem Schiffsriesen Fesseln angelegt haben. Das Schiff erscheint als ein zuerst ohnmächtiger Körper, der sich zunehmend seiner Kräfte besinnt, in konvulsivischen Zuckungen seine Fesseln sprengt, seine Quälgeister abwirft.
Im ersten Akt liegt das Schiff vor Anker, passiv, es schaukeln die Hängematten der Freiwache, der Zwicker des Schiffsarztes, die Tische in der Offiziersmesse. Im zweiten läßt das Schiff seine Muskeln spielen, aktiviert die Mannschaft das Waffenlager unter Deck, wirft die Offiziere über Bord. Im dritten hißt sie an seinem Mast die rote Fahne, im vierten beschießen seine Geschütze das Ufer. Vor die Entscheidung gestellt, die Revolution an Land zu tragen oder das Schiff zu verteidigen, entscheidet die Mannschaft sich für das Schiff. Im fünften Akt, wenn es Fahrt aufnimmt, seine Maschinen rotieren, sein Bug die Wellen durchpflügt auf der Fahrt ins Freie, gelangen Schiff und Mannschaft zur Identität. In der letzten Einstellung steigt der Schiffsbug vor der Kamera hoch - Eisenstein wollte ihn "die Leinwand zerreißen" lassen - deshalb gibt es keinen "Ende"-Titel.
In den ephemeren Erscheinungsformen von Mensch und Materie deren Motiv, die "Linie", das "Skelett" durchscheinen zu lassen war Eisensteins erklärtes Ziel. "Die Linie ist die Bewegung", zitierte er einen chinesischen Weisen. Und zu Knochen und Skeletten zöge es ihn schon seit seiner Kindheit; "dieser Hang ist nahezu krankhaft". In den freimütigen Erinnerungen des Schriftstellers Frank Harris beeindruckte ihn die Geschichte von dem Mann, der so lachen mußte, daß er sich dabei das Fleisch von den Knochen schüttelte. Auch die Ekstasen des Panzerkreuzers bringen sein Innerstes zum Vorschein. Als Vorfilm wäre sehr geeignet der "Skeleton Dance" des von Eisenstein bewunderten Walt Disney, mit der Musik von Saint-Saëns.
Enno Patalas, Filmkritiker und -kurator, zeichnet verantwortlich für die Wiederherstellung des "Panzerkreuzers Potemkin" und dessen Aufführung mit Orchesterbegleitung am Freitag und Samstag in der Volksbühne.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Masse und Materie: Zur Aufführung der restaurierten Fassung von Sergei Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin", den sogar Albert Einstein bewunderte / Von Enno Patalas
Andere haben Schiller zum Jubilieren dieses Jahr oder Einstein, wir haben Eisenstein, seinen "Panzerkreuzer Potemkin". Vor achtzig Jahren hat er ihn gedreht, einen Auftragsfilm zur Erinnerung an die russische Revolution von 1905, die sich zum hundertsten Mal jährt. Dies ist also das Jubiläum eines Jubiläumsfilms.
Apropos Einstein - in seinem Aufsatz "Die vierte Dimension" zitiert Eisenstein aus der "Speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie": ". . . daß unsere gewohnte Welt ein vierdimensionales zeiträumliches Kontinuum ist" - die Basis der Welterfahrung des Kinos, die Eisenstein so radikal artikulierte wie keiner vor und wenige nach ihm. Raum war für ihn nicht filmischer Darstellung vorgegebene Realität, sondern stellt sich her erst in der Bewegung.
Den Aufsatz schrieb er Ende 1929. Kurz darauf, in Berlin, müssen sie sich getroffen haben. "Herrn Eisenstein, dem phantasiebegabten Künstler, A. Einstein 1930" steht auf einem Foto, das bis zu Eisensteins Tod 1948 sein Moskauer Arbeitszimmer schmückte. Im selben Jahr sah Einstein in der sowjetischen Handelsvertretung, wo sein russischer Schwiegersohn arbeitete, den "Potemkin". Ein Freund beschrieb dem Regisseur seine Reaktion: "Er stimmte zu, ereiferte sich, füllte den Vorführsaal mit lautem Gebrüll - schade, daß Sie nicht da waren." Ein Jubiläumsfilm, zur Feier einer Revolution zwanzig Jahre zuvor, in Auftrag gegeben von deren inzwischen erfolgreichen Veteranen. Nicht direkt dem Geist der Oktoberrevolution entsprungen, sondern aus der Zeit der Neuen Ökonomischen Politik, der spekulativen Rückkehr zur Marktwirtschaft. Nach Eisensteins erstem Film "Streik", einem Stück "Agitprop-Guignol", schreibt der Filmwissenschaftler Bordwell, sei dieser zweite eine Hymne. Jedenfalls ist er mehr Expressionismus als Konstruktivismus.
"Und plötzlich", sagt ein Titel am Anfang der berühmten Treppensequenz, der, schreibt Eisenstein, "unmittelbar abgelöst wird von einem hin und her pendelnden Kopf in drei Dimensionen, ,ruckartig' montiert aus drei kurzen ,zellenartigen' Teilen", ein Sprengeffekt, wie er ihn er in der Pionierfähnrichsschule gelernt habe, als sie das Minenwesen durchnahmen.
Dann erst sieht man, was die Explosion bewirkt hat: das Militär, das die Treppe herabmarschiert und in die Menge schießt. Als die deutschen Bearbeiter des Films Eisenstein baten, das umstellen zu dürfen, um dem Gesetz der Kausalität zu seinem Recht zu verhelfen, gab der sich generös: Die Deutschen kennen unseren Puschkin nicht. "Und plötzlich" ist ein Zitat aus dessen Versepos "Der eherne Reiter": "Und plötzlich, Hals über Kopf/ stürzte er los: es schien/ ihm, daß des schrecklichen Zaren/ in plötzlichem Zorn entflammtes/ Gesicht sich langsam ihm zuwendete." Erst Effekt, dann Ursache.
Ein anderes, ebenfalls anonymes Zitat, war - und ist jetzt erstmals wieder - der Handlung des ersten Akts vorangestellt: "Der Geist der Revolution schwebte über dem russischen Lande. Irgendein gewaltiger und geheimnisvoller Prozeß vollzog sich in zahllosen Herzen: die Individualität, die eben erst sich selbst erkannt hatte, ging in der Masse auf und die Masse in dem großen Elan." Das war von Trotzki, in den Zwanzigern aktiver Verfechter der permanenten, der Weltrevolution. Später, nach seiner Verbannung, wurden die Trotzki- durch Lenin-Sätze ersetzt, die sogar namentlich gezeichnet wurden und der Generallinie entsprechend von einer Version zur anderen wechselten wie Kalendersprüche.
Davor im Film, in dessen ersten Einstellungen, sieht man Meereswellen, gegen eine Mole brandend. Sie nehmen die Fortsetzung des Trotzki-Textes vorweg: Die Masse "stürmte vorwärts wie eine vom Zyklon gepeitschte Meereswelle". Blind, sagt Trotzki, "darin lag ihre Schwäche - darin lag auch ihre Stärke".
Der einzelne geht auf in der Masse, die Masse in einem großen, blinden Elan. Anders als die stalinistischen Historienfilme zwölf Jahre später erscheint Geschichte nicht als ein determinierterer Prozeß, rational nachvollzogen von einem filmischen Mastermind. Mehr als am literatur-inspirierten Erzählkino D. W. Griffiths knüpfte Eisenstein an am Slapstick Mack Sennetts. Seine zuerst auf dem Theater praktizierte, aber schon auf dessen Überwindung gerichtete Methode der "Montage von Attraktionen" leitete sich her vom Zirkus und von der Music-hall - und der Commedia dell'Arte.
Die Darsteller des Potemkin waren trainierte "Biomechaniker" aus der Meyerhold-Schule, wirkliche Akrobaten, und akrobatische Leistungen vollbringen auch Kamera und Schnitt. Aleksandr Ljowschin hat erzählt, wie er in einer Einstellung einen der Matrosen spielte, die den Schiffsarzt über die Reling schwingen, und in der nächsten den Arzt, wie er ins Meer fällt. Er konnte nicht anders, als beim Sturz einen Salto zu schlagen, den Eisenstein wieder herausschneiden mußte. Kein Wunder, daß zu den ersten glühenden Bewunderern des Films Hollywoods dare devil Douglas Fairbanks gehörte.
Ljowschin, den Eisenstein vom Proletkulttheater mitgebracht hatte, Moskauer Meister im Tauchen und Kurzstreckenschwimmen, war einer seiner "eisernen Fünf", die mehrere Hauptfiguren verkörperten und außerdem die Komparsen auf der Treppe von Odessa dirigierten - mehrere Hundertschaften, die kreuz und quer und durcheinanderlaufen mußten.
Ljowschin erzählt auch, wie Eisenstein ihnen erklärt habe, in Myrons Diskuswerfer entsprächen die einzelnen Gliedmaßen Bewegungsphasen, die in Wirklichkeit nie gleichzeitig zu sehen seien - so erwecke die Statue den Eindruck von Bewegung. Dies zur Begründung, weshalb er das Bild des wütend einen Teller zerschmeißenden jungen Matrosen am Ende des ersten Akts in eine Abfolge von mehreren Einstellungen zerlegte, wodurch die Darstellung des Vorgangs mehr Zeit in Anspruch nimmt als der reale Vorgang. Überhaupt wimmelt der Film von Sprüngen und von "falschen Anschlüssen", die der Kontinuität von Zeit, Raum und Handlung zuwiderlaufen.
Eisenstein wollte, daß seine Bilder an Tast- und Hörsinn ebenso appellierten wie ans Auge. Er war überzeugt, der Mensch habe einst "mit den Händen gedacht", das müsse er wieder lernen. Taktile Qualität verleiht den Dingen im "Potemkin" Eduard Tissés Photographie, aber auch der Schnitt macht seiner Kamera Hände, etwa, wenn bei gleichbleibender Perspektive die Brennweite wechselt und einen Schauplatz schnell ranholt und wieder zurückstellt. Der Melodie seiner Schwenks und Schnitte wollte Eisenstein als akustischen Kontrapunkt Musik und Geräusch beigeben - was erstmals 1926 mit Edmund Meisels für den Film komponierter Musik passierte, einer "Geräuschmusik", vermischt mit Ostinato-Effekten und Liederzitaten.
Der eigentliche Held des Films, meinten die Zeitgenossen, sei die Masse.
Besser sagt man "das Schiff" und "das Ufer". Eisenstein filmt Materie wie Menschen und zeigt Menschen als Materie. Berühmt ist das Beispiel von den drei steinernen Löwen: einer schläft, einer liegt wach, einer sitzt aufrecht; schnell hintereinander montiert, werden sie zu einem sich aufrichtenden Löwen: der Stein schreit auf. Das Bild eines Rettungsrings, unberührt an seinem Platz, verspottet den ins Meer geworfenen Offizier.
Die Potemkin - das Geschwaderpanzerschiff "Fürst von Taurien" - ähnelt Gulliver bei den Zwergen. Zwerge sind die Offiziere, die dem Schiffsriesen Fesseln angelegt haben. Das Schiff erscheint als ein zuerst ohnmächtiger Körper, der sich zunehmend seiner Kräfte besinnt, in konvulsivischen Zuckungen seine Fesseln sprengt, seine Quälgeister abwirft.
Im ersten Akt liegt das Schiff vor Anker, passiv, es schaukeln die Hängematten der Freiwache, der Zwicker des Schiffsarztes, die Tische in der Offiziersmesse. Im zweiten läßt das Schiff seine Muskeln spielen, aktiviert die Mannschaft das Waffenlager unter Deck, wirft die Offiziere über Bord. Im dritten hißt sie an seinem Mast die rote Fahne, im vierten beschießen seine Geschütze das Ufer. Vor die Entscheidung gestellt, die Revolution an Land zu tragen oder das Schiff zu verteidigen, entscheidet die Mannschaft sich für das Schiff. Im fünften Akt, wenn es Fahrt aufnimmt, seine Maschinen rotieren, sein Bug die Wellen durchpflügt auf der Fahrt ins Freie, gelangen Schiff und Mannschaft zur Identität. In der letzten Einstellung steigt der Schiffsbug vor der Kamera hoch - Eisenstein wollte ihn "die Leinwand zerreißen" lassen - deshalb gibt es keinen "Ende"-Titel.
In den ephemeren Erscheinungsformen von Mensch und Materie deren Motiv, die "Linie", das "Skelett" durchscheinen zu lassen war Eisensteins erklärtes Ziel. "Die Linie ist die Bewegung", zitierte er einen chinesischen Weisen. Und zu Knochen und Skeletten zöge es ihn schon seit seiner Kindheit; "dieser Hang ist nahezu krankhaft". In den freimütigen Erinnerungen des Schriftstellers Frank Harris beeindruckte ihn die Geschichte von dem Mann, der so lachen mußte, daß er sich dabei das Fleisch von den Knochen schüttelte. Auch die Ekstasen des Panzerkreuzers bringen sein Innerstes zum Vorschein. Als Vorfilm wäre sehr geeignet der "Skeleton Dance" des von Eisenstein bewunderten Walt Disney, mit der Musik von Saint-Saëns.
Enno Patalas, Filmkritiker und -kurator, zeichnet verantwortlich für die Wiederherstellung des "Panzerkreuzers Potemkin" und dessen Aufführung mit Orchesterbegleitung am Freitag und Samstag in der Volksbühne.
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